Zum Liederabend am 6. Juni 1982 in Köln


     

     Kölner Stadt-Anzeiger, 8. Juni 1982     

     

Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann im Kölner WDR

Das Ereignis war diesmal der Pianist

      

Der programmierte Höhepunkt der WDR-Reihe "Alte und neue Wiener Schule" kam doch noch zustande: Im Januar war Aribert Reimann wegen einer Erkrankung als Klavierpartner von Dietrich Fischer-Dieskau ausgefallen. Eines stellte der Abend im Großen Sendesaal auf alle Fälle klar: Warum Fischer-Dieskau bei diesem Programm auf diesen Mann am Klavier nicht verzichten konnte.

Reimann – auch einer der bedeutenden Komponisten seiner Generation – dürfte bei Liedern von Schönberg, Webern und Berg nicht zu schlagen sein. Noch mehr pianistische Souveränität, noch mehr Einsicht in die Struktur des Komponierten, vor allem aber noch überzeugendere Umsetzung des zweiten durch das erste scheint unvorstellbar.

So wurde dieser Liederabend zu einem Abend des Pianisten. In der exzellenten Einführung wird Reimann zitiert: "Bei Schönberg ist die Singstimme nur selten musikalischer Hauptträger." Und diese Einsicht wurde in der Tat verdeutlicht: Fischer-Dieskau reduzierte bisweilen seine Funktion nahezu auf einen Text-Bringer.

Das ging vor allem in der einleitenden Schönberg-Gruppe bis an den Rand des Melodrams, natürlich nicht im abwertenden, sondern im gattungsspezifischen Sinne gemeint: Rezitation legte sich über die musikalischen Entwicklungen im Klavier. Es war immer eine Gefahr von Fischer-Dieskaus Interpretationen, daß eine Privat-Deutung des Textes als zusätzliche Bedeutungsschicht über den komponierten Text gestülpt wurde.

Dank Reimanns Genie wurde an diesem Abend aus dieser interpretatorischen Not eine musikalische Tugend: Einer der größten Sänger unserer Zeit bemühte sich, älter und schmal geworden, unter deutlicher Bekundung der Demut vor dem Werk um große Musik dieses Jahrhunderts.

Es war ein Abend der Raritäten: Den Verbreitungsgrad dieser Lieder signalisierten zwei deutsche Erstaufführungen von Schönberg-Liedern. Wie viele leidliche Schönberg-Kenner wußten wohl schon, daß er Hofmannsthals "Die Beiden" und Goethes "Deinem Blick mich zu bequemen" komponiert hat?

Was soll man rühmen? Die deklamatorische Präzision Fischer-Dieskaus zu preisen erübrigt sich wirklich. Anzumerken ist, daß einige Espressivo-Steigerungen vielleicht ein wenig forciert klangen. Bleibt das raffinierte Verdämmern im Klaviernachspiel von "Erwartung" zu bewundern und die Trostlosigkeit am Schluß von "Verlassen".

Bei Anton Weberns George-Liedern wurde dann die Kooperation von Stimme und Instrument vollends strukturbestimmend; die Musik verdichtet und steigert den artifiziellen Charakter des Textes noch. Da sind bei aller emotionalen Strapaze Alban Bergs vier Lieder op. 2 fast einfach zu rezipieren; schon deswegen, weil sie die noch bekanntesten des Programms waren. Und wenn das letzte Lied Bergs auf Schönbergs am Anfang stehenden op. 2/1 mit der Umkehrung von dessen Anfangsakkord sich bezieht, wurde ein Wesentliches der Zweiten Wiener Schule deutlich, zeigte sich aber auch besonnene Programmplanung.

Rolf Degeweit


  

     Zeitung unbekannt, 8. Juni 1982     

  

Traurige Traumwelt der Lieder

     

Nicht nur die Jahre scheinen an ihm vorüberzugehen: auch die Gewitterschwüle hat über ihn keine Gewalt; nur beim Türquietschen und beim Hineinhusten in die Todesstimmung von Schönbergs "Erwartung" zieht ein Schatten von Unmut über sein Gesicht: Dietrich Fischer-Dieskau.

Wie eh und je singt er mit beispielhafter Ökonomie der gestalterischen und stimmlichen Mittel, die das Rhetorische und Gestische der geistigen Zucht unterwirft, mit einer Gestaltungskraft, die erst deutlich macht, was in den Gedichten seiner Lieder vorgeht.

Im vollbesetzten Großen Sendesaal des WDR gab er einen Liederabend, der allerdings weitab lag vom Lindenbaum und der schönen Müllerin. Kaum hat sich bisher im allgemeinen Bewußtsein verankert, daß Fischer-Dieskau der große Interpret der neuen Wiener Schule ist; vielleicht liegt hier sogar die Zukunft des Sängers.

Schrei und Wortnebel

Schönberg, Webern und Berg kamen mit Liedern um die Zeit der Jahrhundertwende zu Wort und Klang, sogar zwei deutsche Erstaufführungen waren darunter. Eine faszinierende Klang- und Stimmungswelt, im Charakterhabit von Weltschmerz, Traumsymbolismus, Jugendstiloptimismus, expressionistischem Schrei. Daß darunter textlich auch verquaster Wortnebel nistet und "laue Lenzlichter krank lechzen", wird von den Komponisten überspielt, vom Interpreten im Sinne Goethes ins Rechte gedacht und überhöht.

In den frühen Liedern von A. Schönberg – gleich im eröffnenden Dehmellied "Erwartung" – zeigte Fischer-Dieskau die opalisierte und melancholisierte Traumwelt: die Vokale erhielten abschattierte Eigenklänge, die Dynamik wechselte rasch, der fahl verklingende Schluß wirkte visionär.

Strenge Disziplin

Unvergleichlich in den Liedern "Am Strande", "Tot", "Verlassen" die Kunst des Schließens mit der Wirkung des Entrücktseins, des Aus- und Abblendens, des Entfärbens, des Entschwebens. Der Gefahr eines ausufernden exklamatorischen Gestus entging der Interpret souverän durch strenge dynamische Kontrolle: sein "expressionistischer Schrei" ist in Wahrheit eher ein scharf akzentuiertes Mezzoforte.

Anton Weberns Lieder nach Stefan George sind in ihrer luziden Epigrammatik ganz auf die verinnerlichte Darstellung des Sängers angewiesen. Das intim-schlicht-zerbrechlich Zarte gewann bei Fischer-Dieskau die Dimension des Natürlichen – trotz oft unsäglicher Textwülste. Die frühen Lieder op. 2 von A. Berg erheben sich nur in der letzten Nummer zu größerer Bedeutung.

Aribert Reimann als erfahrener Fischer-Dieskau-Begleiter folgte nahtlos und minuziös den Intentionen des Sängers, gewiß nicht so ekstatisch, aber doch so geistig kontrolliert, den Äußerlichkeiten bloßer Effekte abhold, wach aber im spielerischen Intellekt.

Johs. Schwermer

       


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