Und fern und fahl und kahl Die Begeisterung, die für die Lyrik Richard Dehmels im
frühen 20. Jahrhundert herrschte, erscheint heute ähnlich
rätselhaft, wie es einmal der gegenwärtige Michel-Houellebecq-Rausch
für die Nachwelt sein wird. In Dehmels Gedicht "Notturno"
werden Stimmungswörter wie "bleich", "öde",
"fahl", "kahl", "müd" und
"starr" so lange umgruppiert, bis sie zum schauerromantischen
Geklingel verkommen sind: "Und müder glitt die müde
Hand,/ und vor mir stand/ ein bleicher Tag,/ ein ferner bleicher
Jugendtag,/ da starr im Sand/ er selber ein Zerfallner lag". Dass die Aufführung des "Notturno" an das damals beliebte Melodram erinnerte, ist allerdings Dietrich Fischer-Dieskau zuzuschreiben, der, aus Hochachtung vor Schnabel wohl, dieses eine Mal nur als Sänger wieder auftrat. Schnabel forderte eine Singstimme; Fischer-Dieskau deklamierte am Sonntag über weite Strecken, als wäre es eine Schönbergsche "Sprechstimme". Die Neigung Fischer-Dieskaus, Wörter nicht nur vorzutragen, sondern gleichzeitig auch noch zu erklären, verstärkte diesen Eindruck. Wo es im Text hieß: "und fern und fahl entwich ins Dunkel auch der Tod", so klang "fahl" fahl, "Dunkel" wurde dunkel abgetönt und "Tod" mit Grabesstimme vorgetragen. Aber dafür haben wir doch die Wörter, damit wir die Dinge nicht auch noch herzeigen müssen. Nichtsdestoweniger war das "Notturno" der bedeutendste
künstlerische Eindruck dieses Abends in der Akademie. Die
interessante Idee, die Jugendwerke Alban Bergs mit denen Artur
Schnabels zu konfrontieren, scheiterte nicht nur an einem klirrenden
Bechstein-Flügel, sondern auch an dem Pianisten Benedikt
Koehlen, der zumindest Bergs "Frühe Klavierstücke"
und seine "12 Variationen" zu wenig geübt hatte;
die Fehlgriffe häuften sich. Immerhin bemerkenswert, wie
sicher im Entwickeln musikalischer Einfälle die "Drei
Klavierstücke" des vierundzwanzigjährigen Schnabel
wirkten im Vergleich zum etwa gleichaltrigen Berg. |