Zum Liederabend am 14. Dezember 1970 in Bonn


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Dezember 1970

Huldigung auf dem Hammerklavier

Abschluß des Internationalen Beethovenfestes in Bonn

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An einem weiteren Abend sang Dietrich Fischer-Dieskau, begleitet von Jörg Demus, Beethovensche Lieder, darunter den Gellert-Zyklus, "An die ferne Geliebte" und mehrere Goethe-Vertonungen. Vieles davon gehört der biedermeierlichen Genre-Kunst an und wäre ohne die überragende Interpretationskunst eines Sängers wie Fischer-Dieskau verloren. Nur gelegentlich treibt er die Identifikation mit den vorgetragenen Inhalten zu weit, leiht er dem sentimentalisch vorüberhuschenden Gefühl zuviel an dramatischem Atem. Im übrigen erreicht er eine nur dem Notentext abgewonnene musikalische Objektivierung, die den tönenden Sinn dieser lyrischen Gebilde weit jenseits der historischen Zeitgebundenheit aufzusuchen weiß: kaum sonst in diesen Festkonzerten wird das Einmalige einer Interpretation so gestreift wie in diesem Engagement für einen ganz "anderen" Beethoven.

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Autor unbekannt


     

     General-Anzeiger, Bonn, 16. Dezember 1970     

   

Internationales Beethovenfest Bonn 1970:

Fischer-Dieskau und das Liedschaffen Beethovens

Ovationen in der Beethovenhalle - Jörg Demus als Begleiter

     

War das Liedwerk Beethovens oder der Name Fischer-Dieskau die Hauptattraktion des Liederabends, der die beiden Zyklen und die bekanntesten Lieder des Meisters brachte? Fischer-Dieskau gilt eindeutig als der größte deutsche Liedersänger von heute. Man kennt ihn in Bonn seit mehr als zwanzig Jahren. Kurz nach Kriegsende überraschte der damals von Volkmann begleitete Sänger in einem Hörsaal der Universität eine unvorbereitete Hörerschaft durch die außerordentliche Schönheit der Stimme und eine spontane Ausdrucksgestaltung, die namentlich in den "Müllerliedern" faszinierte.

Aus dem aus vollem Herzen singenden Sänger ist eine Künstlerpersönlichkeit geworden, die sich nicht mit der "schönen" gefühlsmäßigen Darstellung des Liedes begnügte. Er "suchte", um den von ihm als recht erkannten Lied-Darstellungs-Stil zu finden, durchlief dabei eine Periode, in der er den Wortwert überschätzte und die Grundlinie des Liedes gelegentlich sprengte.

Daß er immer noch nach der letzten Idealdarstellung des Liedes sucht, kann man dem auf der Höhe seiner Kunst stehenden Sänger nur hoch anrechnen. Wer mit einer solchen Stimme gesegnet ist, hat einen Auftrag zu erfüllen, der nicht hoch genug erkauft werden kann.

Fischer-Dieskau läßt sich heute mehr vom Intellekt leiten als von einem hochfliegenden inneren Engagement. Seine wundervollen Stimmittel und deren enorme Beherrschung und Schulung ermöglichen es ihm, alle Ausdrucksnuancen vom Technischen her zu formen. So ist Stimme und Ausdruck bei ihm in jedem Lied festgelegt und kontrolliert. Dies aber vollzieht sich auf hohem geistigen Niveau und zeitigt gelegentlich kurze eigenwillige Ausdruckswendungen, denen der Hörer nicht ganz zu folgen vermag.

Wie Fischer-Dieskau diesen Beethoven-Abend vollzog, war eine große Tat. Jeder weiß, wie spröde das Beethovenlied gegenüber dem Liede von Schubert und Schumann ist. Beethoven erfaßt in seinem Liedschaffen jede nur mögliche Form des Liedes, und jeder dieser Formen wußte Fischer-Dieskau den ihr eigenen Stil zu geben, sei es der Schlichtheit des "kleinen" Liedes, der Größe des kantatenartigen Liedes oder des Liedzyklus. Der Hauptnenner aber der Gesamtdarstellung von Fischer-Dieskau ist heute wieder die einfache Übereinkunft von Wort und Ton, die große, nur selten von einem spontanen, sehr persönlichem Einfall, stark aufgelockerte Linie.

