Zur Oper am 2. Oktober 1964 in Berlin

Die Welt, 4. Oktober 1964  

In elf Partien einundzwanzig Sänger

Die zweite Aufführung der "Zauberflöte" fand stärkere Resonanz

Doppelpremiere – so heißt das Zauberwort, das sich die großen deutschen Opernhäuser ersannen, um dem grassierenden Umbesetzungsjammer zu wehren. Daher präsentiert die Deutsche Oper Berlin ihre "Zauberflöte" in einer Aufführung, die nicht die bei Sängern wie Publikum gleichermaßen unbeliebte "zweite Besetzung" kennt. In elf Partien traten an den beiden Premierenabenden 21 verschiedene Sänger an die Rampe (Karl Ernst Mercker singt in beiden Vorstellungen verschiedene Rollen). Außer der "Zauberflöte" wird eine interne vokale Leistungsschau geboten. Die Lust zum Vergleich wird gestachelt. Unverschleiert singt sich im Rahmen derselben Inszenierung individuelle Kunst aus – und individuelles Versagen.

Die zweite Aufführung fand spürbar stärkere Resonanz im Publikum als die erste. Konzentrierte sich der Jubel in dieser vor allem auf Karl Böhm, so zeichnete er in jener fast das ganze Ensemble aus. Wermutstropfen praktizierte man nur Catherine Gayer in den Freudenbecher. Ihre Interpretation der "sternflammenden Königin" verfiel dem Verdikt. Zuviel hatte man der begabten jungen Sängerin, zuviel hatte sie sich zugemutet. Der Primadonnenpartie, die dramatische Attacke mit leicht spielender Koloratur mischt, war sie nicht gewachsen. Man zitterte mehr um sie als um das Schicksal Paminens.

Sonst aber wurde ihr nächtliches Reich gut verwaltet. Die drei Damen Marina Türke, Gitta Mikes und Ruth Hesse fügten sich – auch sprachlich – zu einem bezwingend homogenen Terzett. Den Überläufer Monostatos sang Karl Ernst Mercker mit lebhafter Stimme.

Reizend hatte sich Barry McDaniel den Papageno zurechtgedrechselt..

Aus der niederen Sphäre der Menschwelt spielt er sie hinüber in das Reich der Naturgeister: ein Puck ist er, im Federkleide. Mit faunischer Beweglichkeit schlängelt er sich durch die Aufführung, ein Schlingel mit leichtem Bariton, dem Kostüm und Stimme gut sitzen. Als Sonny Boy des Märchens kurbelt er den Motor der spielerischen Gegenhandlung an. Der tuckert noch manchmal, wenn die Fransen des Chargierens ins Getriebe geraten, doch läßt sich nicht übersehen, noch überhören, daß McDaniel einen sehr persönlichen Papageno erarbeitet hat, der durch leichtfüßige Grazie für sich einnimmt: Eine feine Leistung, an der Edith Mathis als Papagena partizipieren darf. Wohllautend zwitschert sie sich ein ins Duett.

Würde oder Lieblichkeit – zwischen ihnen hat die Darstellerin der Pamina zu wählen. Erika Köth votiert für das Herzige. Sie ist sehr innig. Man muß an die andere große Österreicherin denken, die vielgeliebte Sissi, wenn man sie hört, so gefällig nutzt sie ihren weichen Sopran. Hoheit nicht, aber Süßigkeit strömt er aus: Das bringt Erfolg, doch birgt es auch Gefahren.

Martti Talvela gibt den Sarastro. Sein schattiger Baß, profund und füllig, klingt jung. Warum aber auch soll es nicht junge Priester geben? Talvela ersingt der Rolle die Bedeutung, die ihr zukommt. In der errgendsten Szene der Aufführung stoßen Dietrich Fischer-Dieskau als "Sprecher" und Ernst Haefliger als Tamino aufeinander. Da gibt Haefliger mit leidenschaftlicher Intensität seinem großen Gegenüber das Widerwort. Zwei Künstler mit mächtigem Gestaltungswillen entzünden sich aneinander: ein grandioser Moment. Auch vorher und nachher versucht Haefliger die Gestalt des Prinzen zu formen, doch unter dem hochwogenden Ausdruck, den er anstrebt, löst sich der Adel der Linien auf. Gemindert wird die Schönheit des Singens. In dieser Schönheit aber gerade ist die Gestalt Taminos beschlossen.

Klaus Geitel


     Der Tagesspiegel, Berlin, 4. Oktober 1964     

Märchen und Verkündigung

Die zweite Premiere der "Zauberflöte" in der Deutschen Oper

   

Das Geheimnis der "Zauberflöte" entzieht sich dem Versuch intellektueller Deutung. Kein Kunstwerk verfolgt mit solchem Ernst ein Programm und verfährt dabei im Dramaturgischen so inkonsequent. Licht und Dunkel, Gut und Böse sind so verquickt, daß das Böse im Anfang rühren darf, daß es ferner durch seine Gaben nur Gutes wirkt und das Gute selbst nicht ganz begreifbar wird. Dennoch teilt sich das ethische Ideal ohne Gefährdung oder Fragwürdigkeit mit. Verkündigung, Märchen und Posse sind die Quellen – Gustav Rudolf Sellners Inszenierung in der Deutschen Oper spart die letztere fast ganz aus.

