Zum Liederabend am 2. August 1992 in Ludwigsburg


   Stuttgarter Nachrichten, 4. August 1992   

Dietrich Fischer-Dieskau im Ludwigsburger Forum

Ökonomie des Souveräns

   

Die "Magelone"-Romanzen von Johannes Brahms mit Dietrich Fischer-Dieskau und Swjatoslaw Richter - das war eine Sternstunde der Liedinterpretation, der nachzueifern gewiß auch einem Murray Perahia schwergefallen wäre. Da dieser aber wegen einer Nagelbettentzündung abgesagt hatte, griff der Sänger auf eine Auswahl zumeist später (und hochwertiger) Schubert-Lieder zurück, die er ebenfalls schon einmal mit Richter auf dessen Festival in der Touraine musiziert hatte: Gesänge von der Ruhelosigkeit des Menschen im Angesicht des Todes, der Entwurzelung, von Kummer und Schmerz. Die Jahre - Fischer-Dieskau ist Jahrgang 1925 - haben seiner besonnen geführten Stimme nur wenig anhaben können. Mehr noch: Sein Bariton folgte sogar noch müheloser, strömender und im leisen Mezzo voce unangestrengter als bei seinen Staatstheater-Liederabenden den gestalterischen Absichten. Und wiederum durfte man ihn zu seinem Begleiter Hartmut Höll beglückwünschen, der für die eruptive Baßgewalt etwa von "Totengräbers Heimweh" genauso den rechten Ton fand wie für die entrückte Mystik des Abgesangs.

Die Liedauswahl selbst gestaltete Fischer-Dieskau nicht bloß als eine Folge depressiver Einzelstücke, sondern als einen Prozeß. Die Stimme ist "da"- von Anfang an, trifft beglückend sicher bereits die Eingangsgebärde von "An den Mond" (Goethe), ohne Larmoyanz den Vezweiflungston des Liedes "Der Strom" streifend, um mit gespielter Schwerelosigkeit das Seelenleben des Schlegelschen " Wanderers" offenzulegen, dessen Schlußwendung "Froh umgeben, doch alleine" der Sänger grandios düster umdeutet. Gleich drei verschiedene Stimmen waren für den ,,Zwerg" bereitzuhalten: Von in der Ferne verschwimmenden Konturen berichtet ein Erzähler, worauf Fischer-Dieskau die Titelgestalt ihre ganze Verbitterung hinausschreien läßt.

Andere Lieder ("Wehmut") verklingen in einem innigen, fast tonlosen Flüstern, oder der Sänger zieht sich gar über mehrere Barkarolen-Strophen ("Des Fischers Liebesglück") hinter die Worte zurück und berührt so unmittelbar - dank der weisen Ökonomie eines Souveräns.

Ovationen - für die Künstler eine schöne Selbstverständlichkeit - und fünf Zugaben: unter anderem die "Nachtviolen", "Der Einsame", schließlich "Im Abendrot". Atemlose Stille - endlich - im nicht ganz vollbesetzten Forum, als Fischer-Dieskau mit schier unendlicher Ruhe ,,0, wie schön ist deine Welt" als Mysterium zelebrierte.

Helmuth Fiedler

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   Rhein-Neckar-Zeitung, 15./16. August 1992   

Perfekt geführte Stimme

Dietrich Fischer-Dieskau in Ludwigsburg

    

Unerbittlich treibt er von Lied zu Lied, gewährt sich und seinem Publikum kein Aufatmen, kein Verharren. Die Sehnsucht zum Tode bestimmt die Auswahl von Schubert-Liedern, die Dietrich Fischer-Dieskau im Ludwigsburg Forum zelebrierte. Zorniges, brausendes Aufbäumen in der Tiefe, zarteste, irisierende Höhe – doch Fischer-Dieskau läßt die Lieder oft genug im quasi Tonlosen verhallen. Aber auch in der bloßen Ahnung läßt sich der Klang, mit ihm die Zeit, nicht halten: Ein Denkmal übt den Abschied. Beklemmend, mit welcher Bekenntnishaftigkeit "Totengräbers Heimwehe" ertönt; die schalkhafte "Fischerweise", die das Publikum fast erleichtert aufatmen läßt, hebt den wehmütig-trostlosen Grundtenor des Abends nur noch stärker hervor. Faszinierend: Noch immer verfügt der 67jährige über eine perfekt geführte Stimme, mit einem Nuancenreichtum, der seinesgleichen sucht. Und doch, immer wieder horcht der Sänger dem Wort, dem einzelnen Buchstaben nach, die Musik kommt dadurch nicht richtig voran, als könne man ihr nicht trauen. Überaus feinfühlig nimmt Hartmut Höll, musikalischer Begleiter am Klavier, in seinem Spiel das Zurückweichen, dann wieder das Vorpreschen auf. Und so wird die Musik wieder Stütze und Urgrund, für den Todesseufzer ebenso wie für das Festhalten am seligen Augenblick und das ungestüme Aufflammen. Wie kein anderer steht Dietrich Fischer-Dieskau für die Auseinandersetzung mit dem deutschen Kunstlied, und gerade Schubert hat er in unendlich vielen Facetten ausgelotet. Wieviel Weisheit und Freundlichkeit, ans Ende dieses Abends voll düsteren Vergehens das Lied "Die Sterne" zu setzen, ein Blick auf ein Leben, das sich erfüllt. Das Publikum feierte den Sänger und seinen Pianisten.

Thomas Rothkegel

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