Noch immer steht der kantatenartige Gesang "Adelaide" in der Gunst des Publikums an der Spitze. Die Äußerung Hanslicks, des großen Kritikers des 19. Jahrhunderts: "Von allen Liedern Beethovens ist seinem Volke nur eines ans Herz gewachsen: die ‚Adelaide’, die der Meister verbrennen wollte", ist heute längst überholt. Die Schönheit des Liederkreises "An die ferne Geliebte", die Gellert-Lieder, An die Hoffnung, das Mailied und viele andere stehen heute im ständigen Repertoire der Sänger.

War es in den Gellert-Liedern der religiös beschauliche Inhalt, der Ausdruck hymnisch-feierlicher Majestät, der Ausdruck von Schuldgefühl und Zuversicht, den Fischer-Dieskau überzeugungswahr traf, so enthüllte er im Liederkreis "An die ferne Geliebte" mit dem Zug unruhevoller, zart entsagender, nur in der Vorstellungsphantasie erfüllter Liebe, einen tiefen Einblick in Beethovens Seelenleben.

Das Mezza voce, das Piano und Pianissimo, das Fischer-Dieskau in langgedehnten Fermaten in unüberbietbarer Schönheit auszusingen weiß, die schnellen dynamischen Wechsel und Übergänge, mit denen er seiner Ausdrucksart die persönliche, oft eigenwillige Note gibt, sind von wundervoll schwebender Ebenmäßigkeit.

Wenn auch die lyrischen Gesänge zum vollkommensten gehören, was Fischer-Dieskau bietet, so war es auch die wendige, geistvolle Ausdrucksgestaltung, z.B. in "Adelaide" oder "An die Hoffnung", die den Hörer zutiefst anspricht, oder die köstlich pointierte Wiedergabe des Beethovensche Scherzi streifenden Flohliedes oder die schöne Gelöstheit der nach seiner Laune gewählten Zugaben, die die Hörer zu immer stärkeren Ovationen hinrissen.

Daß am Flügel kein Geringerer wirkte als Jörg Demus, hob den Abend, auch vom Begleitpart her gesehen, auf höchstes Niveau. Daß ein Pianist von so persönlicher Prägung es auch versteht, dem Willen des Sängers in allen Details nachzukommen und dessen Part mit allen pianistischen Mitteln noch hebt und auffärbt, verdient höchste Anerkennung.

Illi Henseler-Bachem


    

     Bonner Rundschau, 16. Dezember 1970     

    

Überragender Liedgestalter

Dietrich Fischer-Dieskau und Jörg Demus beim Beethovenfest

    

Das Lied nimmt im Schaffen Beethovens nur einen kleinen Raum ein. Um so begrüßenswerter, daß es doch seinen Platz fand in den Bonner Veranstaltungen zum 200. Geburtstag, von niemand geringerem betreut als Dietrich Fischer-Dieskau, einem der hervorragendsten Liedgestalter der Gegenwart.

Beethovens Zeit war dem Lied noch nicht sonderlich gewogen, man schrieb geistliche Arien, Kantaten und über das Niveau gefälliger Gelegenheitslieder ragten eigentlich nur Mozart-Lieder oder etwa Beethovens Goethe-Vertonungen hinaus.

Die sechs Gellert-Lieder op. 48 gehören in die Nachfolge solcher geistlichen Arien, kantatenhafte Züge trägt noch "An die Hoffnung" nach Tiedge. Und am letzteren etwa werden die Schwierigkeiten deutlich, mit denen Beethoven immer dann zu ringen hatte, wenn er sein einzig musikalischen Gesetzmäßigkeiten folgendes Denken dem geschriebenen Wort anpassen mußte. Trotz mehrfacher Überarbeitung hat es unerhört schwierige Stellen, in denen manchmal die Melodieführung dem sinnfälligen Wortfluß entgegengerichtet scheint, und es gehört schon die große Kunst eines Fischer-Dieskau dazu, solche Widersprüchlichkeiten aufzulösen.

An der Programmgestaltung gab es nichts auszusetzen. In der ersten Hälfte stand als Schwerpunkt der Zyklus "An die ferne Geliebte", die wohl schönste Verkörperung Beethovenscher Liedkunst. Fischer-Dieskau sang sie in stimmungsvollem Bogen, in einer Natürlichkeit, in der man ihnen nichts mehr von ihrer – in Beethovens Skizzenbüchlein überlieferten – "schweren Geburt" anmerkt. Im zweiten Teil hörte man neben dem berühmten "Adelaide", Goethe-Vertonungen vom frühen "Mailied" bis zum burlesken "Flohlied". Bei Fischer-Dieskau verbindet sich hochentwickelter Sinn für literarisch-musikalische Entsprechungen mit vollendeter Ausdruckskunst und – wie selbstverständliche Voraussetzung – ausgefeilter Stimmkultur, für alles bot dieser Abend beste Beispiele.

