Zum Liederabend am 14. Mai 1971 in Düsseldorf


     Rheinische Post Düsseldorf, 17. Mai 1971     

Vollendung des Liedgesangs

Dietrich Fischer-Dieskau sang Schubert-Lieder im letzten Meisterkonzert in der Rheinlandhalle

     

Liederabende von Dietrich Fischer-Dieskau sind besondere Ereignisse geworden. Sie gehören zu den musikalischen Sternstunden, wo eine Tradition, die man schon fast versunken glaubte, zu blühender Aktualität erwacht. Jede neue Begegnung mit diesem Sänger, der schon rund zwei Jahrzehnte seinen Weltruhm behauptet und ihn fortwährend erneuert, trägt neben aller Bewunderung für seine technische Perfektion und musikalische Größe Zeichen des Einmaligen. In das musikalische Hochgefühl, das auch dieser Abend, das 11. Meisterkonzert in der ausverkauften Rheinhalle auszubreiten vermochte, mischte sich fast wehmütig die Erkenntnis des Unwiederholbaren.

Fischer-Dieskau sang Schubert. Keinen der großen Zyklen, sondern eine Auswahl aus der Unzahl der Einzellieder, die hier in wunderbarer sich ergänzender Weise und kontrastierender Weise gruppiert waren und so auch eine unvergleichbare Meisterschaft der Programmregie verrieten. Schier unendlich sind die Herzensergießungen Schuberts, differenziert und schattiert, sich meist einer Art "Hochstimmung zum Tode hingebend", wie es Alfred Einstein in seinem Schubert-Buch ausdrückt. Faszinierend, wie Fischer-Dieskau in die Seele jedes einzelnen Liedes lotet, aus jedem Lied eine lyrische Ganzheit, ein kleines Drama erstehen läßt, das aber immer Lied bleibt. Größtmögliche Überschau und höchst konzentriertes Versenken ins Detail vereinigen sich hier zu interpretatorischer Harmonie.

Wie dieser Sänger vom wildbewegten "Strom" über den Kontrast von "Litanei" und "Die Vögel", den hinreißend provozierenden "Prometheus" bis zu der fast im Mozart-Dialekt vorgetragenen "Fischerweise" und dem schlicht-bezaubernden "Im Frühling" Lied an Lied, Vers an Vers reiht, begleitet von dem geistesverwandt mitfühlenden Günther Weißenborn am Flügel, das gehört zu den wenigen ganz großen Leistungen musikalischer Interpretation, die es nicht mehr zu messen, sondern nur noch zu bewundern gilt.

Die Elastizität der Phrasierung, die reiche dynamische Skala vom bewußten Forte bis zum äußersten Piano, wo jede Silbe verständlich bleibt, und die charakteristische Schönheit in der Mischung tenoralen und baritonalen Timbres der Stimme - alles war beseelt von einer Deutungskraft, deren Suggestionsvermögen bis in den letzten Winkel des Saales reichte: "Enthoben der Erde, schon oben, schon drüben zu sein", wie es in des "Fischers Liebesglück" heißt. Die Ovationen des Publikums wurden mit vielen Zugaben, angefangen mit dem "Musensohn", erwidert.

H. J. Münstermann


    

     Neue Rhein-Zeitung Düsseldorf, Datum unbekannt     

   

Edles Timbre - zarte Lyrik

Dietrich Fischer-Dieskau im 11. Meisterkonzert

    

Schubert und Fischer-Dieskau: Das war zum Ausklang der städtischen Meisterkonzertreihe eine Paarung, die ein die Rheinhalle füllendes Publikum veranlaßte, einen Abend lang Gedanken an inflationäre Tendenzen und Umweltverschmutzung zugunsten "Fischers Lebenslust", "Felsenquell" und "Wiesenhang" hintanzustellen.

In der Vermittlung des spezifisch Schubertschen Tonfalles empfindsam-romantischer Stimmungen findet Fischer-Dieskaus Kunst wohl ihre reifste Erfüllung. Unverwechselbares Merkmal für sein hochgerühmtes Verhältnis zum deutschen Lied ist sein wunderbares edles Timbre, dessen weicher Wohllaut meilenweit vom kernigen Schmelz italienischer Tenöre oder der Schwärze russischer Bässe angesiedelt ist und mit dem er zarte Lyrismen entfalten kann wie kein zweiter. Die Publikumsreaktion auf verschwiegene oder blühende Idylle wie "Des Fischers Liebesglück" oder "Im Frühling" war denn auch eindeutig: Ergriffenheit.

Dabei läßt der Bariton auch nicht den Anflug einer billig erkauften Gefühligkeit aufkommen. Seine gestalterische Intelligenz dringt bis in jede Nuance von Ton und Artikulation und wirkt dabei fast immer ungekünstelt. Die Textbehandlung ist stets, weit über das Bemühen um Verständlichkeit hinaus, kostbar und ausdrucksgerecht. Kein Adjektiv, das nicht auch schon im reinen Sprachklang den Sinngehalt deutlich macht. ("Ich ernst und trüb, du mild und rein.") Der oft erforderliche Tonfall einer volkstümlichen Naivität ("Fischerweise") gelingt ihm durch Einflechten rezitativischer Elemente und Aufhellung der Vokale, die Darstellung großer Zartheit mit einem makellos feinen Kopf-Pianissimo.

Naturgemäß klingt bei Fischer-Dieskau eine gewaltige Szene wie der "Prometheus" mehr anerzogen-stimmkräftig als elementar. Dafür entfällt aber auch jenes breitbeinig-teutonische Pathos, mit dem Unberufene sich an dem Sturm-und-Drang-Opus versuchen.

Klavierpartner Günther Weissenborn hatte sich die anscheinend spontane Umarmung am Ende des Abends wohl verdient. Er arbeitete die ebenso dienende wie selbständig musikalisch-psychologische Bedeutung seines Parts in einer dem Sänger ebenbürtigen Weise heraus.

Ein Großteil des begeisterten Auditoriums scharte sich, wie es zu solchen Anlässen üblich geworden ist, zu Füßen des Meisters, um die Zugaben in Empfang zu nehmen.

Rainer Peters

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