Zum Konzert am 30. Mai 1976 in München


    

    Süddeutsche Zeitung, 1. Juni 1976

Sinndeutung durch aparten Klang

Matinée mit Werken von Mark Lothar im Cuvilliéstheater

     

Was Mark Lothar (geb. 1902) zu einem hervorragenden Komponisten von Schauspiel-Bühnenmusiken (im alten Berliner Staatstheater unter Gustaf Gründgens und später im Residenztheater in München) befähigte, sein großes Literaturverständnis und sein enges Verhältnis zum dichterischen Wort, das macht auch seine Berufung zum Liedschaffen aus. Man fand das wieder bestätigt in einer seiner Musik gewidmeten Matinée im Cuvilliéstheater, in der Dietrich Fischer-Dieskau seine kostbare Stimme und seine einzigartige interpretatorische Intelligenz sieben Liedern nach Gedichten von Hermann Hesse zugute kommen ließ, die Lothar unter dem Titel "Musik des Einsamen" für Bariton und sieben Soloinstrumente geschrieben hat. Darin ist keine Spur von nachempfundener Romantik, es herrscht allein ein ganz auf die Ausdrucksintensität der Stimme und des sie oft nur im Alleingang (Cello, Violine, Klarinette) begleitenden Instruments zurückgenommenes, eher karges Melos, das gar nicht auf "lyrisches Blühen", sondern ganz auf expressive Sinndeutung des Wortes angelegt ist. Auf Fischer-Dieskaus deklamatorisch hochsensible Vortragsweise gingen die sieben Solisten der Münchner Philharmoniker mit ihrem Konzertmeister Kurt Guntner an der Spitze unter Leitung des Komponisten mit feinster Einfühlung ein.

[...]

K. H. Ruppel

__________________________________

      

    Münchner Abendzeitung, 1. Juni 1976     

Fischer-Dieskau und Prey im Cuvilliéstheater

Wenn Prominenz sich auf den Fersen folgt ....

  

Bariton-Fest im Cuvilliéstheater. Wo vormittags Dietrich Fischer-Dieskau zu Ehren Mark Lothars den Liederzyklus "Musik des Einsamen" sang, stellte am Abend Hermann Prey zusammen mit Wolfgang Sawallisch seinen selbstgebastelten Schubert-Zyklus "Ein Leben in Liedern" vor.

Wenn sich Prominenz so dicht auf den Fersen folgt, kann ein Vergleich nicht ausbleiben: zwei überragende Sängerpersönlichkeiten, der eine mit einem klug disponierten, bis in letzte Bereiche durchdachten zeitgenössischen Zyklus, der andere mit einem schillernd in Szene gesetzten neuen Liederzyklus aus alten Beständen. Fischer-Dieskaus geistige wie stimmliche Souveränität bleibt nach wie vor überwältigend, durch sie hat Lothars Zyklus deutliche Aufwertung erfahren.

Hermann Prey indes wertete sein zyklisches Programm durch lose literarische Zusammenhänge der einzelnen Lieder eher ab, da musikalische Kriterien nur eine untergeordnete Rolle spielten. Fischer-Dieskau behielt sich disziplinarisch fest im Griff, Prey schaukelte auf hohem interpretatorischem Wellengang. Während er mit den Noten der dramatischen Lieder rang (Ganymed) und sie nur unter Schluchzen über die Lippen brachte, beschwor er beklemmende Resignation in den Todesliedern. Hier war er zur Zurückhaltung gezwungen und vollbrachte meisterhaften Schubertgesang.

Rüdiger Schwarz

zurück zur Übersicht 1976
zurück zur Übersicht Kalendarium