Zum Konzert am 4. Juni 1973 in Wien


    

     Kurier, Wien, 6. Juni 1973     

Konzerthaus: Einem-Uraufführung

Lieder eines mahlernden Gesellen

     

Manchmal muß man Feste auch feiern, wenn sie nicht fallen. Weil Manfred Mautner- Markhofs "Siebziger" in den September und somit in die konzertlose Jahreszeit gerät, wurde die musikalische Gratulations-Cour vorverlegt.

Mittelpunkt der Familienfeier war Gottfried von Einems neuestes Opus, ein dem Jubilar gewidmeter Liederzyklus "Rosa mystica" nach Gedichten von H.C. Artmann für Bariton und Orchester. Das Werk wurde vergangenen Februar nach sechswöchiger Kompositionszeit vollendet - als op. 40 (!) des nunmehr 55jährigen Komponisten.

Die Frage lautet: Was ist dem Traditionalisten hier, nach seiner "Alten Dame", eingefallen? Die Antwort heißt: relativ viel, wenn auch noch Älteres als bei seiner Oper. Damals faszinierte ihn Orffs und Strawinskys Rhythmik, diesmal eher die hochromantische Orchester-Polyphonie in Verbinduing mit einem guten, altertümelnden Text. Kurz: Einems Lieder klingen wie ein von Mahler verpfitznerter Geburtstags-Strauss.

Wohlwollende könnten vielleicht auch Alban Berg zitieren. Den der Sieben frühen Lieder... Und das choralartige Thema des Vorspiels in C-Dur, das als Zwischenspiel uminstrumentiert immer wiederkehrt, könnte wiederum aus Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung" stammen.

Um den alten Witz zu variieren: Auch ich wüßte keine besseren Vorbilder. Doch im Gegensatz zu Richard Strauss, der auf eine Bemerkung Clemens Krauss’, eine Stelle im "Friedenstag" klinge wie Pfitzner, antwortete: "Ja, das ist auch eine der schwächsten", muß man Einem attestieren: Die Stellen, die nach älteren Kollegen klingen, sind die schönsten.

Dietrich Fischer-Dieskau sang die Lieder eines mahlernden Gesellen souverän, kostete Artmanns bilderreiche Poesien genüßlich aus.

Karl Böhm und die Wiener Philharmoniker schwelgten einen Abend lang in Wohlklang. Mit Mozarts g-Moll- und "Jupiter"-Symphonie (die sie am Wochenende auch für die Abonnenten im Musikverein gespielt hatten) gratulierten sie auf ihre Weise: mit 16 ersten Violinen und sieben Kontrabässen, damit Mozart auch bis zum September halte.

Andrea Seebohm

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     Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juni 1973     

Eine Rose der Tradition

Wiener Uraufführung von Einems Liederzyklus "Rosa Mystica"

    

Sechzig Jahre nach dem Pierrot Lunaire, im Zeitalter von Stockhausen, Cage und Kagel, setzt ein Mann sich hin und schreibt einen Liederzyklus, der unmittelbar an die zweite Wiener Schule anschließt und Erinnerungen an Mahlers "Lied von der Erde" nicht scheut. Und doch empfand, wer im Wiener Konzerthaus der Uraufführung von Gottfried von Einems Opus 40 beiwohnte, acht Gesängen mit dem Titel "Rosa Mystica" nach Gedichten von H.C. Armtann für Bariton und Orchester, das Ereignis in jeder Hinsicht am Platz. Wo, wenn nicht in Wien, sollte die Kontinuität der Musikgeschichte nachgewiesen, wo sonst ihr nachgeholfen werden; wer fände sich andernorts, um jene Lücken zu füllen, die zwischen einer gewaltig vorpreschenden Avantgarde und einer noch nicht ausgeschöpften Meisterschaft der Kompositionstechnik bestehen?

Einem hat nicht zum ersten Mal für die Solo-Singstimme geschrieben; ein Zyklus für Gesang und Orchester wurde bereits 1961 verfaßt, die lyrischen Phantasien "Von der Liebe" op. 30. Überdies gibt es von ihm bis nun insgesamt 42 Lieder für Gesang und Klavier. Das jüngste Werk entstand im Auftrag einer österreichischen Bank und wurde, ebenfalls in klassischer Manier, einem Wiener Musikmäzen gewidmet. Der neueren Literatur verbunden, Vertoner Kafkas, Brechts und Dürrenmatts, hat Einem in der Auffindung seiner Texte einen besonders guten Griff getan. Artmanns Verse, hier in einer vom Komponisten bestimmten Auswahl attacca aneinander gereiht, sind Beispiele der Pastiche-Kunst dieses so skurrilen wie sprachgewandten Dichters; sie gemahnen an Hofmannsthal, häufig an "Des Knaben Wunderhorn", sind romantisch, metaphern-schwer, voll Bildkraft. Eine gleichfalls historisierende Vertonung bot sich unabweislich an.

Ein normales klassisches Ensemble mit doppelt besetzten Holz- und Blechbläsern bildet den häufig dominierenden Hintergrund zu der in schlichten, expressiven Melodiebögen geführten Stimme. Als Vorspiel zu dem ersten Gesang wird ein D-Dur-Signal der Trompete intoniert; es dient auch als Zwischenspiel und Überleitung zu den einzelnen Liedern, wechselnd nicht in der Tonhöhe, aber in der Instrumentation und Tonalität. Der Zyklus schließt sich im wahrsten Sinne: Das erste und letzte Lied, zarte Impressionen eines kerzenerhellten Zimmers, textlich und musikalisch nur leicht variiert, bilden den Rahmen. In diesen Unterschieden zeigt sich die Subtilität des Einem’schen Stimmungskolorits. Zumeist zieht er freilich starke, zuweilen fast plakative Farbwerte vor, die im schönsten und sechsten Gesang, der Weltklage "all Lust ist mir verstorben", zu ergreifender Wirkung führen. Man fragt sich, ob ein älterer Einem diese Texte nicht noch tiefer, verklärter hätte setzen können - nicht nur Mahlers Nachfolge, auch die der letzten Strauss-Lieder wird uns da und dort nahegelegt.

Die Ehrung für den Präsidenten der Konzerthausgesellschaft Manfred Mautner-Markhof hätte nicht glanzvoller ausfallen können. Unter Karl Böhm, den diese Stadt als Mozart-Dirigenten noch weit über Karajan, Abbado und erst recht Boulez stellt, spielten die Wiener Philharmoniker die zwei letzten Symphonien (KV 550 und 551) mit üblicher, wenn nicht erregender, Klangschönheit und Präzision. Eingebettet in dieses Fest der Werktreue dann der Liederzyklus, einfühlsam gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau. Die Erläuterung des Werkes im Programmheft war überschrieben "Festhalten an der Tradition". Offener konnte man die Absicht nicht betonen. Einems einstiger Liebesaffäre mit der Atonalität war hier grundsätzlich abgeschworen: ob auf immer, bleibt noch dahingestellt.

Hilde Spiel

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