Zur Oper am 27. April 1975 in Berlin


Der Tagesspiegel, Berlin, 29. April 1975

"Das war sehr gut, Mandryka!"

"Arabella" mit Fischer-Dieskau in der Deutschen Oper

Der belesene Städter Dietrich Fischer-Dieskau hat als Mandryka Sätze wie diesen zu singen: "Verzeihen Sie, ich bin ein halber Bauer, bei mir geht alles langsam, aber stark." Das heißt, daß sein Mandryka, anders als etwa der des wirklich "starken" Ingvar Wixell, der die Rolle in der Premierenbesetzung innehatte, notwendig ein Kunstgeschöpf ist. Seine Auftrittsszene, die mit dem Grafen Waldner, in der über die Tochter verhandelt wird, ist "gespielt" - für den Zuschauer amüsant zu verfolgen, wie sich Fischer-Dieskau dazu verhält, daß er nicht "naiv" ist. Er hat den Alten von Anfang an in der Hand. Und dann kommt plötzlich, als es um die erste Begegnung mit Arabella geht, der Punkt völliger Identifizierung, "sehr ernst" die Kantilene: "Das ist ein Fall von andrer Art."

Fischer-Dieskaus Interpretation ist, durchaus zugunsten der Spannung des Ganzen, eine der flammenden Affekte: der Schwärmerei, der Verblendung von Eifersucht bis zum Irresein, der pathetisch-überkandidelten Freude nach der Versöhnung. Daß er sich, auch bei gewissen klanglichen Sprödigkeiten, stimmlich nichts zuschulden kommen läßt und Hofmannsthals Dichtung konversierend gleichsam nachdenkt, gehört zu den Selbstverständlichkeiten seines Niveaus. Darüber hinaus schien mir jeder Schritt des auf der Berliner Bühne ja leider selten gewordenen Darstellers interessant zu sein, ja selbst sein Dastehen. Fischer-Dieskau hat Nuancen des schweigenden Stehens und Zuhörens wie kaum ein anderer. Auf die sechste "Arabella"-Aufführung in der Deutschen Oper unter Heinrich Hollreisers musikalischer Leitung übte er offenbar inspirierende Macht aus. Aber auch Gundula Janowitz und Gerti Zeumer sangen ihr Duett noch schöner und ausgeglichener als in der Premiere, und Josef Greindl war darauf bedacht, seine Späße nicht zu überziehen. Großer Beifall.

S. M.

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     Der Abend, Berlin-West 29. April 1975     

Fischer-Dieskau in der Deutschen Oper

    

In der Partie des auf Brautschau nach Wien gekommenen slowenischen Großgrundbesitzers Mandryka gastierte Dietrich Fischer-Dieskau nach langer Pause zum ersten Male wieder in der Deutschen Oper. Die Rolle verlangt als Widerpart zu der tragenden Frauenpartie der Arabella außer stimmlicher Leistungskraft auch darstellerisches Engagement. Fischer-Dieskau hat sie schon 1958 und danach als Partner von Lisa della Casa in einer berühmten Inszenierung der Strauss-Oper bei den Salzburger Festspielen gesungen.

Er kehrt weniger den Draufgänger hervor, sondern gibt den "halben Bauern" Hofmannsthals mit mehr Schläue und lustigem Augenzwinkern. Der Schweinezüchter aus dem "Zigeunerbaron" des anderen Strauß grüßt von fern. An die Stelle eines Rollenklischees tritt eine durchdachte individuelle Gestaltung, zu der im Umgang mit Damen das Benehmen eines Kavaliers gehört. Stimmlich war Fischer-Dieskau von Anbeginn - weit mehr als neulich in der Philharmonie - im Vollbesitz seines immer edel klingenden Baritons. Warum singt er nicht viel öfter Oper?

An seinem Vorbild rankte sich auch das übrige unveränderte Ensemble empor, vor allem Gundula Janowitz in der zentralen Rolle der bildschönen Arabella. Ihr Sopran blühte nie glanzvoller auf als neben diesem Partner. Die Aufführung ist überhaupt seit der Premiere Anfang März stärker zusammengewachsen, wenn sie auch die Längen und Unebenheiten des Werkes im zweiten und dritten Akt nicht ganz vergessen lassen konnte.