In Jörg Demus hatte er den langvertrauten, sich vorzüglich anpassenden Begleiter. Demus stellte sich in angemessener Zurückhaltung hinter den Sänger: zu Recht, die Differenziertheit und vor allem das Gewicht eines Schubertschen Liedsatzes findet man bei Beethoven in der Regel noch nicht. Das Publikum in der ausverkauften Beethovenhalle schloß ihn in seinen Beifall mit ein, der bei Fischer-Dieskau in anhaltende, begeisterte Ovationen überging.

H. D. Terschüren


    

     Kölner Stadt-Anzeiger, 16. Dezember 1970     

    

Fischer-Dieskau sang Beethoven-Lieder

Nimm sie hin denn...

     

Mit "An die ferne Geliebte" schrieb er zwar den ersten Liederzyklus der Musikgeschichte, aber sonst hat sich Beethoven um die Entwicklung des Liedes nicht sehr verdient gemacht: Einfache Strophenlieder, simple Formen, schlichte Harmonien. Stellenweise bedient er sich des Melodrams, manchmal des Rezitativs wie der Opernszene überhaupt. Manchmal zeichnet er Genrebildchen mit Tierstimmenimitationen oder ähnlichen Tonmalereien. Das sind liebliche Miniaturen und heroische Aufschwünge, aber innerlich berühren sie wenig. Selbst die geistlichen Gesänge nach Gellert-Texten wirken in ihrer Glaubensinbrunst nach aufgepfropfter Feierlichkeit.

Aber dann kommt Dietrich Fischer-Dieskau und singt diese Lieder in einer Manier, daß man fast glauben möchte, Schuberts kostbarste Liedpretiosen wären dagegen elende Machwerke. Dementsprechend furios war auch der Beifall in der Bonner Beethovenhalle, wo Fischer-Dieskau, am Flügel begleitet von Jörg Demus, den jüngsten Beweis seiner singulären Stellung als Liedinterpret erbrachte.

Die allgemeinen Qualitäten Fischer-Dieskaus sind ja längst bekannt: Die vorbildliche Wortdeutlichkeit, eine Technik, die Paradebeispiel für ein Gesangslehrbuch sein könnte, eine wunderschöne Baritonstimme, an Umfang wie Volumen fast vergleichslos.

Aber was das Phänomen Fischer-Dieskau ausmacht, ist die beispiellose Behandlung des Problems der Wort-Ton-Relation, die vielmehr dem Instinkt als einem - wie vielerorts behauptet wird - kühl kalkulierenden Intellekt entspringt. Wenn sich bei einer Molltrübung das Timbre fast automatisch verdunkelt, wenn bei der Stelle "Geschwätzig die Bäche nun rinnen" die Metapher gleichsam den Saal überschwemmt, wenn man beim "Wachtelschlag" das possierliche Tierchen schier auf den Schultern hocken spürt - so ist denn dies doch eher spontan und impulsiv als Resultat ausgeklügelter Gestaltungsprinzipien.

Natürlich sind Fischer-Dieskaus Interpretationen nicht frei von "berechnenden" Elementen. Wenn er "Mephistos Flohlied" etwa mit irrwitzigem Parlando und gewaltiger Stentorstimme in die unmittelbare Nähe von Mussorgskys gleichnamigen Gesang rückt, ist dies ebenso Absicht wie die Antizipation romantischen Überschwangs in der breiten Kantilene beispielsweise des "Nimm sie hin denn, diese Lieder".

Und natürlich besitzt Fischer-Dieskau zwischen Piano und Pianissimo mehr dynamische Nuancen und Klangvaleurs als manch anderer Sänger zwischen Pianissimo und Fortissimo. Aber daß er sie in jeder Phase richtig einsetzt, ist denn doch weniger der Fehlerlosigkeit eines Computers zuzuschreiben als der intensiven Erlebnisfähigkeit eines Künstlers, für den Singen erster Lebensinhalt ist.

Jörg Demus’ Begleitung war fast ein Klavierkonzert für sich. Das nahezu seismographische Reagieren auf alle Intentionen des Sängers, die geschliffene Technik, die Sensibilität des Anschlags: Es war - ich strapaziere den Ausdruck noch einmal - eine Sternstunde des Konzertlebens.

