Zur Oper am 31. Januar 1977 in München


Frankfurter Allgemeine, 5. Februar 1977

"Arabella" an der Staatsoper München

Triumph und eiserner Vorhang

[...]

Im Hitler-Reich wurde der große Publikumserfolg des Stückes wegen des "nichtarischen" Librettisten nicht gefördert. Dennoch ging "Arabella" über alle großen deutschen und viele ausländische Bühnen. Nach 1945 setzte die Oper ihren Erfolgsweg fort. Im Münchener neu aufgebauten Nationaltheater kam sie 1964 heraus, inszeniert von Rudolf Hartmann, dirigiert von Josef Keilberth. Nun ist sie die mit Spannung erwartete erste Inszenierung des Jahres 1977. Statt des vorgesehenen Jean-Pierre Ponnelle führte Peter Beauvais Regie. Erfolgreich als Schauspiel- und Filmregisseur, hat er nach der Pariser "Lucia di Lammermoor" drei Opern inszeniert, zuletzt in West-Berlin die "Meistersinger".

An "Arabella" übt er manche Eigenwilligkeit, die dem Sinn des Werks zusetzt. Überflüssigkeiten wie der Blick in die Antichambre des Hotelzimmers mögen hingehen. Doch den Fiakerball in dieselbe vornehme Umgebung zu stellen wie den dritten Akt ist ungeschickt. Die Zweisamkeit des herrlichen Finales, wenn Arabella mit dem Glas Wasser in der Hand die Treppe zu Mandryka hinabschreitet, durfte nicht durch den Diener gestört werden, der ihr oben das Glas reicht! Während die Personenführung teilweise vorzüglich ist, besonders in den Dialogen und allen stillen Situationen, wird der Ball roh und ungeschlacht über eine sinnlose Treppe geführt. Die Bilder und schönen Kostüme sind von Jürgen Rose.

Um so glänzender wird die ganze Aufführung musikalisch gestaltet. Wolfgang Sawallisch ist in den dreißig Jahren, seit wir seinen Werdegang beobachten, in die erste Reihe der Operndirigenten gewachsen. Mit dieser "Arabella" erreicht er einen Gipfel an Stilsicherheit, technischer Beherrschung von Orchester und Bühne, musikalischer Autorität. Da stimmt jede Nuance der Zeitmaße, der Lautstärken und der Anpassung an die Sänger. Rechtens gibt es für ihn schon Beifall nach dem ersten und nach dem zweiten Akt.

Julia Varady ist Arabella, und sie spielt sie in Hofmannsthals Sinne als "ganz reifes, wissendes, ihrer Kräfte und Gefahren bewußtes junges Mädchen", mit wachsender Wärme bis zur Schlußumarmung. Stimmlich ist sie mit ihrem dramatischen Sopran und der ebenmäßigen Höhe eine vollkommene Besetzung.

Gleich neben ihr Edith Mathis als Zdenko-Zdenka, Augenweide und Ohrenlust zugleich, ein Idealfall von Mädchendemut, drolliger Jünglingstravestie und stimmlicher Anmut, in der Einheitlichkeit die Beste des Abends.

Schließlich, um von Gipfel zu Gipfel zu kommen: Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka. Er hat den reichen Landedelmann, den laut Hofmannsthal "die Reinheit seiner Dörfer, seiner nie von der Axt berührten Eichenwälder" umgibt, schon 1964 in München gesungen. Gegenüber Alfred Jerger, dem Ur-Mandryka von 1933, wirkt er minder rustikal, eleganter, städtischer. Aber wie er die Figur wachsen, sich entwickeln läßt, in die Halbwelt des deklassierten, verschuldeten Grafen Waldner tritt, Gegenpol und Retter zugleich, mit dem leidenschaftlichen Herzen für das Mädchenbild und der offenen Brieftasche ("Teschek, bedien’ dich!") für den Brautvater, das ist an Noblesse, Wärme und Intelligenz, stimmlich und musikalisch, "ein Fall von anderer Art" als alle Mandrykas, an die ich mich erinnere.

Als Charakterstudie von hohem Rang muß noch der Graf Waldner in der Verkörperung des wohl siebzigjährigen Kurt Böhme genannt werden, mit dem Stich ins Ordinäre, den Hofmannsthal gewollt hat. Treffend sind auch die Figuren der Gräfin und der Kartenschlägerin von Hertha Töpper und Martha Mödl hingestellt. Stimmlich und als Typus sehr überzeugend Josef Hopferwieser als armer Jägeroffizier Matteo. Tenoral strahlend, doch als Erscheinung zu alt und wenig anziehend Hermann Winkler als Elemer, erster der drei gräflichen Arabella-Verehrer. Unmöglich, trotz aller früheren Bewährung in anderen Aufgaben: Hildegard Uhrmacher, die als Fiakermilli Protestrufe aus dem Parkett einstecken mußte. Das Bayerische Staatsorchester und der Chor auf gewohnter Höhe. Zu rühmen sind die von Münchens neuer Dramaturgin Irmgard Scharberth vorzüglich zusammengestellten Blätter der Bayerischen Staatsoper und das "Arabella"-Programmheft.

Nach Schluß der von einem eleganten europäischen Publikum besuchten, mit größter Spannung aufgenommenen Vorstellung begab sich Wunderliches. In den Sturm enthusiastischen Beifalls, den nur Proteste gegen Beauvais störten, fiel plötzlich der eiserne Vorhang. Daraufhin ertönte ein Massenchor von Buhrufen, wie sie in diesem Haus nie erlebt worden sind. Man fand keine Erklärung für beides. Sie erfolgte später. Auf die Bühne hatten unbekannte Hände Stinkbomben geworfen, so daß der Eiserne heruntergelassen werden mußte. Und das mißfiel begreiflicherweise den Begeisterten, die in Parkett und Rängen applaudiert hatten und weiter applaudieren wollten. Doch der Riesenerfolg des Abends wird viele Reprisen dieser "Arabella"-Wiedergabe sichern.

H. H. Stuckenschmidt

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     Die Welt, Berlin, 3. Februar 1977         

Zwischenfall bei der "Arabella"-Premiere in der Staatsoper München: Mit dem eisernen Vorhang gegen Buhrufer

Große Besetzung, kleiner Skandal

 

Der kürzeste Premierentriumph aller Opern-Zeiten. Julia Varady, Dietrich Fischer-Dieskau und Wolfgang Sawallisch hatten sich gerade erst, beifallumtost, an der Rampe gezeigt, da erscholl überraschenderweise mit einem Schlag zögerndes Buh. Es galt Peter Beauvais, dem Regisseur, und seinem Bühnenbildner Jürgen Rose. Sofort ging daraufhin der eiserne Vorhang nieder. Er riegelte die Begeisterung demonstrativ ebenso aus wie den diesmal eher zaghaften Vorbehalt.

Einwand also ist nicht mehr statthaft. Jubelperser werden im Parkett und ringsum auf den Rängen gewünscht. Zur nicht gerade knapp bemessenen Gage kommt bald noch ein vertraglich ausbedungenes Beifallssoll. Besser vielleicht noch: Im Katastrophenfall eines unautorisierten Buhrufs hält man zur Erziehung des Publikums das Opernhaus prophylaktisch eine Woche geschlossen (Lohn-, Gehalts- und Gagenzahlung wird in dieser Zeit natürlich ausgesetzt). Nein, nein - eine feine, ausgewogene Aufführung wie diese "Arabella" von Richard Strauss in der Münchener Staatsoper muß schon einen Puff aushalten können - und einigen Unverstand, ohne daß man sich zur drakonischen Abkanzelung des Publikums hinreißen läßt.

Beauvais’ Münchener Inszenierung kennt prachtvolle Augenblicke - und minder überzeugende. Der erste Akt, der in Jürgen Roses einleuchtendem Bühnenbild erstmals klarmacht, daß man sich in einem Hotel mit Korridoren und Zimmerfluchten befindet, ist mit feinsten Details ausstaffiert. Eine Grafenfamilie auf Sparflamme. Selbstgekochter Kaffee fließt aus blecherner Kanne. Doppelfenster dienen als Kühlschrankersatz. Man hat sich eingerichtet in der muffigen Pracht und versucht, sich über die Runden zu strudeln. Das ist gut beobachtet, nicht ohne leisen Humor und voll Herzlichkeit.

Vielleicht gibt es von dieser sogar zuviel. Sie alle, die Hofmannsthal vorführt, sind, mit heutigen Augen betrachtet, so liebenswert nicht, wie der Dichter uns weismachen will. Selbst Arabella hat sich im hübschen Kopf offensichtlich nur wenig Gedanken gemacht um die jüngere Schwester, die ihr zu Diensten steht bis zur erlösenden Schlußkatastrophe. Auch daß der Grafenpapa seine Tochter an einen Mann verschachern will, der ihr Vater sein könnte, ist kein besonders herzlicher Zug. Und der Mama wiederum ist die eigene Schande das wirkliche Schecknis und nicht die Not der jüngeren Tochter.

All das will wenigstens in Andeutungen heutzutage herausinszeniert sein. Beauvais zeigt es nicht. Er hält der "Arabella" von einst die Treue: ihrem Lyrismus, den "schönen" Stellen, dem rauschenden Sentiment, dem operettigen Obenhin.

Nun gut - aber daß er auch den Fiaker-Ball aussperrt aus seiner Inszenierung und nachdrücklich nur seinen Stumpfsinn peitschend ins Bild hinein knallen läßt und nicht seine überschwengliche Tollheit: das ist schon ein arger Verschnitt. Ein Ball hinter verschlossenen Türen. Ein menschenleeres Vestibül, hermetisch abgeriegelte Gaudi. Gruppen-Auftritte wie aus der dramaturgischen Spritzpistole. Da hat es selbst Hildegard Uhrmacher als Fiaker-Milli schwer. Sie singt ihre halsbrecherischen Koloraturen diesmal, als lahmten ihr etwas die Gäule.

Julia Varady ist eine rassige Arabella, apart, ohne Passivität. Manchmal scheint es sogar, sie wüßte ein bißchen zu klug zu wählen: eben diesen Mandryka, den Fischer-Dieskau singt, anzusehen, schlank und rank, wie sein eigener Sohn, aber gottlob mit der Stimme des Vaters.

Wie diese sehr besondere Arabella der Varady sich zu dem sehr besonderen Mandryka Fischer-Dieskaus fügt, das ist es, worauf Beauvais offenbar aus war - und es ist ihm vollkommen gelungen, die beiden Ausnahmemenschen des Stückes (die gleichzeitig Ausnahmekünstler sind) zu schönster Geltung zu bringen. Um sie scheint die Welt (und manchmal die Inszenierung dazu) zu versinken, wenn im Zwiegespräch auf dem Ball der Saal um sie auslischt.

Die Varady und Fischer-Dieskau saugen gewissermaßen so viel Licht von der Szene, daß für das zweite Paar nur Dämmerung bleibt. Edith Mathis als verliebter pummeliger Junge, der in Wahrheit ein Mädchen ist, offeriert wohl den Silberklang ihres Soprans, darüber hinaus aber nur wenig Interesse. Matteo, ihr erschlichener Liebhaber, bleibt in Josef Hopferwiesers Darstellung ziemlich blaß.

Großartig dagegen, wie Kurt Böhme die Vaterfigur zeichnet: Ein alt gewordener Bonvivant in flattrigen Nöten, mit dem Schlagfluß auf du und du. Hertha Töpper kam als Mutterglucke dagegen kaum an. Martha Mödl macht ihren winzigen Auftritt als Kartenlegerin für Minuten zur Hauptpartie. Was sie auch wahrsagen mag: um ihre eigene Zukunft in ähnlichen Rollen muß man nicht bangen.

Die Hauptpartie in dieser "Arabella" aber hält neben Varady und Fischer-Dieskau das Orchester. Es spielt unter Sawallisch außerordentlich nuanciert und lebendig, mit großem Atem und gleichzeitig mit viel Feinsinnigkeit. Sawallisch hat die reizende Partitur voll ausgehört. Nun führt er sie vor, als wolle er trunken machen. Der große lyrische Aufschwung ist ihm gegeben wie das Herausklopfen der Kauzigkeit selbst aus den kleinsten musikalischen Signalen. Er weiß um die Humore, er weiß um den Ernst. Er weiß beides aufs lebhafteste miteinander zu mischen - mit einer Klangfarbenpracht von betörendem Reiz.

Klaus Geitel

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     Berliner Morgenpost, 3. Februar 1977     

Von Bravos, Buhs, dem Eisernen Vorhang und einem verwandelten Fischer-Dieskau

Peter Beauvais zauberte die "Arabella" in München als Endspiel-Oper auf die Bühne

    

Richard Strauss’ "Arabella" hat man lange Zeit als einen "Rosenkavalier" aus zweiter Hand angesehen: Als einen Nachklang, Neu-Aufguß des Großerfolges von einst. Das alte Scherzwort vom "Sklerosen-Kavalier" machte genüßlich die Runde. Man fand das Stück welk, abgelebt, angestaubt. Eine Oper mit Endspiel-Charakter.

Nur - damals war die Endspielerei noch nicht in Mode wie heute. Noch niemand witterte die Brüchigkeit des Stoffes als Qualität, die Rissigkeit der Charaktere als Zeichen einer bröckelnden Gesellschaft, den schönen Glanz als Tünche. Die Doppelbödigkeit der "Arabella" wurde nie richtig aufgedeckt.

Im vollen Vertrauen auf Strauss’ melodischen Impetus, seine musikalische Vollblutnatur, seine eminente Kunst, Gesangslinien immer höher und höher zu schrauben, der lyrischen Vergasung entgegen, machte man nie recht Ernst, die Einzigartigkeit der "Arabella" radikal aufzudecken. Rudolf Noelte, als er sich damit beschäftigte, das Werk zu inszenieren (wozu er am Ende nicht kam), hatte offensichtlich die Witterung für die geheimen Katastrophen, von denen es hinter den Worten spricht.

In München nun hat Peter Beauvais diese "Arabella" zu inszenieren versucht, in Bühnenbildern von Jürgen Rose. Und anfangs schien es auch, als wollten beide nun Ernst machen mit der Bitterkeit unter der Süße: diesem sehr seltenen, typischen "Arabella"-Aroma. Am Ende aber verloren sie sich dann doch wieder an den betörenden Reiz dieses Jungmädchenaromas in Klängen: an das "hohe Paar" der Musik - diese ewige Kombination der Oper. Sein flutender Gesang bringt anscheinend das Publikum (wie die Inszenatoren) immer wieder um Sinn und Verstand.

Im Münchener Falle war nun das "hohe Paar" (der kluge Hans Mayer hat diese singende Konstellation der Liebe, ohne die kulinarische Oper nicht denkbar ist, so benannt) auch noch haushoch besetzt: mit Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau. Und am Pult stand Wolfgang Sawallisch, in dem man ganz deutlich den "großen alten Mann von morgen" heranwachsen sieht: einen Dirigenten, ruhig und sicher auf seiner Fährte, von dem die höchsten Überraschungen noch ausgehen werden - was nicht heißen soll, daß er nicht jetzt schon Herausragendes leistet.

Es gibt ja auch unter den Dirigenten (wie bei den Pianisten) Spätzünder: Künstler, die erst mit fortschreitendem Alter in ihren wahren Rang eintreten. Karl Böhm ist ein solcher Fall.

Ein ähnlicher scheint sich nun mit Sawallisch vorzubereiten. Je älter er wird, desto entspannter und großzügiger klingt die Musik unter seiner Hand, natürlicher, unverkünstelter. Wie er jedenfalls das Panorama der "Arabella"-Musik aufreißt, voller Hellsichtigkeit für die Orchesterhumore, für den Schmelz wie das Stechende der Partitur, ihre klingenden Finten, Karikaturen, Herzensergießungen - das ist schon außerordentlich.

