Zum Konzert am 9. August 1980 in Bamberg


   Berliner Tagesspiegel, 15. August 1980        

Nietzsche als Komponist

Ein außergewöhnliches Konzert mit Fischer-Dieskau und Reimann

Bamberg

Wunder geschehen im internationalen Konzertbetrieb gelegentlich, wenn sich bedeutende Künstler von Repertoirezwängen befreien und ohne Gala-Gage etwas tun, was ihnen Spaß macht: etwas Neues ausprobieren, sich auf ein Abenteuer einlassen, dessen Ausgang und Erfolg unsicher sind. Das Außergewöhnliche ereignet sich dann auch kaum in einem der großen Musikzentren, sondern abseits, in der Provinz.

Der Sänger, der sich als Autor des Buches "Wagner und Nietzsche" jahrelang mit dem unzeitgemäßen Betrachter deutscher Kultur beschäftigte, ging von der Frage aus: War Nietzsche überhaupt ein Komponist? Das Thema untersuchte er auch theoretisch in einem 20-Minuten-Referat, das er zwischen die Musiknummern einschob.

Zwischen den zwei Ebenen, der verbalen Analyse und der musikalischen Interpretation , tat sich der Zwiespalt auf: Als Sänger war Fischer-Dieskau ein feurig engagierter Anwalt des Musikers Nietzsche, als kühler Forscher blieb er ein hartnäckiger Zweifler an dessen kompositorischen Qualitäten. Den Rahmen und Anlaß für die Premiere bot eine Ausstellung des Bamberger Kunstvereins "Künstlerische Doppelbegabungen", die Dichter und Musiker als Maler zeigt - von E.T.A. Hoffmann bis Grass, von Schönberg bis Krenek. Zu dieser Reihe lieferte auch Fischer-Dieskau selbst mit rund 50 Bildern in allen Techniken einen interessanten Beitrag. Und als "künstlerische Doppelbegabung" galt es auch Nietzsche zu untersuchen.

Auf Fischer-Dieskaus Weg zu Nietzsche folgte der literarischen Erörterung konsequent die musikalische. Die Lieder Nietzsches standen im Mittelpunkt des Interesses. Hier, wo sich der handwerklich wenig geschulte Amateur-Komponist vom Wort leiten lassen konnte, gelangen ihm phantasievolle, melodisch wie harmonisch einprägsame Miniaturen. Wie er zum Beispiel den Grabeshauch und die Physiognomie des Leidens aus Puschkins "Beschwörung" in musikalische Form bannt, fasziniert. Auch in anderen Gesängen (nach Petöfi, Hoffmann v. Fallersleben und eigenen Texten) erreicht der Lyriker Nietzsche Schönheiten, die an sein Vorbild Schumann erinnern, und Kühnheiten, deren diagnostischer Blick Mahler vorausahnen läßt.

Nietzsches Musik offenbart seine schöpferische Sehnsucht mehr als eine meisterhafte Erfüllung. Der denkwürdige Abend im Kaisersaal der Neuen Residenz zeigte den komplizierten Prozeß Nietzsches, in sich den verborgenen Musiker freizusetzen. Für ihn, der die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik ableitete, der in Briefen Worte durch Akkorde ersetzte , um eine Stimmung genauer mitzuteilen, für den Musik eine Passion war, für Nietzsche sind Töne, Klänge, Rhythmen immer Chiffren des Unsagbaren. Er scheiterte an der symphonischen Großform, vertraute sich der Singstimme und dem Klavier an.

Aribert Reimann machte mit elastischem Pathos die Sensibilität und die dionysische Vitalität im "Hymnus auf die Freundschaft " und in der dämonischen Ironie der Manfred-Meditation (vierhändig mit Fischer-Dieskau) hörbar. Auch wenn das Experiment nicht die Entdeckung eines genialen Tonsetzers brachte, es setzte einen markanten Stein ins Mosaik der gegenwärtig aktuellen Nietzsche-Wiederaneignung.

Fritz Schleicher

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Folgende Rezension unterscheidet sich in einigen Passagen von der obigen.

