Generalanzeiger Bonn Zwischen Rausch und SachlichkeitZur gefeierten Premiere der Pfingstkonzerte des Bonner Festivals dirigierte Kent Nagano in der Beethovenhalle Bruckners 8. Sinfonie und Schönbergs "Moses und Aron" Von Bernhard Hartmann Bonn. Anton Bruckners achte Sinfonie und Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aron" haben nicht viel gemeinsam. Außer dass sie vielleicht zu dem Ambitioniertesten gehören, was beide Komponisten jemals geschrieben haben. Es sind nichts weniger als Bekenntniswerke. Kent Nagano, seit Herbst vergangenen Jahres musikalischer Chef des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, hat zweifellos Recht, dass sie der Würde des Pfingstfests angemessen sind. Für die Premiere der vom Bonner Beethovenfest veranstalteten Pfingstkonzerte bedeutete Naganos Programm-Idee freilich, das Publikum durch Ernst zu überzeugen, statt etwa durch ein "Klassik light"-Angebot in die Beethovenhalle zu locken - wobei Schönberg, dessen Oper am zweiten Abend erklang, natürlich als der größere Risikokandidat erschien. Doch in diesem Fall galt erfreulicherweise: Wer wagt, gewinnt. Selbst die Einführungsvorträge zu "Moses und Aron" mit Siegfried Mauser und dem über 90-jährigen Schönberg-Schüler Peter E. Gradenwitz gerieten zu echten Publikumsrennern. Nagano ist vor allem als Interpret Neuer Musik ein Begriff: Mit ihm verbindet man eher Messiaen als Mozart, eher Berio als Bruckner. Doch gerade zu letzterem scheint Nagano einen guten Draht zu haben. Nach etwas mehr als eineinhalb Stunden, die Nagano für die Entfaltung des sinfonischen Kolosses vor den Ohren der Zuhörer benötigte, hatte man die Bestätigung. Naganos Bruckner verliert sich nicht in romantisches Sehnen und Schwelgen, verfällt bei allem Formbewusstsein aber auch nicht in kühle Sachlichkeit. Es ist die Seele dieser Musik, die er entdecken möchte. Nagano, dessen Dirigiergesten souveräne Ruhe ausstrahlen, nimmt die Tempi relativ gemessen, ist da vielleicht Celibidache näher als Karajan. Vielleicht klingen ja deshalb unter Nagano noch Bruckners schärfste orchestrale Klangmassierungen nie wirklich martialisch. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin folgte seinem neuen Dirigenten mit großem Engagement. Die ausgedehnten Blechabschnitte hielten eine wunderbare Balance zwischen mitreißender Wucht und Durchsichtigkeit. Die musikalischen Gedanken des ersten Satzes wurden mit größter Klarheit entfaltet, das Scherzo erklang beinahe schwerelos. Man gestaltete atemberaubende Crescendi, was im langsamen Satz mit der beinahe minimalistisch anmutenden Klangfläche, die in zwei mit dreifachem Forte überschriebenen Beckenschlägen mündet, besonders eindrucksvoll zu hören war. Aber die Musiker können auch wundervolle Holz- oder Streichermelodien erblühen lassen. Bei Schönbergs spätem Opernwerk "Moses und Aron" nahm die bei Bruckners Achter herrschende drangvolle Enge auf dem Podium noch um einiges zu. Immerhin mussten noch der Rundfunkchor Berlin und die Solisten Platz auf dem Podium finden. Ursprünglich hatte Schönberg "Moses und Aron" etwas kleiner dimensioniert. Es sollte eine Kantate werden, dann entwickelte sich das Werk im Laufe weiterer Entstehungsjahre zum Oratorium und wurde schließlich eine Oper - wenn auch eine unvollendete. Sie blieb Fragment, nicht weil Schönberg die Zeit gefehlt hätte, sondern weil er es nicht vermochte, den in den beiden ersten Akten dargelegten Antagonismus zwischen Moses und Aron, zwischen Gedanken und Bild, in eine Synthese hinüber zu führen. Während der erste, dialogisch angelegte Akt sicher eher oratorienhafte Züge trägt, schildert der zweite ein völlig entfesseltes Bühnengeschehen: Schönberg hat dazu nicht nur eine - trotz ihrer Einbindung in das ordnende Prinzip der Zwölftontechnik - rauschhafte Musik geschrieben, sondern gibt auch minutiöse Regieanweisungen, wie die Massen beim Tanz um das Goldene Kalb auf der Bühne zu bewegen sind. Das radikale Sichtbarmachen des durchbrochenen Bilderverbots ist natürlich eine der zentralen Ideen des Werks (schließlich hat Schönberg sich bewusst gegen das Oratoium entschieden). In der konzertanten Fassung bleibt dennoch viel erhalten. Nagano dirigierte die höchst komplexe Partitur mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit, hielt das Orchester zu klar konturiertem Spiel an, brachte ein wenig Ordnung ins Chaos. Eine ganz entscheidende Rolle für das musikalische Gelingen kam dem von Simon Halsey mit großer Sorgfalt einstudiertem Chor zu. Denn die Sänger müssen sich nicht nur in den schwierigen Harmonien zurechtfinden, sondern darüber hinaus auch weite Teile ihres Parts sprechend absolvieren, wobei Schönberg jede Silbe präzise notiert. Auch Moses muss sprechen. Anders als man annehmen könnte, überlässt Schönberg dem Mann des Wortes und der Tat das Singen und dem Mann des Gedankens das Sprechen. Aber obwohl Moses eine (fast) reine Sprechrolle ist, gehört schon ein Sänger dazu, sie zu erfüllen. Und für Fischer-Dieskau gilt, wie vielleicht für keinen anderen: Der Sänger spricht. Über welche vokale Kraft und Präsenz der schlohweiße 76-Jährige verfügt, wie er den Text in der Tat musikalisch ausdeutete, dürfte ziemlich einzigartig sein. Donald Kaasch verlieh seinem Aron tenorales Profil. Auch die weiteren Solisten (Melanie Walz, Marcus Ullmann, Thomas Mohr, Kwangchoul Youn und Tatjana Sotin) fügten sich sehr überzeugend ein. Der begeisterte Applaus dürfte Orchester und Beethovenfest hoffentlich bestärken, auch in den kommenden Jahren zusammenzuarbeiten. Nach Wien und Bonn führen Nagano und das Deutsche Symphonie-Orchester Schönbergs "Moses und Aron" heute in Berlin und Ende des Jahres in Los Angeles auf.
Bonner Pfingstkonzerte
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