Zum Liederabend am 16. März 1975 in Düsseldorf


   

     Rheinische Post, Düsseldorf,  17. März 1975     

Fischer-Dieskau am Rhein

Eichendorff-Interpretation

     

Der Sängerfürst unserer Jahre, Dietrich Fischer-Dieskau, ist durch den Dirigenten, Buchautor und Essayisten Fischer-Dieskau keineswegs entthront. Seine neue Tournee, die ihn u.a. in die Duisburger Mercator- und die Düsseldorfer Rheinhalle führte, bewies es: Seine nach wie vor überragende Singtechnik und seine höchst bewegliche, künstlerische Intelligenz kann er im vorrückenden Alter sogar noch auf neue Aufgaben umstellen.

Anstatt sich wie früher pro Abend auf einen und denselben Komponisten einzusingen, vertieft er sich jetzt in sechs verschiedene Kompositionsstile, wobei ihm allein der Dichter, Joseph v. Eichendorff, mit seinen Liedtexten den Leitfaden gibt.

Allgemeines Staunen: Mendelssohn, der als Klassizist Abgestempelte, kommt Eichendorff als Erster am nächsten. Wie er sich Zeile für Zeile auf den Erzromantiker einstimmt – hier in Form einer Ballade, dort einer Idylle oder gar Humoreske – das hebt die Sängerstimme unzweideutig heraus, wenn sie den Ton gegenüber der Deklamation zurücknimmt oder umgekehrt, kurze oder weite Phasen der Dynamik in die ernsteste Größe hineinsteigert und zeitweise ein kostbares Piano ins nahezu Unendliche verströmt.

Mängel in dem Programm-Aufbau seien nicht verschwiegen. Schumann hat wenig individuell an Eichendorff entlangkomponiert. Reinhard Schwarz-Schilling (Jahrgang 1904) ist mit Springinsfeld-Spielereien ohne Belang vertreten. Kein Vergleich mit dem Schweizer Othmar Schoeck, dessen Meisterstücke Fischer-Dieskau mustergültig auslegen kann, diesmal aber seinen Hörern vorenthält.

Stereotypes kommt auch bei Pfitzner vor. Sein Opus 22/1 allerdings "In Danzig" erklingt als gewaltiges dunkles Notturno. Liedbegleiter Günther Weißenborn läßt hierbei einen Chor tiefer Turmglockenspiele einfallen, ein "Solo" ähnlich anderen, um die der Pianist den Abend im Einvernehmen mit dem Bariton bereichert. Hans Pfitzners op. 26/1 "Nachts" zieht in vielschichtigen Moll-Stimmungen vorbei.

Bei zwei Kabinettstücken, die sich überaus geistvoll im Umraum Pfitzner-Mahler-Wolf bewegen, würde niemand den Komponisten Bruno Walter erraten, wäre er nicht im Programmheft ausgedruckt. Bei Hugo Wolf selbst, am Ende, ist naturgemäß eine Überraschung um die andere fällig. Keiner wie er wohl hat die Lyrik des oberschlesischen Freiherrn bis in die Halbzeilen und Einzelwörter hinein in Tönen abgespiegelt, in wechselhaften Wendungen, denen sich Fischer-Dieskau und Weißenborn aufs subtilste und zwischendurch mit hochschnellender Energie anpassen.

Heinrich von Lüttwitz

__________________________________

    

     Düsseldorfer Nachrichten,  18. März 1975     

Fischer-Dieskau darf auch Unpopuläres singen

Gut besuchtes Konzert in der Rheinhalle

    

Der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau füllt in einer Zeit, in der selbst Gastspiele eines Weltklasse-Pianisten wie Emil Gilels und die Aufführung der zweiten Sinfonie von Gustav Mahler unter Kondraschin vergleichsweise mager besucht sind, immer noch souverän die Rheinhalle. Er kann es sich leisten, rund zwei Dutzend kaum populäre Joseph-von-Eichendorff-Vertonungen von Mendelssohn und Schumann sowie von Pfitzner, Bruno Walter, Schwarz-Schilling und Hugo Wolf auf sein Programm zu setzen und erhält – neben langanhaltendem Begrüßungsbeifall – sehr viel herzliche Zustimmung zwischen den Abschnitten. Nach dem Konzert (reine Vortragszeit 40 Minuten vor und 24 Minuten nach der Pause) umdrängt das Publikum in dichten Reihen das Konzertpodium.