Das ist eine klare Entscheidung, die sich besonders bei der "zweiten Premiere" als verständlich erwies. Barry McDaniel ist ein herrlicher, charmanter Papageno, dessen weiche Baritonstimme und sensible Musikalität unbedingt ein Gewinn für die Aufführung sind, aber eben ein Amerikaner in der "Zauberflöte". Von ihm wienerisches Komödiantentum zu verlangen, wäre unbillig. Zieht man in Betracht, daß auch Manfred Röhrl, der erste Papageno, mit dieser Art von naiver Heiterkeit schlecht fertig wurde, daß eigentlich nur seine Partnerin Lisa Otto darin zu Hause war, nicht aber Edith Mathis, die junge, fein singende zweite Papagena, so muß man den Kürzungen des gesprochenen Textes in diesem Fall zustimmen.

Das Gewicht liegt also auf dem rätselhaften Märchen um das ernste Paar in Sarastros Lichtreich. Dietrich Fischer-Dieskaus Erscheinung als Sprecher an der Pforte des Heiligtums förderte diese Akzentuierung, Josef Greindls Sarastro rechtfertigte sie. Ihn im Hintergrund im Licht über die Tempelstufen gehen zu lassen, bedeutete den Eindruck von Schutz, Sicherheit. Der junge Finne Martti Talvela als zweiter Sarastro hatte es da schwer. Ihm fehlt es noch an Persönlichkeit und an eigener musikalischer Gestaltungskraft, was sich auch in den Ensembles störend bemerkbar machte. Catherine Gayer, seine Gegenspielerin, ist eine von den zarten Königinnen der Nacht, die musikalisch viel wissen und wollen und alles geben, was möglich ist. Das reichte stimmlich nicht ganz aus. Dem mit Marina Türke, Gitta Mikes und Ruth Hesse neubesetzten Terzett der drei Damen fehlten der Glanz in der Höhe und in der Unterstimme die stützende sensible musikalische Phrasierung. Karl Ernst Mercker gab gesanglich und musikalisch schlichter als sein Vorgänger den Monostatos.

Eigentlich ist Erika Köth wegen der Leichtigkeit ihrer Stimme keine Pamina. Wie sie aber sang und sprach, das war von so außerordentlicher Feinheit und Natürlichkeit, daß es immer faszinierte. Ihr Partner war der profilierte und reife Mozart-Sänger Ernst Haefliger. Dieser Tamino wirkt nicht wie der Donald Grobes als ein einfach Lernender, allmählich Begreifender, sondern als der von Anfang an Auserwählte, eine Charakterisierung, die dem dunklen Ernst der Inszenierung gut ansteht.

Hatte man bei der ersten Premiere den Eindruck, daß die Spannung gegen Ende ein wenig nachließ, diesmal erlebte man es umgekehrt: Die Vorstellung lief schwerer an und steigerte sich dann. Viel Beifall galt allen Mitwirkenden und dem Regisseur, Jubel dem Mozart-Dirigenten Karl Böhm. Die vereinzelten Buh-Rufe hatte Catherine Geyer nicht verdient.

S. M.


   

     Berliner Morgenpost ?, Datum unbekannt,     

   

Bliebe zu berichten über die beiden Premieren im Musiktheater anläßlich der Festwochen: über die Neuinszenierung der "Zauberflöte" und einen Ballettabend, beide in der Deutschen Oper. Gustav Rudolf Sellner inszenierte Mozarts Oper, wissend, daß die Vielschichtigkeit des Werkes ihm ein Dilemma bereiten muß, wissend um die Notwendigkeiten in einem so großen Hause, wissend um die Diskrepanz zwischen echter, einfacher Naivität und Bühnenweihefestspiel, um Singspiel- und Märchentheater und große Oper. Er nahm diese Vielschichtigkeit und versuchte sie vielschichtig auf die Bühne zu übertragen. Das gelang in den Einzelfällen der Szene, und es mißlang als Zusammenhang, als Komposition, wo die Szenen auseinanderbröckelten ob der Verschiedenheit ihres Ansatzes. Jörg Zimmermann unterstreicht in seinem Bühnenbild Intention wie Wirkung, er nimmt Sellners Wort aus der Einführung ganz wörtlich: "Huschender Wechsel der Kulissen", ohne jedoch an die Fortführung des Satzes zu gelangen, wo der "ganze Zauber der Verwandlung" gefordert wird. Es wird gezaubert, aber das Medium Zuschauer bleibt ungerührt vor den Ruinen, Palmgärten, den in ein Nichts führenden Portalen, den dekorativen Priesterscharen wie der Riesenschlange.

Anders der musikalische Part. In der zweiten Premiere – man bot eine Doppelbesetzung mit je eigener Premiere auf, siebenundzwanzig Kräfte, die es zu vergleichen gälte – mit Erika Köth eine innige und gewinnende Pamina mit stimmlichem Glanz. Ein Tamino, den Ernst Haefliger da und dort mit dramatischer Expressivität füllte, ansonsten in schöner und edler Lyrik prägte. Als Papageno der perlend-geläufige Barry McDaniel, Edith Mathis mit Frische als Papagena. Die Frage allerdings nach der wahren Königin der Nacht konnte auch Catherine Gayer noch nicht beantworten. Zwischen zwei burlesk-komödiantischen Szenen etwas Atemberaubendes: die Szene des Sprechers, den Dietrich Fischer-Dieskau mit ungeahnter Eindringlichkeit und in bezwingender Weise darstellt. Grandios die Führung des Orchesters durch Karl Böhm, selten vernommen eine derartige Einfühlung in den Geist Mozartischer Musik und in die Notwendigkeit der Szene. Böhm wurde mit Recht weit vor allen anderen gefeiert.

Autor unbekannt







zurück zur Übersicht 1964
zurück zur Übersicht Kalendarium