Der Patriot. Lokales / KULTUR 20.09.2001

Eindruck von Beliebigkeit

Als Maler erreicht Dietrich Fischer-Dieskau nicht dieselbe Meisterschaft wie als Sänger / Ausstellung in der Rathausgalerie eröffnet

LIPPSTADT. Dass es sich bei Dietrich Fischer-Dieskau um den herausragendsten Kunstliedinterpreten des letzten Jahrhunderts handelt, ist unbestritten. Hinzu kommen seine Tätigkeiten als Dirigent, Schriftsteller und Dozent. Seit 1960 beschäftigt er sich daneben mit malerischen Arbeiten, die bereits in verschiedenen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt wurden.

Im Rahmen des Lippstädter Wortfestivals werden seit gestern in der Galerie im Rathaus einige dieser Werke gezeigt. Eine weitere außerordentliche Begabung des Ausnahmekünstlers Fischer-Dieskau? Das ist es wohl nicht, aber eine neue Perspektive auf den Menschen, der dahinter steht.

Auf den ersten Blick mag der Betrachter etwas irritiert sein, zeigt die Ausstellung doch einen heterogenen Querschnitt der malerischen Arbeiten. Zum einen ist der Zeitraum sehr weit gefasst, von 1984 bis 2001, zum anderen zerstreut die Vielfältigkeit der gezeigten Techniken und Themen eher, als das sie verbindet. Es entsteht der Eindruck von Beliebigkeit, was aber auch an der möglicherweise etwas unglücklichen Hängung der Arbeiten liegt. Durch eine Beschränkung auf weniger Bilder oder eine thematische Festlegung hätte die Ausstellung mehr Klarheit gewonnen.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Bürgermeister Schwade übernahm Hans A. Neunzig, Fischer-Dieskaus Biograf, das Wort. Seine Ausführungen, die einige Male vom Künstler selbst unterbrochen wurden, beschrieben Fischer-Dieskau als Multitalent, fast als Universalgenie. Für den Kulturfreund interessant waren seine Ausführungen über die Beziehungen zwischen Musik und bildender Kunst allemal, allein über Fischer-Dieskaus Malerei sagt das nicht viel. Unbestritten muss man bei Fischer-Dieskau von einer Doppelbegabung sprechen, doch erreicht er als Maler nicht dieselbe Meisterschaft wie als Sänger. Was ja wohl auch fast unmöglich wäre.

Und dann kommt Hans A. Neunzig in Erklärungsnöte: Der von ihm apostrophierte Anspruch des Künstlers, innere Vorgänge auszudrücken und zu visualisieren, gilt sicher für jede Art zeitgenössischer künstlerischer Arbeit. Und das Bestreben des Malers, die Besonderheiten eines Porträtierten zu erfassen, das Wesentliche abzubilden, ist ebenso nicht gerade neu. Deutlich anzusehen ist den Arbeiten Fischer-Dieskaus auch die Inspiration durch die französischen Spätimpressionisten.

Wirklich neu für den Betrachter ist eigentlich ein anderer Aspekt: Als Sänger war Fischer-Dieskau immer Interpret, als Maler ist er Schaffender. Und: Musik ist eine flüchtige Angelegenheit, Malerei dagegen fixiert einen Moment. Vielleicht steht dahinter ja der verständliche Wunsch eines Künstlers, wirklich einmal etwas ganz anderes zu machen, sich anders auszudrücken. So gesehen ist diese Ausstellung eine Möglichkeit, den Künstler Fischer-Dieskau einmal aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen, und diese ist durchaus bereichernd.

Am Ende der Veranstaltung ergriff Fischer-Dieskau selbst das Wort, bedankte sich kurz bei den Zuhörern für ihr Interesse in "diesen unsicheren Zeiten" und trug sich in das Goldene Buch der Stadt Lippstadt ein.
 

