Zur Oper am 20. Mai 1961 in Schwetzingen

Darmstädter Tagblatt, 24. Mai 1961

Alte Arien mit neuen Noten

Uraufführung der Henze-Oper "Elegie für junge Liebende" in Schwetzingen

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Der neueste Beweis, wie gut und wesentlich für unser Opernleben es ist, wenn die Schwetzinger Festspiele Aufträge erteilen, ist jetzt mit der Uraufführung der für Schwetzingen komponierten Oper "Elegie für junge Liebende" von Hans Werner Henze gegeben. Man weiß, daß hier "Opern im Sack" gekauft werden, aber man vertraut dem eigenen Instinkt, der gereiften Überlegung und sieht sich – wenigstens im Prinzipiellen – nur bestätigt. Es sollte heute öfter so sein, daß die Festspiele Opern in Auftrag geben, so wie es einst Städte oder Fürsten taten, heute selten genug noch einzelne Opernhäuser.

Daß Henze eine neue, abendfüllende, ja überfüllende Oper geschrieben hat, kaum daß sein "Prinz von Homburg" sich anschickt, die erstrebenswerte Runde zu machen, ist erstaunlich. Henzes Phantasie ist zu bewundern. Allerdings gibt es in dem neuen Werk, vor allem im letzten, dem dritten Akt, auch Stellen, die so schwach sind, daß man sich sagen muß, hier ist zu schnell komponiert worden, hier folgte ein Werk so großen Stils dem anderen zu hastig. Hatte man gedacht, die Strenge des "Homburg" habe Henze auf eine neue Ebene der künstlerischen Konzentration gehoben, so wurde man nun, bei der "Elegie für junge Liebende", zumindest getäuscht: die Phantasie wuchert, stellenweise unkontrolliert auf ihr Spannungsvermögen und Gestaltungsmoment, verliert sich im Lyrischen oder Elegischen, wo der Anreiz zum Dramatischen hätte verlocken müssen. Die drei Akte, von denen jeder zwischen 52 und 55 Minuten lang ist, sind dennoch ein Ereignis für sich.

Zunächst besticht die Anlage wie Qualität des für Henze von W. H. Auden und Chester Kallman (die auch für Strawinsky "Rakes Progess" schufen) gearbeiteten Librettos. Es ist so musikalisch konzipiert, wie das selten der Fall sein dürfte. Ein als Meister angehimmelter und sich auch so gebärdender Dichter geht seinem Werk zuliebe "über Leichen" im wahrsten Sinne des Wortes. Er braucht Anregungen, holt sie sich bedenkenlos bei Visionen einer Witwe, deren verschollener Bräutigam nach vierzig Jahren vom Berg-Gletscher freigegeben wird, dann bei einem jungen Liebespaar, das er bewußt in den Bergtod gehen läßt, nur damit seine "Elegie", die er "für junge Liebende" begann, einen Abschluß findet. Bei einer Feier trägt er das Werk vor, aber nicht in Worten, nur auf Vokale gesungen, zusammen mit den Stimmen, die in das Werk und das Leben des Dichters verwoben sind, getragen vom Orchester. Dieser Schluß ist ein brillanter Gedanke: die Musik führt aus, was dem Dichter zu sagen verwehrt bleiben muß.

Henze hat diese hier nur ganz knapp angedeutete, in Wahrheit viel kompliziertere und verwobenere Handlung teils mit Arien alten Stils bedacht, teils in einer debussynahen Rezitativik gehalten. Herrliche Gesangsbögen und vor allem Ensembles (wie ein Sextett) fesseln weithin, die ersten beiden Akte sind in sich so abgerundet und trotz Längen überzeugend, daß man um so mehr betrübt über den dritten Akt war. Hier sollte Henze revidieren und wenigstens das Bergtod-Bild der Liebenden streichen, was freilich die Gesamtproportion ins Wanken bringen muß.

Der Farbenreichtum im klein gehaltenen Orchester (in dem viel Schlagzeug klingender Art von Celesta bis zu Glocken auffällt) ist ungewöhnlich und fern des nur Dekorativen unmittelbar packend. Im Harmonischen gibt es "avantgardistisch" krasse Formulierungen, gebunden aber in der Klangpalette und an die szenischen Situationen. Daneben stehen fast romantisch glanzvolle Passagen, subtil, ja sublim, ohne in das hier gefährlich naheliegende Geschmäcklerische zu verfallen. Diese Partitur ist des Themas, das so sehr an die Zeit um 1910 geknotet zu sein scheint, würdig, ja trägt und überhöht es entscheidend. Man wird sich noch mit diesen neuen Noten in alten Formen auseinandersetzen müssen.