Und wie das Bayerische Staatsorchester sich unter seiner Hand fügt, ist ein Zeichen dafür, wie stark es sich von der Persönlichkeit seines Dirigenten inspiriert weiß. Es spielt mit heiligem Eifer, farbenreich, rhythmisch genau, keine Nuance verschleppend. Sawallisch reißt musikalisch die Aufführung aufs höchste Niveau - damit aber unausweichlich wieder hinein in jene Kulinarik, aus der Beauvais das Stück, scharfäugig für seine Verfinsterungen, herauszubugsieren versuchte.

Das Wiener Hotel, in dem die Waldners, die heruntergekommene Grafenfamilie, logieren, ist ein ziemlich finsterer Kasten, doch von alter Größe und Weitläufigkeit. Erstmals wohl überhaupt kommt deutlich ins Bild, wie und wo diese Waldners leben. Man riecht die miesen Verhältnisse inmitten der ranzigen Üppigkeit. Man wärmt sich den Kaffee in der Blechkanne. Zwischen den Doppelfenstern hält man die Speisen frisch. Die Rotzigkeit der Kellner von damals gleicht aufs Haar jener, an die man sich heute seit langem gewöhnt hat. Man schmeckt es geradezu: Dies "rien ne va plus", das Waldner, den alten Spieler, endgültig lahmgelegt hat.

Dem zweiten Akt hat Beauvais das letzte bißchen Frohsinn ausgetrieben, den Strauss ihm musikalisch gegeben hat. Eine mißmutige Mieze peitscht schmollmündig umher, als müsse sie unbedingt stets das letzte knallende Wort haben. Und Hildegard Uhrmacher singt das Koloraturgekraxel der Fiaker-Milli auch nur, als brauche sie dabei noch ein paar zusätzliche Mauerhaken.

Vor allem aber: Der dritte Akt wird durch eine riesige Umbaupause vom zweiten gesprengt, als käme Arabella nicht vom Ball, sondern aus Graz angereist. Das ist ganz gewiß nicht im Sinne von Strauss und Hofmannsthal, die vielleicht doch noch größere Theaterpraktiker waren als Jürgen Rose, der einfallsüppige Dekorateur.

Beauvais und Rose empfingen denn auch jene Buh-Dusche, auf die hin stracks der eiserne Vorhang fiel - auch nicht gerade die richtige Brautgabe, die Arabella und Mandryka sich erhoffen durften.

Die Varady und Fischer-Dieskau (beide werden am 24. und 28. März als Arabella und Mandryka auch in der Deutschen Oper zu hören sein) bilden ein prachtvolles Paar. Sie ist eine aparte Person mit interessantem Timbre, eine kühlere Arabella als üblich, weniger zu Sentimentalität neigend als zur Hellsicht. Ganz klar überchaut sie, was um sie geschieht. Daß sie die verfahrene Kiste am Schluß nicht resolut selbst in die Hand nimmt und den Knoten löst, überrascht beinahe bei ihr.

Fischer-Dieskau sollte außer seinen Musikbüchern unbedingt als nächstes ein Kochbuch schreiben. Es wäre ein weltweiter Erfolg. Er wirkt wie verwandelt: Groß und schlank - anzusehen wie sein eigener Sohn, der sich die Stimme vom Vater geliehen hat.

Denn die, immerhin, ist noch dieselbe. Sie besitzt Autorität und Attacke, Geschmeidigkeit. Sie vermag einen Charakter singend aufzureißen. Fischer-Dieskau ist vielleicht sogar etwas zu elegant für den Mann aus den fernen Wäldern. Daß er Bären jagen sollte, glaubt man ihm weniger, eher schon, daß er deren Schinken genüßlich bei "Maxim’s" verspeist.

Apropos "Maxim’s": Julia Varady als ‚lustige Witwe’ und diesen Fischer-Dieskau als Danilo - das wäre schon etwas, die Berliner und ihre Deutsche Oper kopfstehen zu lassen.

Klaus Geitel

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     Süddeutsche Zeitung, 2. Februar 1977     

Arabella - Milieustück, Genreszenen, Familienkomödie

Neuinszenierung der Strauss-Oper mit Wolfgang Sawallisch und Peter Beauvais an der Bayerischen Staatsoper

   

Nun also hat München sie wieder, seine vielgeliebte "Arabella", die jahrelang bejubelte Attraktion seiner Opernfestspiele, den mit dem Gütesiegel Rudolf Hartmanns versehenen Exportartikel (Mailand, London, Zürich) des Münchner Strauss-Stils. Für die Wiedereröffnung des Nationaltheaters 1963 war er geschaffen, danach mehrmals wieder in wechselnder Besetzung - Claire Watson statt Lisa della Casa, Hans Günther Nöcker statt Fischer-Dieskau - präsentiert worden.

Festgehalten hatte man dabei immer am Übergang vom zweiten Akt zum dritten ohne Pause, mit dem Orchestervorspiel zum dritten als Verbindungsmusik. Das war dramaturgisch ein Gewinn, weil die sich überstürzenden Ereignisse vom jäh aufschießenden falschen Verdacht Mandrykas gegen Arabella auf dem Fiakerball bis zur allseits glücklichen Lösung im Happy end wirklich rapid abrollten; musikalisch aber setzte es die Zuhörer einer allzulangen Durststrecke aus, denn daran ist ja wohl nicht zu zweifeln, daß zwischen dem wunderschönen Duett Arabella-Mandryka am Anfang des zweiten Akts und ihrem lyrisch blühenden Verlöbnis-Zwiegesang am Schluß des dritten die "Arabella"-Musik weit mehr ein Produkt der virtuosen Komponierroutine von Richard Strauss ist als eine Frucht seiner Inspiration.

Durch die Wiederherstellung der Originalgestalt wird die Durststrecke nicht kürzer; aber das Ohr, durch die Pause ausgeruht, kann sich besser auf ein paar witzige, sarkastische oder parodistische Details einstellen, die bei einem im Konversationsstil so geübten und geistreichen Musiker wie Strauss natürlich auch in der puren "Manufaktur" nicht fehlen, und von denen Wolfgang Sawallisch mit pointensicherer Hand auch keine einzige untergehen ließ. Bei der Fiakermilli indessen ist Hopfen und Malz verloren - sie ist gewiß die mißlungenste Bühnenfigur, die Strauss geschaffen hat mit der Umstilisierung einer volkstümlichen Jodlerkönigin (die die historische Milli war) in eine Hochseil-Koloratursoubrette, die nur aberwitzige Rouladen und Spitzentöne (bis zum hohen D) von sich gibt und sich mit keiner einzigen Note auf die Ahnenschaft einer Zerbinetta aus der "Ariadne" berufen kann. (Hildegard Uhrmacher setzte sich mit der extrem undankbaren Partie tapfer dem Buh einiger "Kenner" aus, die da meinten, man könne diese Kehlkopfartistik auch singen.)

Genug davon, wer die "Arabella" um ihrer in Hochblüte stehenden lyrischen Tönelandschaft willen liebt, wird auch das umliegende Brachland akzeptieren, das Wolfgang Sawallisch mit einer leichten, lockeren, dabei rhythmisch ungemein federnden Lustspiel-Klanggestik belebte. Er hielt darauf, daß ein wirkliches Parlando zustande kam, in den Dialogen auf der Bühne und in dem instrumentalen Glossarium im Orchester, vergaß nicht die Exaltiertheit, wo sie (bei Zdenko-Zdenka und dem unglückseligen Arabella-Anbeter Matteo) angebracht ist, und förderte, wo es immer ging, plastisch gegliederte musikalische Kleinformen zutage wie beispielsweise - ein Kabinettstück - die Variationen über das "Teschek, bedien’ dich!" Ausgezeichnet auch, wie Sawallisch dem doch ziemlich amorphen Durcheinander im Finale des zweiten Akts durch die straffe Akzentuierung der "balkanisch" rhythmisierten Motivfetzen, die Mandrykas immer wieder explodierendes Temperament charakterisieren, festere Konturen gab: Er ließ es nicht beim lauten Rumoren der im illustrativen Leerlauf ineinanderpurzelnden Notenmassen - er zwang sie zu einem durchmodellierten Klangrelief.

Auf der anderen Seite, wenn die "Musik in Prosa" poetisch wird, wenn die Kantilene in großem Bogen aufsteigt, gerät Sawallisch nie in klangtrunkenes Schwelgen; er differenziert aufs delikateste, die Orchesterfarben (das betörend schöne Holz, die winzigen Pianissimo-Trompetensignale, die, wenn Arabella vom "Richtigen" schwärmt, auf Mandryka als eben diesen hinweisen) und bleibt gegenüber der sängerischen Entfaltung stets in begleitender Distanz. Sein flexibles und intelligentes Musizieren bindet die auseinanderlaufenden Aspekte dieser zwiespältigsten aller Strauss’schen Opernpartituren.

Expansiver Fiakerfasching

Arabella ist jetzt Julia Varady. Sie ist weder die üppige Wiener Schönheit, noch ein eigentlich lyrischer Sopran. Aber mit ihrer des großen Affekts ebenso wie der zartesten Innigkeit fähigen Gesangskultur und ihrer schlanken, graziösen Erscheinung bildet sie die Kunstfigur einer aparten jungen Dame von etwas herbem Charme, ein bißchen launenhaft und verträumt, kokett und sehnsüchtig, selbstsicher und schwankend; vieles von Hofmannsthals eigener Interpretation seiner Arabella (in seinen Briefen an Strauss) ist in Frau Varadys Verkörperung verwirklicht. Ebenso bei Zdenka: Die Künstlichkeit und Unwahrscheinlichkeit dieser Gestalt des als Bub verkleideten Mädels verschwindet bei Edith Mathis völlig in der Aufrichtigkeit des Gefühls. Gesungen und gespielt entsteht hier bezaubernd und zuweilen fast ergreifend das Bild einer verwirrten Jungmädchenseele, erscheint im "Travesti" (Hofmannsthal) ganz unverhüllt das Zartest-Menschliche.

Dietrich Fischer-Dieskau ist in Gestalt, Haltung und Gesang der singuläre Mandryka geblieben, als den man ihn von früher kennt, fern von jeder "Mannsbild"-Schablone; die intellektuelle Profilierung des "halben Bauern", der doch ein Kavalier ist, führt er so souverän vor, daß sie wie Spontaneität wirkt. Unmanierlichkeit und Trunkenheit (im Duliöh-Finale des zweiten Akts) glaubt man ihm weniger, auch nicht so ganz das (glücksüberschäumende?) Herumschwenken seiner Arabella beim Verlobungskuß am Schluß. Mit dem Kümmerer Matteo, den Strauss natürlich für (den nicht so arg geliebten) Tenor geschrieben hat, kam Josef Hopferwieser mit Haltung und manchmal forciertem Stimmaufwand zurecht - viel ist mit diesem exaltierten Leutnant nicht anzufangen. Auch nicht mit den drei gräflichen Verehrern der Arabella (Hermann Winkler, Raimund Grumbach, Markus Goritzki), sie sind mehr Atrappen als Repräsentanten einer leichtfertig in den Tag hineinlebenden Wiener Biedermeier-Aristokratie.

Hertha Töpper war als Gräfin Adelaide nervös, elegant und mit Allüre das, was von der viel genauer ausgeführten Frau von Muska der "Lucidor"-Novelle, die dem "Arabella"-Libretto zugrunde liegt, übriggeblieben ist, und Kurt Böhme transponierte den Rittmeister a.D. Graf Waldner von einem etwas ramponierten Père noble in einen jovialen bürgerlichen Papa, dem man den leichtlebigen Offizier von einst nur schwer, die besessene Spielernatur schon gar nicht zu glauben vermochte.

Diese ganze etwas wurmstichige, aber durchaus noch nicht angefaulte Welt der "feinen" Wiener Leute um 1860 baute Peter Beauvais, zum ersten Mal Regiegast in der Bayerischen Staatsoper, zusammen aus Elementen des Milieustücks, der Genreszene und der intimen Familienkomödie, die zumal in der Personenführung reich an feinen, diskret-nachdrücklich konturierten Einzelzügen war, sich aber auch in ein Zuviel gerade an Milieuverdeutlichung und Genrehaftigkeit verlor. So sah man in dem Gang vor dem Hotelzimmer der Waldners die Sendboten ihrer Gläubiger, die dreiköpfige "Livree" Mandrykas und sogar das Hauspersonal hin- und herhuschen, so quälte sich auf dem Fiakerball ein dralles Flitscherl bis zur Lächerlichkeit vergeblich damit ab, mit einer Kutscherpeitsche zu knallen (so sollen die G’stanzln der Milli seinerzeit wirklich milieugerecht begleitet worden sein), und das Elternpaar Waldner mußte sich während der handfesten Auseinandersetzung um Arabellas angeblichen Verrat an Mandryka im letzten Akt zuweilen schier dumpfer Resignation überlassen. Da ist Peter Beauvais, den man aus seinen Fernsehinszenierungen als einen sehr genauen, "begründenden" Regisseur kennt, einfach einem zu expansiven Ausdeutungswillen erlegen. Vielleicht hat er sich dazu von dem reich ausgestatteten atmosphärischen Realismus der Bühnenbilder von Jürgen Rose verlocken lassen, der endlich einmal den Fiakerfasching nicht in einem üppigen Prunk- und Prachtsaal der "Gesellschaft", sondern in einer Art populärem Palais de Danse spielen ließ; die Wiener Sophiensäle oder die Sträußlsäle beim Theater in der Josefstadt mögen für diese höchst reizvolle Szenerie das Vorbild geliefert haben.

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In den Jubel des Publikums für die Sänger und den Dirigenten brachen, als auch Peter Beauvais vor den Vorhang trat, sofort die Buhrufe von der Galerie herein, die damit beantwortet wurden, daß die Künstler nicht mehr an der Rampe erschienen, der Vorhang geschlossen blieb und der "Eiserne" herabgelassen wurde.

Dazu ist zu bemerken: Es ist selbstverständlich unbestrittenes Recht der Zuhörer, wie ihren Beifall auch ihr Mißfallen zu äußern. Im Nationaltheater aber ist es geradezu ein Ritual geworden, daß bei jeder Premiere der dritte Rang der A-tout-prix-Mißvergnügten lauthals seinen Protest anmeldet, zumeist gegen die Regisseure. Man muß hier an vorgefaßte Absicht glauben, vergleichbar den berüchtigten Stehparterre-Demonstrationen in der Wiener Staatsoper, So ist es zu verstehen und zu billigen, daß diesen permanenten gezielten Aktionen die Künstler einmal mit einem "Vorhangstreik" antworten. Gleichwohl darf das nicht zur Gewohnheit werden. Man soll die Schreier schreien lassen - sie bringen weder das Haus zum Einsturz noch schaden sie seinem Ruf - und denen, die applaudieren, den Dank nicht vorenthalten.

K. H. Ruppel

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     Münchner Merkur, 2. Februar 1977     

    

Nationaltheater: Peter Beauvais inszeniert "Arabella" von Strauss

Viel zu teuer für verarmte Aristokraten

Julia Varady, die neue Arabella, besticht durch Stimme und Spiel / Souverän am Pult: Wolfgang Sawallisch

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Der Bühnenbildner Jürgen Rose ist im allgemeinen kein Mann der Andeutung. Aber er kann wohl als einziger in unserer Zeit Schauplätze auf die Bühne zaubern, in denen wirklich die Essenz und der Stil einer Ära präsent werden, und zwar nicht als Nachahmung oder Einfühlung, sondern mit der ungebrochenen Intensität, als stünde Rose selbst mitten in dieser Zeit. Hier verbinden sich mimosenhafte Einfühlungsgabe und eine minutiöse Kenntnis vergangener Stile, in diesem Fall spätes Biedermeier, mit einer überquellenden und zugleich disziplinierten Fantasie.

Bei Roses distinguiertem behaglichen Stadthotel hat man allerdings den Eindruck, daß es für den verarmten Aristokraten Waldner effektiv zu teuer ist. In Kontrast zu dieser Distinktion setzt Rose den einfacheren, dabei ebenfalls höchst harmonisch abgestimmten Vorraum zum Ballsaal für den Fiakerball.

