Zum Konzert am Samstag, 23. Juni 1984, 20.30 Uhr im Festspielhaus Bregenz


    

   THE TIMES, London, 1984      

"Winterreise" mit Alfred Brendel

Rezension der gesamten Schubertiade. (Aus dem Schubertiade-Journal, 1985)

[...]

But even if everything else at Hohenems had gone sour, up to and including the whipped cream for the gateaux in the Schloss Cafe, one performance would still remain with me for ever: the one in which Fischer-Dieskau and Brendel combined for Die Winterreise.

This was a musical partnership like one of the great love-matches of history; the rapport between the two great artists seemed - indeed, I have no doubt was - extra-sensory , as the voice and the pianoline reflected each other, supported each other, infused meaning into each other. From the very first words of the first song -"Fremd bin ich eingezogen"- knew we were in for something very far out of the ordinary, delivered as it was with such force, directness and expression. Fischer-Dieskau's voice has, of course, darkened over the years; I would be surprised to hear that he is still singing Falstaff, or even Mandryka. But his flawless technique, the foundation of his art, is now so much part of the very air he breathes that it seems as though not even his subconscious mind needs to think about it, so that he can put every last scrap of his musical integrity and understanding into projecting the innermost quality of the music. Fischer-Dieskau cannot sing a coarse note, a clumsy phrase, an exaggerated emphasis; you can hear this in the way in which he imperceptibly swells a crescendo, approaches a rallentando, cuts off cleanly a final "t" or leaves echoing a final "m", binds the before and after of a modulation into one musical whole. Everything goes into Schubert's passionate, tragic cry , with its ending like that of King Lear - outwardly despairing, but inwardly Heureux qui, comme Ulysse, a fait un beau voyage, a voyage into discovery , wholeness and resolution.

It was very clear to me, as these two great artists ernbraced on the platform when it was over, that they were conscious of what they had achieved, and were as moved by performing it as we were by listening to it. I do not think I have ever been at a musical performance from which so many of the audience emerged, and went home, in silence.

_____________________

 

Übersetzung von Brigitte Novotny

 

[...]

Aber auch wenn alles sonst in Hohenems (sogar der Kuchen irn Schloß-Cafe) mißlungen wäre: Ein Abend bliebe mir dennoch unvergeßlich; jener, an welchem Fischer-Dieskau und Brendel sich zur "Winterreise" zusammenfanden.

Diese musikalische Partnerschaft ist den berühmtesten Herzensbindungen der Menschheitsgeschichte zu vergleichen. Das Zusammenwirken der beiden großen Künstler mutete außersinnlich an - und war es auch, meiner Überzeugung nach -, denn Stimme und Klavierstimme spiegelten einander geradezu wider, trugen einander, hauchten einander Sinngehalt ein. Schon bei den ersten Worten des ersten Liedes ("Fremd bin ich eingezogen") erkannte ich, daß uns Außerordentliches bevorstand, so kraftvoll, unmittelbar und ausdrucksvoll sah sich der Zuhörer angesprochen.

Natürlich ist Fischer-Dieskaus Stimme mit den Jahren etwas dunkler geworden - ich würde mich wundern, wenn er jetzt noch Falstaff oder Mandryka sänge. Doch die makellose Technik, auf welcher seine Kunst fußt, ist mittlerweile so sehr Bestandteil seiner selbst geworden - es hat den Anschein, als müßte sich nicht einmal mehr sein Unterbewußtsein mit technischen Problemen auseinandersetzen -, daß er seine ehrliche Musikalität und Einsicht absolut restlos dafür aufwenden kann, die eigentliche Substanz der Lieder ans Licht zu holen. Bei Fischer-Dieskau kann es einfach keinen unsauberen Ton, keine holprige Phrase, keinen übertriebenen Akzent geben; das wird einem klar, wenn man hört, wie er sein Crescendo unmerklich anschwellen läßt, wie er zum Rallentando ansetzt, wie sein auslautendes "t" kurz und knapp kommt, das "m" hingegen nachhallt, und wie er Modulationen mit deren Übergängen zu einem melodischen Ganzen zusammenbindet. Und dies alles investiert er in diesen leidenschaftlichen, tragischen Aufschrei Schuberts, der ähnlich jenem des König Lear verklingt: Äußerlich voll Verzweiflung, innerlich jedoch "heureux qui, comme Ulysse, a fait un beau voyage", also "erfüllt vom Glücksgefühl dessen, der, Odysseus gleich, eine schöne Reise hinter sich hat" - eine Reise ins Unerforschte, in sich Geschlossene und seelisch Festigende.

Als der Abend zu Ende war und die beiden großen Künstler auf dem Podium einander in die Arme fielen, brachten sie damit - meines Erachtens ganz unmißverständlich - zum Ausdruck, daß sie sich ihrer Leistung bewußt und davon ebenso erschüttert waren wie wir im Publikum. Ich habe, glaube ich, noch keinen ähnlichen Abend erlebt, nach welchem so viele Zuhörer sich in solcher Stille entfernten und den Heimweg antraten.

_____________________

       

     DIE WELT, Bonn, 1984     

Des Fürsten Winterreise

   

Eine wesentliche musikalische Festigung erfuhr das gesund erscheinende Unternehmen durch die bereits im Vorjahr mögliche und heuer ausgebaute Mitwirkung von Dietrich Fischer-Dieskau und Nikolaus Harnoncourt.

Fischer-Dieskaus "Winterreise" glich einer Dokumentation scheinbar zeitloser Qualitätskriterien: kalkuliertes Spiel und große, männliche Gesten sind bekannte Verpackungsmerkmale, wie aber Fischer-Dieskau den Abschied von Liebe, Lust und Leben gleichzeitig peinlich kontrolliert und emphatisch ausspielt, das ist noch immer von berückender Wirkung. Das Mischen von todtraurigen Farben und resignativem Ausdruck ist von individuellem Gewicht. Zumal mit einem Begleiter wie Alfred Brendel, der Schuberts Seelenlandschaft durchleuchtete und belebte. 1985 soll Fischer-Dieskau sogar mit vier Programmen bei der Schubertiade vertreten sein.

[...]

Walter Gürtelschmied

zurück zur Übersicht 1984
zurück zur Übersicht Kalendarium