Zur Liedermatinee am 29. Juli 1979 in München


    

     Süddeutsche Zeitung, München, 31. Juli 1979     

Lieder eines gefährdeten Gemüts

Dietrich Fischer-Dieskaus Schumann-Matinee im Nationaltheater

     

Am sonnigsten Sonntagmorgen sang Dietrich Fischer-Dieskau das schwärzeste Programm: Lieder von Robert Schumann, die an die Grenzen des Genres wie des Pathologischen führen. Der Weg des Komponisten in die Literarisierung des Vokalen verlief auf gleicher Höhe mit dem Weg in die Umnachtung. Was das vertonte Wort an Abgründigkeiten und biographischen Anspielungen nicht aufzunehmen vermochte, gab Wolfgang Sawallischs Sensibilität am Klavier kund, mitatmend, mitempfindend und vollends verdeutlichend. Die Lebensgeschichte eines gefährdeten, zerbrechenden Gemüts erklang. Ein Ton-Dichter gab der tiefsten Einsamkeit Laut. Es war ein kompromißlos herbes, beklemmendes, ja schmerzliches Schumann-Exerzitium. Das Leitmotiv hatte die Schlußstrophe der Andersen Vertonung "Der Spielmann" gegeben: "Wer heißt euch mit Fingern zeigen auf mich; / O Gott – bewahr uns gnädiglich, / Daß keinen der Wahnsinn übermannt. / Bin selbst ein armer Musikant."

"Gesungen" im wohligen Sinne des Wortes hat Fischer-Dieskau lediglich, wenn Legato-Bögen die vokale Auslegung der Gedichte zu Melodien im üblichen Betracht banden. Forte und Fortissimo wurden nur an wenigen, vom Ausdruck bedingten Stellen laut; die dem Lied abträglichen Dimensionen des (ausverkauften) Nationaltheaters ließen Fischer-Dieskau ungerührt in seiner Absicht, Intimität obenan zu stellen, wie sie der musikalischen Explikation von dichterischen Gedanken – gemeinhin Lied geheißen – entspricht. Bis in die Zugaben hinein rechnete Fischer-Dieskau mit einem Publikum, das einer Begegnung mit Extremen der Lied- wie der Vortragskunst gewachsen ist. Er hatte sich nicht verrechnet. Man feierte den Sänger und den Klavierpartner als zwei Ausnahme-Musiker, die den düstersten Monologen der Literatur bis an den Rand der Abstraktion, der Chiffre und der Auflösung folgten.

Wahrhaft schaudern machte die Andersen-Szene "Mutterglück", in der eine Art von Bachscher Invention aus der vermeintlichen Idylle in eine schreckliche Zukunftsvision führt. Heines vielberedete Ironie streifte in den Strophen von "Abends am Strand" den Bereich des Surrealen. Wie weit sind doch Schumanns Rückert-Lieder vom schönen Klangspiel entfernt, wenn ihnen Dietrich Fischer-Dieskau und Wolfgang Sawallisch auf den dunklen Grund gehen! Welchen Wert erfährt ein bravouröses Vortragsstück wie "Der Contrabandiste", steht es wie der Versuch eines Lächelns am Ende eines todtraurigen Programms!

Vielleicht hatten es der Hans Sachs und der Lear, Fischer-Dieskaus große Festspielpartien, zusätzlich nahegelegt, nach Ausdruckswert und Farbe jedes gesungenen Wortes zu schürfen, jedenfalls scheint Fischer-Dieskau selten Schumann-Lieder so skrupelhaft, so voller Reflexion ausgelotet zu haben. Er und Wolfgang Sawallisch verwirklichten jene Einheit von Dichtung und Musik, wie sie Robert Schumann vorschwebte.

Karl Schumann

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     Münchner Merkur, 31. Juli 1979     

Münchner Opernfestspiele:

Mit Fischer-Dieskau im Reich pessimistischer Empfindungen

   

Mit langem Beifall wurden Dietrich Fischer-Dieskau und Wolfgang Sawallisch im Nationaltheater begrüßt und weiter mit Ovationen überhäuft nach dem ersten Teil und nach Schluß der Lieder-Matinee, die ausschließlich Robert Schumann galt.

Fischer-Dieskau hat sich in letzter Zeit besonders intensiv mit Schumann auseinandergesetzt. Was lag da näher, als ausgetretenen Sängerpfaden auszuweichen und mit einem Programm höchst selten zu hörender Lieder zwar nicht überraschende neue Maßstäbe zu setzen, das Bild des Romantikers par excellence aber doch um einige Züge anzureichern.

