Zur Oper am 27. Juli 1977 in München


Münchner Merkur, 29. Juli 1977

Münchner Festspiele:
 "Arabella" und Liederabend Fassbaender

Alles dreht sich um Dieskaus Mandryka

Läßt man die graduellen Unterschiede von Festspielabsagen außer acht (die etwa zwischen Alptraum und verfügbarer Zweitbesetzung liegen mögen), so bleibt doch immerhin ein unsicheres Gefühl, wenn die Titelrolle einer repräsentativen Oper kurzfristig umbesetzt werden muß.

Dies war bei der "Arabella" der Fall, die Julia Varady anstelle von Anna Tomowa-Sintow zu singen hatte. Sie konnte durch ihre schöne Stimme überzeugen; aber der Mittelpunkt der Aufführung war sie nicht.

Sie hatte sich schon gegen die Musikalität und das Engagement von Lucia Popp (als Zdenka) durchzusetzen; im Duett "Aber der Richtige" im ersten Akt wurden die beiden Stimmen und Charaktere in ihrer Verschiedenheit eindringlich präsentiert. Eindringlich war auch die strenge Genauigkeit, mit der Wolfgang Sawallisch die beiden Sängerinnen führte, sie fürsorglich wie ein Vater betreute.

Mehr noch hätte diese Arabella gegen die Allgegenwart des Mandryka anzukämpfen gehabt; aber das war eben nicht möglich, denn Dietrich Fischer-Dieskau sang und spielte - mochte er vom Landedelmann aus Slawonien noch so weit entfernt sein - so großartig, daß sich auf ganz natürliche Weise alles um ihn drehte.

Sehr gut war auch das gräfliche Elternpaar Waldner mit der alterslosen Hertha Töpper und dem sehr genau charakterisierenden Kurt Böhme besetzt; Hildegard Uhrmacher sang die Fiakermilli mit glasklaren Koloraturen. Josef Hopferwieser begann den Matteo mit strahlendem Tenor, hatte es aber später nicht immer leicht, sich durchzusetzen; das Bayerische Staatsorchester, von Anfang an klanglich ein wenig ungebremst, aber zunächst delikat, vergröberte seinen Stil im Verlauf der Aufführung, woran Sawallisch mit dem gewaltsam vorangetriebenen Vorspiel zum dritten Akt nicht unschuldig war.

Aber insgesamt war das alles bester Richard Strauss, bis in die kleinsten Nebenrollen, und die wirklich kritischen Einwände haben sich in außermusikalische Bereiche zu richten: gegen die Ausstattung Jürgen Roses, der Biedermeier und Makartzeit vermischte, um das in der Mitte liegende Jahr 1860 zu kennzeichnen, und gegen die überdeutliche Regie von Peter Beauvais, die stellenweise Hofmannsthal mit Wilhelm Busch zu verwechseln schien.

Karl-Robert Brachtel

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     Berliner allgemeine jüdische Wochenzeitung, 26. August 1977      

Hofmannsthal, da Ponte und Ahronovitch

Oper in München und Salzburg

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Einen Glücksfall einer Inszenierung und musikalischen Realisation hatte man in der "Arabella" von Hofmannsthal und Richard Strauss bei den Münchner Opernfestspielen erlebt. Peter Beauvais hatte die vor 100 Jahren in Wien spielende "Lyrische Komödie" - ein vielfach verkanntes, musikalisch immer wieder reizvolles Werk - stilvoll, mit Charme und Humor inszeniert und Wolfgang Sawallisch interpretierte schwungvoll die vorwiegend lyrische Partitur. Mit Dietrich Fischer-Dieskau und Julia Varady als Protagonistenpaar erlebte man das beglückende, ideale Paar herrlicher Sänger und eindrucksvoller Darsteller.

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Peter Gradenwitz


    

     "Oper und Konzert", München, 9/1977     

Nationaltheater

Arabella

    

Julia Varady tat vermutlich der Intendanz, kaum aber sich selbst und ihren Verehrern einen großen Gefallen, als sie sich bereit erklärte, trotz der Strapazen der "Onegin"-Proben am Tage zwischen Generalprobe und Premiere für die absagende Anna Tomowa-Sintow die Titelpartie in "Arabella" zu übernehmen, eine diffizile Partie, die ihrem künstlerischen Naturell ohnehin nicht entgegenkommt und in der sie allenfalls bei optimaler Disposition zu bestehen vermag. Auch diesmal konnte Frau Varady der flirtgewandten und leicht verliebten Komteß Waldner kapriziöse Launenhaftigkeit, mädchenhafte Koketterie, österreichischen Charme und distinguierte Grazie nicht vermitteln. Zudem legte sie sich - verständlicherweise! - stimmliche Schonung auf, wodurch es den großen Kantilenen an Erfüllung, dem Parlando an Pointierung, der gesanglichen Gestaltung insgesamt an Profil und selbst an Wohlklang gebrach. Durch die mangelnde Dominanz der Hauptpartie wurde die ganze Vorstellung beeinträchtigt, in der überdies nur Dietrich Fischer-Dieskau (als vollblütiger, mit seiner herrlichen Stimme ebenso verschwenderisch wie mit seinen Tausendern umgehender Mandryka seit rund zwanzig Jahren immer wieder schlechthin "der Richtige"!) und Lucia Popp (als Zdenka großartig in ihrem bubenhaft ausgespielten Trotz und ihrer mädchenhaften Verwirrtheit, bezaubernd durch anmutige Sopransüße und geradezu ergreifend durch ihre schlichte Innigkeit!) wirklich festspielhafte Leistungen boten. [...]

Claus R. Schuhmann

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