Zum Konzert am 13. März 1981 in Berlin


Der Tagesspiegel, Berlin, 15. März 1981

Hinweis auf Zemlinsky

Philharmoniker mit Lorin Maazel

Alexander Zemlinskys kompositorisches Werk für unser Konzert-Repertoire neu zu entdecken, wird seit einigen Jahren von verschiedenen Seiten angestrebt. Lorin Maazel wagte als Leiter eines abonnementfreien Konzertes des Philharmonischen Orchesters eine Aufführung der 1923 entstandenen "Lyrischen Symphonie" des 1872 in Wien geborenen Musikers, der als Dirigent der Hofoper dann an den Musikbühnen von Prag und Berlin mit fremden und eigenen Werken erfolgreich war. Franz Werfels im Programmheft nachgedruckte Würdigung Zemlinskys vom März 1922 gibt ein treffendes Bild des liebenswerten charaktervollen Menschen, wie er uns aus dem Jahr 1931 in persönlicher Erinnerung ist. Das aber war nur der faszinierende reproduzierende Musiker, der sich für Kurt Weills "Mahagonny" einsetzte. Sein eigenes Schaffen stand damals völlig im Schatten der durch seinen Schüler Arnold Schönberg bewirkten umwälzenden kompositorischen Innovation. Nun scheint es, als werde die Musikwelt in den Werken der von "Tristan"-Einflüssen und Mahlerscher Symphonik geprägten Periode noch bedeutende Werte entdecken.

Mahlers "Lied von der Erde" ist nur das äußere formale Vorbild für die "Lyrische Symphonie" Zemlinskys. Die Dichtungen des Inders Rabindranath Tagore wurden in den zwanziger Jahren weithin zur literarischen Sensation, sein Erscheinen in Berlin 1936 zu einem spektakulären Ereignis. Heute ist uns der dekorative Stil, der Gefühlsüberschwang dieser Lyrik fremd und zuweilen peinlich geworden. Die mit allen Mitteln des Mahlerschen Orchesters ausgestattete Partitur enthält aber Perioden von leidenschaftlicher Ausdruckskraft, besonders in den symphonischen Partien, den Ein- und Ausleitungen der sieben Gesänge. Da finden sich melodische Eingebungen, harmonische Sensibilitäten einer urmusikalischen Natur, die vom humanen Geist ihres Schöpfers geprägt sind. Trotz der gewiß authentischen, jedenfalls eindrucksvollen Wiedergabe des Werkes unter Maazels kundiger Leitung und so exzellenter Vokalsolisten wie Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau ist das Werk nach einmaligem Hören nicht voll zu würdigen. Die zarten, teils rezitativischen, teils liedhaften Gebilde, die dem Sopran zugeteilt sind, übten bestrickenden Reiz aus. Fischer-Dieskau setzte seinen klangmächtigen Bariton mit dramatischer Ausstrahlung gegen die Wogen der Instrumente durch. [...]

Die Hörer in der leider nur ungenügend besetzten Philharmonie feierten den unersetzlichen Dirigenten, das Solisten-Duo und die minuziös reagierenden Philharmoniker mit langen Ovationen. Man sollte solche Programme auch dem Abonnenten-Publikum nicht vorenthalten.

Walther Kaempfer

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