 

   Stuttgarter Zeitung, 19. August 1980   

War Nietzsche ein Komponist?

Ein außergewöhnliches Konzert mit Fischer-Dieskau und Reimann in Bamberg

  

Wunder geschehen im internationalen Konzertbetrieb gelegentlich, wenn sich bedeutende Künstler von Repertoirezwängen befreien und ohne Gala-Gage etwas tun, was ihnen Spaß macht: etwas Neues ausprobieren, sich auf ein Abenteuer einlassen, dessen Ausgang und Erfolg unsicher sind. Das Außergewöhnliche ereignet sich dann auch kaum in einem der großen Musikzentren, sondern abseits, in der Provinz.

Eine solche Sternstunde stellte sich ein, als Fischer-Dieskau und Aribert Reimann in Bamberg in einem Konzert ausschließlich Kompositionen von Friedrich Nietzsche vorführten. Zum erstenmal wagte jemand, praktisch zu prüfen, wie sich der Philosoph, der so Wesentliches über Musik sagte, in Musik ausdrücken konnte.

Der Sänger, der sich als Autor des Buches "Wagner und Nietzsche" jahrelang mit dem unzeitgemäßen Betrachter deutscher Kultur beschäftigte, ging von der Frage aus: War Nietzsche überhaupt ein Komponist? Das Thema untersuchte er auch theoretisch in einem 20-Minuten-Referat, das er zwischen die Musiknummern einschob.

Zwischen den zwei Ebenen, der verbalen Analyse und der musikalischen Interpretation , tat sich der Zwiespalt auf: Als Sänger war Fischer-Dieskau ein feurig engagierter Anwalt des Musikers Nietzsche, als kühler Forscher blieb er ein hartnäckiger Zweifler an dessen kompositorischen Qualitäten. Den Rahmen und Anlaß für die Premiere bot eine Ausstellung des Bamberger Kunstvereins "Künstlerische Doppelbegabungen", die Dichter und Musiker als Maler zeigt - von E.T.A. Hoffmann bis Grass, von Schönberg bis Krenek. Zu dieser Reihe lieferte auch Fischer-Dieskau selbst mit rund 50 Bildern in allen Techniken einen interessanten Beitrag. Und als "künstlerische Doppelbegabung" galt es auch Nietzsche zu untersuchen.

Ausstellung und Konzert gemeinsam beleuchteten die Universalität Fischer-Dieskaus exemplarisch, zeigten Wurzeln und Verzweigungen der geistigen und seelischen Vielfalt. 1978, im Jahr der Uraufführung der Reimann-Oper "Lear", erarbeitete sich Fischer-Dieskau die Shakespeare-Figur nicht nur schauspielerisch und musikalisch, er malte sie auch, er malte sich als König Lear. Das visionäre Selbstporträt mit vielen Augen spiegelt die Auseinandersetzung, die Annäherung aus kritischer Distanz bis hin zur vollkommenen Identifikation.

Auf Fischer-Dieskaus Weg zu Nietzsche folgte der literarischen Erörterung konsequent die musikalische. Er führte die Begegnung jetzt im Zentrum des Mediums, in dem seine eigene Mehrfachbegabung gipfelt: im singenden Gestalten künstlerischer und menschlicher Vorgänge. Deshalb standen die Lieder Nietzsches im Mittelpunkt des Interesses. Hier, wo sich der handwerklich wenig geschulte Amateur-Komponist vom Wort leiten lassen konnte, gelangen ihm phantasievolle, melodisch wie harmonisch einprägsame Miniaturen. Wie er zum Beispiel den Grabeshauch und die Physiognomie des Leidens aus Puschkins "Beschwörung" in musikalische Form bannt, fasziniert. Auch in anderen Gesängen (nach Petöfi, Hoffmann v. Fallersleben und eigenen Texten) erreicht der Lyriker Nietzsche Schönheiten, die an sein Vorbild Schumann erinnern, und Kühnheiten, deren diagnostischer Blick Mahler vorausahnen läßt.

