Zum Liederabend am 4. August 1973 in München


     Süddeutsche  Zeitung,  6. August 1973     

MÜNCHNER FESTSPIELE

Im französischen Porzellanladen

Fischer-Dieskau singt Fauré, Ravel und Poulenc im Herkulessaal

     

Mit Superlativen ist nicht zu sparen, will man beschreiben, wie dicht im Münchner Herkulessaal, auch auf dem Podium, die Zuhörer zuhauf saßen, wie enragiert Dietrich Fischer-Dieskau bejubelt wurde. Der Deutschen liebster Bariton und seine Anbeter fühlten sich eins, des wohlgefälligen Schmunzelns und beiderseitigen Entzückens war kein Ende. Aber nicht nur eine mir rätselhafte Begeisterung, sondern auch ihre klingende Voraussetzung ist zu beschreiben.

Ein intelligent und subtil zusammengestelltes Programm wäre zu würdigen gewesen. Einem großen Impressionisten (Ravel) und einem nicht ganz so großen (Gabriel Fauré) waren zwei musikalische Antipoden gegenübergestellt: Georges Auric und Francis Poulenc, beide 1899 geboren, beide unter der Ägide Eric Saties zusammen mit Milhaud, Honegger, Louis Durey und Germaine Tailleferre der "Groupe des six" zugehörig, die eine neoklassizistische, antiromantische, antiimpressionistische Ästhetik verfocht. Fischer-Dieskau, Wolfgang Sawallisch am Flügel und einige erste Kräfte des Bayerischen Staatsorchesters tappten in die selbstgewählten Schwierigkeiten, wie eben – Gnade für die Verallgemeinerung – ein Deutscher in einen französischen Porzellanladen.

Unernst an der falschen Stelle: Das Programmheft war ausgesprochen liederlich redigiert, ohne Hinweis auch nur auf die Entstehungszeit der Werke, ohne Abdruck der Texte im Original (obwohl wahrlich Platz genug dafür gewesen wäre), dafür mit einer Übersetzung der von Fauré vertonten Gedichte Verlaines, deren Qualität die Übersetzerinnen der anderen Texte bewog, mich anzurufen, um mir mitzuteilen, damit hätten sie nichts zu tun. Und es sei nicht ihre Schuld, dass die Texte Evariste Parnys zu Ravels Chansons madécasses nur verstümmelt abgedruckt worden seien.

Nun hätte man der französischen Texte wahrhaft bedurft: erstens, weil besonders Max Jacobs Wortspiele in den Nonsens-Gedichten des "Bal masqué", die Poulenc vertont hat, so gut wie unübersetzbar sind, und zweitens, weil Fischer-Dieskau im vorliegenden Fall auf Wortdeutlichkeit keinen Wert zu legen schien.

Ernst an der falschen Stelle: Man hätte sich das zu Beginn gespielte Trio für Oboe, Klarinette und Fagott von Auric genauer ansehen müssen: wie da zwischen lauter Trivialitäten kleine Überraschungen, Ungereimtheiten, Stilbrüche eingeschmuggelt sind, wie durch abrupten Lagenwechsel drei Instrumente den Eindruck erwecken, als spielten vier oder fünf (weil sich die Klangfarbe der Rohrblattinstrumente vom tiefen zum hohen Register so stark ändert) – Georges Auric gab mit dieser reizvollen Nichtigkeit zwischen Zirkus und Konzertsaal ein Beispiel, wie man etwas in der Schwebe lassen kann, wie elegante Andeutung stärker sein kann als grobe Direktheit. Grob und direkt genug ging es dann zu: "La bonne chanson" Opus 61 von Fauré (1893) lebt, wenn überhaupt, von der Nuance, von der feinsten Schattierung. Fischer-Dieskau und seine Begleitung (Streichquartett und Klavier, im Programmheft als "Klavierquintett" bezeichnet) hielten es mehr mit den Kontrasten: Aus der friedlichen Langeweile eines permanenten Piano wurde man hin und wieder durch exaltiertes Fortegebrüll herausgerissen. Ravels Chansons madécasses: Da wandelt sich der Herkulessaal zur Opernbühne des Neoverismo. Fischer-Dieskau beugt sich sehnsüchtig zum Cellisten, als wäre der die schöne Nahandove, und kein Seufzen, kein Stöhnen des besungenen Beischlafs bleibt uns erspart. Im zweiten und dritten Lied hinterlassen die Versuche, mit zerklüftetem Schlachtgesang aus der Bravheit auszubrechen, ihre Erosionsspuren in der Stimme. Die Hochtöne klingen – erstaunlich bei einem so versierten und kultivierten Sänger – gestemmt, reißen mit einem Hauchlaut ab, wenn die Stütze entspannt wird; und es liegt wohl nicht nur an der französischen Aussprache, dass die Stimme nicht ganz vorn zu sitzen scheint, leicht verschleierte, kehlige Untertöne ins Spiel kommen.

