Zum Liederabend am 26. August 1973 in Salzburg


     Abendzeitung, München,  28. August 1973     

Salzburger Festspiele: Fischer-Dieskau singt Schubert

Zehn herrliche Minuten

     

Dietrich Fischer-Dieskau, immer auf der Suche nach neuen Liedbegleitern, hat sich für seinen Salzburger Festspiel-Abend den ebenfalls von der Deutschen Grammophon emsig unterstützten Christoph Eschenbach gewählt. Das Thema: Schubert.

Zunächst fiel auf, dass Eschenbach nicht gewillt war, pianistischen Anspruch aufzugeben. So kam es zu einem wackeren Anfang mit Heinrich Heines "Atlas". Doch Eschenbachs seltsam unvermittelt auftretende technische Schwächen verblüfften im weiteren Verlauf nicht minder: einfallslose Tonrepetitionen, leblose Akzente, vordergründige Tonillustrationen, wenn von "fahlen Nebeln" die Rede war. Eschenbach ist als Lied-Begleiter verwendbar – es müssen ja nicht gleich Festspielkonzerte sein.

Fischer-Dieskau, bei Schubert weit mehr in seinem Element als bei seinem französischen Programm während der Münchner Festspiele, hatte durchaus zehn herrliche Minuten. Dann nämlich, wenn er das große Opernregister nicht benutzte, wenn er auf den herz-tausigen Miniaturen-Schnick-Schnack in der Stimme verzichtete – wenn er also nicht mit Aufwand "gestaltete", sondern sich schlicht einer melodischen Linie anvertraute, ihr Atem gab, Kurve und Größe ("Meeres Stille").

Daß auch auf Fischer-Dieskau die Jahre zukommen werden, wo der Stimmglanz die ersten matten Stellen bekommt, scheint nach dem Salzburger Festspielabend unumstößliche Gewissheit. Doch die Trauer darüber mischt sich mit der Gewissheit, daß dieser große Künstler in jeder Phase seines Lebens ein Ereignis bleiben wird.

Helmut Lesch

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     Die Presse, Wien,  28. August 1973     

Er sang im falschen Saal

Fischer-Dieskau, begleitet von Eschenbach, im Großen Festspielhaus

    

"Für mich ist er der Sieger", sagte ein Festspielbesucher bereits vor Beginn des Abends. Dietrich Fischer-Dieskau, diesmal mit Christoph Eschenbach zu einem Schubert-Programm im Großen Festspielhaus gebeten, stand nicht nur für diesen einen Herrn als Gewinner – wovon? – fest.

Trotzdem: so einfach ist es nicht, sich der landläufigen Meinung anzuschließen und Fischer-Dieskau weiterhin als den besten Liedsänger zu bezeichnen. Man müsste da schon etwas differenzieren. Nicht so, wie Fischer-Dieskau es tut, doch immerhin etwas ins Detail gehend.

Fischer-Dieskau hat selbstverständlich die Persönlichkeit, um auch das Publikum eines derart großen Saales zu jener Aufmerksamkeit zu zwingen, die den Erfolg eines Liederabends ausmacht. Nur ist er weiterhin dabei, eine Mischung aus Intellektuellem und deutschem Jungen darzustellen, und das passt nicht mehr zu ihm. Gewisse Lieder, die er immer noch mit Schelmerei singt, sollte er nun langsam etwas distanzierter bringen.

Außerdem hat Fischer-Dieskau, was man an ihm immer bewunderte, nämlich die Fähigkeit, seiner Stimme innerhalb einer einzigen musikalischen Phrase hundert Nuancen abzugewinnen, und das ist gewiss außerordentlich. Nur müsste auch er diese große Kunst sinnvoll anwenden, stets den Liedern dienlich machen und nie, wirklich nie, dann einsetzen, wenn im besten Fall Bewunderung zu erringen ist. Die Zeile "Ich komme vom Gebirge her" ist bei Fischer-Dieskau eine ganze Skala an Empfindung und nicht einfach die erste Zeile eines Liedes. Und die stärkste Note ist bei ihm diejenige, auf der er "ich" zu singen hat. Das große Lieddrama aber ist anders. Es vollzieht sich erst später im "Wanderer". Nicht in der Aussage, dass Fischer-Dieskau vom Gebirge her kommt. Der kluge Sänger wird zudem selbst wissen, was man hier nur der Ordnung halber anmerken muss. Sein tragfähiges und vor allem im Piano unerhört eindrucksvolles Singen wird hohl und nahezu scheppernd, wenn er forciert, und er tut das im Großen Festspielhaus sehr oft, einige Lieder bestehen beinahe nur daraus. Wenn er dann auch noch aus der sichern Mittellage in extreme Tiefen oder Höhen muss, hilft ihm nur der Schrei, aber nicht mehr der Gesang. Auch dies hemmt einen Abend.