Weniger souverän die Regie von Peter Beauvais. Er setzt auf bewegtes Spiel, hat eine sichere Hand in den leichteren Konversationsszenen, so gleich beim einleitenden Kartenschlagen und den Szenen Zdenka/Matteo. Neu, daß neben dem Salon der Waldners noch ein Stück des Hotelflurs sichtbar ist, auf dem man die Personen bereits vorher ankommen sieht, sich aber auch spielfremde Personen zu schaffen machen, die vom Eigentlichen nur ablenken und für die dem Regisseur dann praktisch doch nichts einfällt.

Oder er zerstört sich die Wirkung durch Überdeutlichkeit und seinen Hang, durch unnötiges Füllen und kleine realistische Mätzchen vom Wichtigen abzulenken. Bedienstete treiben sich auf der Szene herum, die voyeurhaft die privaten Auseinandersetzungen beobachten. Balzac sagt, überflüssige Häufung sei das Zeichen von Uneleganz. Genau das demonstriert Beauvais.

Wolfgang Sawallisch hat eine genuine Affinität zu Richard Strauss, zu seiner Instrumentations-Artistik, dem rauschenden Klang und seinem eingängigen Lyrismus. So schaltet er souverän über diese brillant gemachten, dabei nur oberflächlich empfundenen Tonkaskaden, läßt die Musik ohne Stockung, aber auch ohne gewaltsame Accelerandi vorüberrauschen. Er ist aber auch ein Dirigent für die Sänger, phrasiert in aller Deutlichkeit für sie, ja (in der heiklen Anfangsszene) singt förmlich mit ihnen.

Die Figur der Arabella wurde jahrelang identifiziert mit der für die Rolle prädestinierten Lisa Della Casa. Jetzt also die herbere und stärker vom Intellekt gesteuerte Julia Varady. Zunächst scheint an ihr, wenn sie kapriziös und launenhaft mit ihren Freiern spielt, noch alles in der Schwebe. Aber sowie der "Richtige" erscheint, zeigt sie ihre völlig reine, ihrer selbst sichere Seele.

In allen drei Akten steht Arabella auf der Bühne und hat in den höchsten Lagen zu singen. Aber je länger, je gefestigter scheint die Stimme von Julia Varady zu klingen. Sie besticht durch Geschmeidigkeit im seelischen Ausdruck, die Fähigkeit, letzte psychische Regungen in Gesang ausschwingen zu lassen, durch die Schönheit ihrer weitgespannten Legatobögen. In völligem Einklang dazu das verhaltene Espressivo ihres Spiels.

Bewundernswert wieder die Präsenz von Fischer-Dieskau. Selbst wenn dieser Mandryka keinen Finger rührt, keinen Ton singt, zwingt er den Blick auf sich. Vielen macht es Schwierigkeiten, die zwei Seiten von Mandrykas Wesen auf einen Nenner zu bringen, die Urwüchsigkeit dessen, der auf dem Balkan Bären jagt, und die Sensibilität eines empfindlichen Herzens, das unfehlbar zwischen Echtem und Unechtem unterscheidet. Es stört sie, wenn Mandryka auch mit aller Sicherheit einen Frack tragen, sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegen kann.

Für Fischer-Dieskau gibt es da keinen Bruch. Er erfaßt die Figur in ihrer komplexen Breite, strahlt die Wärme und das Zartgefühl aus, die nötig sind, Arabellas Stolz beim ersten Anblick zu schmelzen, ist aber auch kernig und kraftvoll genug, daß man ihm seinen Kampf mit dem Bären glaubt.

Zdenka, ursprünglich (in Hofmannsthals erster Fassung "Lucidor") die Hauptperson der Handlung, darf zwar immer noch die tragischen Konflikte ankurbeln, steht sonst aber ganz im Schatten Arabellas. Eigentlich ist sie ja eine völlig unwahrscheinliche Figur, ein etwa achtzehnjähriges Mädchen, das als Knabe herumläuft (aus Kosten-Ersparnis!), sich leidenschaftlich in den Matteo verliebt, aber alles tut, um ihn und ihre Schwester Arabella zu kuppeln.

[...]

Natürlicher kann diese heikle Figur kaum gespielt werden als von Edith Mathis. Sie hält sie völlig frei von üblicher Hosenrollenkoketterie, ist in Spiel und Stimmklang eine einzige Erregung und gönnt sich nur hier und da ein Ausschwingen ihres lyrisch schmelzenden Soprans.

Glaubwürdig in seiner jugendlichen Exaltiertheit der Matteo von Joseph Hopferwieser, vibrierend vor Nervosität und innerer Gespaltenheit. Die Reihe der weiteren Liebhaber, schon bei Hofmannsthal blaß und schemenhaft gezeichnet, führt Hermann Winkler mit heldentenoraler Wucht an. Kurt Böhme ist ein gehörig vertrottelter, die Komik der Figur voll ausspielender Waldner. Hertha Töpper spielt diskret zurückhaltend die etwas törichte Mutter. Und eröffnet (und "prophetisch" vorweggenommen) wird das Stück von Martha Mödl, einer Kartenaufschlägerin, die selbst schon wie eine vergilbte Spielkarte hergerichtet ist.

Helmuth Schmidt-Garre

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     Abendzeitung, München, 2. Februar 1977       

Arabellas Wunden sind jetzt geheilt

   

Kaum war der Schluß-Jubel nach der "Arabella"-Premiere im Nationaltheater richtig losgebrochen, da kam es zum Eklat. Einige ewige Ignoranten frönten ihrem schlechten Sport, über den Regisseur Peter Beauvais und seinen Ausstatter Jürgen Rose statt fetter Bravo-Rufe ein mageres "Buh!" herniedergehen zu lassen. Der Vorhang schloß sich, der Eiserne senkte sich herab, und niemand ward mehr gesehen im Rampenlicht. Bitteres Ende einer glanzvollen Premiere.

Diese "Arabella"-Produktion ist fabelhaft. Sie kommt einer Ehrenrettung des meist leicht mokant angesehenen Stückes gleich. Wenn schon noch das schlimme Wort von der "Arabella" als einer frustrierten Operette sein muß, dann kann man künftig getrost erwidern: Ja, aber eine von Offenbach, nämlich voller sarkastischer Schärfe, voll Ironie, genau in der Beschreibung gesellschaftlicher Zustände.

Das ist das Verdienst von Peter Beauvais und Jürgen Rose. Wie Rose mit ein paar Kratzern im Lack und mit ein paar Flecken auf der Tapete, mit ein bißchen Staubgrau über allen Farben die Atmosphäre eines leicht angegammelten Luxushotels in Wien anno 1860 herstellt und dann diese werkgemäße Richtigkeit gleichzeitig wieder ummünzt in prachtvolle Bilder, das ist eben die höchste Kunst der Theaterausstattung.

Richtigkeit - das ist auch das Stichwort für Beauvais’ Regie. Er inszeniert das Stück, wie Strauss und Hofmannsthal es geschrieben haben, aber er scheint der erste Regisseur zu sein, der es richtig und gründlich gelesen hat. Gerade wer die gewiß auch wunderschöne Hartmann-Inszenierung der "Arabella" noch kennt, muß ständig gestutzt haben: so hat er diese Szene nicht in Erinnerung, so reagiert Arabella an dieser Stelle doch sonst nicht. Aber Beauvais hat immer recht mit dem, was er zeigt, was er machen läßt.

Dazu trägt noch ein weiteres bei: man spielt das Werk ungekürzt. Die Wunden, die man selbst in München bisher dem Werk mit dem Rotstift geschlagen hatte, sind verheilt. Im zweiten und dritten Akt sieht man Szenen, hört man Musik, die seit Menschengedenken verschollen waren. Nun stimmt die Geschichte wieder, nun stimmen auch die Proportionen der Akte wieder. "Zdenkerl, Du bist die bessere von uns zweien" singt nun Arabella im dritten Akt. Nie gehört, aber für den Charakter der "Arabella" mindestens so wichtig wie ihr beharrliches Warten auf den Richtigen.

Dieser Richtige namens Mandryka ist Dietrich Fischer-Dieskau. Prächtig bei Stimme und bei ebenso guter Spiellaune, gepaart mit dieser sängerischen Intelligenz und diesem dramatischen Instinkt, sorgt er für ein Jahrhundertereignis der Operndarstellung. Wie er ein bißchen slawischen Akzent spricht, ein bißchen betrunken ist, wie er Edelmann und Bauer zugleich ist: grandios.

Ein ganz neues Profil gibt Julia Varady als Arabella: ein Mädchen, für das es Zeit ist zu heiraten, das gelitten hat an der Familie und darüber zur Persönlichkeit gereift ist. Arabella als Charakter, nicht als Figur. Charaktervoll auch ihr Gesang: mehr als pure Schönsingerei, nämlich Erfüllung der Musik. Daneben Edith Mathis als ganz mädchenhafte Zdenka; ein Idealpaar. Bis auf Hildegard Uhrmachers unzureichende Fiakermilli sind alle Partien trefflich besetzt: Waldner mit Kurt Böhme, die Gräfin mit Hertha Töpper, der Matteo mit Josef Hopferwieser, der Elemer mit Hermann Winkler, die Kartenaufschlägerin mit Martha Mödl.

Daß Wolfgang Sawallisch als Strauss-Dirigent in seinem Element ist, weiß man längst. Wozu also noch schreiben, wieso und warum seine "Arabella" so gut ist.

Reinhard Beuth

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     Kurier, Wien, 2. Februar 1977     

Neue "Arabella" an der Bayerischen Staatsoper

Julia Varady: Sie ist die Richtige nicht dafür...

    

Jahrelang zählte Rudolf Hartmanns "Arabella" mit Lisa della Casa, Anneliese Rothenberger und Dietrich Fischer-Dieskau zu den Höhepunkten des Münchner Repertoires. Seit Montag gibt’s nun an der Isar eine Neuinszenierung. Von Peter Beauvais. Eine traurige Angelegenheit.

Ursprünglich war ja Jean Pierre Ponnelle für diese Produktion ausersehen. Und sagte dann ab, weil er - angeblich - dem Stück mißtraute: Hofmannsthal und Strauss hätten nach 1914/18 eine belanglose Operette geschrieben, ohne Rücksicht auf die wahren historischen und sozialen Gegebenheiten der Zeit. So ungefähr lautete - erinnere ich mich recht - sein Argument.

Es klang damals recht fadenscheinig. Denn es gibt wahrlich dümmere Opern als "Arabella" - und keinem Regisseur der Welt würde es einfallen, sie nicht zu realisieren. Mir kam Montagabend vielmehr der Verdacht, Ponnelle hätte an den Möglichkeiten der Besetzung gezweifelt und sich geschickt aus der Affäre gezogen. Denn Julia Varady, die großartige Vitellia und Elektra (im "Idomeneo"), läßt als Arabella so ziemlich alle Wünsche offen.

Die Varady scheint sich einen Satz Zdenkas besonders zu Herzen genommen zu haben. "Ich will nicht eine Frau sein, so wie du eine bist. Stolz und kokett und kalt dazu", singt die kleine Schwester - und die große tut alles, diese im Zorn herausgeschleuderte und natürlich ungerechte Beschuldigung zu erfüllen.

So stimmt es nicht

Verkrampft und unfreundlich wandelt die Varady - ein lebender Eisblock - durch die Salons. An Charme gebricht es ihr, an Weichheit, an mädchenhafter Verträumtheit. "Heut’ abend ist Faschingdienstag", singt sie - und es klingt, als müsse sie zum Zahnarzt. Auch ihr Verhältnis zur Männerwelt (Hermann Winkler als Elemer, Raimund Grumbach als Dominik, Markus Goritzki als Lamoral) scheint gestört: Sie mag keinen, zeigt allen die kalte Schulter.

Und das stimmt, bitte, nicht. Denn Arabella amüsiert sich ja köstlich, wenn auch gelegentlich von Sehnsüchten nach Besserem befallen, bis Mandryka auftaucht. Und auch dann will sie noch "Abschied nehmen von der Mädchenzeit" und tanzen. Gerade dieses Doppelbödige, dieses Morbide und im nächsten Augenblick wieder Ausgelassene, dieses Hofmannsthalsche "ein halb mal lustig, ein halb mal traurig" - das haben die Varady und ihr in der Personenführung ziemlich hilfloser Regisseur Peter Beauvais leider nicht begriffen.

Auch stimmlich hat die Varady Mühe, ihr Prachtmaterial dem Straussschen Melos anzupassen. Da werden Kantilenen durch Atemnot unterbrochen, da entschädigen gute Passagen nicht für arge Artikulationsmängel und Piano-Schwächen.

Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka: eine Mischung aus Prinz Orlofsky und Baron Ochs mit eigenartiger Dialektfärbung. Gesanglich trotzt er den Orchesterwogen immer noch, aber den Bärenjäger aus der Walachei, den Gospodar aus einer halb-fremden Welt, den glaubt man ihm halt kaum, auch wenn ihm Beauvais einen Leibjuden und Leibzigeuner mit auf den Weg gibt,

Ein Zauberwesen

Bleibt Edith Mathis, als Zdenka, die einzig richtige, stimmige Figur des Abends - ein Zauberwesen voll rührendem Liebreiz sowohl im Gymnasiastenanzug als auch im Mädchenkleid. Wenn sie auf der Bühne steht (die Jürgen Rose wieder einmal mit Geschmack ausgestattet hat), dann kommen Strauss und Hofmannsthal endlich wieder zu ihrem Recht.

Von den konventionellen Randfiguren (Hopferwieser als Matteo, Böhme als Waldner, Töpper als Adelaide, Mödl als Kartenaufsachlägerin) fiel Hildegard Uhrmacher (Fiakermilli) stimmlich unangenehm auf. Auch Wolfgang Sawallisch erhielt nicht die volle Zustimmung des Publikums, worauf sofort der Eiserne fiel...

Andrea Seebohm

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     Tiroler Tageszeitung, 5. Februar 1977    

Spektakuläre "Arabella" an Bayerischer Staatsoper

Strauss-Oper in Originalfassung – Regisseur Beauvais, Ausstatter Rose, Sawallisch am Pult

    

Die Neuinszenierung einer "Arabella" an der Bayerischen Staatsoper – in der Richard-Strauss-Stadt München – ist mit großen Hypotheken belastet. Diese Hypotheken sind aus mehreren Einzelposten zusammengesetzt: einmal liegt das ja am Werk selbst, denn die 1933 in Dresden zur Uraufführung gelangte "Arabella" wird wohl immer an dem 22 Jahre jüngeren "Rosenkavalier" gemessen, zum anderen haben die Münchner Opernfans noch immer die von Rudolf Hartmann für das Prinzregententheater geschaffene, später ins Nationaltheater übernommene Modellinszenierung – mit Joseph Keilberth am Dirigierpult und Lisa della Casa in der Titelpartie – in lebendiger Erinnerung.

Zur ersten Problemstellung darf angemerkt werden, daß in den letzten dreißig Jahren die Eigenständigkeit der "Arabella" doch überzeugend gewachsen ist. Der epische Charakter, der dem Werk zunächst übelgenommen wurde, steht dieser Oper nicht mehr im Weg, denn das Publikum von heute hat einen Hang zu verwelkenden, sich auflösenden Epochen, das hängt wohl mit dem Sensus für Nostalgie zusammen, mit einer weichen, neoromantischen Welle, die Jürgen Rose in seiner Ausstattung des Hotels (Luxus mit Stich!) trefflich charakterisieren konnte (ein exzellenter Einfall: der Blick auf den Flur des Hotels, auf dem sich ständig Zimmerkellner, Lakaien und andere subalterne Gestalten umhertreiben). Das Problem der Interpretation haben der musikalische Leiter Wolfgang Sawallisch und der Regisseur Peter Beauvais sehr couragiert angegangen, indem sie sich zunächst einmal entschlossen haben, die in München noch nicht gezeigte Originalfassung zu spielen (die Erweiterungen betreffen dabei in erster Linie den 3. Aufzug).

