Zur Oper am 22. September 1966 in Berlin

Der Tagesspiegel, Berlin, 24. September 1966

Falstaff italienisch

Lorin Maazel dirigierte

Caspar Nehers Bühnenbilder in harmonischen Farbschattierungen atmen Herbstluft, Carl Eberts Inszenierung aus dem Jahre 1957 läßt, 89 Vorstellungen alt, ihren ursprünglichen Zauber noch ahnen: "Falstaff" erklang in der Deutschen Oper jetzt zum erstenmal in italienischer Sprache. Die Szene gehört Dietrich Fischer-Dieskau, dem geliebten, närrischen, fettleibigen, verkommenen, beleidigten und am Ende ganz und gar überlegenen Sir John, der mit gemeißelten Koloraturen, sieghaften Kantilenen und unzähligen Nuancierungen des Parlandos, der Geste, der Mimik als Verkörperung nachschöpferischer Vollkommenheit erscheint.

Neben ihm hat besonders der Bariton einen schweren Stand. Licinio Montefusco, dessen grandioses Berliner Debüt als Rigoletto des "Teatro dell’Opera Italiana" vor zwei Jahren noch in guter Erinnerung ist, wirkt hier trotz seiner schönen, klaren Stimme blaß und unindividuell; die große männliche Eifersucht, die den ehrsamen Mr. Ford im zweiten Akt erschüttern muß, teilt sich jenseits der Rampe nicht mit. Im Quartett der Damen fällt neben der Alice Pilar Lorengars, der Quickly Lucia Danielis und der Meg Patricia Johnsons besonders das bezaubernd singende Ännchen der Edith Mathis auf, dem der schwärmerische Fenton Donald Grobes ein ebenbürtiger Partner ist.

Verdis letzte Opernpartitur verwaltet als Dirigent jetzt Lorin Maazel: die ununterbrochene Spannung des Abends ist das Verdienst seiner treibenden Energie, seiner Präsenz und bewußten Akzentuierung jedes Details. Mag seine aufregende Aggressivität auch mitunter ein bißchen auf Kosten der buffonesken Liebenswürdigkeit der Musik gehen, sie ist hier jeder Routine vorzuziehen.

S. M

zurück zur Übersicht 1966
zurück zur Übersicht Kalendarium