Zum Opernabend am 6. Februar 1965 in London

     Süddeutsche Zeitung, 11. Februar 1965     

Wiedersehen mit Arabella

Rudolf Hartmanns Neuinszenierung im Londoner Covent Garden

Für die Hundertjahrfeier ein wenig spät - wenn auch genau neunzig Jahre nach Strauss' erstem Zusammentreffen mit Bülow - und inmitten einer überladenen Saison. So kann die festliche Stimmung im Zuschauerraum nur auf dieses seltenste aller Theaterereignisse zurückzuführen sein: Eine fast perfekte Aufführung. Rudolf Hartmann, dessen erste Münchner Fassung (zum 75. Geburtstag des Komponisten) noch im Jahre 1953 unverändert in London gesehen wurde, hat jetzt auf das verzichtet, womit er dem Werk damals zu dienen glaubte, nämlich auf Drehbühne und Zusammenziehung der letzten beiden Akte. Er behält die Gliederung in drei solide Akte bei und gibt der Oper, was ihr auch als "Opera non-seria" zusteht: ein Zerwürfnis der Liebenden vor der Pause. Und was sie an Leichtigkeit und spielerischer Leidenschaft verliert, gewinnt sie an Spannung und echter Leidenschaft; die Schlüsselszene zum Beispiel hat nichts Operettenhaftes mehr und wird Baustein eines Dramas. Daß die lyrischen Qualitäten unverändert und strahlend erhalten blieben, ist Lisa della Casa und Dietrich Fischer-Dieskau zu danken, daß in all der Süße die Herbheit des Spätwerks zu spüren ist, dem Dirigenten Georg Solti.

Lisa della Casa, die schon vor zwölf Jahren die Titelrolle sang - es war übrigens ihr Londoner Debüt - , hat an menschlichem Format noch gewonnen. Die rätselhafte "Présence", das Füllen eines Bühnenraums mit geistiger Konzentration, die als physische Erscheinung fühlbar ist, kommt vor allem in den großen Duetten mit Zdenka und Mandryka zu triumphalem Ausdruck - schauspielerisch und stimmlichen Wunderwerken, die man am liebsten auf einer Super-Film-Schallplatte nach Hause nehmen möchte, wenn es das nur gäbe. Auch der angehaltene Atem eines ausverkauften großen Hauses müßte freilich drauf sein.

Fischer-Dieskau trägt eine Art von würdigem Humor zur Schau, der - soweit die Erinnerung nicht trügt - Hermann Uhdes Edelgutbesitzer in nichts nachsteht. Für jene allerdings, die schon die Karten für den Brahmsabend des Sängers in der Tasche hatten, kam der erste Auftritt als ein Schock. Der gepflegte ungarische Dialekt in der banalen Einführung ("Dos wor mein Onkel...") stieß schmerzlich auf das zärtlich-allgegenwärtige Bild des Liederinterpreten.... Aber der diskrete Charme in der Erzählung vom Bärenabenteuer - die zwölf Wochen, die er "so im Bett gelegen" ist, werden fast verschämt angedeutet - und die Verhaltenheit der Liebesszene zerstreuen alle Bedenken. Und die Stimme, die in jedem Sinne unfaßbare Stimme, ist nur noch schöner geworden.

Joan Carlyle als Zdenka singt singt höchste Noten souverän, spielt mit einer Innigkeit fern jeder Schablone und trägt ihren Männeranzug mit solcher Eleganz, daß man ihr rechtens alle Hosenrollen der Opernliteratur anvertrauen sollte. Die Wagnersängerin Veasey ist eine stimmgewaltige Mama Adelaide, und sogar dem urenglischen Michael Langdon (als Graf Waldner) hat man ein wenig Dialektfärbung abgetrotzt. Wenn er gerührt das "Tesèk, bedien' dich", wiederholt, mit dem ihm Mandryka das Darlehen aufgedrängt hat, lagert die Rührung der mitteleuropäischen Zuhörer wie eine paprika-rosa Wolke über den Rängen.

Solti, über dessen künstlerische Integrität längst nur mehr eine einzige Stimme laut wird, die der begeisterten Zustimmung, zaubert aus dem komplexen Gewebe der Partitur alle Ornamente der Farbe und Stimmung mit höchster Klarheit hervor. Man vergißt beglückt, daß Strauss in Arabella sozusagen sein eigener Epigone war. Dem geschmackvollen Peter Rice gelang ein vornehmes Bühnenbild, in dem sogar die Hotelatmosphäre eingefangen ist, und das er mit kühner Kostümkoloristik zu akzentuieren versucht. Man wünschte, er wäre etwas zaghafter.

Fritz Thorn



 

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