Aber Peter Beauvais, der alles bis ins letzte Detail durchdacht haben mag, hat den 2. Aufzug nicht so recht in den Griff bekommen; es ist zuwenig Leben in diesem Etablissement, alles ist nur Attrappe um die große Liebeserklärung Mandrykas. Der Ball selbst muß immer präsent bleiben, Beauvais läßt aber die Lichter löschen, das Ballhaus wirkt wie in tiefen Schlaf gesunken, nur um das Liebespaar in die "Totale" zu zwingen.

Im rein musikalischen Bereich dieser Aufführung ist von optimalen Voraussetzungen zu berichten. Sawallisch hat mit dem exemplarisch reagierenden Bayerischen Staatsorchester die Strauss-Partitur richtiggehend durchforstet, er zieht die Tempi ziemlich an, schreckt auch vor deftigen (genau nach Partitur!) Akzenten nicht zurück und findet immer wieder die Ruhe, um die schönsten Melodien des Werkes ausschwingen zu lassen. Beispielhaft ist es, wie Sawallisch die Sänger führt, und hier zeigt sich der souveräne Operndirigent von seiner besten Seite. Freilich, wer das Traumpaar Julia Varady – Dietrich Fischer-Dieskau hat, der wird ja auch von der Bühne her geradezu gefordert, sich selbst zu übertreffen. Julia Varady kann sich nicht – wie einst Lisa della Casa – von ihrer äußeren Schönheit tragen lassen, sie muß ihren weiblichen Charme erst erspielen, und es ist ein Ereignis, wie sie schon im 1. Aufzug das Flair des Jungmädchenhaften ausstrahlt. Ihr unvergleichliches Timbre verbindet sich mit dem hellen, frei sich entfaltenden Sopran von Edith Mathis auf ideale Weise. Fischer-Dieskau investiert jugendliches Feuer in die Rolle des Mandryka, und seine Eifersuchtsszene ist ebenso überzeugend wie sein stummes Zögern beim ersten Anblick der Arabella. Ausgezeichnet auch Kurt Böhme als Graf Waldner, dem man nicht nur den Rittmeister a.D., sondern auch die Bühnenfigur einer lyrischen Komödie abnimmt, die sie nun einmal ist. Josef Hopferwieser (Matteo), Hermann Winkler (Graf Elemer), Hertha Töpper (Adelaide) und Martha Mödl (Kartenaufschlägerin) sind noch besonders zu erwähnen. Die Akteure sowie Sawallisch und sein Staatsorchester wurden mit stürmischen Ovationen bedacht, als sich aber Peter Beauvais und Jürgen Rose zeigten, mischten sich auch Buhrufe unter den Beifall, was die Leitung des Hauses zu einer unverständlichen Reaktion veranlaßte: es wurde der eiserne Vorhang heruntergelassen – wie kann man nur so die Nerven verlieren und damit ungewollt den oppositionellen Teil der Galerie aufwerten?!

Karl-Robert Danler

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     Neue Zürcher Zeitung, 4. Februar 1977     

Eine neue Münchner "Arabella"

Premiere im Nationaltheater

    

Eine dankbare, aber auch eine schwierige Aufgabe, die "Arabella" im Nationaltheater neu zu inszenieren. Dankbar deshalb, weil die letzte Gemeinschaftsarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zu den erklärten Lieblingswerken des Münchner Publikums zählt und seit mehr als sechs Jahren, seit der Festvorstellung zum 70. Geburtstag des Regisseurs und früheren Intendanten Rudolf Hartmann, nicht mehr auf dem Spielplan gestanden hat; schwierig aber, weil eben jene Inszenierung sowohl von der Sängerkonstellation (Lisa della Casa als Arabella, Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka und Anneliese Rothenberger als Zdenka) wie von der Personenführung und Dekoration her dem Werk wohl das äußerst Mögliche an subtiler psychologischer und atmosphärischer Durchdringung abgewonnen hatte. Jene "ideale "Arabella"" freilich, das sollte man angesichts der neuen nicht übersehen, war in jahre- und jahrzehntelangem Umgang mit dem Werk gereift. Peter Beauvais dagegen, der diesmal - anstelle des ursprünglich vorgesehene Jean-Pierre Ponnelle - Regie geführt hat, besitzt in der Gattung Oper insgesamt noch wenig Erfahrung und hat nun in München seine erste Strauss-Inszenierung vorgelegt. Seine Zürcher Einstudierungen von Reimanns "Melusine" und Debussys "Pelléas et Mélisande" haben indessen erkennen lassen, daß Beauvais nicht auf radikale Änderungen und Neuerungen zielt, sondern sehr behutsam vorgeht, stets um Sinnfälligkeit und Verdeutlichung des Geschehens bemüht.

Beides wird durch seine Münchner "Arabella" bestätigt, wobei es aber an neuen, teils sinnvollen, teils eher werkfremden Akzenten nicht fehlt. Zu letzteren zählt die Zweiteilung des Bühnenbildes im ersten Akt. Der graugrün tapezierte Salon des Wiener Stadthotels (Bühnenbilder und Kostüme: Jürgen Rose), der mit seinen biedermeierlichen Dekorationselementen gewollt altmodisch und bescheiden wirkt, nimmt die größere rechte Bühnenhälfte ein, während man links in einen immer wieder von Gästen, Personal und schließlich von den drei Dienern Mandrykas (neben dem Leibhusar treten schon jetzt Djura als Leibzigeuner und Jankel als Leibjude auf) belebten Gang blickt. Das lenkt nicht nur vom eigentlichen Geschehen ab, sondern schmälert auch die Wirkung der solcherart unterbrochenen Auftritte von Arabella und Mandryka. Aber auch im Salon selbst gibt es störende Elemente. So erhalten die Szenen der Kartenaufschlägerin und Adelaides durch stimmliches Forcieren und opernhaft-stereotype Gebärden der beiden Rollenträgerinnen (Martha Mödl und Hertha Töpper) mehr Gewicht, als ihnen in der Exposition der "lyrischen Komödie" zukommt. Ebenfalls strapaziert wird das Spiel mit Arabellas Photographie. Welko entnimmt sie einem eigens dafür angefertigten Kästchen. Handgreiflich steht das großformatig gerahmte Bild bei der Werbung vor Mandryka auf dem Tisch. Ein hübsches Detail dagegen die Reaktion des Zimmerkellners, der die Noten in der Hand des verarmten Waldner (Kurt Böhme) gesehen hat: beflissen legt er im Ofen Holz nach.

Wie "zweifelhafte Existenzen" die Waldners sind, wird noch deutlicher im zweiten Akt, der weitaus die größten Änderungen gegenüber der Hartmannschen Inszenierung bringt. Was dort ein eleganter Ballsaal mit mondänem, prunkvoll gekleidetem Publikum war, ist jetzt nur mehr ein zweigeschossiger, von dünnen, mit Weinranken verzierten Pilastern gestützter Vorraum mit einfachen Wirtshausstühlen und karierten Tischtüchern, wenigen bürgerlichen und vielen Gästen aus der Demimonde. Vom Festsaal sieht man lediglich die links ins obere Geschoß sich öffnende Tür. Das alles mag, bedenkt man das ordinäre Milieu der Wiener Fiakerbälle, historisch richtiger sein, aber schöner war die frühere Lösung doch.

Der Mittelakt ist ja wohl für den Regisseur überhaupt der anspruchsvollste: "jene vielen wechselnden Momente zu zweien, zu dreien, zu vieren, welche..., immer mehr oder weniger in den fortlaufenden Walzer eingewebt, zugleich den Fortgang der Handlung, das lebendige Sich-Beglaubigen der Figuren und ein gewisses buntes glitzerndes, hie und da derbes, hie und da sentimentales Atmosphärisches darbieten müssen" (Hofmannsthal). Hier vor allem wird sichtbar, daß es Beauvais an Vertrautheit mit dem Werk noch fehlt. So schön die Einzelszenen von Arabella und Mandryka, aber auch Arabellas Abschiednehmen von den drei Grafen (Elemer: Hermann Winkler, Dominik: Raimund Grumbach, Lamoral: Markus Goritzki) gestaltet sind, so wenig läßt sich das Arrangierte mancher Gruppierungen übersehen, am wenigsten natürlich dann, wenn die Solisten von der weit entfernten Galerie herab zu singen haben. Jene reizvolle Balance zwischen Massen- und Einzelszenen, zwischen Repräsentation und Intimität, die Hofmannsthal und Strauss so kunstvoll gestaltet haben: hier droht sie immer wieder aus dem Gleichgewicht zu fallen.

Im Schlußakt dann aber, der jetzt durch eine Pause vom zweiten getrennt ist und zumindest im Grundriß, wenn auch nicht in der schweren gründerzeitlichen Ausstattung Reminiszenzen an die frühere Inszenierung weckt, erweisen sich, je tiefer die seelischen Spannungen und Konflikte werden, die eigentlichen Vorzüge von Beauvais’ konzentrierter Personenführung. Die klare Konturierung, die zuvor oft als Outrierung empfunden wurde, wird hier mit einem Mal legitim.

Solche Steigerung zum Schluß hin findet allerdings ihr Korrelat auch im je verschiedenen Naturell der Hauptdarsteller. Julia Varady ist eine Arabella, deren Stolz wirklich so groß scheint wie ihre Schönheit, von ernstem, bestimmtem Wesen, etwas skeptisch wohl, stets Herrin der Situation und stimmlich wie darstellerisch kaum begabt zur unverbindlichen Tändelei. Um so ergreifender das Aufblühen ihres klaren, fast etwas herben Soprans. Eine große künstlerische Leistung nicht zuletzt deshalb, weil es Julia Varady gelingt, sich neben dem erfahrensten, unübertroffenen Mandryka zu behaupten. Als einziger der früheren Protagonisten hat Dietrich Fischer-Dieskau seine Rolle behalten, und da ist wieder alles gegenwärtig, was seit je den einzigartigen Zauber seiner Interpretation ausmacht, die Mischung aus Urwüchsigkeit und Eleganz, aus kindlicher Naivität und gefährlicher Heftigkeit, aus tiefem Ernst und charmantestem Humor, dies alles vermittelt durch eine unnachahmliche Fülle an vokalen und sprachlich-deklamatorischen Ausdrucksnuancen. Doch das Erstaunlichste: nichts davon wirkt routinehaft oder gar abgenützt, alles scheint spontaner Eingebung und Empfindung entsprungen.

In der Gestaltung durch Edith Mathis und Josef Hopferwieser sind aber auch Zdenka und Matteo weit mehr als bloße Kontrastfiguren. Edith Mathis, in der Verkleidung als Zdenka im rechten Maße burschikos, vermag auch stimmlich die Entwicklung zur hingebenden Innigkeit, zum jubelnden Glück mit reichen Schattierungen nachzuvollziehen, und Josef Hopferwieser hält sich als Matteo mehr als brav, das Weinerliche der Rolle durch die Prägnanz seines kräftigen Tenors auffangend.

Die Steigerung, welche die Premiere im inszenatorischen und sängerischen Bereich kennzeichnete, erstreckte sich auch auf das Orchester. Gelang es Wolfgang Sawallisch im ersten Akt noch nicht, den leichten Fluß des Konversationsstils zu verwirklichen, so klang das Orchesterspiel späterhin immer gelöster und transparenter, ohne daß die ariosen Verdichtungen darob vernachlässigt worden wären. - Trotz den offensichtlich gegen den Regisseur gerichteten Unmutsäußerungen schienen die Münchner glücklich, die "Arabella" wiederzuhaben.

m. v.

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     Neue Osnabrücker Zeitung, 3. Februar 1977    

Nicht nur der Charme ist ramponiert

Die neue Münchner "Arabella"

    

"Wir sind nicht gerad’ sehr viel. Wir laufen halt so mit als etwas zweifelhafte Existenzen": Mit diesen Worten umreißt Arabella ihrem Zukünftigen Mandryka die Familie, in die er einzuheiraten gedenkt, und von diesen Worten her revolutionieren Peter Beauvais und Jürgen Rose die erste Münchner Nicht-Rudolf-Hartmann-Inszenierung dieser "lyrischen Komödie" seit 1939.

Das Logis des dem Spielteufel verfallenen derangierten Rittmeisters a.D. Waldner macht sofort klar, daß es sich um ein erstes Hotel dritter Klasse handelt, der Hautgout der Lage, das Drängen der Gläubiger, der aufsässige Kellnerton passen gut zu der Situation der deklassierten Offiziersfamilie.

Die Absage an die Pracht eines Ringstraßen-Hotels bedingt Ballsäle des "Elysiums", die mit den Redoutensälen der Hofburg nicht mehr verwechselt werden können. Ballsirenen weisen das Etablissement auch als Umschlagplatz für Partner aus, das "Bagagi" ist das des heruntergekommenen Wiens vor Königgrätz, 100 Jahre nach "Rosenkavalier", wo nicht nur der Charme ramponiert ist.

Beauvais und Rose heben das Sozialkritische heraus, ohne das Libretto zu vergewaltigen. Realität, sonst meist mit Märchenglorie aus K.-und-K.-Zeiten verbrämt, wird gewonnen, einmal freilich nur Poesie: Die Neigung zwischen der selbstbewußten Aristokratin und dem reichen Naturburschen aus der Walachei wird zu einer Traumhochzeit führen, von der alle Illustrierten berichten werden...

Alle Gestalten sind psychologisch durchdacht, lebendig gezeichnet, mit menschlichen, nicht opernhaften Emotionen, ein wundersam gescheites Lustspiel fesselt.

Die klugen Herren haben nur Strauss vergessen, der Hofmannsthals Gedicht mit seiner Musik übergossen und Gestalten geschaffen hat, deren Singen und Sprechen nicht immer identisch ist. Da mag auch Wolfgang Sawallisch das gefühlssparsame Orchester ruhelos durch die Partitur hetzen, die kurzen charakterisierenden Motive brillant pointieren, kein Verweilen, kein Herzstocken dulden: Die Konzeption der szenisch-musikalischen Entzauberung und Entsentimentalisierung "Arabellas" ist interessant, aber beglückt nicht, deckt die Schwächen der Partitur gnadenlos auf und das Hinwegeilen über die lyrischen Höhepunkte vorenthält ihr das Beste. Dieses mit Meisterschaft mehr mit Inspiration komponierte selig vertrottelte Lebenslied des spätkaiserlichen Wiens wird schal.

Gesungen wird teils Strauss, teils Italienisch mit schwer verständlichem Deutsch, teils miserabel. Dietrich Fischer-Dieskau, sehr jung und drahtig, ja elementar wirkend, macht aus der etwas einfältigen "geraden" Figur einen spannungsvollen Millionenbräutigam, Mandryka ist ein ländlicher Vulkan in chevaleresker Form, singt hinreißend und wortdeutlich. Julia Varady singt hinreißend und wortundeutlich und läßt rätseln, was ihre Arabella außer einer grandiosen Verdi-Sopranistin sein soll: Die österreichische Mischung aus distinguiertem Leichtsinn, graziöser Würde, kokettem Ernst, kapriziöser Verspieltheit und Innigkeit, Melancholie und endlich hemmungsloser Verliebtheit entspricht diesem lodernden Temperament überhaupt nicht. Edith Mathis’ glockenklarer Sopran entsprach Sawallischs nüchternem Klangsinn, kaum Zdenkas erotischem Reiz, er wußte nichts von den Verwirrungen eines vom ersten Feuer des Eros entzündeten Mädchenherzens. Unter den Randfiguren am köstlichsten: Kurt Böhme als Graf Waldner.

Unendlicher Jubel für Sänger und Dirigent, Buh für die Szeniker; dann fiel der eiserne Vorhang, wohl zur Erziehung des Publikums. Offensichtlich erwartet die Staatsoper nur dankbare Zustimmung.