W. S.

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     B.Z., Berlin-West 29. April 1975     

Riesenjubel in der Oper für den Berliner Welt-Star mit den zwei Karrieren

Dietrich Fischer-Dieskau singt morgen noch einmal

   

Ovationen für Dietrich Fischer-Dieskau (49) in der Deutschen Oper. Jubel um den Berliner Weltstar-Bariton für seine Partie als Mandryka in der Richard-Strauss-Oper "Arabella".

Der stürmische Beifall galt auch "Fi-Dis" Partnerinnen Gundula Janowitz als Arabella, Gerti Zeumer und Harald Ek.

Über zwei Jahre lang hatte Fischer-Dieskau nicht mehr auf der Berliner Opernbühne gestanden. Zuletzt sang er 1972 in der "Così fan tutte"-Inszenierung mit Karl Böhm am Dirigentenpult.

Aber er ist Berlin nie untreu geworden. War immer wieder zu Konzerten hier. Am 9. Mai gastiert er wieder mit Eichendorff-Liedern.

Und er hat - auch wenn schon anderes erzählt wurde - noch immer seinen einzigen Wohnsitz in Zehlendorf.

Gerade hat der stabile Mann, der vor sechs Jahren 20 Pfund abgenommen hat und seitdem schlank geblieben ist, eine Deutschland-Tournee mit 16 Liederabenden hinter sich.

Wie schafft er es da, auch seine zweite Karriere als Dirigent, die mit so großem Erfolg begann, weiterzuführen? Auch dafür findet er Zeit. Eine Israel-Tournee mit dem Israel Philharmonic Orchestra ist geplant. Und eine "Dirigier-Serie" mit dem Orchester Prag.

Morgen abend aber ist er noch in Berlin. Noch einmal ist er der liebende Mandryka und singt mit Gundula Janowitz.

Caroline Methner

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     Spandauer Volksblatt, 29. April 1975     

Doch kein Vergleich

Prey mit Schubert / Fischer-Dieskau in "Arabella"

   

Der Terminzufall wollte, daß die beiden bedeutendsten deutschen Baritone ihrer Generation am Sonntag unmittelbar nacheinander zu hören waren. Ein Vergleich erscheint, so nahe er liegt, müßig. Denn der Mandryka in der Strauss’schen "Arabella" ist seit vielen Jahren eine Glanzpartie von Dietrich Fischer-Dieskau, während Schuberts todtrauriger "Winterreisen"-Zyklus eher am Rande von Hermann Preys Ausdrucksvermögen liegt.

Preys Stimme hat, wenn das möglich war, an Samt und Seide noch gewonnen. Dieser Sänger läßt einen fast plüschenen, dabei kräftigen, alle artistischen Anforderungen mühelos bewältigenden Ton hören, der begeistert. Nur ist es damit bei der "Winterreise" nicht getan. Nicht nur, daß Prey hier gegen sein herzhaftes Naturell ansingen muß: er scheint auch seiner Übermittlungsfähigkeit zu mißtrauen. Denn statt aus dem artikulierten Text heraus seelische Vorgänge zu verdeutlichen, legt er der melodiösen Linie eine Vielzahl von dynamischen Varianten auf. Falls er den Gesang mezzoforte frei strömen läßt, scheint er ausdrucksloses Gleichmaß zu fürchten. Zu Unrecht. Gerade der von einheitlicher Stimmung getragene "Leiermann" gelang ihm gut.

Leonard Hokanson, der sensible Begleiter, saß auf dem Podium der Philharmonie halb mit dem Rücken zum Parkett, so daß Augenkontakt mit dem Sänger bestand. Das sollte Schule machen.

In der 6. Vorstellung der Neuinszenierung in der Deutschen Oper übertraf "Arabella" durchweg das (beachtliche) Premierenniveau. Vor allem war das der beflügelnden Leistung Fischer-Dieskaus zu danken. Wenn’s einen gibt für sie auf dieser Welt, - um mit Hofmannsthal zu sprechen - dann ist er der richtige Partner für die großartige Gundula Janowitz. Ein Herr, vornehm, förmlich, befehlsgewohnt - nur eben erfüllt er die Manieren mit jener Herzlichkeit und jenem einfachen Humor, die in der glatten Welt der Hauptstadt längst abhanden gekommen sind. Die nicht unproblematische Mandrykafigur wird zum ländlichen Bruder des "Schwierigen", zum edlen Gegenstück des Ochs.

Eine komödiantische Meisterleistung, entwickelt aus Spielwitz und sonorem Gesang. Sie riß die unveränderte Premierenbesetzung zu einem festlichen Abend hoch und die Besucher zu Jubel hin.

Hans Jörg von Jena

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