Zum Konzert am 2. April 1964 in Bamberg

Bamberger Volksblatt, 4. April 1964   

Alle Sehnsucht will nun träumen

Das 9. Abo-Konzert mit Fischer-Dieskau und Wunderlich

Dieser Abend ließ niemanden, der dabei war, zur Ruhe kommen. Leibhaftig schien uns Gustav Mahler in seinem Abschiedsgesang von dieser Erde in Gestalt des einsamen, nach Schönheit der Natur dürstenden Sängers gegenüberzutreten. Der chinesische Dichter seiner musikalischen Elegie sagte: "Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold!" Mahler war ein bedeutender Interpret seiner Zeit, eine Berufung fühlte er als Komponist. In seiner hochsensiblen Natur galt es, Beethoven, Brahms und Bruckner zu "bewältigen", (um einen zeitgemäßen Ausdruck zu verwenden). Es loderten die Leidenschaften, gejagt von Einfällen, begabt mit großen Fähigkeiten, erprobt im täglichen Umgang mit Orchestern, so trieb es Mahler zur musikalischen Neuschöpfung dessen, was er längst woanders, bei Bruckner, Wagner und Brahms gehört hatte. Nun, seine Werke sind nicht allein Plagiate – "Das Lied von der Erde" gewiß nicht, obgleich so vieles an die Lehrmeister erinnert. Hier lebt Mahler seinem Traum von einer Sehnsucht, die wir in unseren Tagen in einer beschaulichen Stunde metaphysischer Fragestellung nachzuempfinden imstande sind. Was ist da langatmig, was schwülstig und gefühlsüberladen? "Wenn nur ein Traum das Leben ist, warum denn Müh’ und Plag’!?"

In dieser Aussage sehen wir Mahler in Nachbarschaft Mozarts, in ausgelassener Fröhlichkeit lauert der Tod, im Tode aber schimmert die Verheißung von einem Frieden jenseits unserer Vorstellungskraft. Sollte es aber einer Gewißheit hierzu bedürfen, so erinnere man sich dankbaren Herzens, Dietrich Fischer-Dieskau und Fritz Wunderlich in den sechs Teilen dieser sinfonischen Ode gehört zu haben.

Beide Künstler verkündeten einen Text als Mahnung und Abglanz irdischer Glückseligkeit, getragen von einer gesanglichen Gestaltungskraft, die in der Musikwelt ihresgleichen suchen dürfte. Mit ihnen, den Solisten, aber erhält dieses Werk seine Aussagekraft, insbesondere dank der Bariton-Partie Fischer-Dieskaus, dessen absolute Meisterschaft der Intonation ebenso wie die geistige Durchdringung und Eroberung des geistigen Inhaltes für die musikalische Wiedergabe jenseits jeder kritischen Würdigung stehen dürfte. Das Bamberger Konzertpublikum zeigte sich wie kaum zuvor, es brach aus in einen Taumel der Begeisterung. (Das Umblättern des Liedertextes verursachte leider peinliche Nebengeräusche, welche bei Beachtung der Pianissimo-Situation im Orchester gern hätten vermieden werden mögen.)

Das Werk enthält harmonische Kostbarkeiten, die vom Orchester als persönliches Anliegen jedes Musikers ausgestaltet wurden. Besondere Erwähnung verdienen die Instrumentalsolisten: Violine, Violon-Cello, Flöte und Klarinette. Über Kleinigkeiten darf hier weggesehen werden (ein Pizzicato der Bratschen ging infolge nicht ganz eindeutiger Schlagtechnik daneben), wenngleich bei den Maßstäben der Solisten außerordentliche Vorstellungen in der Behandlung des Orchesters wie von selbst entstehen könnten. Joseph Keilberth stand in souveräner Partiturbeherrschung dem technisch höchst diffizilen Werk voran, mit verklärter Ruhe und ganz den Gesangsparts angepaßten Tempi. [...]

Mit diesem Werk werden die "Bamberger Symphoniker" im Verein mit zwei Großen der Gesangskunst mehrere Konzerte im Rahmen einer Tournee gestalten. Hierzu unsere uneingeschränkte Gratulation.

[...]

Dr. -ke

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