Klaus Adam

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     Nürnberger Nachrichten, 2. Februar 1977     

Die "Arabella"-Premiere im Bayerischen Nationaltheater endete mit einem Skandal

Mit derber Überzeichnung

     

Buhchöre für Regisseur Peter Beauvais, Ovationen für Sawallisch und die Sänger - Zum Schluß der Eiserne Vorhang

Mit dem unnötigsten aller Theaterskandale endete im Münchner Nationaltheater die musikalisch von GMD und Interimsintendant Wolfgang Sawallisch auf höchsten Feinschliff gebrachte, inszenatorisch dagegen etwas grobhändige Premiere der "Arabella" von Richard Strauss. Die Buhrufe, die von der Galerie herab den Regisseur Peter Beauvais empfingen (für Sawallisch hatte es Ovationen gegeben), waren eigentlich, gemessen am ortsüblichen, gar nicht so hart, aber die Herren sind halt sehr sensibel; prompt ging also der Eiserne Vorhang herunter, und das Publikum, das in seiner überwältigenden Mehrheit doch brav gejubelt hatte, bekam zur Strafe seine Stars nicht mehr zu sehen. Das macht natürlich böses Blut, die Buhchöre kamen nun aus dem Parkett. Unentwegte harrten noch lange aus und rührten tapfer die Hände, aber die Direktion blieb unerbittlich und der Eiserne Vorhang geschlossen.

Zu diesem Eklat führte das Mißgeschick einer Inszenierung, die selbst eine Episodenrolle wie die Kartenaufschlägerin mit Martha Mödl hochkarätig besetzte, aber die Darsteller am allzu langen Zügel führt (vor allem Kurt Böhme als Graf Waldner legt sich mit komödiantischen Alleingängen kräftig ins Zeug) und deftige Überzeichnung mit Realismus verwechselt. Statt der zarten Zwischentöne eines feinsinnigen Spiels um Schein und Wirklichkeit bot Beauvais - der in der kommenden Saison (Premiere 24. Januar 1978) im Nürnberger Opernhaus "Ariadne auf Naxos" inszenieren wird) - ein grobgestricheltes Operettenlibretto voller Ungereimtheiten (der verliebte Mandryka trägt Arabellas Bild im schweren Rahmen vor sich her) und mit ausgesprochen derben Zügen beim Fiakerball im zweiten Akt. Mit der vordergründigen Direktheit dieser Inszenierung ließ sich weder die psychologische Sensibilität des Hofmannsthalschen Textes erreichen, noch ein differenziertes Bild der Wiener Gesellschaft um 1860 zeichnen, für das Jürgen Roses Bühne mit erlesenem Geschmack und leicht morbiden Farben die Folie von mürbem Prunk und beginnendem Verfall lieferte.

Weitaus überzeugender geriet der musikalische Teil der Aufführung. Wolfgang Sawallisch, in Hochform, ließ mit berückender klangfarblicher Delikatesse und geschmeidiger Deklamation musizieren und sorgte für vollendeten Einklang zwischen Bühne und Orchestergraben. Auch vokal war die Welt in Ordnung, sieht man von dem etwas flachen Matteo Josef Hopferwiesers und kleinen Trübungen bei Hildegard Uhrmachers Fiakermilli ab. Außerordentliches leisteten vor allem die Protagonisten. Dietrich Fischer-Dieskau, mit der Rolle des Mandryka seit langem verwachsen, zeichnete mit samtener Kraft ein vielschichtiges Charakterporträt des kroatischen Magnaten, Julia Varady gab mit ihrem dramatischen Timbre der Titelpartie einen fast schon rollensprengenden Fundus von herber Leidenschaft, aber auch die nötige lyrische Wärme. Zart und innig formte Edith Mathis die Figur der Zdenka, des zurückgesetzten Mädchens in Knabenkleidern. Die beleidigte Reaktion der Theaterleitung brachte auch die Sänger um ihren vollen Triumph.

Hans Krieger

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     Rheinischer Merkur, Koblenz, 11. Februar 1977     

Die richtige Arabella

Richard Strauss’ oft verkannte Oper - Neuinszenierung in München

    

"Er ist der Richtige nicht für mich", sinniert Arabella über den Jägeroffizier Matteo, der ihr so ausdauernd den Hof macht, und auch die drei Grafen Elemer, Dominik und Lamoral werden nicht erhört. Warum eigentlich nicht? Was unterscheidet die vier von jenem "Richtigen, der einmal dastehen wird" und auf den Arabella wartet, nicht just an jenem Morgen des Faschingsdienstags des Jahres 1860, sondern doch schon seit Jahren, ihre ganze Mädchenzeit hindurch, von der sie nun endlich, im letzten Moment, Abschied nimmt - der Faschingsdienstag hat ja in Hofmannsthals Text auch seine symbolische Bedeutung. Der Richtige, so weiß man, ist der ungarische Magnat Mandryka, richtig für den Brautvater, Graf Waldner, weil er die zerrütteten Vermögensverhältnisse saniert, richtig für die Mutter, weil er elegant genug und auch von Stand ist. Aber weshalb er für Arabella, die soviel Spaß an Ballvergnügungen und Wiener Leichtlebigkeit hatte, der Richtige sein soll, dem sie willfährig in die Gottverlassenheit seiner slawonischen Latifundien folgt, das war nie so recht einzusehen.

In der Neuinszenierung von Richard Strauss’ Oper "Arabella" an der Bayerischen Staatsoper in München sieht man es ein, und einiges mehr dazu. Peter Beauvais, als Fernsehregisseur zu Ruhm gelangt, seit einigen Jahren und nun immer regelmäßiger Gast in der Oper ("Lucia di Lammermoor" in Hamburg, "Meistersinger" in Berlin, "Pelléas" in Zürich), gelang im Verein mit seinem Ausstatter Jürgen Rose eine Inszenierung, die auf kühne und bedeutende Weise geglückt ist. Sie krempelt nichts um, sie pfropft dem Werk nichts Fremdes auf, Beauvais’ Kühnheit liegt darin, daß er dieses Werk, das man längst als sentimentalen Abglanz der Zusammenarbeit Strauss-Hofmannsthal und darüber hinaus der deutsch-österreichischen Oper überhaupt abqualifiziert hatte, bitter ernst nimmt, keinen Vorbehalt akzeptiert.

Indem Beauvais und Rose das Stück nicht mit den gängigen Pauschallösungen der Oper bemänteln, sondern es Detail für Detail zeigen, von der fleckigen Tapete des leicht angegammelten, früher einmal noblen Hotels bis zur blechernen Kaffeekanne, aus der sich die gräfliche Familie bedient, da der Zimmerkellner ja nichts mehr servieren darf, bis die überfälligen Rechnungen beglichen sind, indem hier mit photographischer Schärfe eine untergegangene Zeit rekonstruiert wird, wächst dem Werk jene im Musiktheater so seltene Qualität zu: Wahrhaftigkeit.

Diese Wahrhaftigkeit aber erstreckt sich nicht nur auf die Situationen, sondern, wuchtiger noch, auf die Charaktere. Es sind durchaus keine oberflächlichen, grob schraffierten Figuren, die da nach ein paar obligatorischen Komödien-Verwirrungen zueinander finden, es sind leidgeprüfte, im Leiden gewachsene Menschen allemal. Mandryka, dem die erste Frau gestorben ist und der seine besten Jahre in Einsamkeit vergrübelt hat, nicht weniger als Arabella, der von der Spielleidenschaft des Vaters die glückliche, behütete Jugend verdorben und das Erbe vergeudet wurde und die sich nun den geldgierigen Kuppeleien der Eltern widersetzen muß. Matteo, der bis zum Selbstmord unglücklich Verliebte nicht weniger als Arabellas jüngere Schwester Zdenka, die man in Jungenkleidern herumlaufen läßt.

Weil sich hier Menschen zu sich selbst und ihrer Erfahrung bekennen, so verdeutlicht Beauvais, ist nur Mandryka der Richtige für Arabella, Matteo der Richtige für Zdenka. Sie stehen zu sich selbst und zueinander, und nicht mehr zu der Konvention einer Gesellschaft, die ihren Kredit verspielt hat und es, nach jenen ungeheuren, unverzeihlichen gegenseitigen Beleidigungen und Entehrungen niemals gestatten würde, noch ein anderes Ende als ein Duell anzusteuern.

Ein "progressiver" Regisseur müßte wohl am Ende Arabella als die Nicht-Emanzipierte, mehr dem Besitz als dem Charakter des Mandryka erliegende Frau darstellen. Daß Beauvais, bei aller Schärfe der sozialen Konturen, diesem Trugschluß nicht erliegt, sondern ausschließlich auf die menschliche Größe und Entscheidungsfreiheit der Personen vertraut, darin liegt die Richtigkeit seiner Inszenierung.

Eine nicht zu unterschätzende Hilfe dabei allerdings war auch der Mut des Dirigenten Wolfgang Sawallisch, der sich abermals als ein glänzender Anwalt der Opernmusik von Richard Strauss erweist, auch dadurch, daß er aller, auch der Münchner Aufführungspraxis zum Trotz, die umfänglichen Striche in der Partitur aufmacht. Zur Klarheit der Geschichte und der Charaktere unentbehrliche Details hört und sieht man nun zum ersten Mal, und daß sie auch musikalisch nicht reizlos sind, erhöht noch die Befriedigung darüber.

Mit Julia Varady als Arabella und Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka, aber auch mit Edith Mathis als Zdenka und Josef Hopferwieser als Matteo (wie einem generell glänzenden Ensemble), ist die Besetzung szenisch wie musikalisch optimal gewählt: zum Ruhme der gescholtenen Oper.

Reinhard Beuth

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     Augsburger Allgemeine, 3. Februar 1977     

Die schöne, schwierige "Arabella"

Neuinszenierung der Strauss-Oper durch Peter Beauvais im Münchner Nationaltheater

    

Eine schwierige Person ist sie von Anbeginn gewesen und wird sie immer bleiben, diese Arabella, einzige Kapitalanlage des von der Spielleidenschaft ausgepoverten Grafen Waldner, der als letzten Ausweg aus dem finanziellen Ruin nur noch eine lukrative Verheiratung seiner schönen Tochter sieht. Eine zweite Marschallin, ein zweiter "Rosenkavalier" sollte sie in der Vorstellung ihrer Väter Strauss und Hofmannsthal sein. Aber hier ließ sich ein Erfolg so wenig programmieren wie ein Mensch, und was da nach fünfjähriger (!) Anstrengung (1927 bis zur Uraufführung 1933) - inzwischen verstarb Hofmannsthal - zur Welt kam, ist halt doch nur eine Kunstfigur, wenn auch eine sehr edle, vom Libretto wie von der Musik her artistisch exzellente.

Schön ist sie, stolz ist sie, reich heiraten muß sie aus Familienraison, aber "der Richtige" muß es auch sein, und den kriegt sie auch. Ein simpler Operettenstoff eigentlich, von Hofmannsthal durch sehr viel seelische Zwischentöne, psychologische Charakterisierungskunst, "Milieu" und leicht dekadenten Hautgout zur lyrischen Komödie hinaufgeadelt.

Ohne weiteres wäre die Komödie schon allein literarisch lebensfähig. Wie Hofmannsthal um das Überleben seines Textes rang, wie er ihn selbst einstufte ist nachzulesen: "...wenn sich... zu einem Weniger von Musik gelangen ließe... und das Orchester, mindestens auf große Strecken begleitend und nicht sich in der Symphonie auslebend, sich der Stimme subordinieren würde... so wäre, für ein Werk dieser Art, der Operette ihr Zauberring entwunden, mit dem sie die Seelen der Zuhörenden so voll bezwingt!" Es ist die Ironie des Schicksals, daß Strauss immer wieder um die Erfüllung dieses Wunsches ringt und immer wieder seinem symphonischen Impetus erliegt.

Kultiviert-konventionelle Regie

Fast ist es auch Ironie, daß aus der von größten publizistischen Vorschußlorbeeren begleiteten Neuinszenierung der "Arabella" ein gewisses Pendant zu Polanskis "Rigoletto" wird: Ein Schauspiel-Regisseur mit großem Namen liefert statt des erwarteten Außergewöhnlichen eine durchaus kultivierte, aber auch durchaus konventionelle Inszenierung ab. Peter Beauvais, man merkt es an vielen durchdachten Details, vor allem an den sehr filmisch, in empfindsamer Totale, inszenierten großen Duetten zwischen Arabella und Mandryka, möchte gern Hofmannsthal inszenieren. Dies werkgetreu im Sinne des Autors zwischen dezentem Kammerspiel und Operette, wozu der Fiakerball des zweiten Aktes ziemlich eindeutig gerät.

Opulenz im Orchester

Wissend jedoch, daß das Wort weithin in Tonwellen untergeht, flüchtet er in Aktion, und da wird seine Inszenierung oberflächlich und unmusikalisch. Siehe Kaffeetrinken beim ersten Gespräch Waldner-Mandryka, störendes Peitschenknallen beim Fiakerball, die dauernde Ohnmacht Zdenkas nach der "Enthüllung" ihrer Weiblichkeit im letzten Akt. Viel ehrenwertes Bemühen um ein großes, psychologisch zwitterhaftes Werk, viel solides Handwerk, aber kein großer Regie-Wurf. Die Erinnerung an Rudolf Hartmanns exemplarische, so eminent Strauss-nahe Inszenierung lebt weiter.

Wolfgang Sawallisch freilich, schon zu Beginn und vor jedem weiteren Akt mit Ovationen empfangen, ist ein Dirigent, der intellektuell und emotionell Strauss in jeder Klangphase nahe ist. Besonders hervorragend, wie er sich diesmal an den lyrischen Höhepunkten in das Melos versenkt, den Sängern orchestral in feinsten Nuancen untertan wird, wie elegant er den pointierten Konversationsstil ausformt.

Durchaus zum Vorteil dieser musikalisch im Tempo sehr zügigen Aufführung - noch nie wurde "der Richtige" so flüssig intoniert - gereicht ihr die jetzt eingelegte Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt.

"Traumpaar" Dieskau - Varady?

Das Hauptaugenmerk aller Opernfans richtet sich auf das Traumpaar Dietrich Fischer-Dieskau - Julia Varady als Mandryka und Arabella. Wirklich ein Traumpaar? Ein im Typ sehr modernes, aber nicht unbedingt wienerisches Paar. Die Varady, herb, schön, ein wenig kühl im Spiel, aber mit füllig aufstrahlender Stimme (und nicht ganz unbegrenzter Höhe). Man denkt mehr an die junge Marianne Hoppe, als an spätes österreichisches Biedermeier. Dieskau, sehr gut bei Stimme, ist gleich ihr ein souverän-intellektueller Typ, kein geborener Komödiant. Er spielt den urwüchsigen, rustikalen Liebhaber trefflich, aber er stammt nicht aus den ungarischen Wäldern. Deshalb sollte er das Ungarische im Dialog lassen. Eine (auch gesanglich) bezaubernde Figur: Edith Mathis als Zdenka. Zwei Akte wirklich ein "Bub", dann ein rundum rührendes Geschöpf in seiner übermächtigen Zuneigung zu Matteo, den Josef Hopferwieser sehr respektabel singt. Kurt Böhme gibt sich stimmlich und schauspielerisch als "kassierter Rittmeister" etwas zu vulgär, Hertha Töpper ist eine gräflich-damenhafte Adelaide.

Die Kartenaufschlägerin mit Martha Mödl zu besetzen, heißt, der allerersten Szene bereits ein Glanzlicht zu sichern. Hildegard Uhrmacher beschert die Unglückspartie der Fiakermilli das Unglück allzu intoleranter Buhs.

