Zum Liederabend am 7. November 1980 in Bonn


    

     General-Anzeiger, Bonn, 9. November 1980     

Schumanns Lust und Trauer

Fischer-Dieskau mit Demus in der Beethovenhalle

     

Dietrich Fischer-Dieskau hat es den Bewunderern seiner Kunst nie leicht gemacht, hat nie den billigen Erfolg gesucht, indem er etwa sein Repertoire auf den engen Kreis von Liedern oder Bühnenrollen beschränkte, die allgemein bekannt und beliebt sind oder sich am bequemsten den natürlichen Gegebenheiten seiner Stimme einpassen ließen. Eher ist wohl das Gegenteil zu behaupten, daß nämlich der Sänger die intellektuelle Neugier, die ihn zum Enzyklopäden des Liedgesangs machte, dem die Literatur von Schütz bis Reimann präsent ist, als Herausforderung auch an die Fähigkeiten und Gestaltungskünste seiner Stimme empfand. Selbst ein scheinbar unproblematisches reines Schumann-Programm, mit dem der Künstler jetzt nach vielen Jahren endlich wieder in Bonn zu erleben war (im ersten Konzert der Pro-Musica-Reihe Rabofskys in der Beethovenhalle), legte davon Zeugnis ab: es enthielt allenfalls zwei oder drei der populäreren "Nummern" aus Schumanns Liedschaffen, dafür aber viele Beispiele, die anderen Sängern als zu schwer (oder auch zu "leicht" in der Substanz) erscheinen, als daß sie einem breiten Publikum ohne große Mühe spontan eingängig gemacht werden könnten.

Wie Fischer-Dieskau es versteht, auch solche Lieder in die Mitte von Schumanns "Thematik" einzuholen, sie mit dem Einsatz der reichen Palette an Klangfarben, Nuancierungen des Tonfalls und Differenzierungen des Ausdrucks, über die er verfügt, als gültige Beispiele der romantischen Antithetik Schumannschen Liederkomponierens zu definieren, ist immer wieder nur faszinierend zu nennen. Wenn er gleich zu Beginn mit der "Widmung" nach Rückert ein Versprechen gegeben hatte, gleichsam das Thema angeschlagen und in geglückter Intonierung von Lust und Trauer, Helle und Dunkelheit auch das künstlerische Niveau angegeben hatte, auf dem dieses Thema abgehandelt werden sollte, so erschien dieses Versprechen im folgenden wohl eingelöst. Eingelöst an einer Reihe weiterer Rückert-Lieder, an Eichendorffs "Schatzgräber"-Wehmut oder Andersens phantastischer "Spielmann"-Dialektik, eingelöst nach der Pause an Liedern nach Lenau- und Heine-Texten und schließlich Vertonungen "spanischer" Vorlagen Geibels, wo der große Aufschwung ins Pathetische und Bravouröse noch einmal gefordert war.

Hier und an einigen entsprechenden Punkten des vorangegangenen Programms war vielleicht am treffendsten der gegenwärtige Stand und Status des inzwischen – freilich kaum glaublich – 55jährigen Sängers und Interpreten Fischer-Dieskau auszumachen. Dramatische Kraft und deklamatorische Virtuosität stehen ihm zweifellos wie eh und je zur Verfügung, zugenommen und zu feinster Reifung geführt erscheint die Kunst, Übergänge, dynamische Wechsel ohne Forcierung zu gestalten und gegensätzliche Charaktere scheinbar ohne Mühe in einer Phrase zu definieren. Fast ganz aufgegeben ist auch die Neigung zu manieristischer Deklamation und quasi Überinterpretation der Texte, scheinen Natürlichkeit und manchmal sogar Schlichtheit alle Reizmittel des artifiziellen Effekts ausgeschaltet zu haben, sind unendliche Ruhe und Gelöstheit als eine der Seelen romantischen Singens wieder erkannt und präsent. Was dabei punktuell und momentweise strengen Hörern als im reinsten Belcanto-Sinne stimmlich nicht mehr so vollkommen und makellos "gelungen" erschienen sein mag, konnte sich dennoch aufgefangen wissen im Kunstziel der Vergeistigung, dem Fischer-Dieskau heute sein einzigartiges Können ganz gewidmet zu haben scheint.

Als kongenialer Mithelfer und Mitgestalter bei solchem Tun erwies sich auch wieder Jörg Demus, den man vielleicht den "rücksichtsvollsten" aller Klavierbegleiter nennen kann, wenn damit nicht auch auf einen pianistisch-musikalischen Substanzverlust reflektiert werden soll. Denn wohl versteht es Demus, seinen Begleitpart mit Einsatz sparsamer Mittel immer irgendwie unterzuordnen, doch ohne dabei auf Selbständigkeit zu verzichten. Sein weicher, delikater Anschlag und sein immer durchsichtiges Spiel geben nicht nur passenden klanglichen "Background", sondern vollziehen oft bis in kleinste Nuancen hinein klavieristisch die Absichten des Sängers mit. Fischer-Dieskau ließ ihn mit Recht an den ausgedehnten Beifallsovationen aus dem total ausverkauften Saal voll teilhaben, die beide mit Zugaben belohnten.

Hans G. Schürmann

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