Beim letzten Stück konnte ich nur mit Mühe den lauten Ruf nach einem Regisseur unterdrücken. "Le bal masqué" von Poulenc, 1932 komponiert, ist ein hübscher musikalischer Scherz, genährt vom kaustischen Witz Saties : Glanz und Flitter des Halbseidenen werden ironisch nachgeahmt; die Provokation, mit einer Tingeltangel-Besetzung (Klavier, zwei Streicher, drei Holzbläser, Trompete, Schlagzeug) sich in erhabene Positur zu werfen, so dass die würdevolle Geste kümmerlich auf halbem Weg verhungert, stellt hinterlistig das Pathos der Dummheit bloß; banale Virtuoseneffekte, knallige Schlüsse mit Trillerpfeife, Trommelwirbel und Peitschenschlag werden boshaft hingefetzt, als wollte Poulenc sagen: Das ist doch wohl die Musik, die euch gefällt?

Tatsächlich. Sie gefiel. Sie gefiel um so mehr, als Fischer-Dieskau nicht einen Witz erzählte, sondern ihn erklärte, mimisch, pantomimisch, mit ach so komisch verfremdeter Stimme, mit jener Outrage, in die der liebe Märchenonkel verfällt, wenn er vom bösen Wolf berichtet und von den klitzekleinen süßen Geißlein. Ungefähr so wie Fischer-Dieskaus Verhältnis zum Humor Poulencs dürfte das des Ohnsorg-Theaters zu Ionesco geartet sein. Die Entzückten beiderlei Geschlechts schlugen die Hände vor den Mund und kicherten. Es war unbeschreiblich komisch.

Dietmar Polaczek

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     Münchner Merkur,  6. August 1973     

Fischer-Dieskaus Spaß an der Bosheit

Beim Festspiel-Liederabend am Klavier: Wolfgang Sawallisch

   

Vergnüglicher als dieser Liederabend von Dietrich Fischer-Dieskau war wohl kaum jemals ein Konzert der Münchner Festspiele. Eigentlich war es gar kein Liederabend. Vielmehr haben fröhliche, mit Witz und guter Laune begabte jüngere und (zumindest in ihrer Fähigkeit, Spaß an der Freud zu haben) jung gebliebene Herren miteinander Kammermusik gemacht. Dankenswerterweise ließen sie hieran einen Saal von Zuhörern teilnehmen, denn sie wussten, dass zum Witz, je schärfer und zugespitzter er ist, das Publikum gehört, das ihn versteht.

So begann denn dieser sogenannte Liederabend im Herkulessaal durchaus nicht mit Gesang, sondern einem Trio für Oboe, Klarinette und Fagott von Georges Auric. Die Herren Clement, Schönberger und Kühl gaben damit für den Abend den Ton an: den der Unvoreingenommenheit, der musikalischen Frische, der Frechheit gegenüber allem Hergebrachten, kurzum den Ton der französischen Musikergruppe der Six.

Dann vergrößerte sich die Kammermusikbesetzung: es kamen – mit Streichinstrumenten in der Hand – die Herren Sinnhofer, Soltau, Ruf, Stiehler und Möhle, an den Flügel setzte sich der Pianist Sawallisch (sonst als Generalmusikdirektor bekannt), an das Notenpult, das für jenen Kammermusiker vorgesehen war, der sein Instrument immer und kraft Natur mit sich führt, kam Fischer-Dieskau – und alle musizierten miteinander "La Bonne Chanson" von Gabriel Fauré.

Man hat in Deutschland gelegentlich diesen hochbegabten Debussy-Zeitgenossen für oberflächlich und spielerisch gehalten, offenbar weil er zugleich einfach und brillant komponierte; unser eben geschildertes Kammermusikensemble hat die Maßstäbe gründlich zurechtgerückt und ein deutscher Innerlichkeit zugeneigtes Fischer-Dieskau-Publikum zu Bewunderern französischer Kammermusik – wie heißt doch der Modeausdruck? – umfunktioniert.