Eiserner Vorhang gegen Buhs

Buhs empfangen am Schluß in massiver Lautstärke den Regisseur Peter Beauvais und den Bühnenbildner Jürgen Rose, der in der Realisierung des Nobel-Wiens um 1860 ungewohnterweise architektonisch ziemlich starr und farblich blaß bleibt. Zum Erstaunen des Auditoriums wird indes diesmal nicht nur die Galerie, sondern auch die Bühne aktiv. Kaum, daß der Bei- und Mißfallens-Sturm begonnen, geht der eiserne Vorhang herunter. Offensichtlich in Solidarität zwischen Hausherr und Künstlerschar. Bitte, warum nicht? Dürfen nicht auch Künstler Meinung äußern? Zum Beispiel die: Weil wir heute gegen eure Buhs sind, verzichten wir auch auf euren Beifall. Jedenfalls hat diese Maßnahme mehr mit Demokratie als mit Skandal zu tun.

Dr. Thea Lethmair

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     Südwest-Presse, Ulm, 3. Februar 1977     

Opernmenschen im Hotel

Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau als "Arabella"-Paar in München

    

Das wäre so ein richtiger Illustriertenroman: Bildschönes junges Mädchen in der Kaiserstadt, von Kavalieren bestürmt, vom verschuldeten Papa zu einer Geldheirat ausersehen, wartet unbeirrt auf "den Richtigen", der auf einmal dastehen wird, grad vor ihr - na, und so weiter, kennt man ja. Und da schneit er auch schon durch die Hoteltür herein, ein toller Naturbursche vom Land, aber nicht nur Naturbursche, sondern auch Gutsbesitzer mit viel, viel Geld und guten Manieren. In derselben Nacht noch gibt es zwar einige Ballsaal- und Schlafzimmerverirrungen, Zornesaus- brüche und schweres Säbelrasseln zum Duell - aber das große Glück ist selbstverständlich nicht aufzuhalten.

Diesen Roman gibt es natürlich, und zwar mit Musik - nicht wenige Opernfans stellen ihn noch über den "Rosenkavalier"; das Mädchen heißt Arabella und stammt aus der Werkstatt von Hofmannsthal und Strauss. Arabella ist das Nonplusultra eines Opernluxusgeschöpfs, ein Traum in Himmelblau. Als das Münchner Nationaltheater vor drei Jahren eine neue "Arabella" ankündigte, wurden bereits damals Karten für 1977 vorbestellt. Inzwischen haben sich die Illustriertenroman-Bedingungen noch auf ungeahnte Weise vervollständigt: das Opernliebespaar Julia Varady und Dietrich Fischer-Dieskau hat sich (anläßlich einer Puccini-Neuinszenierung) auf eben dieser Bühne kennengelernt und ist seither auch privat ein Paar.

Man kann sich also vorstellen, welcher Vorschußjubel die "Arabella"-Premiere in München belastete. Gejubelt wurde auch nach dem Schlußvorhang, wenn auch nicht ganz so fortissimo wie sonst - der Regisseur Peter Beauvais und der Bühnenbildner Jürgen Rose jedoch mußten mißgünstige Buh-Rufe entgegennehmen. Daraufhin wurde sofort (eine Strafmaßnahme?) der eiserne Vorhang heruntergelassen und der größere Teil des Publikums um die Fortsetzung seines Jubels gebracht.

Um nicht falschen Verdacht oder falsche Hoffnungen zu wecken: nicht System- oder Sozialkritik an der Opernwelt des schönen Scheins war der Grund des schlechten "Buh"-Benehmens, sondern im Gegenteil enttäuschte Illusion.

Beauvais nämlich hat sich vorgenommen, am "Arabella"-Lack zu kratzen, das Mädchen weniger bedeutend zu zeigen, als es sonst vorgeführt wird, und die Affäre mehr im Trubel des Hotel-Foyers als im siebten Himmel abzuwickeln. Und genau nach diesem Plan baut Jürgen Rose (der berühmte Prachtentfalter Rose) seine Bühnenbilder: ein leicht verschlissenes Hotelzimmer als Logis für "etwas zweifelhafte Existenzen", daneben aber auch gleich noch den angrenzenden Hotelflur, der als Tummelplatz für Kellner, Gläubiger, Kavaliere und Domestiken dient. Klar, daß durch eine solche Türklinken-Dramaturgie der Liebestraum ständig gestört wird. (Das "Do not disturb" gilt hier nicht). Im zweiten Akt wird weiter abgeschminkt: Man befindet sich nicht in feiner Gesellschaft, sondern auf einem Wohltätigkeitsball für arme Fiaker; der Saal - zweitklassige Architektur und schäbiger Pomp - ist deutlich in der Vorstadt angesiedelt; Arabella und Mandryka beäugen einander schüchtern hinter zwei Säulen versteckt, keine "Königsmenschen", kein Illustriertenpaar...

Um das Maß vollzumachen, spielt auch die Musik auf diese Weise: Wolfgang Sawallisch hütet sich davor, in den lyrischen Passagen zu schwelgen, Strauss "mit Pedal" zu spielen, Faschingsdienstagsstimmung hochkommen zu lassen. Er ist beinahe sachlich bei der Sache und Arabella muß unter seiner Leitung ihr berühmtes "Und du wirst mein Gebieter sein" so sehr verhuscht, so sehr "nebenbei" anstimmen, als gelte es, nur ja nicht Alices "Emma" zu provozieren.

Alles sehr löbliche Interpretationsvorhaben also - nur muß man wissen, daß dadurch die Oper "Arabella" nahezu pointenlos abrollt. Es kommt hinzu, daß Julia Varady zwar eine gertenschlanke, aparte Arabella-Erscheinung ist, ihren Sopran auch warm-beseelt Ton für Ton aufleuchten läßt, jedoch weder zu großen Melodienbögen findet noch die kleinen Text-Finessen über die Rampe bringt. Es ist natürlich auch sehr schwer für sie, gegen die Erinnerung an die Ausnahme-Arabella der Lisa della Casa anzusingen. Aber es scheint doch, daß sich das leidenschaftliche Bühnentemperament der Varady noch nicht angefreundet hat mit dem mehr schwärmerisch-eleganten Temperament des Kunstgeschöpfes Arabella. Von Fischer-Dieskaus Mandryka dagegen läßt sich nur in Komplimenten reden - er verkörpert die Rolle womöglich noch zupackender und unmittelbarer als vor zehn Jahren, und in der musikalischen Gestaltung bietet er allen Strauss-Kritikern ein Musterbeispiel dafür, wie unsentimental und zugleich beherzt sich diese Musik singen läßt.

In den weiteren Rollen: Edith Mathis als etwas spröde Zdenka, Hertha Töpper und Kurt Böhme als das Elternpaar Waldner, Josef Hopferwieser als sehr guter Matteo, Hildegard Uhrmacher als koloraturpiepsige Fiakermilli.

Das neue "Arabella"-Motto für alle aus dem In- und Ausland anreisenden Arabella-Fans aber heißt nunmehr: schweren Herzens genießen.

Gerhard Pörtl

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     tz, München, 2. Februar 1977  

Licht aus bei der Liebe, Vorhang runter beim Buh

Nationaltheater: Die "Arabella"-Premiere endet mit einem Mißklang

Kurz geklärt

    

Kein Zweifel, juristisch war Sawallisch im Recht. Als am Schluß der Arabella-Premiere nach ein paar Begeisterungssalven für ihn, Fischer-Dieskau und die Varady, beim gemeinsamen Erscheinen der drei Inszenatoren sich auch ein entschiedenes Buh unter die Zustimmung mischte, ließ er kurz entschlossen den eisernen Vorhang runter. Licht aus, Schluß, die Staatsoper ist beleidigt, spricht ihrem Publikum Urteilsfähigkeit ab und bescheinigt ihm zumindest eine schlechte Kinderstube.

Noch einmal: der Hausherr darf bestimmen, wann der Vorhang hoch- oder runtergeht. Ob diese Oberlehrer-Reaktion auch klug war, mag man bezweifeln. Nun brach der Buhsturm nämlich erst recht aus. Das Publikum fühlte sich in seiner Reaktion, auf die es, sei es Zustimmung oder Ablehnung, ein Recht hat, bevormundet, ja gestoppt.

Niemand war ja zum privaten Hauskonzert bei Sawallisch eingeladen worden, sondern man befand sich in einem öffentlichen Staatstheater, wo eine künstlerische Leistung nicht nur dargeboten, sondern auch zur Diskussion gestellt wurde.

Niemand hat die Vorstellung gestört, also Jubel oder Mißfallen mitten in eine Arie hineinplatzen lassen. Seit wann wird die Reaktion derer, für die man gearbeitet hat, mißachtet, zensiert?

Warum dürfen Sänger einen berechtigten Triumph nicht vor dem Vorhang auskosten? Warum dürfen Opernbesucher ihren Stars nicht so lange zuklatschen wie es ihre Begeisterung ihnen eingibt? Die Zustimmung überwog nämlich bei weitem, als Sawallisch so beleidigt reagierte. Danach allerdings fühlte sich das Publikum vergewaltigt und antwortete entsprechend gereizt.

Am peinlichsten ist die ganze Geschichte für Peter Beauvais, zu dessen Schutz sie stattfand. Er hat weiß Gott nicht blendend, nicht stückfördernd, nicht inspiriert inszeniert, aber so katastrophal, daß er vor der Publikumsreaktion abgeschirmt werden muß, war’s nun auch wieder nicht.

"Arabella" war Rudolf Hartmanns Leib- und Magenstück. Er hat es immer wieder inszeniert, Adlmüller durfte in Kostümen schwelgen - es war, dem bankrotten Milieu zum Trotz - d i e Wirtschaftswunder-Oper. Sie umschmeichelte das Publikum wie Badewasser, war problemlos schluckbar wie Sahnetorte (nicht mal so anstrengend wie der "Rosenkavalier", weil Strauss es ja längst mit Anleihen bei sich selber bewenden ließ). Und für den bittersüßen Schmelz, mit dem sich anspruchsvolle Leute so gern schmücken, bürgte der Name Hofmannsthal.

So glatt, das wußte Peter Beauvais, kann man das heute nicht mehr servieren. Sein Stichwort heißt Realismus, Erklären des sozialen Hintergrunds. Aber was er dafür an Details herbeischafft: Hände werden am Ofen gewärmt, Butterbrote gestrichen, Personen und Schauplätze erfunden, für die es keine Note Musik gibt - das überschreitet die Grenze der Genauigkeit in Richtung ablenkender Kleinigkeitskrämerei (und daß eine verkleidete Mädchenfigur wie der Zdenko in einer solchen Umgebung unentdeckt bleibt, ist dann nur noch unwahrscheinlich).

Vor großen komponierten Szenen (Fiakerball, Hoteltreppe) steht Beauvais ziemlich ratlos. Da wird entschlossen herumgestanden und auf den Einsatz gewartet.

Die entscheidenden Regie-Impulse gehen von der Zusammenarbeit der beiden Sänger Varady und Fischer-Dieskau mit Wolfgang Sawallisch aus.

Sie haben sich ein flüssiges, ganz vom Wort bestimmtes, leichtes Parlando ausgearbeitet, so locker hingetupft, daß es am Anfang zwischen der Varady und Sawallisch zu Tempo-Verschiedenheiten kam (das sage ich nicht, um zu beckmessern, um was "gemerkt" zu haben, sondern weil es vielleicht den Schwierigkeitsgrad bezeichnet, auf dem die Künstler sich da bewegen).

An Sawallischs "Ring" war immer die Wortbetontheit zu rühmen; das gilt nun auch für diesen Strauss, dem er aber auch nichts an schwelgerischem Klang, an melodischer Linie schuldig bleibt.

Lisa della Casas Zeiten sind nun lange genug her, daß sich auch eine andere Sopranistin an i h r e Domäne wagen kann. Die herbe Festigkeit der Varady ist vollkommen anders als der marzipanerne Schmelz der della Casa, aber - wenn man nicht hartnäckig an seiner Erinnerung klebt - der Rolle nicht weniger angemessen. Die hohe Intelligenz, die Musikalität und die starke darstellerische Präsenz dieser Sängerin überzeugen auch hier.

Fischer-Dieskau, jetzt schon fast zu smart und elegant für den Herrn aus der Walachei, bleibt der ideale Mandryka. Von geradezu bebender Empfindsamkeit, aber ohne Larmoyanz, Edith Mathis als Zdenka.

Stimmlich etwas eng, doch im Spiel von genügend Gewicht Josef Hopferwiesers Matteo. Das Elternpaar Hertha Töpper und Kurt Böhme: jeder auf seine Weise korrupt, aber nicht ohne Wärme. Hildegard Uhrmacher beließ es für die unselige Partie der Fiakermilli (eine reine dramaturgische Hilfskrücke) bei schrillen Tönen.

Schön soll es bei "Arabella" trotz aller Heruntergekommenheit sein. Deshalb mußte Jürgen Rose ran, der in sanften Farben und verblichenem Plüsch schwelgte. Arabellas Kleider möchte man stehlen!

Der Vorraum zum Ballsaal war diesmal bäuerlich bunt, eben ein Fiaker-Saal. Aber mit blendend informiertem Personal: vorm Liebesduett ging ostentativ das Licht aus.

Beate Kayser

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     Bayerische Staatszeitung, 4. Februar 1977     

Unfrohes Wiedersehen mit Arabella

Neuinszenierung der Strauss-Oper im Nationaltheater

    

Im Zuge der Neubelebung des Richard-Strauss-Repertoires der Staatsoper ist jetzt auch die wienerisch maskierte lyrische Komödie "Arabella" wieder in den Spielplan aufgenommen worden. Glückte die neue Aufführung auch nicht rundum so, daß sie die Erinnerungen an die überzeugenderen Wiedergaben der Ära Rudolf Hartmann auslöschen konnte, so bestätigte sie doch, vor allem kraft der elanvollen und sensiblen Interpretationskunst Wolfgang Sawallischs, die noch unversehrte "Haltbarkeit" des nun seit 44 Jahren erfolgreichen Strauss’schen Spätwerks. Es ist, in gutem Sinne, wirklich ein Stück "für alle" geworden und, vergessen wir’s nicht, das zeitlich überhaupt letzte musikalische Bühnenwerk von weltweiter Erfolgsausstrahlung nicht nur der deutschen Operngeschichte.

Der wirkungs- und auch wertbestimmende Reiz der "Arabella" liegt zweifellos primär im Reichtum der Partitur an lyrischer Kantabilität (mit den Höhepunkten der beiden berühmten Duette) und im feinen Goldglanz des orchestralen Kolorits, aber auch in der treffenden Prägung verschiedener Rollen (nicht nur der zwei Hauptpartien), in Finessen musikalischer Situationszeichnung, in manchen humorigen Passagen und schließlich in der (Hofmannsthal zu dankenden) Schilderung der etwas dekadenten Wiener Welt von 1860. Ob das leicht Anrüchige dieser Gesellschaftssphäre mit den Zentralfiguren der "etwas zweifelhaften Existenzen" der Familie des Grafen Waldner in einer letztlich hellen und heiteren Oper, die keine bittere sozialkritische, sondern eben eine lyrische Komödie ist, besonders nachdrücklich und humorlos betont werden muß oder darf: Diese Frage stellt sich angesichts der neuen Inszenierung des Werks. Peter Beauvais, der sich in der lebendigen szenischen Ausformung der Ensembleauftritte wie in der Personenführung als einfallsreicher, alles klug durchdenkender Spielleiter erweist, glaubte auf solche härtere, drastischere Akzentuierungen des Spiels nicht verzichten zu dürfen, und Jürgen Rose sorgte für adäquate Bühnenbilder mit schmuddelig gewordenen Tapeten, rauchgeschwärzter Ofenwand und muffiger "Nobelhotel"-Einrichtung. So gewann oft, sehr im Gegensatz zum Charakter der Musik, aber auch zum sympathisch ausgleichenden und Gegensätze mildernden Text, etwas Unfrohes Raum - trotz allen zugegebenen Späßen und sonstigen, nicht selten allzu reichlich eingefügten Schau- und Spieleffekten. Das Ziel, die beiden Hauptfiguren Arabella und Mandryka stark in Gegensatz zu diesem Milieu zu stellen und als Gestalten einer reineren, "heileren" Welt erkennbar zu machen, war allerdings erreicht.

