Zum Liederabend am 1. August 1970 in München

Münchner Merkur, Datum unbekannt 

Münchner Festspiele: Fischer-Dieskau singt Brahms

Die schöne Magelone hat einen neuen Begleiter

Zwei Tage nach seinem Salzburger Abend (über den wir berichtet haben) gastierte Dietrich Fischer-Dieskau mit dem gleichen Programm bei den Münchner Festspielen: mit dem Romanzen-Zyklus op 33 von Brahms, der aus der heute wie zur Zeit ihrer Vertonung (1861 bis 1869) gleich entlegenen Traumerzählung von der schönen Magelone und dem Grafen Peter aus der Provence aus Ludwig Tiecks "Phantasius" stammt.

Die aus dem Zusammenhang gerissenen Verse und ihre - auch bei Brahms - vorwiegend elegische Grundhaltung machten das Werk schon immer zu einer Rarität im Konzertsaal. In der Komposition wie in Fischer-Dieskaus Interpretation ragen jene Stücke besonders hervor, die von der Gattung Romanze am weitesten entfernt sind: entweder schumannisch frisch, oder hochdramatisch (das beispielhaft gestaltete "So tönet denn, schäumende Wellen") oder kunstvoll-heiter ("Geliebter, wo zaudert").

Gänzlich unromantisch und dazu noch unzulänglich war das Ambiente, das diesen Liederabend umgab. Im Residenztheater klang alles wie aus dem Nebenzimmer. Das Deklamatorische an Fischer-Dieskaus gegenwärtigem Gesangsstil wurde dadurch über Gebühr betont und konnte durch eine zunehmende Erweiterung seiner zunächst sehr gedämpften Ausdrucksskala nur zum Teil belebt werden. Besonders aber war Jörg Demus (der für den vorgesehenen und in Salzburg auch beteiligten Svjatoslav Richter hatte einspringen müssen) durch die Trockenheit des Raumklangs arg benachteiligt.

Aber ernstlich konnte kein Mangel die Festspielstimmung, die Freude am seltenen Werk und einer bis ins letzte durchdachten Wiedergabe beeinträchtigen. Und als der Sänger, großen Gesten nicht abhold, vor dem Kranz der Zugaben seinen Begleiter offensichtlich herzlich umarmte, war der allgemeine Jubel groß.

Karl Robert Brachtel


     Abendzeitung, München, Datum unbekannt     

Liederabend Fischer-Dieskau im Residenztheater

Das Konzert fand nicht statt

   

Münchner Festspiele: Im Residenztheater sang Dietrich Fischer-Dieskau den Liederzyklus "Die schöne Magelone" von Johannes Brahms. Am Flügel: Jörg Demus.

Als Graf Peter aus der Provence seine geliebte Magelone zum Schluß endlich wieder gefunden hatte, stürzte der Sänger seinem Pianisten an die Wange, liebkoste ihn beidseitig und mit Gefühl. Worüber war Fi-Di so glücklich? Über den Jörg Demus, über die Brahmslieder oder über jenen erschreckend musikalischen Menschen, der für die Wahl des Austragungsorts verantwortlich ist.

Noch nie war es so deutlich beweisbar wie bei diesem ärgerlichen Festspielliederabend, daß Großteile des Publikums letztlich nur deshalb viel Geld bezahlen, um einer international umworbenen und zum attraktiven Objekt stilisierten Sängerpersönlichkeit zwei Stunden lang räumlich nahe zu sein. Dieselbe Luft atmen wie er, das genügt, das beglückt. Musik? Hat die Rolle eines Accessoires. Sie gehört ebenso dazu.

Ärgerlich war dieser Abend, weil der Veranstalter offen dokumentierte, daß er die Attraktivität eines Sängers höher einschätzt als den Wert des Programms und der Musik. Ein Mensch, der auch nur ein einigermaßen trainiertes Ohr am Kopf hat, darf in einem Sprechtheater keinen Liederabend abhalten. Musik muß klingen können; wenn das nicht erreicht werden kann, ist sie in ihrem Wesenskern zerstört. Ein Flügel, der aus den genannten akustischen Gründen nur noch in Decken gewickelte Klangrudimente hörbar werden läßt - musikalisch unbrauchbar. Ein Sänger, von dem man nur noch Tonhöhendeklamation vernimmt, bei dem klingende Konsonanten kaum die erste Reihe erreichen und bei dem Kantilenen mit schalltoten Löchern durchsetzt sind - deplaciert.

Ich weigere mich, unter diesen musiktötenden Umständen von Interpretation zu reden. Die Besichtigungsveranstaltung war vollendet. Das Konzert fand nicht statt.

Helmut Lesch


     tz, München, Datum unbekannt     

Schlechte Akustik

Neues Residenztheater: Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau. Am Flügel: Jörg Demus.

    

Durch Terminverlegung kam das Residenztheater zu einem Münchner Festspielabend wie die Jungfrau zum Kind. Leider war auch die Akustik dem "Ausweichquartier" entsprechend, Liedgesang ist in diesem Raum nicht in einer Form realisierbar, die Dietrich Fischer-Dieskau zukommt, die Töne bleiben trocken und können sich nicht ausschwingen, die Artikulation, die Fischer-Dieskau so meisterhaft beherrscht, wird von der Akustik nicht getragen.

Fischer-Dieskau setzte "Die schöne Magelone" nach 15 Romanzen von Ludwig Tieck auf das Programm. Tieck schrieb diese "wundersame Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter aus der Provence" 1797 und dichtete dazu 15 Romanzen, die von Johannes Brahms vertont worden sind.

Die Tatsache, daß diese zyklische Liedfolge wesentlich seltener zum Vortrag kommt, wie etwa die Liederkreise eines Schubert oder Schumann, hat seine guten Gründe: Sie ist nicht annähernd so inspiriert wie es andere Brahms-Lieder sind.

