Zum Liederabend am 29. August 1979 in Salzburg


Salzburger Nachrichten, 31. August 1979

Vom Bild zum Gegenbild

Der gewichtige Schlußakzent der Liederabende:
Dietrich Fischer-Dieskau sang Schubert

Was eigentlich sollte oder könnte man noch sagen und schreiben, das nicht schon oft und oft gesagt und geschrieben worden wäre, wenn Dietrich Fischer-Dieskau, dieser seit langer Zeit wohl stilbildendste Lieder-Interpret der Welt, einen Konzertabend gestaltet, in schöner Treue regelmäßig auf die Bühne des Kleinen Festspielhauses tritt, um "seiner" Gemeinde zu singen? Wie kann man das Faszinierende dieser Baritonstimme einigermaßen annähernd einfangen, in Worte fassen?

Vielleicht, wenn man schlicht und einfach erzählt, Davon, daß Dietrich Fischer-Dieskau diesmal, am Mittwoch, zum Finale der Festspiele, sein Programm ausschließlich Franz Schubert gewidmet hat, zweimal neun Liedern, die gleichsam vom Bild des Komponisten, der Zerrissenheit seines Wesens, des "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt", zum "Gegenbild", wie es Karl Schumann in seinem gescheiten Aufsatz im Programmheft darlegt, fortschritten, dorthin, wo Musik "als freundliche Kraft, als heitere, die Menschen beschwingende Gabe" erscheint. Man kann davon erzählen, wie der Sänger im Kleinen wie im Großen Stimmungswechsel reguliert, man darf davon schwärmen, wie er dem Text jedes Liedes (manche davon sind in ihrer literarischen Qualität, ihrer Zeit gemäß, anfechtbar "modisch") durch die Musik neue Wertigkeit verleiht, die gewissermaßen vom Adel des Klangs Zeugnis gibt. Man darf noch immer angetan sein von Timbre und Charakter dieses Baritons, der in höchstem Maße wandelbar ist, der über metallischen Glanz ebenso gebietet wie über ein schwärmerisches Piano, den Hauch des Leisen gleichsam, womit nur extreme Positionen, nicht die Fülle der Zwischenstufen, angedeutet sein sollen.

Und vor allem hat man anzumerken, daß Dietrich Fischer-Dieskau sich zum Lied bekennt, mit Konsequenz und Ausschließlichkeit, wie es in diesem Sommer nur den Männern im Konzert der acht Stimmen zugekommen ist, nicht also zu einem bunten Potpourri von Melodien, von "Schlagern" – die Harmonie von Wort und Musik wird als Einheit auch in der Werkwahl wirksam.

Dies erfordert freilich vom Zuhörer hundertprozentige Bereitschaft, die Fähigkeit der Konzentration. Es mochte an den "internen" Reaktionen, dem beständigen Hüsteln und Husten während des Abends, eine gewisse nervöse Gereiztheit wohl abzulesen sein, denn man konnte sich innerhalb der Liedgruppen des ersten und zweiten Teils nicht Luft verschaffen: Im Programmheft wurde gebeten, "die Liedgruppen nicht durch Beifall zu unterbrechen und nicht umzublättern, ehe ein Lied und seine Klavierbegleitung beendet sind": Man hat offensichtlich aus den Erfahrungen vieler lästiger und störender Interruptionen durch allzu freigebig spontanen Applaus gelernt, unbestritten zum Vorteil der Sache.

Im ersten Teil waren Heroisch-Titanisches und mystische Todesahnung die bestimmenden Themenkreise. Wuchtig schleuderte Fischer-Dieskau gleich zu Beginn den "Prometheus" von sich, kräftig, markant, aufbegehrend, trotzig, unerreichbar wohl in der Klarheit der Deklamation, dem spannungsgeladenen Wechsel von Rezitativischem und Ariosem. Dem Kraftvollen folgte das Besinnliche, besser: bedrohlich Ruhige auf dem Fuße: Goethes "Meeresstille" erfuhr eine in Ausdruck und Atmosphäre unvergleichliche Wiedergabe, der beklemmende imaginative Kraft zu Gebote stand. Wohl nur Fischer-Dieskau vermag solche Gegensätze wie "Prometheus" und "Meeresstille" unmittelbar aufeinanderprallen zu lassen, ohne daß die Gesänge an Substanz und Aussagekraft nur das geringste einbüßen. Ein zweites Liederpaar dieser Art waren "Der Tod und das Mädchen" und die "Gruppe aus dem Tartarus": quasi private Erschütterung und "ewige Verdammnis" in engster Nachbarschaft.

Hier bleibt gleich einzuflechten, daß dem Sänger in Jörg Demus ein Pianist zur Hand ging, der sichtlich an der Aufgabe und den Anforderungen wuchs. Demus blieb gerade Liedern wie dem Letztgenannten oder den Mayrhofer-Vertonungen "Memnon" und "Freiwilliges Versinken" nichts an klavieristischem Einsatz und präziser Deutung schuldig, wußte auch tonmalerische Effekte, wie sie in den Gesängen "An die Leier" oder "An die Laute" verlangt werden, subtil anzuschlagen. Demus bleibt wie sein Sänger dem Wesen Schuberts stets auf der Spur.

"Nachtstück" und "Totengräbers Heimweh" ließen die Interpreten noch vor der Pause in Bezirke dunkler Todesahnung tauchen, ehe sich im zweiten Teil die Szenerie etwas lichtete. Hier ging es um naturhafte, zuweilen bis in Gefilde des Naiven vordringende Anliegen. "Der Wanderer an den Mond" erfuhr eine im "szenischen" Detail erregende Wiedergabe, ebenso "Wanderers Nachtlied". In den Liedern "Auf der Donau" und "Über Wildemann" fanden Sänger und Pianist zu starker Expressivität der Darstellung, ließen beide den Gehalt der Gesänge plastisch zur Entfaltung kommen, wiederum auf den Einklang von Diktum und Klang faszinierend bedacht. Daß Fischer-Dieskau auch im Heiteren, Gelösten, in duftig-blumigen Episoden immer den Untergrund mitschwingen läßt, musikalische Poesie in "Des Fischers Liebesglück", das verhalten wie ein Notturno aus weiter Ferne ans Ohr der Hörer dringt, aber auch im tänzerisch beschwingten, den "offiziellen" Teil des Abends beschließenden "Musensohn", jenem "Gegenbild" von Schuberts Musikerexistenz, nie vordergründige Lustigkeit zur Schau trägt, sondern weit eher verschmitztes Lächeln, ist ein weiteres "Geheimnis" der Kunst dieses großen Liedersängers. – Mit fünf Zugaben wurde dem überschwenglichen Beifall des Auditoriums von seiten der Künstler gedankt, die einen gewichtigen Schlußakzent auf die Liederabende dieses Sommers setzten.

Karl Horb

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