Aus dem aufgebotenen stattlichen Sängerensemble ragte (wie immer seit 1959!) Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka stimmlich und darstellerisch hervor: imponierend wie seine (oft mit Stentortönen prunkende) musikalisch-gesangliche Beherrschung der höchst anspruchsvollen Partie die Kunst seines Glaubhaftmachens des temperamentsstarken, rauh-eleganten kroatischen Gutsherrn. Nur teilweise ebenso überzeugend wirkte Julia Varady als Arabella - in einer Rolle, die ihrer passioniert-ernsten Art nicht ganz gemäß erscheint; bezaubernde Anmut, auch im Gesang, ist ihr weniger gegeben als Herbheit und kühle Besonnenheit; trotzdem erreichte sie im 2. und 3. Akt dank ihrer Intensität Höhepunkte gesanglicher Gestaltung. Sympathisch dezent und doch auch leidenschaftlich wirkte Edith Mathis als Zdenka. Das Elternpaar Waldner statteten Hertha Töpper (Adelaide) und Kurt Böhme (letzterer - warum? - in auffällig großväterlicher Maske) regiegerecht mit vielen Künsten ihrer schauspielerischen Talente aus. Den "schrecklichen" Rollen des Leutnants Matteo und der Fiakermilli gewannen Josef Hopferwieser und Hildegard Uhrmacher das Mögliche an vokalen Spitzeneffekten ab.

Anton Würz

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     Darmstädter Echo, 3. Februar 1977   

Eiserner Vorhang gegen Buhrufer

Eklat nach "Arabella"-Premiere im Münchner Nationaltheater

    

Jean-Pierre Ponnelle wollte nicht. Statt seiner inszenierte Peter Beauvais, bekannter Fernsehregisseur und auch mit Musiktheater in Berlin und Hamburg erfolgreich, die neue Münchner "Arabella".

Nun war diese letzte Gemeinschaftsproduktion von Hofmannsthal und Strauss in München vor nunmehr 13 Jahren in der Inszenierung von Rudolf Hartmann mit Lisa della Casa, Anneliese Rothenberger und Dietrich Fischer-Dieskau unter Joseph Keilberth eine Sternstunde der Oper, jahrelang eine der Hauptattraktionen der Münchner Opernfestspiele und des Repertoires. Gegen diesen großen Schatten galt es anzutreten. Peter Beauvais hatte, wie er sagt, diesen Schatten nie gesehen. Vom großen Sänger-Trio war jetzt nur Dietrich Fischer-Dieskau wieder dabei. Zunächst rückte Peter Beauvais wieder jedes Wort an seine Stelle. Statt des meist üblichen Zweiakters teilte er die "Lyrische Komödie" in drei Aufzüge mit zwei langen Pausen ein, was einen Vier-Stunden-Opernabend und, bei der Akribie, mit der Beauvais sich vor allem dem Text zuwandte, ein Übergewicht der sentimentalen Story mit Happy-End aus dem Wien des Jahres 1860 zur Folge hatte.

Aktualisieren und verfremden läßt sich die "Arabella" mit ihrem Zeitkolorit nicht. Es bleiben der Originalität des Regisseurs also nur Nuancen der Interpretation. An einem Vergleich mit der "alten" "Arabella" kommt man in München kaum vorbei. Die Neuinszenierung nahm alles eine Stufe weniger elegant, was kein Fehler war. Bühnenbildner Jürgen Rose hatte im ersten Bild nicht nur den Hotel-Salon der Waldners, sondern auch noch dessen Entrée dazugebaut, was den einzelnen Auftritten jeweils noch eine kurze Vorgeschichte gab. Das Etablissement des Fiaker-Balls traf ziemlich genau die echte Lokalität solcher Feste in Wien. Am Bühnenbild lag’s nicht, daß die Neuinszenierung im Schatten der alten blieb.

Am interessantesten ist die Gegenüberstellung der beiden Titelpartie-Trägerinnen. Lisa della Casa erschien damals auf dem Zenit ihrer Stimmkultur, als Inkarnation einer Wiener Schönheit der Zeit um 1860, mit silbrigem Timbre, kapriziösem intelligenten Charme, unwiderstehlich. Julia Varady ist alles andere als eine Lyrikerin, keine Dame mit Capricen. Ihre Stärke ist die leidenschaftliche Intensität einer Hochdramatischen. Sie war also eigentlich nicht die Arabella, die Hofmannsthal meinte, aber doch eine, die mit sicher geführtem Sopran, Geschmack und Souveränität mit Recht großen Beifall erntete. Dietrich Fischer-Dieskau, der damals den Mandryka mit aufregenden Konturen versah, die man lange an dieser Partie gar nicht bemerkt hatte, war jetzt nicht mehr so spontan "exotisch", manches wirkte fast künstlich.

Das Sänger-Erlebnis der neuen "Arabella" war Edith Mathis als Zdenka. Anneliese Rothenberger hatte aus dieser Partie eine reizende Hosenrolle gemacht, hübsch gewandet und alles andere als mitleidheischend. Peter Beauvais sah die Zdenka realer, härter und wohl auch richtiger. Da stand nicht eine Art eleganter Cherub auf der Bühne, sondern ein Mädchen mußte herumlaufen wie ein Kaufmannsgehilfe, weil sein Vater das Vermögen verspielt hatte und die Schwester alle Verehrerblicke auf sich ziehen sollte, damit eine reiche Heirat dem permanenten Geldmangel der Familie abhelfe. Edith Mathis spielte den "Buben" Zdenko sehr sensibel und sang mit glockenreiner Stimme. Eine Ideal-Besetzung.

Auf dem Fiaker-Ball ging’s nur mäßig vergnügt zu, zumal die Fiakermilli musikalisch und gesangstechnisch eher ein Fehlgriff war, was Hildegard Uhrmacher Buh-Rufe einbrachte. Es blieb nicht das einzige Mißfallen des Abends. Als sich nach großen Ovationen für die Sänger der Hauptpartien Dirigent Wolfgang Sawallisch, Peter Beauvais und Jürgen Rose zeigten, kam neben Beifall auch Unmut auf, der sich ganz sicher nicht auf Sawallisch beziehen konnte, der mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper einen hervorragenden, mit Pausenapplaus bedachten Abend hatte; auch nicht auf Jürgen Rose, der viel Phantasie- und Milieu-Echtheit präsentierte. Bleibt nur noch der Regisseur als Buh-Empfänger übrig. Er vermerkte es übel und ließ sofort den eisernen Vorhang niedergehen, was das Publikum, das seine Protagonisten noch gern gesehen und bejubelt hätte, mit einem leidenschaftlichen Buh-Konzert quittierte. Das hatte es in München noch nicht gegeben: Der eiserne Vorhang nach drei Minuten zur Strafe für unbotmäßiges kritisches Verhalten der Zuschauer. Das sollte nicht Schule machen.

H. Lehmann

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     Darmstädter Tagblatt, 3. Februar 1977     

Eiserner Vorhang gegen Buh-Rufe

"Arabella" in Münchner Staatsoper

    

In der Münchner Staatsoper passierte etwas nie Dagewesenes: Intendant auf Zeit Wolfgang Sawallisch ließ nach mäßigen Buh-Rufen für den Regisseur Peter Beauvais und seine "Arabella" den eisernen Vorhang herunter. Daraufhin solidarisierte sich das gutwillige Publikum, das vorher den Sängern und dem Dirigenten Sawallisch zugeklatscht hatte, und buhte heftig mit, den eisernen Vorhang als Affront betrachtend.

Dabei hat die lebendige und differenzierte Inszenierung diese fatale Reaktion nicht verdient, Beauvais’ sensible Personenführung kam der Aufführung gewiß zugute, aber er war einer Mystifikation zum Opfer gefallen. Es spukte da nämlich in den Köpfen der Premierenbesucher eine frühere Arabella herum, inszeniert von Rudolf Hartmann mit Lisa della Casa und Anneliese Rothenberger, von der heute niemand mehr objektiv sagen kann, wie sie wirklich war. Und mit dieser teuren Verblichenen kann sich nun angeblich die Neuinszenierung nicht messen. Sicher war die della Casa eine bessere Titelfigur; wohingegen Julia Varady es schwer damit hatte, denn es fehlt ihr der mädchenhafte Charme und die lyrische Aura - auch in der Stimme - ohne die Arabella eine Kunstfigur bleibt. Jedoch ist das nicht dem Regisseur anzulasten. Ausgezeichnet verkörperte Edith Mathis die Hosenrolle der Zdenka, stimmlich und darstellerisch perfekt. Ein fabelhaft erschlankter Fischer-Dieskau sang einen Mandryka voll Inbrunst und Kraft. Schade für die Mißverständnisse, aber der eiserne Vorhang ist gegen verdiente oder unverdiente Publikumskritik bestimmt nicht das beste Argument.

A. K.

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     Mittelbayerische Zeitung, Regensburg, 2. Februar 19777     

Mehr Beifall und Jubel, zu Befehl!

Münchens "Arabella"-Premiere endet mit einem Mißklang

    

Üben Sie, liebe Leser, bevor Sie in die neue "Arabella" im Nationaltheater fahren, zuhause fleißig Beifall, Bravorufe und sonnigen Jubel. Das wird gewünscht, so haben Sie sich zu verhalten! Sollten Sie sich nämlich zu einer Mißfallenskundgebung gegenüber Stars, (die Stargagen beziehen und dann ja wohl auch Spitzenleistungen erbringen sollten?!) hinreißen lassen und dies in Form eines deutlichen Buh-Rufs innerhalb des enormen Beifalls kund tun, so wird Ihnen, aber auch allen, die es herrlich fanden, in Form einer Kollektivstrafe einfach der Eiserne Vorhang vor der Nase heruntergelassen. So geschehen nach dem vierten Schlußvorhang der Neuinszenierung: das "volle Haus" saß noch da; Jubel für die Solisten und GMD-Hausherr Sawallisch; dann Regisseur Peter Beauvais und Ausstatter Jürgen Rose zusammen mit Sawallisch - Beifall und Bravo aus dem Parkett und eine deutliche Buh-Welle (kein Sturm, kein Orkan) aus den Rängen - Vorhang, eisern, trotz langem Anklatschen des demonstrativ sitzenbleibenden Publikums. Erregte Diskussionen in den Foyers: "Überempfindlichkeit", "Platzverweis fürs Publikum", "Überreaktion", "Mimosenhaftigkeit", "Endlich ein Denkzettel für die Buh-Rufer vom Dienst" - fast nichts über die Aufführung!. So stiehlt man sich selbst den (Dreiviertel-)Erfolg.

Denn über die Aufführung gibt es eigentlich viel zu reden. Beim Lesen kann man kaum mehr an das Stück mit seinen hochgräflichen K.u.K.-Geldsorgen-Sanierungsheirat-Mißverständnis-Liebesheirat-Problemchen glauben. "Wie wär’s mit arbeiten?" möchte man den Waldners zurufen - aber man ist ja im Wien von 1860. Regisseur Beauvais hat nun durchaus kritische Distanz zur schwelgerischen Verklärung dieser Probleme gewahrt: Graf Waldner trägt Züge verkommener Spielleidenschaft (von Kurt Böhme in seiner Geldgierigkeit zunächst überzeichnet, im 3. Akt dann fast ein gebrochener Mann); der Fiakerball ist ein halbseidenes Wohltätigkeitsfest und die Hotelgäste sind auch nicht die feinsten. Jürgen Rose hat für den 1. Akt ein Hotelappartement zweiter Klasse minuziös, bis zur abgewetzten alten Seidentapete gebaut, einen halbtristen Redoutensaal, eine spätklassizistische Hotelhalle, die abgewirtschaftet und dennoch gediegen wirkt: Detailfreude bis zur Blumenvase, Geschmack bis zur Kleiderborte - hier stimmte alles und sagte etwas aus. Auch Beauvais’ Personenführung war oft sprechend. Seine (und die von Julia Varadys hohem Kunstverstand getragene) Arabella ist eine Wissende, die ihr Ausgeliefertsein, ihr Heiratenmüssen zugunsten der Familie, ihr Objekt-Sein genau spürt. Diese Arabella brennt, sieht ihr Feuer vielfach an "Unrichtige" verschwendet - und nur die Liebesheirat mit einem Ausnahmemenschen rettet sie vor dem Zerbrechen. Eine herbe Arabella in vielen Szenen - nicht ganz das Strauss-Hofmannsthalsche Luxusgeschöpf. Da die Sängerin Varady zusätzlich die Geheimnisse der Strauss-Kantilene noch nicht ganz mitzuteilen weiß, blieben Wünsche offen. Warum ausgerechnet zu dieser reifen Arabella Dietrich Fischer-Dieskau ein junger Mandryka sein sollte und wollte, blieb unerfindlich; er beeindruckte durch jugendlich auftrumpfendes Forte, differenziertes Spiel, aber auch gelegentliche Überzeichnung. Das Forte war angebracht, denn Wolfgang Sawallisch ließ das Staatsorchester oft zu sehr "aufspielen". Der beachtlichen Tenorstimme Josef Hopferwiesers (Matteo) raubte er so die gesunde Entfaltung, dem perfekten Strauss-Gesang von Edith Mathis (Zdenka) die vollendete Wirkung; trotzdem bot sie die geschlossenste, überzeugendste Leistung. Die übrigen Rollen waren mit Bedacht besetzt, einzig Hildegard Uhrmacher, in der undankbaren Rolle der Fiakermilli stand - nachdem der gesamte Ball hinter die Türen ins Abseits verbannt war - vor der unlösbaren Aufgabe, mit ihren kleinen Auftritten "Balltrubel" zu verbreiten. Nachdem die Koloraturen nicht gerade hinreißend klangen, gab es erste Buhrufe nach dem 2. Akt. Erfreulicherweise fand der 3. Akt dennoch statt. Aber bitte jubeln Sie bei Ihrem Besuch, liebe Leser. Vielleicht wird sonst auch noch das Licht ausgeschaltet.

Wolf-Dieter Peter

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     Donau Kurier, Ingolstadt, 3. Februar 1977     

Begegnung mit Vollkommenem: Fischer-Dieskau in "Arabella"

Peter Beauvais’ Inszenierung im Münchner Nationaltheater

    

"Arabella" zählt nicht zu den bedeutendsten, wohl aber zu den beliebtesten Opern von Richard Strauss, zumal was die Bayerische Staatsoper und deren Publikum betrifft. Woher mag das kommen? Gewiß sind der musikalischen Reize, besonders im Bereich des Melodischen und einer hochentwickelten Instrumentierungskunst nicht wenige; wichtiger indessen erscheint es, daß man es hier mit Charakteren vom Gewicht eines Mandryka, einer Arabella und Zdenka zu tun hat, Charakteren, deren Verkörperung dem Sänger wie Darsteller gleiche Freude bereiten, ihren Gestaltungsehrgeiz wecken muß. Geschieht dies mit Hilfe einer entsprechenden Besetzung, kann der Erfolg schwerlich ausbleiben.

In der Neuinszenierung des Münchener Nationaltheaters war weniger die Titelfigur als vielmehr Dietrich Fischer-Dieskaus souveräner Mandryka Motor des Geschehens. Bewunderungswert die Versenkungsleidenschaft in die Figur des slowenischen Edelmannes, in der stimmlich wie darstellerisch kein Zug ungedeutet bleibt, die Deklamationsdeutlichkeit, an der es andere Mitspieler oft fehlen ließen. Man freut sich hier der Begegnung mit dem Vollkommenen. An diesem Punkt ist Julia Varadys Arabella noch nicht angelangt, obwohl sie die Partie gesanglich hervorragend bewältigt. Ihrer Gestaltung mangelt noch etwas jene persönliche Ausstrahlungskraft, ohne die man sich die Figur und ihre Wirkung im Stück nicht vorstellen kann. Wohltuend schlicht, aber höchst eindringlich, geriet Edith Mathis Arabellas sanftere Schwester Zdenka. Mit der heiklen Partie der Fiakermilli hatte Hildegard Uhrmacher weniger Glück. Was selbst einer kleinen Rolle durch eine große Künstlerin abzugewinnen ist, bekundete Martha Mödls Kartenaufschlägerin. Am richtigen Platze stand ferner das Elternpaar von Kurt Böhme und Hertha Töpper. Josef Hopferwiesers Matteo nahm durch strahlende Tenortöne und spielerische Verve für sich ein.

