Zum Liederabend am 8. November 1982 in Würzburg


     

     Main-Post, Würzburg, 10. November 1982     

     

Wunder einer Stimme

Der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau begeisterte in Würzburg

      

"Einzigartig", "faszinierend", mit solchen Vokabeln der Bewunderung wurde der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau schon Ende der 40er Jahre bedacht, als er in Berlin seine Karriere begann, in sehr jungen Jahren. Blieb diese Stimme das "Wunder", das man in ihr hörte, über so lange Jahre hinweg bis heute? Hat Fischer-Dieskau seine überragende Bedeutung als Vermittler tiefster seelischer Regungen mit dem auf das reichste ausgestatteten "Instrument" Stimme behalten, steht er – neben Hermann Prey und Peter Schreier – noch immer an der Spitze der wenigen bedeutenden Gestalter des Kunstliedes?

Nichts könnte diese Fragen besser beantworten als ein Liederabend mit ihm: Im zweiten Saison-Solisten-Konzert der Musikalischen Akademie sang er, begleitet von Jörg Demus, ausschließlich Lieder von Hugo Wolf nach Gedichten von Eduard Mörike im vollbesetzten Großen Saal der Würzburger Musikhochschule – fast unnötig zu erwähnen, daß viele Zuhörer auch die Möglichkeit wahrnahmen, auf dem Podium einen Platz zu finden. Und schon von der ersten Zeile: "Tödlich graute mir der Morgen" des Liedes "Der Genesene an die Hoffnung" wurde deutlich, daß diese Stimme sich ihre einmalige Gestaltungskraft und Schönheit bewahrt hat, daß die Jahre der Reife offenbar Fischer-Dieskaus untrügliches Gefühl für den wahren Ausdruck bis hinein in die kleinste und feinste Nuancierung noch klarer gefestigt haben – wenn dies überhaupt möglich ist.

Wunder einer Stimme? Gewiß ist dies mit Fischer-Dieskaus eminenter Fähigkeit zu erklären, mit dieser umzugehen, seiner völlig mühelos wirkenden Registerkunst, die ihm nahtlose Übergänge innerhalb der hohen, mittleren und tiefen Lagen gestatten, seine ausgefeilten dynamischen Schattierungen zwischen kraftvoll-männlichem Forte und tragfähigem Piano. Doch damit ist die Wirkung dieses Sängers längst nicht erschöpft , denn dazu kommt die Sprachbehandlung, das kluge Ausbalancieren der Vokale und Konsonanten, vor allem natürlich Fischer-Dieskaus suggestiver, eindringlicher Vortrag, der allein schon in seiner Spannung zwischen Lyrik, Dramatik und Humor den Zuschauer in seinen Bann zwingt.

Packend, wie er den "Feuerreiter" stürmisch dahinjagen läßt, dämonisch und wild, und in resignierendem Piano vergehend, oder wie er, im Gegensatz hierzu, der heiteren "Storchenbotschaft" erzählerisch nahekommt. Doch auch der kleinen Liedform verleiht er expressives Gewicht in Gesängen wie dem "Jägerlied" oder der tragischen Gefühlslage von "Lebe wohl", und einer der Höhepunkte des Abends war das weit ausgreifend vorgetragene Lied "Um Mitternacht".

Jörg Demus ist als Liedbegleiter am Klavier hoch geschätzt – er ließ seine Kunst, auf den Sänger einzugehen, mit ihm zu atmen und auf ihn zu reagieren, auch spüren, und seine Anschlagskultur ist von delikatester Art. Doch ansonsten zeigte er mancherlei Zurückhaltung, dynamische Vorsicht, die einem solchen Sänger gegenüber doch wohl nicht recht vonnöten ist.

Starker und anhaltender Applaus, für den sich Fischer-Dieskau und Demus mit vier Zugaben bedankten, darunter dem bekannten Wolf-Lied "Laß o Welt, o laß mich sein".

Otto Strodel

       


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