Zum Liederabend am 25. Juni 1990 in Feldkirch

    

  Vorarlberger Nachrichten, Feldkirch (?), Mittwoch, 27. Juni 1990  

      

Schubertiade: An der Schwelle zur Szene

Liederabend von Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll im Feldkircher Montforthaus

     

Von Hans-Udo Kreuels

Jeder Freund des Liedgesangs kennt Fischer-Dieskaus Interpretationen von Schuberts "Schwanengesang" oder Schumanns "Dichterliebe". Man weiß darum, der eine mit innerer Begeisterung, der andere mit Vorbehalten. Was aber macht, daß diese große Gestalt des deutschsprachigen Liedgesangs mit jedem neuen Auftritt, mit jeder Reprise der schon sooft gehörten Lieder das Publikum ausnahmslos fasziniert?

Man weiß doch, "wie" er es macht. Das Geheimnis um die Erlebnistiefe, die auch in diesem Konzert im Montforthaus als unbeschreiblich bezeichnet Werden muß, liegt im Zusammenwirken aller Kräfte. Bei keinem wirklich großen Künstler kann man alle die künstlerischen Erfordernisse aufzählen, die seine Kunst ausmachen. Die Komplexität des Personalstils ist ein nicht nachzuahmender Organismus, untrennbar zwischen Technik, Musikalität, Gespür, intellektuelles Verstehen, totale seelische und körperliche Bereitstellung u. s,. f. miteinander verbunden. "Kunst für alle" ist ein abgegriffenes Schlagwort, eher anrüchig im Sinne von anbiedernder Kunst. Wenn dieser Begriff sich in seiner positiven Totalität auf musikalischem Sektor überhaupt zu erkennen gibt, dann ist es in dieser Form des Liedgesangs. Nur Menschen mit psychischen Blockaden können sich dem entziehen, jeder andere wird "menschlich" durch das so gestaltete Medium erfaßt.

Über Dietrich Fischer-Dieskau zuschreiben ist dasselbe wie nach einem äußerst differenzierten Musikerlebnis in die Hände zu klatschen. Dennoch soll versucht werden, etwas von dem gewaltigen Atem der: beiden zyklischen Darstellungen mitzuteilen. Die aus dem nicht zwingend, zusammengefügten Zyklus "Schwanengesang" aus Schuberts letztem Lebensjahr herausgelöste Gruppe der sechs "Heine"-Lieder erfuhr einen unerwartet monumentalen Einstieg. Schmerzverzerrung und Stimmgewalt. Ein echtes "Grandioso".

Doch schon hier zeigte sich spätestens am Schluß, zu welcher Modulationsfähigkeit im Ton Fischer-Dieskau immer noch oder erst gerade jetzt befähigt ist. "Ihr Bild" wie auch die folgenden Gesänge sind schon in seiner Interpretation als Szene zu werten. Nur die instrumentalen Mittel und der konzertante Rahmen begrenzen die menschlich medial angelegten Aussagen. Auffallend ist in Absprache der beiden Künstler das nahtlose Vorwärtsschreiten im Zyklus, um frontale dramatische Beziehungen hörbar zu machen. Hartmut Höll, seit geraumer Zeit bevorzugter Begleiter des Sängers, besitzt die Fähigkeit, die rhythmisch und farblichhöchst delikaten Instruktionen in den absolut richtigen Klang umzusetzen. So wirkte z. B. die "Siziliano"-Eleganz des folgenden "Fischermädchen", ausgedrückt in Dieskaus vielseitiger Farbgebung, höchst elegant und dazu angetan, etwas von der Ironie Heines durchschimmern zu lassen. Die "Stadt" geriet faszinierender denn je, besonders durch unerbittliche Strenge im Takt. "Am Meer" in faszinierender Beschaulichkeit und "Der Doppelgänger" als unnachahmlicher Charakter, der in betroffener Selbstverhöhnung anklagt, gaben dem Hörer schon einiges zum Verdauen mit in die Pause.

Schumanns "Dichterliebe", ebenfalls nach Gedichten von Heinrich Heine, bildete den zweiten Teil des Konzertes. Es ist nur selbstverständlich, daß Fischer-Dieskau nicht mit den jugendlichen Empfindungen aufwartet, wie man es sich "Im wunderschönen Monat Mai" vorstellt, sondern aus der ihm eigenen Perspektive der Mannes und Lebensreife heraus formuliert. So erhielten die feinsinnigen Symbolwerte wie "Blumen, Nachtigallen" den Ausdruckswert von beinahe geträumter Entrückung. Vielleicht waren es gerade diese Töne wie in "Hör ich das Liedchen singen", oder "Am leuchtenden Sommermorgen", die neben dem nachgelebten persönlichen Dichterschicksal uns etwas von verlorengegangener romantischer Seelenmystik übermitteln, die uns tief im Inneren anrührt. Der Erleidende der "Dichterliebe" ist jedoch nicht der entpersönlichte " Winterreise" - Wanderer. Der Dichter hat die Kraft zur Form, zum aufrecht getragenen Leid. Das unterscheidet die Strahlung der "Dichterliebe" in ihrem erzieherischen Wert im Umgang mit der inneren Gefühlswelt von der " Winterreise". Man könnte die ziselierte Charakteristik eines jeden Liedes bis ins Kleinste beschreiben. Das Ganze glich einer traumwandlerischen Logik. Sechs große Zugaben gab es für die Hörer, die sich von den beiden Künstlern nicht losreißen konnten.

    

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