Die Theater kleinerer Städte sollten sich aber, so sehr die chorlose Besetzung reizen könnte, den "Homburg" wählen, denn wenn dieser neue Henze nicht außergewöhnlich gut interpretiert wird, ist er verloren.

In Schwetzingen gastierte die Bayerische Staatsoper mit dem Werk. Henze hatte selbst die Regie übernommen, die er weithin geschickt und glaubwürdig bewältigte (in Jürgens’ stimmungsvollen Jugendstil-Bühnenbildern), dem jungen Kapellmeister Bender die Direktion überlassend. Bender gefiel mit Temperament und Klangsinn sehr, hier wächst ein beachtlicher Dirigent heran. Entscheidend für den klaren Erfolg des Stückes war Fischer-Dieskau in der Hauptrolle (Dichter): suggestiv und intelligent, stimmlich überragend und darstellerisch hinreißend gab er dem Abend ein wohl kaum wieder zu erzielendes Format. Wie er Eitelkeit und Selbstironie des "Meisters" vorführte, war unglaublich gut. Neben ihm gab es ausgezeichnete Leistungen, die ebenfalls mustergültig genannt werden dürfen, so vor allem mit Eva-Maria Rogner als Witwe und Lilian Benningsen als Sekretärin.

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W.-E. v. Lewinski


    

     Berliner Tagesspiegel, Datum unbekannt     

   

Elegie für junge Liebende

Uraufführung einer neuen Henze-Oper in Schwetzingen

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Die Aufführung in der angenehm unaufdringlichen Inszenierung des Komponisten, im jugendstilbewegten Bühnenbild von Helmut Jürgens war eine Meisterleistung der Bayerischen Staatsoper, ihres Dirigenten Heinrich Bender, ihres Orchesters und ihres Sängerensembles. Dietrich Fischer-Dieskau hat mit dem Dichter Gregor Mittenhofer eine Figur geschaffen, die in ihrem mimischen und gesanglichen Raffinement auf der Opernbühne ohne Vergleich ist. Der weißhaarige, die Maske olympischer Würde zur Schau tragende Meister, besessen von der Manie des kalten, bewußten Produzierens, egoistisch, genießerisch, zynisch, grausam, kindisch verspielt, komödiantisch empfindsam, kalt und hemmungslos im Ausbruch tierischer Wut: ein vergeistigter Falstaff, ein desillusionierter Hans Sachs, ein Geschöpf, das durch die Folterkammern moderner Seelensezierung gegangen ist, und doch eine imposante Gestalt aus einem Guß, gesanglich souverän im biegsamen, lässig nuancierten Parlando und im Einsatz stimmlicher Kraft. Ihm nahe kommt die erstaunlich treffsichere Koloratursängerin Eva Maria Rogner, die aus der Visionärin ein makabres, mit heller Kinderstimme singendes Gespenst macht. Die Altistin Lilian Benningsen als Gräfin-Sekretärin, ins Dämonische wachsend in der Szene des Einverständnisses mit Gregors Verrat an den Jungen, Karl Christian Kohn als Arzt, Ingeborg Bremert und Friedrich Lenz als Liebende: ein Ensemble, das den schwierigen und ungewohnten Aufgaben des Werkes voll gewachsen ist.

Der Premierenbeifall war, bis auf einen einzigen Pfiff, einhellig und rief die anwesenden Autoren, Auden, Kallman und Henze, oft vor den Vorhang. Man stand unter dem Eindruck eines Werkes, das mehr ist als ein Experiment, mehr auch als ein einmaliger Fall des Gelingens, eines Werkes, das schon Vollendung, Zusammenfassung auf einer hohen, selten erreichten Ebene bedeutet. Die Begegnung von europäischem und angelsächsisch-amerikanischem Geiste in der Dichtung, die Verschmelzung von impressionistischem Klang und dodekaphonischer Struktur, von Tradition und weitsichtiger Modernität in der Musik, die Erlösung der Oper aus weltferner Romantik, die Annäherung an die Gegenwärtigkeit der Schauspielbühne: das sind nur einige Stichworte, die künstlerische Leistung anzudeuten, die hier getan ist.