Was Fischer-Dieskau dennoch im Aufspüren von literarischer Substanz und an musikalischer Gestaltung hören ließ, hatte erste Qualität, wobei der 2. Teil um vieles besser gelang, als die ersten acht Lieder. Mit "Ruhe, Süßliebchen, im Schatten" war bereits ein Höchstmaß künstlerischer Interpretation erreicht.

Jörg Demus war als Begleiter nicht restlos überzeugend. Demus ist nicht eigentlich ein Brahms-Spieler -und - trotz einer exzellenten Gesamtleistung - blieb mancher Wunsch unerfüllt. Die Ovationen entsprachen einem Liederabend von Dietrich Fischer-Dieskau!

Karl-Robert Danler


     General-Anzeiger, Bonn, 13. August 1970     

Rennerts Quadratur des Kreises

Zum Ausklang der Münchner Opernfestspiele

[...]

Es war hier schon davon die Rede, welche (legitime) Bedeutung Fischer-Dieskaus Gestaltungskraft der Szene des "Sprechers" (Zauberflöte) zu geben vermocht hatte. Der nach wie vor einzigartige Sänger (ein absoluter sui-generis-Fall) beschenkte im akustisch dafür leider nicht sehr günstigen Residenztheater - sein verschworenes Publikum nicht nur mit Brahmsens anspruchsvollem Romanzenzyklus von der "Schönen Magelone", wiedergegeben mit aller Inbrunst der Einfühlung und aller deklamatorischen Bewegtheit: der stürmisch geforderte Zugabenteil, ein Brahms-Liederabend für sich, ließ zuletzt - "Wie bist du meine Königin" und "Feldeinsamkeit" - eine Stimmberückung und Sängerbeseelung von magischen Graden erlebbar werden. An Stelle von Svjatoslav Richter war es hier "nur" Jörg Demus, der - auf Tasten des Sängers zweites Brahms-Ich - Fischer-Dieskaus und des Hauses herzlichen Dank erntete.

To Burg


     Oper und Konzert, München, September 1970

Dietrich Fischer-Dieskau u. Jörg Demus: Die schöne Magelone
Residenztheater

   

Brahms’ wundersame Komposition der 15 Romanzen, die Ludwig Tiecks Märchen von der schönen Magelone vor der Vergessenheit bewahrt, aufzuführen, ist nicht ganz unproblematisch. Einmal gehören sie in den Rahmen der Liebesgeschichte des Grafen Peter von der Provence und der Prinzessin Magelone von Neapel, und zum anderen sind Mädchenlieder darunter. Das nächstliegende wäre, das Märchen von einem Sprecher, die Romanzen von einem Sänger und einer Sängerin vortragen zu lassen. Dagegen spricht der nicht gerade reizvolle, langatmige Märchentext und das wohl kommerziell wie organisatorisch nicht zu lösende Problem, für zwei Lieder eine den wenigen Sängern der Magelonelieder - im Augenblick ist meines Wissens Dietrich Fischer-Dieskau der einzige - gleichwertige Sängerin zu gewinnen. In dieser Aufführung sang Dietrich Fischer-Dieskau alle Lieder. Auf das Märchen wurde verzichtet.

Daß diese herrlichen Lieder so selten gesungen werden, liegt aber vor allem an der ungeheuren stimmlichen und gestalterischen Spannweite, die sie verlangen und die ich bis jetzt nur bei Hans Hotter erlebte. Auch Dietrich Fischer-Dieskau sang nicht alles gleich gut. Wenn sein unvergleichlich schmiegsames und beseeltes piano am Platz war, gelang ihm unsäglich Schönes und Beglückendes, etwa "Ruhe, Süßliebchen" oder "Spanne die Flügel, daß über ferne Hügel uns schon der Morgen lacht." In dramatischen Liedern zeigte dagegen die äußerst musikfeindliche, sterile Akustik des Residenztheaters, eines reinen Sprechtheaters, der Stimme Grenzen. Der Sänger und der Hörer brauchen eine Resonanz, die dieser Raum nicht gibt. In den ersten beiden Liedern: "Keinen hat es noch gereut" und "Traun Bogen und Pfeil" waren zudem neben Vollkommenem sogar Intonationsschwierigkeiten, überhell herausfallende Vokale und dergleichen nicht zu überhören. Sulimas sehnsüchtiges Lied hüpfte allzu flott vorbei, auch stand hier ein Minimum an Ton zu einem Maximum an Artikulation in einem Mißverhältnis. Wenn man noch erwähnt, daß manches recht großzügig gebrachte "Ritardando ad libitum" nicht erfüllt war, dann lesen sich aber die einschränkenden Feststellungen gewichtiger, als ihnen gegenüber dem Vollkommenen, ja Wunderbaren zukommt, das doch den Gesamteindruck des Abends bestimmte.

Auch der gewiß hervorragende Begleiter Jörg Demus war ein Opfer der grausamen Akustik, die ihm Kraft und Überschwang ebenso auffraß wie dem Sänger - besonders auffällig bei der typisch Brahms’schen Begleitung zu "So willst du des Armen".

Unendlicher und berechtigter Jubel, der freigiebig mit Zugaben belohnt wurde. Wenige Tage vorher hatte Dietrich Fischer-Dieskau die Schöne Magelone in Salzburg mit Svjatoslav Richter gesungen, der auch in München als Begleiter dieses Liederabends vorgesehen war, und mit dem er in dieser Zeit den Zyklus in München auf Schallplatten aufnahm. Aber im Konzert durfte Richter nicht auftreten. Ein merkwürdiges Beispiel für die neuerdings so freundliche Atmosphäre in der Ostpolitik.

Hans Huber


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