Fischer-Dieskau schien Robert Schumann vor allem als Melancholiker vorstellen zu wollen. Fast ausnahmslos hielt sich die Liedfolge im Schattenreich pessimistischer Empfindungen. Beginnend mit einer Gruppe von Vertonungen Rückertscher Gedichte, die über das von schmerzlichem mezza voce-Hauch getrübten Lied "Resignation" zu abgrundtief-traurigen Versen des dänischen Märchendichters Hans Christian Andersen führten.

Nach der Pause waren es Nikolaus Lenau und Heinrich Heine, die teils sanft poetisch, teils bitter-ironisch die Stimmungsskala um wehmütige Ausdrucksnuancen bereicherten.

Fischer-Dieskau, in bester Form, gestaltete die Lieder variantenreich und unter Aussparung textbetonter Details in großem Stil mit bezwingender Musikalität. Keine Spur mehr von jenen theatralischen Drückern, die ihm eine Zeitlang unterliefen.

Wolfgang Sawallisch war ihm nicht nur Stütze am Flügel, sondern ein ebenbürtiger Partner, der die Vor- und Nachspiele aus dem Geist Robert Schumanns faszinierend gestaltete.

Ohne mehrere Zugaben konnte sich das Duo selbstverständlich nicht verabschieden. Mit Goethes "Sitz ich allein, wo kann ich besser sein!" gab Fischer-Dieskau schließlich gutgelaunt das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.

Helmut Lohmüller

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     Abendzeitung, München, 30. Juli 1979     

Lieder der Verzweiflung

Schumann-Matinee mit Fischer-Dieskau

    

Matinee Dietrich Fischer-Dieskau im Nationaltheater: Nicht nur Überwältigendes brachte das Programm mit Liedern von Robert Schumann. Am Klavier: Wolfgang Sawallisch.

Draußen ein strahlender Sommermorgen – drinnen Düsteres, Resignatives und Verzweifeltes: Fischer-Dieskau hatte auf diese Seite in Schumanns Liederwerk gesetzt. Wie wohl kaum ein anderer versteht er es, alle Verästelungen der Seelenlandschaften dieses Komponisten aufzuspüren. Allerdings entgeht er dabei nicht immer der Gefahr, zuviel "machen" zu wollen. Den Liedern nach romantischen Textvorlagen wäre zwar Distanz nicht gut bekommen, dafür manchmal ein wenig mehr Zurückhaltung.

Vielleicht pianistisch nicht so perfekt wie der ursprünglich vorgesehene Svjatoslav Richter, dafür beherzt und konzentriert agierte Wolfgang Sawallisch. Er war nicht Begleiter, sondern Partner am Klavier.

Christoph Schwarz

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     tz, München, 31. Juli 1979     

Jubel um Fischer-Dieskau und Begleiter Sawallisch

... bei ihrer Schumann-Liedermatinee im Nationaltheater

   

Das lieblose Dekor mit dem einsamen Steinway vor einer unfreundlichen Bühnenwand war schon während der "Widmung" vergessen. Wie sich in dieser Matinee im Nationaltheater Dietrich Fischer-Dieskau und Wolfgang Sawallisch in die letzten Geheimnisse der Liedkunst Robert Schumanns vertieften, das sollte zu einem der Höhepunkte der Münchner Festspiele 1979 werden.

Es ist schwer, den Hymnen, die auf den Liedersänger Fischer-Dieskau schon angestimmt wurden, neue Superlative hinzuzufügen. Auch ist es unerheblich, daß vor allem im ersten Programmteil in einigen Passagen die Anstrengungen der letzten Wochen (Hans Sachs und Lear!) stimmlich vernehmbar wurden.

Wie Fischer-Dieskau Musik und Dichtung erschöpfend interpretiert, wie er die "Jedermann"-Atmosphäre von Andersens "Spielmann" trifft, Heines "Schattengestalten kopfnickend zum Wagen hereinhuschen und Gesichter schneiden läßt", das ist Liedgestaltung in Vollendung.

Schumann-Lieder zu begleiten bedarf des pianistisch vollwertigen Partners. Sofort nach der Absage Svjatoslav Richters erklärte sich Wolfgang Sawallisch bereit, einzuspringen. Er rettete damit nicht nur einen begehrten Fixpunkt dieser Festspiele, sondern machte begreiflich, wie Schumann stets vom Klaviersatz her konzipierte. In den kleinen Vor-, Zwischen- und Nachspielen zeichnete Sawallisch die jeweilige Stimmungswelt der Lieder, atmete so intensiv mit Fischer-Dieskau, daß dessen Wortduktus die genaue Entsprechung am Klavier erfuhr.

So war die Begeisterung für beide Künstler grenzenlos, wollte selbst nach vier Zugaben noch kein Ende nehmen.

Karl-Robert Danler

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