Zum Liederabend am 20. Mai 1969 in Mannheim


Mannheimer Morgen, Datum unbekannt

Goethe-Lieder mit Dietrich Fischer-Dieskau

Begeistert aufgenommener Liederabend im Musensaal des Mannheimer Rosengartens

Und er ist doch und noch immer der Orpheus unter den Liedersängern des deutschen Musikraums! Die kleine Form wird durch ihn zur großen Kunst, mit der er Menschen und Götter bezwingt. Geist und Geschmack, erkenntnissuchende Distanz und Beteiligtsein in der Seele prägen den Standort einer zur Vollendung gebrachten Kultur, die Aura des Endgültigen, ans Ziel Gelangten, auf diesem Weg nicht mehr weiter zu Entwickelnden.

Dietrich Fischer-Dieskau hat sich für seinen neuen Liederabend - mit dem er nun, dank der Heidelberger Konzertdirektion Erich Knoblauch, im Mannheimer Musensaal zu Gast war - ausschließlich Goethe-Texte ausgesucht. Ein reizvoller Gedanke: Die Vertonung von Gedichten eines einzigen Mannes durch mehr als ein Jahrhundert zu verfolgen - von der Herzogin Anna Amalia bis zu Ferruccio Busoni und Othmar Schoeck! "Man kann ihn (Goethe)", schreibt Fischer-Dieskau im Programmheft, "als Anfang und Ende der Liedkunst ansehen ... mich lockte die weite Skala musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten, wie sie ... durch Goethes Sprache gegeben ist."

Was er sagt, ist wahr - dennoch stellt sich sein Programm eher als literarische Vorlesung denn als musikalisch berückendes Kompendium dar. Vielfältig ist’s beweisbar, daß es nicht immer die besten Texte gewesen sind, die bei Komponisten das Füllhorn gesegneter Einfälle öffneten. Von Max Reger und Richard Strauss gibt es erfülltere Liedgesänge, und selbst bei Hugo Wolf ziehe ich das "Spanische Liederbuch" vor, obgleich natürlich der "Rattenfänger" wie "Anakreons Grab" die Goethe-Vertonungen Reichardts und Zelters (pseudo-temperamentvoll der eine, geziert humorig der andere) oder der verspielt anmutigen Herzogin weit übertreffen. Bei Schubert, Schumann und auch bei Brahms geht die Rechnung Fischer-Dieskaus auf, hier ist Kongruenz im Wert gegeben, und auch bei Busoni, der das "Zigeunerlied" in eine fesselnde musikalische Burleske umsetzt. Beethoven? Ja und nein ... das Wort, gelesen oder gesprochen, ist hier gar so schön und musikalisch auch ohne Töne.

Doch war man ja gekommen, um dem Sänger Dietrich Fischer-Dieskau erneut zu begegnen, und wohl keiner im Saal hat es bereut. Der Fluß des Melos, wie er ihn lenkt, folgt unmanieriert allen Wendungen und Windungen der musikalischen Struktur, der Bogen, den er wie kaum ein anderer Liedgestalter zu schlagen weiß, verbürgt Gliederung, Akzente, stellt klar erkannte, herrlich realisierte Zusammenhänge her. Die Stimme - dieser so wundervoll in sich schwingende lyrische Bariton - wird nirgends zu herrischer Gebärde gezwungen, Registerwechsel und Dynamik sind wie auf Gleitschienen gelegt, auch das Forte bezeugt jene besonnene Kraft, die dem Piano atmendes Leben verleiht. Gelegentliche Dramatisierung (wie im "Erlkönig") wirkt keineswegs befremdlich, weil sie sensibel eingeflochten ist. Seine tiefsten Wirkungen aber erzielt der Künstler im Ausloten der Stille - der gesammelte Ernst wird durch ihn zu erlebnishaftem Klang. Der Humor wiederum, in diesem Programm aufs köstlichste vertreten, strahlt eine Herzlichkeit aus, die schmunzeln macht.

