© Leipziger Volkszeitung vom Montag, 20. Januar 2003

Späte Liebe des gefeierten Baritons

Späte Liebe ist wahre Liebe. Gerade dann, wenn sie einer findet, der wissen muss, worum es geht. Beim Thema Kunstlied dürfte es in dieser Hinsicht bei Dietrich Fischer-Dieskau wenig Zweifel geben. Alles in allem wohl der maßgebende deutsche Bariton des 20. Jahrhunderts. Auf seine alten Tage streitet er jetzt vehement für das Werk des Spätromantikers Hugo Wolf, erst recht angesichts dessen 100. Todesjahres. Dieskau, der eine Biographie über ihn geschrieben hat, liest Auszüge im mäßig gefüllten Mendelssohnsaal des Gewandhauses. Musikalisch umrahmt wird das Ganze von Christian Elsner und Burkhard Kehring.

Fischer-Dieskau verschwendet gar nicht erst Zeit, um Begrüßungsworte zu verlieren. Sofort feiert er Wolfs Verdienste und preist ihn als Schuberts Vollender. Dem muss man auf den ersten Blick nicht unbedingt zustimmen, aber so wie es der gereifte Troubadour vorträgt, ist es einfach interessant, unterhaltsam, bisweilen sogar witzig. Da schleicht der junge Wolf dem verehrten Richard Wagner hinterher, und es unterscheidet sich kaum vom Popstar-Kult dieser Tage. Doch wie so oft: Je jünger die Generation, desto größer die Probleme. Mit Bruckner kommt der aufstrebende Komponist noch ganz gut klar, bei Mahler gibt es Schwierigkeiten, aber "Strauß ist so unsympathisch wie seine Musik". Fischer-Dieskau erzählt voller Hingabe. Er war nicht nur ein begnadeter Sänger, sondern ist immer noch ein mehr als überdurchschnittlicher Rezitator.

Christian Elsner und sein Klavierbegleiter Burkhard Kehring sind ein geradezu jugendliches Gegengewicht. Der schwergewichtige Tenor kann mit klarem, sauberen, nur in manchen Höhen etwas unsicherem Ton punkten und Wolfs Möricke-Vertonungen mit Charme und Esprit füttern. Kehring am Piano bezwingt zwar nicht alle Noten mit letzter Souveränität, gereicht aber locker zum formidablen Liedbegleiter.

Nächster Hugo-Wolf-Abend am 26.2. im Mendelssohn-Saal mit Sibylla Rubens, Christian Gerhaher und Gerald Huber.


MZ vom 23.01.2003

Dietrich Fischer- Dieskau: Der Sänger rühmt den Komponisten

Der Künstler präsentiert seine Hugo- Wolf- Biografie

Von Sigrid Neef Leipzig/ MZ.

Dietrich Fischer- Dieskau ist ein Star und einer der wohl größten Liedinterpreten unserer Zeit. Dass er auch ein anerkannter Maler ist, dürfte weniger bekannt sein. Seine musikschriftstellerische Tätigkeit dagegen zieht Kreise nicht nur in der Fachwelt. In diesen Tagen stellt der Künstler u.a. in Bremen, Amsterdam und New York seine Hugo- Wolf- Biografie vor, die zum 100. Todestag des Komponisten am 22. Februar 2003 im Henschel- Verlag erschienen ist.

In Leipzig gastierte Fischer- Dieskau am vergangenen Sonntag Nachmittag. Eingebunden war seine Lesung in Lieder Hugo Wolfs nach Gedichten von Eduard Mörike, gesungen von Tenor Christian Elsner. Hugo Wolfs Schaffen hat Fischer- Dieskau seit seiner Jugend begleitet und fasziniert. In seinem Buch lenkt er mit der Detailgenauigkeit seiner Liedinterpretationen den Blick aufs Innerste und erschließt viele Facetten der komplizierten Komponisten- Persönlichkeit. Gewidmet ist die Biografie der Sängerin Elisabeth Schwarzkopf, die wesentliche Teile des Wolf- Nachlasses besitzt.

Dieser Lektüre verdankt Fischer-Dieskau die erweiterte Sicht auf das Leben des Komponisten.

Der musikalische Rahmen war der Lesung angemessen: Christian Elsner und Burkhard Kehring (Flügel) schufen einen großen Bogen aus kostbaren Details. Die Stimme des Tenors war zwar nicht immer schlackenfrei, jedoch ausnahmslos schön: eine tiefe, intelligente Interpretation, ein spannungsgeladenes Geben und Nehmen zwischen dem Sänger und seinem Partner am Klavier. Das war die hohe Schule des Liedgesangs- und eine Referenz an den Komponisten Hugo Wolf.

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