Zum Konzert am 25. Juni 1983 in Berlin


Berliner Morgenpost, Datum unbekannt

Fischer-Dieskau singt von Schmerz und Abschied

Das letzte Wort dieser Konzertsaison gehörte den Philharmonikern und mit ihnen Dietrich Fischer-Dieskau. Sie sprachen es mit Nachdruck, gewissermaßen ex cathedra der Musik. Denn Fischer-Dieskau nimmt nun einmal eine Art päpstlichen Rang ein in der Welt des Lied- und Konzertgesanges.

Seine Botschaft galt diesmal Mozart. Mit vier Arien - keine wohlvertrauten, sondern weniger bekannte, die keinen Platz in einer Oper gefunden haben - bewies Fischer-Dieskau, wie tief er in den Strahlenkranz der Weisheit eingetreten ist. Fi-Di, so nennt ihn liebevoll sein Berliner Publikum, ließ in diesen Arien ein Maß von Endgültigkeit aufscheinen, ohne ihnen das allzu Menschliche zu nehmen, von dem sie handeln. Das reicht vom unermeßlichen Schmerz des Vaters in "Mentre ti lascio" (während ich dich verlasse) KV 543 beim Abschied von der geliebten Tochter bis zu der trefflich komischen Karikatur der Kußhand, "Un bacio di mano" KV 541.

Erich Leinsdorf am Pult übte noble Zurückhaltung, worin ja die Kunst des Begleitens besteht. Prägnant und wohl akzentuiert wie schon zu Beginn die Ouvertüre zur "Entführung aus dem Serail" spielten die Philharmoniker.

Die für Mozart auferlegte Zügelung warfen sie zugunsten Wagners nach der Pause über Bord. Es ging um nicht weniger als eine Kurzfassung des "Ringes" à la Philharmoniker. Geschickt ineinander gefügte Orchesterzwischenspiele aus "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung" ergaben ein bisweilen grell aufleuchtendes Orchesterfeuerwerk, als wollten die Philharmoniker noch einmal zeigen, wer sie sind. Leinsdorf stellte eindrucksvoll seine Kompetenz als Wagner-Dirigent unter Beweis. Das Orchester sah sich danach gefeiert, Leinsdorf konnte Ovationen entgegennehmen. Ein verdienter persönlicher Triumph für ihn, der hoffentlich wieder häufiger Gast bei den Philharmonikern sein wird.

W. Z.


  

     Der Tagesspiegel, Berlin, Datum unbekannt     

An Toscanini erinnernd

Leinsdorf und Fischer-Dieskau mit den Philharmonikern

 

Erich Leinsdorfs literarische Neigungen sind bekannt. So stellte er, der seit "eh und je mit der Oper verbandelt" ist - wie er einmal selbst sagte -, in seinem zweiten Konzert mit dem Berliner Philharmonischen Orchester ein sozusagen imaginativ wirkendes Opernprogramm auf dem Podium der Philharmonie dar. Im knappen ersten Teil des Konzertes war Dietrich Fischer-Dieskau der Solist, der in schnellem Wechsel in die verschiedensten Charaktere der Protagonisten Mozartscher Konzertarien sich zu verwandeln trachtete. Dabei machte Fischer-Dieskaus Auftritt von Anfang an deutlich, daß dies alles nur ein Spiel sei, ein heiteres zwar, aber eines mit ernsthaften Gebärden. Denn jede seiner mimischen und gestischen Bewegungen - welche er hier im Verhältnis zu seinem Liedvortrag nur recht sparsam einsetzte - diente einem genau bestimmten dramaturgischen Zweck, und er verschmähte weder das schmerzerfüllte Zusammenziehen der Augenbrauen des verratenen Verräters in "Così dunque tradisci" noch das naiv gespitzte Mündchen des gefälligen Weltmannes in "Un bacio di mano". Wobei die naiv hinterlistigen Buffogesten Fischer-Dieskau bei weitem nicht so leicht abzunehmen sind wie das dramatische Pathos der Seria-Gestalten - was er selbst eigentlich ist, bleibt hinter beiden merkwürdig verborgen .

Im Gegensatz dazu trägt seine leicht geführte Stimme - leicht zumal in den Baß-Arien dieses Abends - eigentlich eher Buffocharakter. Ein Spiel mit verschiedensten Masken also, die der Mozartschen Musik zwar nicht schlecht standen, aber auch sehr intellektuell und vermittelt wirkten. Ähnlich wie Fischer-Dieskau kaum einmal wirklich affektiven Belcanto-Gesang hören ließ, sondern der ihn auszeichnenden Art der Vermittlung des deklamierenden Singens vertraute, hielten sich auch Leinsdorfs Interpretationen der Mozart-Arien sowie der einleitenden Ouvertüre zur "Entführung aus dem Serail" in einem spielerisch zurückhaltenden Ton. Außer den bereits erwähnten Stücken erklangen noch die Abschiedsarie "Mentre ti lascio" sowie "Rivolgete a lui lo sguardo", die ursprünglich für "Così fan tutte" bestimmt war.

Der Taktstock-Künstler Leinsdorf zeigte sich so recht dann in der zweiten Hälfte des Konzertes, einer aus Wagners "Ring" zusammengestellten "Symphonischen Dichtung", die ohne Pausen vom "Walküren-Ritt" bis zu "Siegfrieds Trauermarsch" führte. Der 1912 geborene Leinsdorf, immer leicht nach vorne geneigt dirigierend und die rechte Hand fast ständig in exakter metrischer Bewegung, während die linke kaum eine Möglichkeit dezent auffordernder Gestik an die einzelnen Instrumente ausließ, erinnerte, zumal in dem beginnenden "Walküren-Ritt", mit seiner ganzen Körperhaltung auffällig an den alten Toscanini, wie ihn amerikanische Filmaufnahmen, dieses Stück dirigierend, zeigen. Seine Gestik, die erkennen ließ, wie sehr der auswendig dirigierende Leinsdorf jeden Klang aufs genaueste innerlich vorher zu hören und zu empfinden in der Lage ist, brachte die Philharmoniker zu einer farblich und dynamisch außergewöhnlich differenzierten Gesamtdarstellung. Besonders die leisen Partien der tiefen Holzbläser, wie etwa in der Verwandlungsmusik aus "Siegfried", deren ablösende Einsätze mit einer Konzentration und spannungsvollen Genauigkeit erklangen, die Wagners ununterbrochene Linienführung als eine Art Klangfarbenmelodie hörbar machte, wurden unter Leinsdorfs Leitung zum Erlebnis ersten Ranges. Begeisterter Beifall und viele Bravorufe in der fast ausverkauften Philharmonie.

Martin Wilkening

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