Werner Oehlmann


   

     Die Welt, 23. Mai 1961     

   

Ein Werk von bestürzender Eigenart

Künstlerisches Ereignis in Schwetzingen:

Hans Werner Henzes Oper "Elegie für junge Liebende" uraufgeführt

    

Die Uraufführung von Hans Werner Henzes neuer Oper "Elegie für junge Liebende" glich der Beschwörung eines großen Toten – Hugo von Hofmannsthals. Nicht nur äußerlich dadurch, daß Hofmannsthals Tochter aus New York zur Premiere nach Schwetzingen gekommen war, auch nicht, weil das Werk von W.H. Auden, Chester Kallman und Henze "dem Andenken Hofmannsthals, des Österreichers, Europäers und Meister-Librettisten", gewidmet worden ist – sondern weil es aus demselben Geist erwuchs wie die Dichtungen Hofmannsthals, die er für das Musiktheater Richard Strauss’ schrieb.

Es stellt sich ihnen würdig zur Seite durch die Verflechtung aller poetischen und dramaturgischen Elemente: Die Überlegenheit in der Handhabung zartester psychologischer Motive, das Einschwingen in den Geist einer zurückliegenden Epoche, die Zeitlosigkeit (und darum Übermodernität) der einfachen äußeren Handlung, Klarheit und Konsequenz, Ernst und Eindringlichkeit, gesprenkelt mit Tupfen eines schwarzen Humors und grotesker Bizarrerie, schenken dem Werk eine ungewöhnliche Ausstrahlungskraft.

"Dichtung für Musik"

Schon das ist ein Ereignis: Die "Elegie für junge Liebende" bricht mit dem Brauch, sich für die Oper irgendwelcher literarischer Vorlagen zu bedienen. Das originale Opernsujet schien ausgestorben, noch mehr aber die Kunst, es zu einem Libretto zu formen, das gleichzeitig dichterisch und komponierbar ist. Denn die Gesetze der Oper zu negieren ist leicht; der Drang, sie zu sprengen, riesengroß. Sich ihnen aber unterzuordnen und sie von innen heraus, aus poetischer Kraft, zu erfüllen, das Libretto zum Kunstwerk zu adeln, ohne ihm seine dienende Funktion zu rauben, erfordert zweierlei: Demut und Meisterschaft. Auden und Kallman, durch die wundervolle englische Neudichtung des Librettos der "Zauberflöte" und den Text zu Strawinskijs "Das Leben eines Wüstlings" der Operndichtung stärker verbunden als irgend andere Autoren, haben Henze denn auch eine "Dichtung für Musik" geschenkt, für die er ihnen tief dankbar sein wird. Sie haben ihm ein Libretto geliefert, an dem er wachsen konnte.

Die Zentralgestalt des Werkes ist ein "heiliges Monstrum", Gregor Mittenhofer, der Olympier, der jene "Elegie für junge Liebende" schreibt, nach der sich die Oper betitelt. Er ist einer der fürchterlichen Kolosse, die gleich Vampiren sich auf ihre Mitmenschen stürzen, um sich Inspiration für ihr Werk zu ersaugen: ein Egoist, jovial und böse, naiv und gefährlich, ein Tyrann – aber ein Dichter, eine Persönlichkeit von unwiderstehlichem Magnetismus, gefeiert und gehätschelt, lächerlich in seiner Eitelkeit, aber groß in seiner Würde, in dem einsamen fanatischen Ringen um sein Gedicht: eine der differenziertesten Gestalten der Opernliteratur – ein Monument, ein fatales, und dennoch ein Mensch.

Um es vorwegzunehmen: Mit der Interpretation dieser Rolle hat Dietrich Fischer-Dieskau einen neuen Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht. Hier, wo ihm eine Fülle der verschiedensten Ausdrucksmöglichkeiten angeboten wird, erweist er sich als meisterhafter Darsteller der feinsten Nuancen. In faszinierender Maske, eine zwielichtige Kreuzung von Faun und Geheimrat, beherrscht er vom ersten Augenblick an die Bühne und die Menschen, deren Schicksal von seinem Leben bestimmt wird: Elisabeth und Toni, die jungen Liebenden, die er in den Tod gehen läßt, die arme Närrin Hilda Mack, deren Visionen er für sein Werk ausschlachtet, die Gräfin Carolina, seine Mäzenin und Sekretärin, die er demütigt und brutalisiert. Sie alle umkreisen, angezogen oder abgestoßen, diese Gestalt; sie alle, die sich eingenistet hatten in wohligem Selbstbetrug, werden auf den schmerzhaften Weg der Selbsterkenntnis gestoßen.