Maurice Ravel beschäftigte sich 1926 mit der Wiener Schule, und wollte deren musikalische Prinzipien auf- und übernehmen. Als dies in seinen Madegassischen Liedern nicht gelang, entschuldigte er dies damit: "Wenn es kein echter Schönberg geworden ist, so deshalb, weil ich weniger Angst davor habe, Charme in die Musik zu bringen." Diesen Charme spielte Fischer-Dieskau aus. Die Chansons Madécasses gerieten ihm zu frühen Protestsongs gegen die Unterdrückung der Schwarzen durch die Weißen, zugleich aber zu lyrischen Beschwörern der Lust und des Eros.

Werke von dieser Leidenschaft und Schönheit reizen zur Bosheit und Parodie; ihr Meister ist Francis Poulenc, und Ravel war das – durchaus lohnende – Ziel seines Witzes und seiner musikalischen Malice.

Geist von diesem Geiste haben die Herren Sawallisch und Fischer-Dieskau bewiesen, weil sie die "Cantate profane für Bariton und Kammerorchester" nach Gedichten von Mac Jacob überhaupt entdeckt und dann das Wagnis unternommen haben, diese in Noten gesetzten Bosheiten und musikalischen Denunziationen aufzuführen.

Es ist ein Werk von einer – wie nach der Uraufführung geschrieben wurde – geradezu rachsüchtigen Komik; nichts, was in Musik und Lyrik heilig ist, bleibt ungeschoren, kurzum, es war das reine Vergnügen, dem sich die befrackten Herren auf dem Podium (zu denen noch der Flötist Woll, der Trompeter Zapf und der Schlagzeuger Peinkofer kamen) hingaben, und keiner, der mit offenen Ohren zugehört hat, wird diesen Abend vergessen.

Johannes Justus

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     Abendzeitung München,  6. August 1973     

Dietrich Fischer-Dieskaus "französischer" Festspiel-Liederabend

Deutscher Liebreiz

    

Hochspannung vor Dietrich Fischer-Dieskaus Festspiel-"Liederabend" im Münchner Herkulessaal, denn wie wird er wohl Französisches singen? Wolfgang Sawallisch am Klavier und ein perfektes Kammerensemble aus den Reihen des Staatsorchesters lieferten dem Sänger den Hintergrund.

Bei aller Verehrung für diesen großen Liedersänger: Faurés "La Bonne Chanson", Ravels "Trois Chansons Madécasses" und Poulencs "Le Bal Masqué" widersetzten sich seinem Künstler-Temperament ganz erheblich. Fischer-Dieskau sang sie wie deutsche Kompositionen, ohne Elegance, ohne Esprit, ohne jene charmante Brüchigkeit, hinter der sich so viel echtes Sentiment verbergen kann. Fischer-Dieskau blieb deutsch liebreizend, also fast sentimental.

Zudem konnte er wenig von der spezifisch französischen Sprachfärbung in seine Kunst einbringen. Revolutionslieder kamen mit aufgesetztem Effekt – gerade so, als investiere ein Sing-Techniker lediglich Fach-Interesse für seltene Literatur. Fischer-Dieskau schien an diesem Abend nicht sehr an das zu glauben, was er sang. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er oft von einem feinsinnigen piano aus ohne rechte Zwischentöne in ein äußerliches forte drängte und damit Stimmungen schon wieder veränderte, bevor sie sich recht entfalten konnten.

Poulencs Profan-Kantate servierte er vorwiegend derb deftig wie ein Schankwirt – sehr lustig wohl, aber eben deutsch direkt. Dabei hatte er einen instrumentalen Rahmen, der ihm auch Feinheiten erlaubt hätte.

Ärgerlich war das Programmheft: kein Ruhmesblatt. Ellenbogeneinsatz, dass man überhaupt eines bekam; keine Jahreszahlen bei den Komponisten; kein französischer Originaltext, sondern nur unvollständige deutsche Übersetzungen.

