Zum Liederabend am 11. März 1979 in Aachen


  Zeitung unbekannt, 13. März 1979 

Konzerte der Stadt Aachen:

Musikalisch-magischer Name

Der Sänger Fischer-Dieskau gestaltete Lieder von R. Schumann

War es der Name, war es die Leistung? – was den so ganz ungewöhnlichen Beifall hervorrief, als am Sonntagabend Dietrich Fischer-Dieskau im Aachener Gastkonzert auftrat, um Schumannlieder zu singen. Kein Zweifel, Namen wirken suggestiv, kein Zweifel aber auch, daß bei diesem Sänger der Name durch Leistung gedeckt wird. Die herausragende Begabung und die geistige Durchdringung alles Technischen zu schildern hieße nichts anderes als Eulen nach Athen tragen. Wer wüßte nicht, daß Fischer-Dieskau einer der besten Sänger dieser Zeit ist? Vom Rundfunk, von der Schallplatte und vielleicht auch aus dem Konzertsaal. Es erübrigt sich mithin, lobend zu beschreiben, was sich bei jedem guten Sänger findet. Gibt es etwas Besonderes, etwas, was dieser Mann mit kaum jemandem teilt? Daß Qualitäten der Stimme sich treffen mit Intelligenz und Hingezogensein zu geistigen Dingen, das ist in der Tat ein seltenes Phänomen.

Einstmals sang der 1925 Geborene nur, früh erkannt, früh geschult, früh berühmt. Das findet man nicht selten. Dann regte sich das Streben, auf die Suche nach den geistigen, insbesondere literarischen Hintergründen und zugleich Grundlagen der Liedkunst zu gehen, was sich in Veröffentlichungen niederschlug. Nun greift der reife Künstler weiter aus, indem er sich als Musikschriftsteller Themen von geistesgeschichtlicher Dimension annimmt – so über Wagner und Nietzsche, wie die unlängst im Deutschen Taschenbuch-Verlag erschienene Schrift heißt, ein übrigens lesenswertes Werkchen. Zudem tut er, was heutzutage mancher Instrumentalsolist betreibt: er dirigiert. Diese Tendenz leuchtet ein, ist nachvollziehbar. Schließlich bietet das Orchester die Möglichkeiten des Musikalischen in seiner ganzen Breite und Umfassendheit.

Was wir nun hörten, war alles durchdacht und bedacht. Voran das Programm, das sich auf Zyklen und einzelnes, wohlgeordnet nach den Dichtern, die der tiefe und große Romantiker in das Musikalische übertrug. Im ganzen herrschte das Elegische, Weltschmerzlich-Bedrängte vor – nicht nur bei des Märchendichters Andersen Texten. Indes, es gab auch Aufschwünge zu bejahendem Leben und – klug kalkuliert – Virtuoses am Schluß. Zugaben Evozierendes und Ovationen Erregendes.

Der Vortragsstil Fischer-Dieskaus kommt dem Wesen des romantischen Klavierliedes weit entgegen. Der Ernst, mit dem er seine Kunst betreibt, entspricht dem Tiefgang des romantischen Ingeniums, die Geschmeidigkeit seiner Stimme ermöglicht es ihm, die feinen Regungen sensitiver Musikpoesie zum Schwingen zu bringen, seine Geistbezogenheit fördert das Verstehen der Hintergründe. In praxi bedeutet dies, daß Fischer-Dieskaus von innen her belebte Stimme mit ihrer Mannigfaltigkeit der dynamischen Abstufungen und koloristischen Tönungen die "sublimen Jagden" nach den Innenschichten des Seelischen beutereich betreibt.

Zu den starken Wirkungen der Schumann-Interpretationen gehören die kantablen Bögen, deren das in allen Übergängen bruchlos funktionierende Organ fähig ist, nicht weniger aber die dramatischen Energien, die der auch im Theaterraum erfahrene Künstler freizusetzen versteht. Bei diesem Sänger gibt es zwar das magisch-unwirklich wirkende Pianissimo, aber genauso stark ist seine Kraft im Dramatisch-Bewegten. Man erfuhr Meditierendes, Gesammeltes und sanfte Klage, was ergriff und nachdenklich stimmte, doch gab es auch das Emporschwingend-Mitreißende – Kontraste also: Klangeruptionen und Stellen; die wirkten wie Stille. Und immer Hervorhebungen: Betonung dessen, worauf es ankommt.

Am Flügel wirkte nicht irgendein Pianist, sondern Günther Weißenborn, der auch als Dirigent bedeutsam ist. In weiteren Kreisen wurde er allerdings als Liedbegleiter bekannt. Daß er ein kongenialer Musiker ist, wurde offenbar. Sein feinnerviges Spiel bot dem Sänger die schlechthin tragende instrumentale Basis: die von Schumann gewollte Erhellung des Gesungenen im Medium des Klaviers – und dessen Nachklang in den für ihn charakteristischen Nachspielen.

Norbert Weber

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