Nietzsches Musik offenbart seine schöpferische Sehnsucht mehr als eine meisterhafte Erfüllung. Der denkwürdige Abend im Kaisersaal der Neuen Residenz zeigte den komplizierten Prozeß Nietzsches, in sich den verborgenen Musiker freizumachen und zum Singen zu bringen. Für ihn, der die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik ableitete, der in Briefen Worte durch Akkorde ersetzte , um eine Stimmung genauer mitzuteilen, für den Musik eine Passion war, für Nietzsche sind Töne, Klänge, Rhythmen immer Chiffren des Unsagbaren. 

Da er an der symphonischen Großform scheiterte, vertraute sich der Singstimme und dem Klavier an. Aribert Reimann machte mit elastischem Pathos die Sensibilität und die dionysische Vitalität im "Hymnus auf die Freundschaft " und in der dämonischen Ironie der Manfred-Meditation (vierhändig mit Fischer-Dieskau) hörbar. Auch wenn das Experiment nicht die Entdeckung eines genialen Tonsetzers brachte, es setzte einen markanten Stein ins Mosaik der gegenwärtig aktuellen Nietzsche-Retrospektive Zarathustras musikalischer Offenbarungseid, der intellektuelle Charme und die überragende Musizierpotenz der Interpreten gaben auch den kulinarischen Aspekten singulären Rang.

Fritz Schleicher

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Folgende Rezension unterscheidet sich in einigen Absätzen von der obigen.

   

   Badische Zeitung, Freiburg, 15. August 1980   

Der Philosoph, der auch komponierte

Fischer-Dieskau gab einen Nietzsche-Abend in Bamberg

    

Wunder geschehen im internationalen Konzertbetrieb gelegentlich, wenn sich bedeutende Künstler von Repertoirezwängen befreien und ohne Gala-Gage etwas tun, was ihnen Spaß macht.

Eine solche Sternstunde stellte sich ein, als Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann in Bamberg in einem Konzert ausschließlich Kompositionen von Friedrich Nietzsche vorführten. Zum erstenmal wagte jemand, praktisch zu prüfen, wie sich der Philosoph, der so viel und so Wesentliches über Musik sagte, in Musik ausdrücken konnte. Der Sänger, der sich als Autor des Buches "Wagner und Nietzsche" jahrelang mit dem unzeitgemäßen Betrachter deutscher Kultur beschäftigte, ging von der Frage aus: War Nietzsche überhaupt ein Komponist? Das Thema untersuchte er auch theoretisch in einem Zwanzig-Minuten-Referat, das er zwischen die Musiknummern schob.

Zwischen den zwei Ebenen, der verbalen Analyse und der musikalischen Interpretation, tat sich der Zwiespalt auf: Als Sänger war Fischer-Dieskau ein feurig engagierter Anwalt des Musikers Nietzsche - als kühler Forscher blieb er ein hartnäckiger Zweifler an dessen kompositorischen Qualitäten. Den Rahmen und Anlaß für die extravagante Premiere des Star-Duos Fischer-Dieskau und Reimann bot eine Ausstellung des Bamberger Kunstvereins "Künstlerische Doppelbegabungen", die Dichter und Musiker als Maler zeigt - von E.T.A. Hoffmann bis Grass, von Mozart bis Schönberg und Krenek. Zu dieser Reihe lieferte Fischer-Dieskau mit rund 50 Bildern in allen Techniken einen interessanten Beitrag. Und als "künstlerische Doppelbegabung" galt es auch Nietzsche zu untersuchen.

Ausstellung und Konzert gemeinsam beleuchteten die Universalität Fischer-Dieskaus exemplarisch, zeigten Wurzeln und Verzweigungen der geistigen und seelischen Vielfalt. 1978, im Jahr der Uraufführung von Reimanns Oper "Lear", erarbeitete Fischer-Dieskau sich die Shakespeare-Figur nicht nur schauspielerisch und musikalisch - er malte sie auch, er malte sich als Lear. Das visionäre Selbstporträt mit vielen Augen spiegelt die Auseinandersetzung, die Annäherung aus kritischer Distanz zur vollkommenen Identifikation.