Helmut Lesch

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     tz, München,    6. August 1973     

Münchner Opernfestspiele 1973

Französische Lieder

    

Die Besonderheit dieses Festspiel-Liederabends mit Dietrich Fischer-Dieskau: Französische Kammermusik von Auric, Fauré, Ravel und Poulenc mit Wolfgang Sawallisch am Flügel sowie elf Instrumentalisten des Bayerischen Staatsorchesters.

Der Einzug der Meister wurde eingestimmt mit einem spritzigen, aber völlig belanglosen Stück, dem Trio für Oboe, Klarinette und Fagott von Georges Auric. Die exzellenten Kammermusiker Clement, Schöneberger und Kühl befanden sich dabei auf verlorenem Posten, denn als "Vorspann" zu dienen, ist doch wohl (milde ausgedrückt) eine undankbare Aufgabe. Aber der Bogen spannte sich bis zum letzten Werk, zu "Le Bal Masqué" von Poulenc, einer "Cantate profane für Bariton und Kammerorchester" nach Gedichten von Max Jacob – deftig mit etwas aufgesetztem Humor, Zirkusmusik auf Konzertreife getrimmt.

Es gab auch große Kunst: die drei Madegassischen Lieder von Ravel, die diesen Komponisten von einer aggressiven Seite zeigen ("Misstraut den weißen Küstenbewohnern ..."), von der man ihn nur sehr selten zu hören bekommt.

Höhepunkt war für mich jedoch "La Bonne Chanson" op. 61 von Gabriel Fauré. Fischer-Dieskau war nicht nur in stimmlicher Höchstform, sondern fand in der Kunst der Deklamation weit über die Beherrschung einer Fremdsprache hinaus, beschwor den Geist französischer Kultur. Dazu Wolfgang Sawallisch, der in "Fast hab ich Angst fürwahr..." die Tasten kaum berührte, der zu immer neuen Schattierungen und Farbgebungen fand. Dazu die fünf Streicher des Staatsorchesters (von Ingo Sinnhoffer glänzend geführt), die sich an diesem Abend selbst übertrafen. Bon!

Karl-Robert Danler

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     Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger,  München, 17. August 1973     

Liederabende mit neuen Akzenten

Eine Bereicherung der Münchner Festspiele

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In ganz andere Bereiche als alles Vorhergegangene führte zuletzt ein Abend "Französische Kammermusik" mit Dietrich Fischer-Dieskau, Wolfgang Sawallisch (am Flügel) und einem Ensemble von Instrumentalisten des Staatsopern-Orchesters. Es war reizvoll, den großen Sänger deutscher Lieder einmal als Interpreten französischer Gesänge zu hören, und es bereitete auch ihm selbst offensichtlich künstlerisches Vergnügen, sich damit auseinanderzusetzen, seine Singkunst und sein Vortragsgenie auch an solchen, z.T. seiner "Natur" nicht ganz gemäßen Werken zu erproben und zu erweisen. Eingeleitet wurde dieser Abend mit einem unterhaltenden Instrumentalstück, einem Trio für Oboe, Klarinette und Fagott von Georges Auric, dessen "Vif et joyeux"-Tonfall wohl für die Art dieses Komponisten aus der einst berühmten antiromantischen und antidebussyistischen Gruppe der "Six" bezeichnend ist. Näher der Romantik und episodisch auch dem Impressionismus dann Gabriel Faurés neunteiliger Liederzyklus (mit Streichern und Klavier) "La Bonne Chanson" aus dem Jahr 1893: sensible und leidenschaftlich bewegte Verlaine-Vertonungen, deren zarte und heftige Reize die Wiedergabe anrührend fühlbar machten. Auch in Ravels "Trois Chansons Madécasses" war Fischer-Dieskaus Meisterschaft im Verbinden und Kontrastieren von biegsamer, reintöniger Gesangslinie und espressiv gesteigerter Deklamation bewundernswert. Erstaunlich schließlich auch, wenngleich bisweilen durch "komische" Vortragseffekte etwas gewaltsam überakzentuiert sein – selbstverständlich mit besonderem Applaus aufgenommener – Vortrag der ironisch-witzigen, auch mit U-Musik-Plattheiten spielenden Kantate "Le Bal Masqué" von Francis Poulenc.

aw

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     Bayern-Kurier, München, 11. August 1973    

