Die theatralische Sendung

Zwei Seiteneinsteiger würdigen Goethe als Intendanten

Kaum ein Schauspieldichter der Weltliteratur dürfte das Medium Theater so umfassend reflektiert und in so vielfältigen Formen für dieses Medium gearbeitet haben wie Goethe. Nicht nur Bühnendichter und -theoretiker ist er gewesen, sondern Poet, Theaterdirektor und Mime - die drei Figuren seines Theaterprologs zum "Faust" in einer Person. Fast kein überliefertes oder zu seiner Zeit aufkommendes theatralisches Genre ist ihm fremd gewesen. Die ,Bretter" waren ihm so selbstverständlich vertraut, dass er sich auch vor dramatischer Gelegenheitsdichtung aller Art nicht scheute. Seine einschlägige Produktion reicht von "Theaterreden" (Prologen, Epilogen) und Vorspielen über das satirische Zeitstück bis zu den für die diversen Weimarer Festivitäten verfassten und inszenierten "Maskenzügen".

Von improvisatorisch-paratheatralen Experimenten bis zu den sublimsten Verästelungen des Versdramas beherrschte Goethe das ganze Instrumentarium des Schauspiels. Hinzu kommt, dass er in seinen theoretischen Schriften, welche um das Drama kreisen - von der Rede "Zum Schäkespears Tag" (1771) bis zu seiner "Nachlese zu Aristoteles" Poetik" (1826) - so gut wie keine repräsentative Erscheinungsform des antiken und modernen Schauspiels unberührt gelassen hat. Nicht zu vergessen seinen Theaterroman: "Wilhelm Meisters theatralische Sendung", den er selbst als Versuch bezeichnet hat, "das ganze Theaterwesen in einem Roman" zusammenzufassen.

Sogar als Bühnenbildner aktiv

Was bis heute in seiner Tragweite nicht wirklich erkannt ist: die moderne dramatische Kunstform schlechthin war für Goethe die Oper. "Diese reine Opernform, welche vielleicht die günstigste aller dramatischen bleibt, war mir so eigen und geläufig geworden, daß ich manchen Gegenstand darin behandelte", schreibt er in den "Tag und Jahresheften". Wort und Ton, Mimus und Tanz, "Gesang und Rede, sinniges Bewegen" sollten zusammenwirken, um das Theater zu seiner höchsten Entfaltung zu bringen.

Als Schauspieler stand er wiederholt auf der Bühne des Weimarer Liebhabertheaters, und mehr als ein Vierteljahrhundert war er bekanntlich Direktor des Weimarer Hoftheaters. Nicht nur für Organisation, Regie und Ausstattung war er da verantwortlich, sondern auch Bühnenbilder hat er entworfen - wie das berühmte Szenenbild zum Auftritt der Königin der Nacht im Sternenkranz anlässlich der Weimarer "Zauberflöte". Aus seinem Schauspielunterricht sind die als ,Werk" keineswegs authentischen, erst später von Eckermann in Paragraphenform kodifizierten "Regeln für Schauspieler" hervorgegangen, die so oft (etwa von Gerhart Hauptmann in den "Ratten") harsch kritisiert worden sind. Goethe ist ein ,homme de théâtre" gewesen. Gleichwohl ist gerade ihm von Kritikern der Theaterinstinkt abgestritten worden.

"Es ist mehr ein Negatives, was er gewirkt hat, als daß das Theater durch ihn vorgeschritten wäre", schrieb etwa Ludwig Tieck in seinem Essay "Goethe und seine Zeit" (1828). Dieses Vorurteil hat sich bis heute gehalten, und selbst die Goethe-Forschung geht am Theatermann Goethe gern vorbei, wenn auch alle wesentlichen Quellen erschlossen und vorzügliche Publikationen zu diesem Thema bis in jüngste Zeit vorliegen. Dennoch ist es bezeichnend, dass nun zwei fachfremde Autoren und Goethe-Liebhaber den Bühnenspuren in Goethes Leben und Wirken noch einmal folgen.

Der Politologe Ekkehart Krippendorf hat alle wesentlichen Theaterreden und -schriften gesammelt und würdigt "Goethes theatralische Sendung" mit dem leidenschaftlichen und geistvollen Engagement des Liebhabers. Und einer der großen Sänger des vergangenen Jahrhunderts: Dietrich Fischer-Dieskau, der als musikalischer Interpret des meistkomponierten Dichters der Weltliteratur selbst ein Stück Wirkungsgeschichte Goethes mitgeschrieben oder mitgesungen und überdies den Goethe-Komponisten von Reichardt und Zelter über Schubert bis Wolf einlässliche Monographien gewidmet hat, legt nun die umfassendste Darstellung von Goethes Theaterleben seit vielen Jahrzehnten vor.

Fischer-Dieskau erhebt nicht den Anspruch, neue Quellen entdeckt oder im eigentlichen Sinne geforscht zu haben. Er kennt freilich vorzüglich die einschlägige wissenschaftliche Literatur, doch sein Interesse ist weniger ein analytisches als ein narratives. Deshalb verzichtet er auf Fußnoten und übersetzt das umfangreiche Material in eine große Erzählung: eine Biographie des Theatermannes Goethe im Spannungsfeld seiner Zeit. Dass Fischer-Dieskau Goethes musiktheatralischen Ambitionen und seiner Mozart-Affinität besondere Aufmerksamkeit widmet, ist nicht verwunderlich. Das Vorurteil, dass er nicht allzu viel von Musik verstanden hat, wird zu Recht ausgeräumt, nur dass er so "mühelos Partituren las", wie Fischer-Dieskau behauptet, wage ich doch zu bezweifeln.

Bisweilen mag man die Objektivität dieser Theaterbiographie bedauern. Ein persönlicherer Ton hätte ihr durchaus angestanden. Doch ein Buch zu erwarten, wie es nur ein Fischer-Dieskau schreiben könnte, gleichsam mit dem unverwechselbaren Timbre seiner Stimme, wäre zu viel verlangt. Wenn es um persönliche Wertung geht, hält der Autor sich zurück: Wie"s da drinnen aussieht, geht niemand was an. Und Goethe hätte in seiner Skepsis gegenüber den "subjektiven Prinzen" der Moderne Fischer-Dieskau da vermutlich seiner Zustimmung versichert und diesem Buch seinen Beifall gespendet.

DIETER BORCHMEYER

DIETRICH FISCHER-DIESKAU: Goethe als Intendant. Theaterleidenschaften im klassischen Weimar. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 464 Seiten, 15 Euro.

EKKEHART KRIPPENDORF (Hrsg.): Goethe - Theaterarbeit. Dichtungen, Schriften und Berichte über Theater und Schauspielkunst. Mit einem Geleitwort von Peter Stein. Berliner Wissenschaftsverlag 2005. 223 Seiten, 29 Euro.

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.62, Donnerstag, den 15. März 2007 , Seite 14