Bühnenbilder und Kostüme von Jürgen Rose spiegelten das Wien von 1860 glaubhaft wider und dienten zugleich großzügiger Spielentfaltung. In dieser ging der Regisseur Peter Beauvais, mehr vom Wort als von der Musik herkommend, mitunter etwas zu weit. Überlud er doch das Geschehen mit einem Übermaß von Details, die oft eher verwirrend als erhellend wirkten. Wolfgang Sawallisch, profunder Kenner der Partitur, musizierte mit dem Staatsorchester hinreißend bis zum Überschwang.

Das Publikum feierte Dirigenten und Sänger stürmisch; nur die Fiakermilli und der Spielleiter mußten obligate Buhs hinnehmen.

Wilhelm Zentner

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     Reutlinger General-Anzeiger, 4. Februar 1977     

Anmut nur adelt eine Arabella

Mißglückte Strauss-Inszenierung durch Beauvais in München

    

Ein restlos begeisterter Münchner Kritiker nannte sie seinerzeit schwärmend "Arabellissima" Lisa della Casa, von 1956 bis 1968 - mit ihrem idealen Partner Dietrich Fischer-Dieskau - strahlender und anmutigster Mittelpunkt in Spiel und Gesang einer unvergleichlichen Modellaufführung, in der Regie von Rudolf Hartmann und unter der Stabführung von Joseph Keilberth, ein Weltereignis, das als einmalig in die Operngeschichte eingegangen und nicht wiederholbar ist.

Schwer, nun nach acht Jahren Abstinenz von dieser singulären "Arabella" eine Neuinszenierung zu wagen. Dieses letzte Gemeinschaftswerk von Hofmannsthal und Richard Strauss, das ja nun einmal unbestreitbar gewisse Schwächen im Libretto und in der Partitur hat, kann man keinesfalls in ein hartes, nüchternes und realistisches Milieu zurückführen, wenn das auch nach Quellen berechtigt sein könnte.

Das aber glaubte der Opernregie-Neuling Peter Beauvais (60), ein routinierter Fernsehregisseur, doch sonst völlig ahnungslos, wenn er im Nationaltheater München das Werk im schroffen Gegensatz zu der schwelgerischen, alles andere als trockenen Musik eines Richard Strauss inszenierte. Poesielos, mit vielen Faxen, leeren Gags und unnötigen Zutaten (er wollte auch "das soziale Problem deutlich machen"), mit unglaublich vielen Fehlern, die aufzuzählen hier Spalten füllen würde. Von Wiener Walzer-Ballseligkeit überhaupt keine Spur, noch nicht einmal im Hintergrund; ja, es gab nicht einen einzigen Tanzschritt, von der Musik doch bestens hervorgelegt, und so wurde von ihm aus die Aufführung falsch interpretiert und glatt verhunzt.

Im Widerspruch zu der nüchternen Inszenierung und trostlos trüben Ausstattung (der sonst so gute Jürgen Rose!) der berückende Wohllaut der Musik in erlesener Klangschönheit mit ihrem betörenden Duft, eine Paradeleistung des Staatsorchesters unter der herrlich differenzierenden Leitung von Wolfgang Sawallisch (das strömende Andante mosso wie "Und du wirst mein Gebieter sein" im zweiten Akt).

Doch da kommen schon die weiteren Einwände: Die Titelfigur Arabella ist durch die - in ihrem Fach hochgeschätzte - hochdramatische Sopranistin Julia Varady, bewährt als Opernfurie und empörtes Racheweib, alles andere als eine lyrisch sanfte, zarte und milde Arabella. Es fehlt ihr nun einmal - leider! - alle Anmut, ein Begriff, der eine Arabella zwangsläufig adelt. Sie wagt keinen einzigen Tanzschritt (Mißgriff des Regisseurs?), ist selbstverständlich gesangstechnisch absolut einwandfrei, markiert jedoch nur die Arabella, ist sie aber nicht.

Einmalig dagegen wie eh und je (seit 1959) Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka (einen besseren gibt es nicht!). Edith Mathis: in der schwierigen bis unmöglichen Rolle der Zdenka schlechtweg ideal. Hildegard Uhrmacher in der unglücklichen Rolle der Fiakermilli wurde ausgebuht, als sie unvorsichtigerweise vor den Vorhang geschickt wurde. Der neue Matteo (Josef Hopferwieser) fand sich gut - vor allem gesanglich - mit seiner wenig dankbaren Rolle ab. Kurt Böhme, Hertha Töpper und die drei abgewiesenen Verehrer: sehr gut bis brauchbar, wobei die drei Freier unter der unmöglichen Regieführung zu leiden hatten.

Zjum Schluß Skandal im Opernhaus: Nachdem das festlich gestimmte Premierenpublikum den beiden Hauptdarstellern und Wolfgang Sawallisch (und damit auch dem Orchester) stürmischen Beifall bezeugt hatte, erlaubte es sich zu Recht, den erfolglosen Regisseur Peter Beauvais und seinen ebenso glücklosen Bühnenbildner Jürgen Rose kräftig auszubuhen, was nun unverzüglich mit dem strengen Herunterlassen des eisernen Vorhangs und dem Abwürgen jeglicher Publikumsäußerungen beantwortet wurde. Ein beschämender Abschluß, eine Maßnahme, die auch den gutgewillten Teil des Publikums verstimmte.

Hans Köhler

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     Berchtesgadener Anzeiger, 2. Februar 1977     

"Arabella" - beifallumrauscht und mit Buhrufen bedacht

   

Beifallumrauscht, aber auch mit Buhrufen bedacht, ist "Arabella" von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal am Montag abend zum fünften Mal als eines der liebsten Münchner Kinder in die bayerische Hauptstadt zurückgekehrt. (Re)sozialisiert nach ihrer jahrelangen Zeit als Goldstück im Nationaltheater, hielt die Oper einen etwas verlodderten Einzug, der mit einer gemeinsamen Mißfallenskundgebung des Publikums endete: Nach der Ablehnung von Inszenierung (Peter Beauvais’ erste Münchner Opernarbeit) und Bühnenbild (Jürgen Rose) von seiten der Ränge senkte sich im Nu der eiserne Vorhang. Mißgestimmt zog auch das vorher genüßlich dahinschwelgende Volk von dannen.

Peter Beauvais hatte versucht, "Arabella" einen neuen Anstrich zu geben. Überdeutlich präsentiert sich die morsche Scheinwelt des nicht zuletzt durch seine Spielleidenschaft vergammelt dahindämmernden Graf Waldner, umgeben von schemenhaften Schattengestalten. Durch die Bank verbreitet sich düstere Tristesse, ohne daß auch nur ein Lichtschimmer andeutungsweise die weitgehend monotone, nur nach außen noch glänzende imaginäre Umgebung erhellt. Der Fiakerball als Wohltätigkeitsfest erstarrt in leerer Eintönigkeit: Inhaltslos herumgeschleppte Schau(m)weingläser, einsam vor sich hindösender Hummer, nur kurz aufflackernde Begeisterung bei den "Millis" kennzeichnen unaufhaltsamen Abstieg. Beauvais verzichtete auf eine Romantik der lyrischen Komödie zugunsten atmosphärischer Dichte. Die Differenzierung der Motivtechnik bei Strauss blieb dabei zugunsten einer "wirklichen" Handlung, vor allem gegen Ende des "Faschingsstückes", teilweise auf der Strecke.

Gleichsam parallel zur finsteren Inszenierung verleitete Wolfgang Sawallisch das Orchester zu einer schwülen und duftigen Begleitung der strahlenden Sänger: An ihrer Spitze Julia Varady als zauberhafte Arabella, Dietrich Fischer-Dieskau als temperamentvoll-dynamischer Mandryka und Edith Mathis als Zdenka, schelmhaft und lieblich zugleich.

Manfred Körber

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     Westfälisches Volksblatt, Paderborn, 2. Februar 1977    

Theaterkrach nach Münchner "Arabella"-Premiere

Eiserner Vorhang gegen "Buhrufer vom Dienst"

    

München (AP). Zum ersten Male hat das Bayerische Nationaltheater sichtbar und konsequent auf die in München längst als unzumutbares Ärgernis beklagte Unsitte der "Buhrufer vom Premierendienst" reagiert, lautstark Zensuren an die Künstler zu verteilen. Nach einer vom Großteil des Publikums mit Jubel und Begeisterung gefeierten Neuinszenierung der lyrischen Komödie "Arabella" von Richard Strauss durch den Fernsehregisseur Peter Beauvais kam es zu einem Theaterkrach, bei dem die Leitung des Nationaltheaters vorzeitig den eisernen Vorhang herunterließ.

Bereits nach dem zweiten Akt hatten die Rufer vom dritten Rang und der Galerie die Koloratursängerin Hildegard Uhrmacher als Fiakermilli ausgebuht. Die Weltstars der seit Monaten ausverkauften Premiere, Dietrich Fischer-Dieskau (Mandryka), Julia Varady (Arabella), Edith Mathis (Zdenka) und Kurt Böhme (Graf Waldner) wurden ebenso wie Dirigent Wolfgang Sawallisch mit uneingeschränktem Applaus gefeiert. Als Sawallisch jedoch mit dem Regisseur Peter Beauvais und dem Bühnenbildner Jürgen Rose erschien, buhte es von den oberen Rängen. Darauf ging der eiserne Vorhang herunter, gegen den noch länger als zwanzig Minuten der Applaus der Beifallswilligen ebenso wie das Buh der Störer vergebens anbrandete.

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     Schwäbische Zeitung, Leutkirch, 2. Februar 1977     

Liebeskomödie in Ibsenscher Dramatik

Neuinszenierung der "Arabella" von Richard Strauss am Münchner Nationaltheater

    

Mancher hat sich wohl ehrlich begeistert bei der Neuinszenierung der "Arabella" von Richard Strauss im Münchner Nationaltheater, begeistert für die Solisten wie für die musikalische und szenische Darstellung in der heute üblichen realen und psychologisch wahrheitsgetreuen Deutung. Das bewies der stürmische Beifall für den Dirigenten und die Sängerstars. Aber der Regisseur Peter Beauvais erntete auch viele Buhrufe, und die Direktion, müde der ständigen "Buhrufer vom Premierendienst", ließ vorzeitig den Eisernen Vorhang herunter.

Nach Rudolf Hartmanns Traum-"Arabella", die unvergeßlich bleibt, sollte Jean Pierre Ponnelle die Oper in München neu inszenieren. Er lehnte es ab. "Wie weise", würde Curt Goetz sagen. Darauf wagte Peter Beauvais sein Münchner Opernregie-Debüt, unbeeinflußt von Hartmanns herrlichem Münchner und Dietrich Haugks problematischem Stuttgarter Konzept von 1967. Der Regisseur soll die beiden Inszenierungen nicht gesehen haben. Beauvais, ein exzellenter Kenner der Oper und ihrer Entstehung, hielt sich in der Mitte zwischen "lyrischer Komödie" und dem morbiden Wiener Milieu von 1860. Er ließ in Hofmannsthals Geschichte um den durch Spiel verarmten Grafen Waldner, der seine ältere Tochter Arabella mit viel Glück an einen reichen Freier namens Mandryka bringt, während die jüngere Zdenka in einer Hosenrolle manche innere und äußere Verwirrung stiftet, alles psychologisch fein ausspielen.

Der erste Akt, die Exposition, begann verheißungsvoll. Höhepunkte waren das Duett Arabella/Zdenka, darstellerisch und sängerisch von Julia Varady und Edith Mathis entzückend ausgestaltet, sowie das Auftreten des geheimnisvollen Mandryka und sein Dialog mit dem Grafen Waldner - Dietrich Fischer-Dieskau als jugendlicher Werber ein männliches Naturereignis, schön und stark in Maske, Statur und Gesang, Kurt Böhme, ein etwas zu alt hergerichteter Herr in dekadenter Manier, eine in charakteristischer Komik faszinierende Kammerspiel-Studie.

Schon im zweiten Akt auf einem Wohltätigkeitsball für die Witwen und Waisen der Fiaker im Milieu der Wiener Vorstadt ließ die Spannung nach. Alle Bemühungen des Regisseurs, das Liebespaar lyrisch dominieren zu lassen, gingen im Wirbel des Finales unter, trotz all der feinen Regieeinfälle, zum Beispiel bei der Komplikation mit dem Schlüssel zu Arabellas Zimmer, den Zdenka ihrem Matteo (Josef Hopferwieser, einem neuen, beachtlichen Tenor) übergibt, und Fischer-Dieskaus mächtiger Reaktion darauf. Die Fiaker-Milli Hildegard Uhrmacher, bravourös in der unglücklichen Partie, belastete den unbefriedigenden Aktschluß.

Im dritten Akt herrschte auf der Bühne Ratlosigkeit. Der Skandal wurde zum Ibsenschen Drama. Das Ehepaar Waldner saß dumpf brütend in einer dunklen Ecke der düsteren Hotelhalle. Zdenka schließlich, das süße kleine Enfant terrible, wurde von Arabella und Matteo betreut wie die sterbende Violetta der "Traviata", da half dann das Happy-End der künftigen Doppelhochzeit auch nicht mehr über die Verlegenheit im Beisein aller Hotelgäste hinweg. Wunderbar inszeniert war diese dramatische Situation, aber eben doch wohl zu realistisch. Der vielgeschmähte, ungeschminkte dritte Akt war zu gut gestaltet, zu wahrhaft, so könnte man sagen. Eine hervorragende, glückliche Leistung, wie sie Hartmann seinerzeit gelang, läßt sich meist nicht wiederholen. Das bewies sich hier wieder.

Julia Varady ist eine dramatische Sängerin, stimmlich mit allem begnadet, im Piano und im strahlenden Forte. Aber sie war als Arabella mehr eine Pauline Strauss als eine Cosima Wagner. Man begeistert sich für ihre Intelligenz, nicht für die Anmut des jungen Mädchens in seiner großen ersten Liebe. Mandryka würde bei dieser Frau, die er nach Slowenien mitnimmt, wohl manchmal nichts zu lachen haben. Und auch Edith Mathis als Zdenka war schon beinahe zu reif für die Rolle. In den Bühnenbildern und Kostümen von Jürgen Rose wurde das morbide Wien vielleicht ein wenig zu drastisch hervorgehoben. Plüsch und Plunder vergangener Pracht stimmten hier nicht lyrisch-verzeihlich, sondern provokatorisch, fast alarmierend.

Wolfgang Sawallisch schwelgte mit dem Orchester verschwenderisch in Farben und ließ keine Nuance der Partitur ungenützt. Er ging dynamisch bis an die obere Grenze sinfonischer Gestaltung, was ihm nur dieses grandiose, jeden Sturm des Orchesters parierende Solisten-Ensemble gestattete. Seine vorbildlichen zügigen Tempi, so bezwingend sie wirkten, ließen dennoch das "Gemütliche" dieser von Strauss doch immerhin als lyrische Komödie erfühlten Oper nicht aufkommen. Man wünschte sich mitunter heimlich ein kleines, wohltuend kitschiges Ritardando, das den Atem auf der Bühne, im Orchester und im Zuschauerraum zu beruhigen pflegt. In den übrigen Rollen viele neue und alte Namen: Hertha Töpper, nun eine junge schöne Gräfin Adelaide, Martha Mödl, die Kartenschlägerin, Hermann Winkler, der etwas behäbige Graf Elemer, Raimund Grumbach als Dominik, Markus Goritzki als Graf Lamoral. Der Opernchor sang virtuos.

Eckart Fricke

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