Münchner Festspiele

Der Höhepunkt kam mit Debussy

Die längste Saison der Staatsoper ging zu Ende

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Auch die "Frau ohne Schatten" wurde rechtens weitgehend umjubelt - ob sich schwache Sänger (wie auch im zweiten "Giovanni") ausbuhen lassen müssen, sei dahingestellt. Zu einem Problem entwickelt sich Fischer-Dieskau: am besten war er als Färber in der "Frau ohne Schatten", doch als Graf in "Figaros Hochzeit" sprengte er mit zuviel Mache das Ensemble, und sein Festspiel-Liederabend mit französischer Kammermusik von Auric, Fauré, von Poulenc und Ravel mit Wolfgang Sawallisch am Flügel und Instrumentalisten des Bayerischen Staatsorchesters war so auf Witz und Charme und Pfiff gedrechselt und gedrillt, daß einem die Freude am Spaß auch vergehen konnte. Fischer-Dieskau, so will mir scheinen, kennt nur noch das Kalkül der Interpretation, hat jeden Rest Spontaneität eingebüßt; bewußte Perfektion ist ihm alles, manchem Zuhörer aber zu wenig.

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Müller / Brinkmann

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     Göppinger Zeitung, Datum unbekannt    

    

Französisches Konfekt von Fischer-Dieskau

Publikumslieblinge Adam, Prey und Fischer-Dieskau füllten dreimal den Herkulessaal in München

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Ein Fischer-Dieskau-Konzert hingegen ist von vornherein interessanter, problematischer und mehr der Kritik ausgesetzt. Immer wieder überraschte er mit besonderen Auswahlen und Literaturen. Was er in München bot, war wohl das ungewöhnlichste, aber auch das amüsanteste Programm, das man sich vorstellen konnte. Eine ganze Konfektschachtel französischer Musik, darunter auch Pralinen mit heimtückischem Inhalt, hatte man sich ausgesucht, Musik, die fast keiner je vorher gehört hatte, der im Saale saß. Das begann mit dem frechen, mit Gemeinplätzen und köstlichen Einfällen spielenden Trio für Oboe, Klarinette und Fagott von dem früheren Pariser Opernchef und der "Gruppe der Sechs" zugehörigen Georges Auric. Dann erst kam der Sänger, aber nicht nur mit dem üblichen Klavierbegleiter (in diesem Falle dem Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch, der den Abend besonders zu genießen schien), sondern gleich mit einem ganzen Klavierquintett. Man gab "La Bonne Chanson" (nach Texten von Paul Verlaine) von Gabriel Fauré in ein grauenhaftes Deutsch übertragen. Stücke mit Charme und Nuancen, nicht sehr "tief", sang Dietrich Fischer-Dieskau zu dramatisch.

Maurice Ravels madegassische Lieder nach Texten von Evariste Parny - ein ebenso interessantes wie fragwürdiges Ergebnis von Ravels Beschäftigung mit Arnold Schönberg -, delikat und sparsam begleitet von Flöte, Cello und Klavier, knallten geradezu von Dramatik aus dem Munde des Sängers, der diese Mischung von brennender Erotik ("Schöne Nahandove" - "Gesten der Wollust und Liebesentzücken") und Aufschrei gegen die Weißen ("Aoua! Mißtraut den weißen Küstenbewohnern") in naturalistisch betonten Gesang umsetzte.

Zum Schluß servierte das ganze Ensemble (mit elf Solisten des Staatsopernorchesters) mit allerlei akustischen Tricks und Effekten Francis Poulencs "Le Bal Masqué" nach Gedichten von Max Jacob, eine Komposition, die es nicht an zirzensischer Parodie, satanischer Musikzerstörung, Zitaten, humorvollen Aggressionen und Verhöhnung der Musik wie des Publikums fehlen läßt. Vom Publikum hörbar mit Begeisterung aufgenommen, servierte Dietrich Fischer-Dieskau "Le Bal Masqué" bei aller Meisterschaft und Brillanz seiner Kunst zu augenzwinkernd, zu sehr neben dem Text und den Noten, zu teutonisch. Gegenüber Adam und Prey bestätigte er sich erneut als der geistvolle, aber auch oft zu intellektuelle Interpret. Dennoch: ein Abend mit Pfiff, Intelligenz und Einfallsreichtum, ein Feuerwerk der Festspiele. Für das Programmheft hätte man sich Angaben über die Komponisten und ihre Werke und neben dem deutschen den französischen Originaltext gewünscht, da der Sänger nicht alles französisch genug hervorbrachte.

Ernst Schremmer

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