Christoph Eschenbach begleitete. Eigentlich begleitete er eher nicht, er spielte eigenwillig, manchmal sehr interessant, dann wieder seltsam unbelebt Klavier, und Dietrich Fischer-Dieskau musste einige Male auf den Pianisten Rücksicht nehmen – so sehr man als Musikfreund die Sensation schätzt, zwei Künstler gemeinsam auf dem Podium zu sehen, so sehr möchte man doch dagegen polemisieren, daß ein Sänger vom Format Fischer-Dieskaus um keinen Preis einen ordentlichen Begleiter wählt, sondern nur noch die Reihen der Pianisten durchforstet. Es gab da einmal Glücksfälle. Jetzt anscheinend gibt es eher falsche Sensationen. Nun ja.

Im Gegensatz zu den Ankündigungen baute man für diesen Abend die Bühne des Großen Festspielhauses nicht wieder um. Hat man die vorgeschlagene akustische Lösung ausprobiert und als ungünstig empfunden? Wollte man sich nur Mehrarbeit ersparen? War man damit zufrieden, ein sehr großes Haus voll zu verkaufen und einen Sänger zu viel zuviel Forte zu zwingen?

Nicht die fehlende Atmosphäre eines intimen Abends wird hier reklamiert. Im Grund auch nicht die spürbare Dekonzentration eines Publikums, das nach jedem Lied zwar nicht applaudierte, aber hüstelte. Sondern die Tatsache, dass Dietrich Fischer-Dieskau, der seine ganze Eigenpersönlichkeit wahrlich in einem kleinen Saal zur Geltung bringen könnte, um äußerlicher Vorteile wegen gezwungen wird, dick aufzutragen, und wenn es allen gefallen hätte, wäre es trotzdem unverantwortlich. Wenn man findet, es sollten eben alle Fischer-Dieskau sehen, dann möge man ihn für das Fernsehen engagieren. Bei Festspielen gehört er in einen zumutbaren Saal.

f. e.

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     Salzburger Nachrichten, 28. August 1973     

Salzburger Festspiele 1973

Neues Duo im Großen Haus

Dietrich Fischer-Dieskau erstmals in einem Liederabend von Christoph Eschenbach begleitet

     

Der fünfte Liederabend - wenn man die zwei Ausfälle abrechnet, war es der dritte - brachte mit Dietrich Fischer-Dieskau und Christoph Eschenbach am Flügel eine neue Musikerkonstellation. Fischer-Dieskau, der bekanntlich unter anderen mit Gerald Moore, Jörg Demus, Karl Engel, Svjatoslav Richter und Leonard Bernstein zusammen musiziert hat und vom reinen Liedpianisten bis zum Klaviersolisten alle Möglichkeiten der Begleitung erfahren hat, erweitert nun mit der Wahl Christoph Eschenbachs seinen Pianistenhaushalt. Wie seitens der Deutschen Grammophon Gesellschaft verlautete, ist gegenwärtig nur noch ein weiteres Auftreten der beiden Künstler, und zwar innerhalb der kommenden Berliner Festwochen, vorgesehen.

Der Erfolg im Großen Festspielhaus konnte nicht größer sein, er ließ nichts von irgendwelchen Bedenken gegen die Monumentalität dieser zur Liedarena umfunktionierten Großbühne spüren, er schloß die kluge Werkauswahl im Bereiche Schuberts ein und erstreckte sich auch auf Musikalisches. Der Konzertflügel stand vor einer leicht einwärts geschwungenen Rückwand, die zur Imagination eines intimeren Bühnenraumes hinreichte. Die Festspielhaus-Dimensionen werden auf diese Weise korrigiert, aber es bleibt das ungute Gefühl, daß da etwas nicht stimmt. Zweitausend Zuhörer gegen einen Sänger. Gegen eine solche Wand von gierigen Augen und Ohren, die ja nicht wie in der Oper durch die Scheinwerfer für den Sänger in Dunkelheit getaucht sind, anzusingen, muß eine psychische wie physische Anstrengung sein, wie sie kaum ein Musiker anderer Disziplinen durchzustehen hat. Dem Sänger steht nichts zur Ablenkung zur Verfügung, sozusagen bar jeder Waffe steht er mit seiner Stimme auf dem Podium.

Dietrich Fischer-Dieskau vermied es, nach rechts und links zu singen, um den ganzen Saal zu beachten, er verließ sich auf seine Kraft, das Festspielhaus ungezwungen zu füllen. Die Schwierigkeiten, die er nicht nur mit der Präsentation einer kontrollierten, ungetrübten Höhe hat, sondern die auch den Fluß in der Mittellage beeinträchtigen, überschatteten einen Abend von höchster Gesangskultur, die Akzente lagen in Fischer-Dieskaus wacher Schubert-Darstellung, in der Verständlichmachung der Inhalte und in der Dosierung von vorbereitenden und hinweisenden Nuancen. Der deklamatorischen Übertreibung blieb der Sänger wohltuend fern, das analytische Spiel mit den Silben zerhackte nicht den Schwung großer Steigerungen.