Lokales / KULTUR 20.09.2001

Der Maurer und der Dichterfürst

Carl Friedrich Zelter galt der Nachwelt lange Zeit nicht als ebenbürtiger Partner seines Brieffreundes Goethe / Im Stadttheater verkehrten sich die Verhältnisse

LIPPSTADT. Vielleicht war es so etwas wie historische Gerechtigkeit. Der Briefwechsel zwischen Goethe und dem Komponisten Carl Friedrich Zelter führte lange Zeit ein Schattendasein, überschattet von der Korrespondenz zwischen Goethe und Schiller und Eckermanns "Gespräche mit Goethe". Der Maurermeister und Komponist Zelter, der es immerhin zum Leiter der Berliner Singakademie und Professor der Musik an der Berliner Akademie der Schönen Künste brachte, galt der Nachwelt nicht als ebenbürtiger Partner des Dichterfürsten. Ein Urteil, das sich erst in den letzten Jahren etwas gewandelt hat.

Bei der Lesung des Briefwechsels im Lippstädter Stadttheater kam es am Dienstag dagegen zu einer regelrechten Verkehrung der Verhältnisse. An zwei schlichten, etwas scheußlichen Tischen sitzen zwei Männer: Dietrich Fischer-Dieskau und sein Biograf Hans A. Neunzig. Der Sänger überragt seinen Partner nicht nur körperlich, sonder auch hinsichtlich der Bühnenpräsenz und des Talents als Rezitator. Und er liest nicht etwa das alles überstrahlende Genie Goethe, sondern den lang geschmähten Zelter, dessen bemerkenswerte Persönlichkeit unversehens zum Mittelpunkt der ganzen Veranstaltung wird.

Fischer-Dieskau ist nicht nur als Sänger ein Stimmenvirtuose. Präzise setzt er die Pointen, stellt lustvoll - und nicht immer frei von Eitelkeit - den manchmal derben, aber immer geistreichen Humor Zelters heraus, der dem Dichter die Vorzüge einer Altistin auch schon mal mit den Worten empfiehlt: "Ein Kuss von ihr ist kein Katzendreck." Gelegentlich erfüllt Pathos seine Stimme, um gleich wieder ironisch gebrochen zu werden. Und wenn Zelter den Tod des Sohnes mit den Worten "Er hatte eben angefangen, mir hilfreich zu werden" kommentiert, wird die tiefe Trauer des Vaters allein durch das Beben der Stimme spürbar.

Die Briefe geben Einblick in zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Während der Berliner Musiker bekennt, er habe nach einer Aufführung von Händels "Messias" den Heimweg mit "Tränen der Rührung" benetzt, räumt Goethe ein: "Ich kenne die Musik mehr durch Nachdenken als durch Genuss, also mehr im Allgemeinen."

Doch das Zusammentreffen dieser beiden so unterschiedlichen Persönlichkeiten wird weitgehend verschenkt. Gegen Fischer-Dieskaus virtuose Interpretation bleibt Hans A. Neunzigs Dichterfürst blass. Der Biograf wirkt bescheiden und freundlich, liest artikuliert, aber ohne jeden Esprit. Nichts ist zu spüren von der faszinierenden Persönlichkeit des sich seines Genies nur zu bewussten Weimarers, der seine Persönlichkeit gerade auch in seinen Briefen entfaltete.

So wird der Dichter - auch hinsichtlich der Länge der ausgewählten Briefe - zum Stichwortgeber degradiert, verschwindet die fast symbiotische Beziehung der beiden Brieffreunde hinter der Persönlichkeit Zelter/Fischer-Dieskau.

Dass sich der Abend dennoch lohnt, liegt an der Lesekunst Fischer-Dieskaus, aber auch an der Qualität der Briefe, in denen neben der Musik immer wieder das Alter und der Tod zum Thema werden. Und vielleicht hat Carl Friedrich Zelter nach der langen Zeit der Missachtung auch ein bisschen Rampenlicht verdient.

bal