Hier wie dort verleugnet Fischer-Dieskau seine eigene Persönlichkeit nicht. So sehr er als ehrlicher Makler der komponierenden Herzogin wie Ludwig van Beethoven dient, es ist doch stets und erkennbar sein Wille, seine Kunst, sein Können, die pure Phantasie in Wirklichkeit umsetzen. Diese Haltung entspringt dem Stolz dessen, der sein Pensum, dank seines Talents und schöpferischer Intelligenz, gründlich erarbeitet hat.

Am Flügel erweist sich Günther Weißenborn als hervorragender Pianist - sein Anteil hat so viel eigenes Gewicht, daß man versucht ist, von einem Duo-Abend zu sprechen. Kein Wunder, daß der Sänger ihn immer wieder mitbeteiligte am nicht endenwollenden, begeisterten Applaus, mit dem die Zuhörer mehr als eine halbe Stunde lang Zugabe um Zugabe erzwangen.

Kurt Heinz


    

     Zeitung und Datum unbekannt     

     

Goethe in vielen Weisen

Dietrich Fischer-Dieskau sang im Musensaal

   

Nicht alle Plätze im Parkett und auf der Empore des Musensaals waren besetzt, obwohl Deutschlands prominentester Liedersänger, der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, auftrat. Im Nationaltheater die Festlichen Opernabende, die letzte Akademie, vorauf Igor Oistrach bei Hoffmeister, spielten wohl der Heidelberger Konzertdirektion Erich Knoblauch, welche die Sonderveranstaltung aus Heidelberg nach Mannheim verlegte, einen kleinen Streich. Möglicherweise auch des Künstlers Liedprogramm, das ausschließlich Goethes Lyrik gewidmet war - wenn der Gedanke auch, wie Fischer-Dieskau meint, ebenso alt wie naheliegend ist, weil das deutsche Kunstlied durch den Klassiker bestimmt und "nach allen Richtungen hin beherrscht" wird.

Schließlich erschien auch die Herzogin Anna Amalia zur Eröffnung der Vortragsfolge nicht gerade verlockend und wirkten Johann Friedrich Reichardt, wie Carl Friedrich Zelter, des Weimaraners Leibkompositeur, auch mehr historisch als attraktiv. Ansonsten waren als legitimste Notendeuter Goethescher Verse Franz Schubert und Hugo Wolf, Robert Schumann und Johannes Brahms vertreten, wie die neueren Tonsetzer Richard Strauss, Ferruccio Busoni, Max Reger und Othmar Schoeck.

Landläufige Wege ging also des ebenso anspruchsvollen wie hochintelligenten Sängers Liedreise durch zwei Jahrhunderte nicht. Aber seine Weise ist schlichter geworden, das Wort wieder mehr in den Klang eingebettet, der Textgestalter tritt weniger pathetisch und effektvoll vor den Melodiker; sie gehen inniger zweieinig. Fischer-Dieskaus Streben, Bekanntem neue Aspekte abzugewinnen, bisher "Unerhörtes" herauszuholen, hatte ihn zu Extremen geführt, die sich nun wieder wohltuend einpendelten.

Am eindringlichsten wirkte Schuberts "An den Mond", Wolfs "Anakreons Grab" war von weiser Trauer erfüllt. So exemplarisch ruhig der Ton fließt in Schuberts "Meeres Stille" stehen der Intellekt und das lyrische Material der "Todesstille fürchterlich" entgegen, Humor und Ironie in den ausgewählten Liedern wie in Busonis "Zigeunerlied", jedoch Fischer-Dieskau prompt zu Gebote; auch der dramatische Zug in Schuberts "An Schwager Kronos" und "Der Erlkönig". Doch bleibt noch ein Stück Perfektion tieferer Wirkung manchmal abträglich, nur bestaunenswert.

Nach Wolfs "Rattenfänger" wurden dann sieben Zugaben fällig. Ein ebenso interessanter wie beifallumrauschter Abend, zu dem Basis und Kontrapunkt am Flügel der kongeniale Günther Weißenborn abgab.

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