Auf Fischer-Dieskaus Weg zu Nietzsche folgte der literarischen Erörterung konsequent die musikalische. Er führte die Begegnung jetzt im Zentrum des Mediums, in dem seine eigene Mehrfachbegabung gipfelt: im singenden Gestalten künstlerischer und menschlicher Vorgänge. Deshalb standen die Lieder Nietzsches im Mittelpunkt des Interesses. Hier, wo sich der handwerklich wenig geschulte Amateur-Komponist vom Wort leiten lassen konnte, gelangen ihm phantasievolle, melodisch wie harmonisch einprägsame Miniaturen. Wie er zum Beispiel den Grabeshauch und die Physiognomie des Leides aus Puschkins "Beschwörung" in musikalische Form bannt, das fasziniert. Auch in anderen Gesängen (nach Petöfi, Hoffmann von Fallersleben und eigenen Texten) erreicht der Lyriker Schönheiten, die an sein Vorbild Schumann erinnern, und Kühnheiten, deren diagnostischer Blick Mahler vorausahnen läßt.

Nietzsches Musik offenbart seine schöpferische Sehnsucht mehr als eine meisterhafte Erfüllung. Der denkwürdige Abend in Bamberg zeigte auch den komplizierten Prozeß Nietzsches, in sich den verborgenen Musiker freizumachen und zum Singen zu bringen. Für ihn, der die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik ableitete, der in Briefen Worte durch Akkorde ersetzte, um eine Stimmung genauer mitzuteilen, für den Musik eine Passion war - für Nietzsche sind Töne, Klänge, Rhythmen immer Chiffren des Unsagbaren. Da er an der sinfonischen Großform scheiterte, vertraute er sich der Singstimme und dem Klavier an. Aribert Reimann machte mit elastischem Pathos die hauchzarte Sensibilität und die dionysische Vitalität im "Hymnus auf die Freundschaft" und in der dämonischen Ironie der Manfred-Meditation (vierhändig mit Fischer-Dieskau) hörbar.

Fritz Schleicher


    

   Fränkischer Tag, Bamberg, 11. August 1980   

Nietzsche-Musik offenbart schöpferische Sehnsucht

Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann mit "Pilot-Projekt" im Kaisersaal

   

Wunder geschehen im internationalen Konzertbetrieb gelegentlich dann, wenn sich bedeutende Künstler von Repertoirezwängen freimachen, wenn sie Rollen und Masken abstreifen und ohne Galagage etwas tun, was ihnen Spaß macht, etwas Neues ausprobieren, sich auf ein Abenteuer einlassen, dessen Ausgang und Erfolg unsicher sind. Die Sternstunde eines solchen Pilot-Projekts stellte sich ein, als Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann in einem Konzert ausschließlich Kompositionen von Friedrich Nietzsche vorführten. Zum ersten Mal wagte jemand, praktisch zu prüfen, wie sich der Philosoph, der so viel und so Wesentliches über Musik sagte, in Musik ausdrücken konnte. Der Sänger, der sich als Autor des Buches "Wagner und Nietzsche" jahrelang mit dem unzeitgemäßen Betrachter deutscher Kultur beschäftigte, ging von der Frage aus: War Nietzsche überhaupt ein Komponist? Das Thema untersuchte er auch theoretisch in einem 20-Minuten-Referat, das er zwischen den Musiknummern einschob.

Wahrscheinlich ist das gemischte Hörbild eine Studie für ein Schallplattenprojekt. Zwischen den zwei Ebenen der verbalen Analyse und der musikalischen Interpretation tat sich bereits der Zwiespalt auf: als Sänger war Fischer-Dieskau ein feurig engagierter und der brillanteste Anwalt des Musikers Nietzsche, als kühler Forscher blieb er ein scharfer Zweifler an dessen kompositorischen Qualitäten. Die heimliche Sensation, von der hier die Rede ist, ereignete sich nicht im Snob-Appeal eines Festivals, sondern in familiärer Atmosphäre, im Kaisersaal der Neuen Residenz zu Bamberg.

