Zur Liedermatinee am 29. Juli 1984 in München

 


   

     Süddeutsche Zeitung, 31. Juli 1984     

Münchner Opernfestspiele

Des Liedes Zauberbann

Dietrich Fischer-Dieskaus Schumann-Matinee im Nationaltheater

     

Das ausverkaufte Nationaltheater signalisierte, wie erfreut die Musikfreunde waren, daß Fischer-Dieskau für die erkrankte Brigitte Fassbaender nun seine vor vierzehn Tagen abgesagte Liedmatinee doch sang. Auf dem Programm: Heinrich Heine-Vertonungen von Robert Schumann; zweimal scheiternde Beziehungen, im "Liederkreis" op. 24 wie in der "Dichterliebe" op. 48; beide Male auch romantisches Gefühlsleben, doch gebrochen in Heines kritischer Intelligenz, durchzogen von Ironie und spielerischem Selbstmitleid, deren literarische Feinheiten Schumann feinfühliger als seine Zeitgenossen erfaßte und im Klaviersatz gestaltete.

Angesichts der bald vierzigjährigen Sängerkarriere Fischer-Dieskaus fragt man sich: Kann er das alles noch? Kritischen Ohren kann nicht entgehen, daß er in der Höhe gelegentlich zum Forcieren greifen muß, daß da flache, vibratolose Töne kommen, daß der Künstler die auf gleicher Tonhöhe bleibende Linie der "Schlang’, die dir am Herzen frißt" in "Ich grolle nicht" singt, statt des Quint-Sprungs nach oben, den Schumann auch erlaubt, um die grelle Erregung stärker auszudrücken.

Doch wiegen diese Schwächen gering gegenüber den Dingen, die Fischer-Dieskau unverändert meisterhaft beherrscht. So traf er in den ersten beiden Liedern des eröffnenden "Liederkreises" die Unruhe, die sich zur Ungeduld steigert, überzeugend, wenn auch der Gesamteindruck noch blaß war. Doch beim folgenden "Wandeln unter Bäumen" gelang dem Künstler der flüchtige Gespinstcharakter des "Träumens" so fein, so intim, daß er, der Begleiter Hartmut Höll und alle Zuhörer geschlagen waren in "des Liedes Zauberbann", wie es in der letzten Strophe des Zyklus heißt: den inneren Gleichklang zwischen Interpreten und Zuhörern.

In den dazwischen liegenden Liedern immer wieder erfüllte Kunstmomente: die erschreckende Pause vor dem "Totensarg"; in der "Schönen Wiege" zunächst der Abschied in perfekter mezza voce, später Groll, am Schluß durch ein Portamento das "Grab" verbunden mit der Wiederholung der "Schönen Wiege" – meisterhaft! Ebenso gestaltete Fischer-Dieskau die gebrochenen Gefühle, die gespielte Forschheit, mit der er sich dem "wilden Schiffsmann" anvertraut, die nahtlose Wandlung eines beschaulichen Reisebildes in ein Krankheitsdiagramm der Gefühle in "Berg und Burgen".

Im Bewußtsein der sehr guten Disposition gelang dann auch die "Dichterliebe" beeindruckend. Wieder wurde die im Lied erzählte Wendung nach innen – "kommt’s über mich wie Himmelslust" – zu einem Moment, wo das Pianissimo, das geflüsterte Liebesgeständnis, alle Fülle enthielt. Die Verlangsamung der "wunderbar süßen Stund’", die schmerzlich grellen "Geigen" der Hochzeit, die einem Windhauch ähnliche Zwiesprache mit den Blumen, das sicht- und hörbare Aufwachen aus dem Traum, dem hektisch grelle Bilder "aus alten Märchen" folgten – es ließen sich noch viele weitere perfekte Interpretationsnuancen nennen.

Daß Fischer-Dieskau ohne langes Bitten zu fünf Zugaben bereit war, spricht für die Übereinstimmung, die Interpreten wie Zuhörer spürten. Die vorletzte – "Mein Wagen rollet langsam" – bot dann besondere Gelegenheit, Hartmut Hölls Fähigkeiten zu bewundern. Über die auf höchstem Niveau sellbstverständliche Fähigkeit zum Mitatmen, zu den Ritardandi und den intimen Zurücknahmen hinaus gelang es ihm hier stupend, das Huschen der Schattengestalten und das reale Fahren Klang werden zu lassen. Bravostürme für Festspiel-Liedgesang.

Wolf-Dieter Peter

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