Zum Konzert am 26. August 1979 in Salzburg


Vermutlich FAZ, Datum unbekannt 

Caro mio Böhm

Salzburger Konzert-Nachlese und eine Geburtstagsfeier

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Seiji Ozawa, der 44jährige, durch Karajan und Bernstein geförderte Japaner, liebt große Formen und Besetzungen. Nach Schönbergs "Gurreliedern" hat er Hector Berlioz’ "Damnation de Faust" für sich entdeckt und in seine Tourneeprogramme mit dem Boston Symphony Orchester aufgenommen. Von zahllosen musikalischen Deutungen des Faust-Themas ist es die eigenwilligste. Sie steht zwischen Theater und Konzertsaal und ist aus früher entstandenen Einzelstücken 1845-1846 zur schlüssigen Form gediehen. In seiner Gesamtheit wird das Werk selten aufgeführt, woran nicht nur die mächtige Besetzung mit überdimensionalem Orchester, Chor, Kinderchor und vier Solisten schuld ist. Der Wechsel von lyrischen und dramatischen Szenen mit Charakterstücken recht äußerlicher Art erzeugt beim Hörer einen Zustand ästhetischer Unruhe über das von Berlioz erstrebte Maß hinaus. Nur in einer ausgleichenden Darstellung durch alle Beteiligten kann dieser Mißstand aufgehoben werden. Ozawas Feuergeist hat es geschafft. Was der kleine, gedrungene Asiat an Klang, Farbe, Ausdruck und dramatischem Atem aus der Partitur des Werks heraushebt, ist so bewundernswert wie die Suggestion, die er auf alle seine Helfer ausstrahlt. Höhepunkte der Darstellung waren die Schlüsse des zweiten und vierten Teils, vom Abgang Fausts und Mephistos bis zum Defilee singender Soldaten und Studenten, und ganz am Ende das Pandämonium nebst "Wehe"-Epilog und Margarethens Verklärung.

Als Mephisto übertraf Dietrich Fischer-Dieskau viele seiner eigenen Bühnenleistungen; um seinetwillen wünschte man sich die selten versuchte Aufführung des Werkes als Oper. Sein Bariton hat in neuerer Zeit neue Farben, besonders im Bereich des Piano und Pianissimo, entwickelt, mit denen die Kraftstellen und der Humor (etwa des Flohlieds) erstaunlich kontrastieren. Im Vortrag der schweren Partie wurde sein Singen schöpferisch. Als Faust lernte man einen Tenor von ungewöhnlichem Stimmglanz und bezaubernd klingender Höhe kennen und lieben: Kenneth Riegel. Frederica von Stade beseelte die Margarethen-Partie mit einem edlen, gleichmäßig durch alle Register geführten Sopran von eher dunkler Färbung. Mit dem nuancenreichen Baß Douglas Lawrence’ war das Quartett auch im Zusammenklang perfekt.

Von berlinischer Chorkultur zeugten die durch Roland Bader vorzüglich geschulten und auf die Spezialaufgabe vorbereiteten Sänger und Sängerinnen des Chors der St.-Hedwigs-Kathedrale, von der Reinheit bayerischer Kinderstimmen der Tölzer Knabenchor. Die Aufführung wurde zu einem stürmischen Erfolg für alle Beteiligten, auch für das Bostoner Orchester, das sich wieder als führende amerikanische Spielmannschaft bewährt. Ozawa wird das Werk in gleicher Besetzung (nur mit Julia Varady in der Sopranpartie) auch bei den Berliner Festwochen dirigieren.

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H. H. Stuckenschmidt

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