Auf der Schallplatte hört man bei manchen Zyklen, vor allem jedoch bei Opernaufnahmen, daß die drei Jahrzehnte Oper, Konzertsaal und Aufnahmestudio auch an dem Ausnahmesänger Fischer-Dieskau nicht ohne Abnutzung vorübergegangen sind. Bei seinem Konzert in der Rheinhalle merkte man es kaum. Was er an schönem Ausdruck in weichem schwebenden Piano, an überlegter Gestaltung, an deklamatorischer Prägnanz und musikalischer Artikulation zu bieten hat, ist immer noch von seltenem Rang.

Sicher, sein Programm ist sorgfältig kalkuliert. Stücke, die zu Ausbrüchen zwingen, die ihm stimmlich das Äußerste abfordern, sind kaum dabei. So singt er im ersten Teil seines Programms die Mendelssohn-, Schumann- und Pfitzner-Vertonungen der dämmrigen, stillen, versonnenen und verträumten Eichendorff-Texte mit weichem Piano, nur gelegentlich sprachlich schärfere Akzente setzend. Und bei den etwas lebhafteren Vertonungen von Bruno Walter, Reinhard Schwarz-Schilling und Hugo Wolf zeigt er immer wieder, wie er mit Kunstverstand, bei überlegtem ökonomischen stimmlichen Einsatz gestalterische Effekte erzielen kann. Seine manirierte Überartikulation hat Fischer-Dieskau weitgehend abgelegt zugunsten eines feinen Ausfühlens der Texte und der Musik.

Seine Partner am Klavier sucht Fischer-Dieskau seit jeher sorgfältig aus. Diesmal begleitete ihn Günther Weißenborn mit sicherem Gespür für das richtige Tempo, ausgewogene Dynamik und weiches Ausloten der Stimmung in den feinsinnigen Gesängen.

Doch trat er stets dienend hinter den Sänger zurück, nur gelegentliche Vor- und Nachspiele mit einigem pianistischen Glanz aufpolierend.

Emil Fischer

__________________________________

    

     Neue Rheinzeitung, Düsseldorf,  18. März 1975     

Fischer-Dieskau sang Eichendorff-Lieder

Dem Sprachklang genau auf die Spur

   

Seit seinem letzten Düsseldorfer Auftritt ist der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau auf Nebengleisen zum Dirigenten und Publizisten avanciert. Es war denn auch ein literarischer Aspekt, unter dem der Sänger sein Programm zum 9. Meisterkonzert in der Rheinhalle zusammengestellt hatte: Er sang Lieder von sechs Komponisten auf Gedichte Josef von Eichendorffs.

Themen und Sprache des Romantikers – Schmerz und Abschied, herbstliche Naturstimmungen als Symbole für Lebensstationen – haben die musikalischen Zeitgenossen und romantischen Nachfahren zur Vertonung gereizt. Unter diesem Gesichtspunkt hat Fischer-Dieskau ausgewählt.

Zu seiner Kunst der Interpretation läßt sich kaum Neues sagen. Da ist einmal sein unverwechselbares Timbre voll Milde und Wohlklang, zum anderen eine gestalterische Intelligenz, die dem Sprachklang und dem melodischen Duktus bis in die kleinste Bedeutungsnuance auf der Spur bleibt. Die Elemente von Unverbindlichkeit in den drei Gesängen von Mendelssohn wurden durch dieses Eindringen in Klang und Gehalt sogleich neutralisiert.

Eine Erfüllung waren bereits fünf Schumann-Lieder; hier vertiefte er sich mit einer unwahrscheinlich genau wägenden Artikulation als ein Apostel des zartesten Pianissimo in die Stimmungen aus Schwermut, Sehnsucht und Todeserwartung. Wer Hans Pfitzner als Liedkomponisten nicht kannte, konnte ihn in einer Fünfergruppe schätzen lernen. Das Lied "Lockung" hätte mit seinem slawischen Einschlag als bester Brahms durchgehen können, und das nokturnehafte "In Danzig" ist mit seinen Tonartenverschleierungen und den impressionistischen Ostinatoklängen im Mittelteil ein echter Geniestreich.

Die beiden Lieder des berühmten Dirigenten Bruno Walter erwiesen sich für den Volksliedton Eichendorffs als kompositorisch reichlich exaltiert, die Vertonungen des Zeitgenossen Schwarz-Schilling als freundliches Epigonentum. Hugo Wolfs Lieder gehören zum Kostbarsten der Gattung. Der "Nachtzauber" prägte sich tief ein als Nachvollzug erlesen formulierter, verinnerlichter Empfindung.

Das Publikum gewann auch dem fast durchgehend elegischen Tonfall Geschmack ab und applaudierte dem Sänger und seinem Begleiter Günther Weißenborn, einem Glücksfall mitdenkender Partnerschaft, voll Begeisterung.

Rainer Peters

zurück zur Übersicht 1975
zurück zur Übersicht Kalendarium