Zum Liederabend am 18. Oktober 1961 in Hamburg

Hamburger Abendblatt, 20. Oktober 1961    

Dämonische Seelendramatik

Beifallsstürme für Dietrich Fischer-Dieskau

Zum Liederabend Dietrich Fischer-Dieskaus strömten die Musikfreunde in Scharen, die Große Musikhalle bis zum Podium hinauf füllend. Anders als vor elf Jahren beim Hamburger Debüt des Sängers, das vor etwa 20 besetzten Parkettreihen stattfand. Die Erinnerung wird wach, weil es dasselbe Programm war, mit dem Fischer-Dieskau – damals als noch Unbekannter und jetzt im Glanz des Weltruhms – sein Publikum zur Begeisterung entflammte.

Man muß schon nach Superlativen suchen, um die faszinierende Wirkung zu beschreiben, die von diesem exklusiven Temperament ausgeht, das sich im Singen verschwendet und durch die Vitalität des Ausdrucks jedes Lied mit unglaublicher Spannung erfüllt. Wie der Künstler Schuberts Heine-Lieder (sechs aus dem Zyklus Schwanengesang) mit dämonischer Seelendramatik ausweitet und aufwertet, ist eine kühne, selbstherrliche "Übersetzung" in andere geistige Dimensionen, unvergleichlich und unüberbietbar. Freilich kann nur er sich dieses Großformat der dramatischen Gestaltung leisten. Die mächtige Stimme leuchtet im trotzigsten Fortissimo wie im zärtlichsten Piano, doch hinter dem hoch gesteigerten Einsatz bleibt die Intensität des Erlebens, selbst noch im wortlosen Nachspiel, stets spürbar.

In Robert Schumanns "Dichterliebe" verwandelte sich der Sänger in einen empfindsamen Lyriker, der die romantischen, schwermütigen Texte leidenschaftlich umformuliert, indem er die Seufzer und Tränen im Ausdruck lodernder Verzweiflung erstickt und doch auch zart und behutsam die Traum-Stimmungen zu beschwören weiß. Stimmungsvoll und plastisch konturiert war auch das Klavierspiel Günther Weißenborns, dessen gleichwertiger Anteil am triumphalen Erfolg des durch fünf Zugaben bereicherten Konzerts von Fischer-Dieskau gebührend betont wurde.

S. T.

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