Zum Liederabend am 30. Oktober 1967 in Düsseldorf


  Rheinische Post, Düsseldorf, 1. November 1967

Rekordbeifall für Dietrich Fischer-Dieskau

Der Bariton sang Schumann-Lieder in der ausverkauften Rheinhalle

Die Rheinhalle war selbstverständlich ausverkauft, als Dietrich Fischer-Dieskau und sein Klavierbegleiter Günther Weißenborn mit ihrem Robert-Schumann-Liedprogramm kamen. Wieder war es zu Beginn das oft beobachtete, spannende Abenteuer. Bei anderen Künstlern heißt es: Sich-Einsingen oder –Einspielen. Bei Fischer-Dieskau: einen viel zu großen (und akustisch schlechten) Saal sich rein räumlich neu erobern, sich ihn als Resonanzkörper gefügig machen. Das erste Lied ("Du meine Seele") läßt Forte-Stellen über die Parkettreihen hallen. Im zweiten ("Der Nußbaum") tastet sich das schmelzende Piano bis zur Galerie herauf. Beim dritten steht plötzlich ein schwieriger Anderthalb-Oktaven-Sprung lapidar, wie gemeißelt, im Raum; ein Signal, daß sich nun die Herrlichkeiten der Baritonstimme von Lied zu Lied entfalten werden.

Fischer-Dieskau ist nicht nur als Liedgestalter, sondern auch im Aufbau seiner Programme unübertroffen. Vierzehn Gesänge nach Gedichten von Heinrich Heine bildeten diesmal den Schwerpunkt. Heine hat manchen seiner kleinen lyrischen Ergüsse nicht ganz seriös gemeint, sondern mit ein bißchen scheinheiliger Virtuosität darüberhinweg geflunkert. Wie da der Sänger die Nuancen der romantischen Ironie und der wahren Empfindung im Spiegelbild des Schumannschen Tonsatzes auskostete! Nuancen übrigens, die in dem vollgriffigen, nicht verzärtelnden Klavieranschlag Weißenborns ebensowenig zu kurz kamen.

So war es in dem "Liederkreis" opus 24 vor der Konzertpause. Völlig anderes geschah in den fünf folgenden Heine-Liedern. Hier ging der Strom der Lyrik wohl auch zwischen wechselnd breiten und schmalen Ufern, immer aber über tiefem Grund. Jedes Einzelstück zeigte seine Individualität erregend deutlich: "Die Lotosblume" war nichts als geläuterter, schwebender Wohlklang, während gleich danach "Wir saßen am Fischerhause" harte, sprunghafte Akzente sich breitmachten. "Dein Angesicht" wiederum: mit den Kunstmitteln der auf- und abschwellenden Dynamik geformt. In "Es fiel ein Reif" aber ließ der Künstler auf einmal nicht die Töne tonangebend sein, sondern die winzigen Pausen, die an Dutzenden von Punkten, wie Eiskristalle, die Klangsubstanz zum Erstarren brachten.

Der Schlußteil – nach Emanuel-Geibel-Texten – präsentierte nochmals einen verwandelten Fischer-Dieskau, einen, der sich prächtig wie ein Theatertragöde oder Held eines Ritterromans drehte und spreizte, ohne anderes als seine Kehlfertigkeit dabei einsetzen zu müssen. – Das Publikum applaudierte vierzig Minuten lang und hörte sich die sieben Zugaben großenteils im Stehen an.

H. v. Lüttwitz


Düsseldorfer Nachrichten, 1. November 1967     

  

Fischer-Dieskaus Geheimnis

Schumann-Abend mit Weißenborn als Meisterkonzert

     

Das vertraute Bild bei einem Liederabend Dietrich Fischer-Dieskaus: ausverkaufte Rheinhalle, ein aufmerksames, diszipliniertes Publikum, das zu großen Teilen sonst nie in Konzerten zu sehen ist, herzlicher, aber konventioneller Beifall. Worauf die ungeheure Faszinationskraft dieses Sängers beruht, wird wohl nie ganz zu ergründen sein. Er schmeichelt seinen Freunden keineswegs, bringt auch diesmal ein strenges, überwiegend zyklisches Programm mit nur wenigen Zuckerln und dämpft die Klatschlust seiner Verehrer, indem er sie bittet, ganze Liedgruppen ohne Zwischenbeifall anzuhören.

Ein Zipfel des Geheimnisses löst sich vielleicht, wenn man Fischer-Dieskaus Deklamationsart betrachtet. Sie hat zum Ziel höchste Deutlichkeit, jedes Wort soll verstanden werden (und wird verstanden). Die relativ einfache Methode des Sängers ist, die strömende Gesangslinie, die früher für den Liedgesang Pflicht war, durch unzählige kleine Crescendi, Wortakzente zu durchbrechen. Jedes wichtige Wort, jede dramatische Regung wird dadurch zwar modelliert, aber das Rein-Musikalische der Stücke wird beeinträchtigt. Die Kritik an Fischer-Dieskau wird in dieser Hinsicht immer härter, aber ich meine auch nach diesem Schumann-Abend, daß sich seine Vortragsart immer im Rahmen des Künstlerischen hält, von wenigen unmotivierten, jähen Crescendi abgesehen. Und vielleicht ist es gerade diese seine Deklamationsweise, die es ermöglicht, daß romantische Lieder noch einmal zu so breiter Wirkung gelangen.

Die rückhaltlose Bewunderung für die Musikalität, die Gestaltungskraft, die Sorgfalt und die Intelligenz dieses Ausnahmemusikers wird durch kritische Überlegungen nicht eingeschränkt. Man ist bei Fischer-Dieskau außerstande, nicht mit höchster Anspannung zu lauschen. Daß sein eher spröder Bariton nicht auch noch sinnlich verzaubern kann, nun, damit muß man sich bei einer solchen Fülle von Gaben abfinden.

Großes Kernstück des Programms: Lieder von Robert Schumann nach Gedichten von Heinrich Heine. Ein Düsseldorfer Programm also, wie es im Programmheft zutreffend heißt. Herrliches und Banales ist in dem weniger bekannten "Liederkreis" op. 24 gemischt, und wohl nur ein Künstler von der Autorität Fischer-Dieskaus vermag über schwache Partien hinwegzutäuschen. Kostbare Perlen dann in der anschließenden Fünfergruppe, mit der "Lotosblume", dem "Reif in der Frühlingsnacht".

Seine ganze Virtuosität, seine dramatische Schlagkraft, seinen blitzenden Humor spielt Fischer-Dieskau schließlich in der abschließenden Liedergruppe nach Geibel-Gedichten aus. Da sind zwei balladeske Zigeunerlieder, da ist die leidenschaftlich-verzweifelte "Melancholie", der dahinschlendernde "Hidalgo" und schließlich der vor Übermut berstende "Kontrabandiste". Lauter Kostbarkeiten, die man dankbar, staunend nachvollzieht.

Zeitlos, überragend das Schumannspiel Günther Weißenborns. So klangen die Begleitungen, die ja alle selbständige Klavierdichtungen sind, auch schon vor vierzig Jahren bei Michael Raucheisen. Allersubtilstes Zusammenwirken ist bei diesen beiden Künstlern eine Selbstverständlichkeit. Manchmal verliert sich das Ohr ganz in die Klangketten des Steinway, die Singstimme ins Unbewußte verdrängend.

Alfons Neukirchen

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