Gerhard Bauer


   

     Rhein-Zeitung, Koblenz 17. Dezember 1970     

    

Spiel auf Originalflügeln

Und ein Liederabend mit Fischer-Dieskau zum Bonner Beethovenfest

     

In Beethovens Werk nimmt das Lied nur einen kleinen Raum ein. Um so begrüßenswerter, daß es seinen Platz fand in den Bonner Veranstaltungen zum 200. Geburtstag, von niemand geringerem betreut als Dietrich Fischer-Dieskau, einem der hervorragendsten Liedgestalter der Gegenwart.

Die sechs Gellert-Lieder op. 48 gehören in die Nachfolge der geistlichen Arien, kantatenhafte Züge trägt noch "An die Hoffnung" und am letzteren werden die Schwierigkeiten deutlich, mit denen Beethoven immer dann zu ringen hatte, wenn er sein einzig musikalischen Gesetzmäßigkeiten folgendes Denken dem geschriebenen Wort anpassen mußte. Trotz mehrfacher Überarbeitung hat es unerhört schwierige Stellen, denen manchmal die Melodieführung dem sinnfälligen Wortfluß entgegengerichtet scheint, und es gehört schon die große Kunst eines Fischer-Dieskau dazu, solche Widersprüchlichkeiten zu scheinbarer Natürlichkeit, zu hoher Kunstwirkung jedenfalls, aufzulösen.

Bei Fischer-Dieskau verbindet sich hochentwickelter Sinn für literarisch-musikalische Entsprechungen mit vollendeter Ausdruckskunst und ausgefeilter Stimmkultur. Dafür bot sein Liederabend in der ausverkauften Beethovenhalle beredte Beispiele, in der wohl schönsten Verkörperung Beethovenscher Liedkunst, dem Zyklus "An die ferne Geliebte", so gut, wie in den Goethe-Vertonungen. In Jörg Demus hatte Fischer-Dieskau den langvertrauten Begleiter, der sich in angemessener Zurückhaltung hinter den Sänger stellte: zu Recht, die Differenziertheit und das Gewicht eines Schubertschen Liedsatzes findet man bei Beethoven in der Regel noch nicht. Langanhaltende Ovationen feierten die Künstler.

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Heinz D. Terschüren


     

     Neue Zürcher Zeitung, 31. Dezember 1970     

   

Intimer Ausklang

Der 3. Zyklus des Internationalen Beethoven-Festes Bonn

    

Nach den Festkonzert-Zyklen im Mai und im September kam es nun beim internationalen Bonner Beethoven-Fest zur eigentlichen "Geburtstagsfeier". Diese letzte Woche, endend mit dem Datum, das das Bonner Taufregister festhält, war nach allem vorausgegangenen Glanz eher ein intimes Gedenken, von manchen als eine Nachlese bezeichnet. Aber es enthielt eine Besonderheit von fast einmaligem historischem Reiz : Erstmalig seit dem Todesjahr Beethovens waren für ein Studio-Konzert in der Bonner Beethoven-Halle wieder die beiden Hammerklaviere vereint, die zuletzt in Beethovens Wohnung standen. Jörg Demus spielte sie abwechselnd in einem Programm, das mit der großen c-moll-Sonate op. 111 endete; mit ziemlicher Sicherheit hat Beethoven das Werk auf diesem Flügel selbst gespielt.

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Ein weiterer Abend gehörte der Liedinterpretation. Dietrich Fischer-Dieskau sang, begleitet von Jörg Demus, u.a. den Gellert-Zyklus, "An die ferne Geliebte" und eine Reihe von Goethe-Vertonungen. Sein Vortragsstil hat sich mehr und mehr versachlicht, was manchen dieser Lieder einer mehr biedermeierlichen Genre-Kunst heute wohl allein noch die Wirkung sichern kann. Das Eintreten Fischer-Dieskaus für dieses Randgebiet Beethovenscher Hinterlassenschaft wurde vom Publikum hoch honoriert. Den großen Saal vermochte dieses Programm jedoch nicht ganz zu füllen.

Die Woche schloß mit zwei Aufführungen der "Missa solemnis" durch den Philharmonischen Chor und das Orchester der Beethoven-Halle unter der Leitung von Volker Wangenheim, der auch für die künstlerische Betreuung des ganzen Festjahres verantwortlich war. Ausgezeichnete Solisten - Gundula Janowitz, Maureen Forrester, Waldemar Kmennt und Franz Crass - sorgten auch hier für die festliche Note;

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Nach einem selbstverständlichen Akt des Gedenkens kehrte die Stadt zu ihrem künstlerischen Alltag zurück.

f-l

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