Fischer-Dieskau und Reimann (als exzellenter Pianist) realisierten Nietzsches Hymnus auf die Freundschaft für Klavier, acht Lieder, das Melodram vom zerbrochenen Ringlein (Sprechstimme und Klavier) und vierhändig die Manfred-Meditation. Natürlich fragt man, wie es kam, daß dieses Starduo (Lear-Komponist und Lear-Protagonist) zu einem spektakulären Privatissimum zum Fall Nietzsche nach Franken fährt. Die Nietzsche-Premiere verdankt Bamberg seinem unkonventionellen Kunstverein, der zur Zeit eine Ausstellung künstlerischer Doppelbegabungen (Dichter und Musiker als Maler) präsentiert – von E.T.A. Hoffmann bis Grass, von Mozart bis Schönberg. Zu dieser Reihe lieferte Fischer-Dieskau mit rund 50 Bildern einen wichtigen Beitrag. Da das Prädikat Doppelbegabung nur zwei Eigenschaften meint, erfaßt sie den Musiker, Maler, Schriftsteller und Wissenschaftler unvollständig, aber Ausstellung und Konzert beleuchten die Universalität seines Künstlertums exemplarisch, zeigen Wurzeln, Verzweigungen und Ströme der geistigen und seelischen Vielfalt. Auf seinem Weg zu Nietzsche folgte auf die literarische Erörterung konsequent die musikalische. Fischer-Dieskau führte jetzt die Begegnung, den Dialog, im Zentrum des Mediums, in dem sein eigenes Genie mehrfach gipfelt und ein ganzes Jahrhundert überstrahlt: im singenden Gestalten künstlerischer und menschlicher Vorgänge. Deshalb standen Nietzsches Lieder im Mittelpunkt des Interesses. Hier, wo sich der handwerklich wenig geschulte Amateurkomponist in seiner Sensibilität vom Wort leiten lassen kann, gelangen ihm phantasievolle melodisch wie harmonisch einprägsame Schöpfungen. Wie er den Grabeshauch aus Puschkins "Beschwörung" in künstlerische Form zwang, faszinierte. Auch in anderen Gesängen (nach Petöfi, Hoffmann von Fallersleben und eigenen Texten) spricht der Lyriker eine unmittelbare Tonsprache, erreicht Schönheiten, die an sein Vorbild Schumann erinnern, und Kühnheiten, deren diagnostischer Blick Mahler vorausahnen läßt. Nietzsches Musik offenbarte seine schöpferische Sehnsucht, seine künstlerische Aktivität. Der denkwürdige Abend in Bamberg zeigt auch den komplizierten, von Skepsis und vernichtenden Urteilen begleiteten Prozeß, in sich den inneren Musiker freizumachen und zum Singen zu bringen, der die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik ableitete, der in Briefen Worte durch einen Akkord ersetzte, um eine Stimmung genauer mitzuteilen, für den Musik eine Passion war. Für Nietzsche sind Töne, Klänge und Rhythmen immer Chiffren des Unsagbaren. Je mehr er an der großen symphonischen Form scheiterte, vertraute er Wesentliches dem Klavier und der Singstimme an. Aribert Reimann machte am Bösendorfer Flügel mit elastischem Pathos die hauchzarte Sensibilität und dionysische Vitalität des komponierenden Denkers und Grüblers hörbar, besonders in der dämonischen Ironie der "Manfred"-Meditation. Auch wenn diese außergewöhnliche Pionierpräsentation keine Entdeckung eines genialen Tonsetzers brachte, ihr Informations- und Erlebniswert wiegt schwer. Er setzt einen leuchtenden Stein ins große Mosaik der gegenwärtig aktuellen Nietzsche-Retrospektive. Zarathustras musikalischer Offenbarungseid, die intellektuelle Lust und die überragende Musizierpotenz der Interpreten gaben auch den kulinarischen Aspekten einen singulären Rang.

Fritz Schleicher

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