Der Abend hatte programmatisch einheitlichen Charakter: sechs Lieder aus dem Zyklus "Der Schwanengesang" nach Gedichten von Heinrich Heine und sechs ausgewählte Lieder nach Texten von Lübeck, Schulze, Seidl, Mayrhofer und Lappe tönten den ersten Teil düster, elementar, wenig versöhnlich. Sechs Lieder nach Gedichten von Goethe korrespondierten stimmungsmäßig: von der Dramatik des "Erlkönigs", der Nächtlichkeit von "An den Mond" bis zu den Wallungen des "Prometheus" blieb diese Linie erhalten, mit dem "Musensohn" war dann abschließend eine Entspannung gesichert.

Christoph Eschenbach wirkte angespannt, konzentriert auf jede Wendung seines Klavierparts, in ungünstigen Momenten unfrei in der Formung eines tragenden, nicht nur kurz angerissenen Akkordfortes, in den besten Phasen wendig, beherzt im Drang gewagter Attacken. Sein fast starres, sauber durchgestaltetes Schubert-Spiel prägte die Interpretation des "Erlkönigs" anders, als es im ersten Liederabend Tom Krauses der Amerikaner Irwin Gage gezeigt hat. Eschenbach zielt auf den Kontrast von hart gestoßenen Repetitionen und weichen Binnenpartien (Gage nahm alles in einem furiosen Sturm). Daß ihm die ausdrucksmäßig von starken Polaritäten getragenen Lieder mehr liegen, zeigte besonders sein etwas trocken exerziertes Spiel im "Musensohn". Die Sprünge der rechten Hand waren nicht in die aufgeräumte gewölbte Linie der Begleitstruktur einbezogen. Versenkung und zurückhaltende Noblesse sind Bezirke, die Eschenbach eher zugänglich erscheinen als unverstellter Charme.

Zugabe auf Zugabe war die Antwort auf enormen Beifall, der Fischer-Dieskau und Christoph Eschenbach gleichermaßen einschloß.

Peter Cossé

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     Salzburger Volksblatt, 28. August 1973     

Letzter Liederabend:

Die Klage melodisch kündend

    

Selbstverständlich war das Große Festspielhaus zu klein, allen Platz zu bieten, die Dietrich Fischer-Dieskaus Liedgesang erleben wollten. Selbstverständlich vermochte des Sängers Stimme auch sonder Mühe, den gewaltigen Raum zu füllen - im Pianissimo so gut wie im Forte. Und wer wollte daran zweifeln, daß er das Publikum zu Ovationen hinriß? Dieser Künstler ist ein wunderbarer Schubert-Interpret, das wußte man seit langem, davon ist man jetzt erst recht überzeugt.

Die ersten sechs Lieder aus dem "Schwanengesang" standen auf seinem Programm, schmerzerfüllt, empfindsam rührend, von leiser Ironie überhaucht, wie es den Heine-Gedichten und Schuberts Vertonung entspricht. Schier unheimlich, wie der Komponist im dritten, vierten, fünften Lied ("Die Stadt", "Am Meer", "Der Doppelgänger") Visionäres andeutet, wie der Sänger dies ohne zu starke Akzentuierung transparent macht und der Begleitpianist - Christoph Eschenbach - mitzuwirken vermag, die Stimmungen vorwegnehmend, sie untermalend oder ihnen ein Echo gebend ("Doppelgänger").

Es folgte eine Gruppe seltener gesungener Lieder zu Texten des Schmidt von Lübeck, Schulzes, Seidls, Mayrhofers und Lappes. Das feinste Lied dünkte mich hier "Das Zügenglöcklein" zu sein, im scheinbar ganz schlichten Fluß der sanften Seidl-Verse, vorgetragen im Volksliedton. Das ergreifendste Lied der Gruppe: "Memnon"; Schubert hat das Gedicht seines unglücklichen Freundes Mayrhofer auf sich bezogen ("Für Menschenohren sind es Harmonien. Weil ich die Klage selbst melodisch künde und durch der Dichtung Glut das Rauhe ründe, vermuten sie in mir ein selig Blühen"), und Fischer-Dieskau sang es ganz so, wie es gemeint ist...

Zum Abschluß einige Lieder nach Gedichten von Goethe. Man hört sie oft in Konzerten, selten freilich so vorgetragen, wie Fischer-Dieskau es kann. Hier wie den ganzen Abend über war ihm Christoph Eschenbach ein ungewöhnlich sensibler Begleiter, dem der Sänger mit Recht starken Anteil am Beifall zumaß. Die Zugaben des unermüdeten Künstlers rissen die Zuhörer zu weiteren Applaus-Orkanen hin.

B. Hehn

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