Die Handlung spielt 1910, hoch in den Bergen, am Fuße des "Hammerhorns", auf dem die Liebenden den Tod finden. Zu drei festgefügten Akten, nur der letzte von dreifachem schnellem Ortswechsel unterbrochen, haben Auden und Kallman die 34 Szenen der Oper zusammengefaßt; jede von ihnen ist betitelt und zu einer in sich geschlossenen Nummer gerundet. Henze wird damit Gelegenheit gegeben, alle Variabilität seines Könnens zu entfalten.

Der äußere Eindruck, es handele sich in der "Elegie" um eine Kammeroper, trügt. Wohl umfaßt das Orchester nur knapp zwei Dutzend Musiker, aber die inneren Dimensionen des Werkes sind die der "großen Oper", aufgelichtet und geschmeidig gemacht durch die kleine Besetzung, die den Text subtil zu gestalten weiß. Jedem Sänger ist ein obligates Instrument zur Seite gegeben.

Immer andere Aspekte

Das im ersten Akt – einer sehr ausgedehnten Exposition – entwickelte Material wird in der Folge immer wieder aufgegriffen, motivisch verarbeitet, verwandelt, travestiert und unter immer neuen Aspekten hörbar. Es gibt in Henzes Partitur streng seriell komponierte Nummern, im Ganzen aber unterwirft er sich keiner unverrückbaren Regel, akzepiert keinen kanonischen Zwang, sondern wählt seine Mittel je nach der zu erzielenden Wirkung. Und gerade daß er auch den Effekt nicht verschmäht, weist ihn als den vollblütigen Theatermusiker aus, der sich nicht scheut, der Bühne zu geben, was sie verlangt.

Es gibt in seiner Partitur kein ängstliches Schielen danach, was im schulmeisterlichen Sinne gut oder böse ist. Auf den erschütternden Zwiegesang zwischen Elisabeth und Hilda Mack am Ende des 1. Aktes folgt ein über zahlreiche Ensembles heftig sich steigernder zweiter. Er findet seinen Ruhepunkt, seinen Höhepunkt, in einem weitschwingenden Quintett für fünf obligate Stimmen, das wiederum gewaltig übergipfelt wird vom Wutausbruch Mittenhofers am Schluß – einer mitreißenden Soloszene größten Zuschnitts. Der zweite Akt ist ein Meisterwerk.

Der dritte gehört zunächst der Gräfin mit einem das Herz stocken lassenden Monolog. Eine kühn instrumentierte Sturmmusik leitet über zum Schlußduett der Liebenden. Ein kurzes Satyrspiel Mittenhofers bereitet das zarte Finale vor.

Henzes Behandlung der Singstimmen, sein apartes Orchesterkolorit, die Frische und das Temperament seiner Inspiration lassen an die stärksten Teile des "König Hirsch" denken, nur daß alles hier gezügelter scheint, gefiltert und kontrolliert. Ein Jahr nach der Premiere des "Prinzen von Homburg" hat er mit der "Elegie für junge Liebende" der Opernbühne ein neues Werk von bestürzender Eigenart geschenkt.

Dennoch läßt sich nicht übersehen, daß es Längen enthält, die sich leicht raffen ließen. Es schießt mit einer Spieldauer von dreieinhalb Stunden (bei nur einer Pause) gefährlich in die Breite. Das Interesse erlahmt, wo die Autoren, in ihre Gestalten allzu verliebt, sich nicht von ihnen zu trennen vermochten.

Komponist inszeniert selbst

Die Uraufführung des Werkes, das im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks komponiert wurde, fand im Rahmen der Schwetzinger Festspiele durch die Bayerische Staatsoper statt. Die Inszenierung hatte der Komponist selbst übernommen.

Sie beschneidet rigoros die Auswüchse des modischen Regietheaters, bremst den wuchernden Spieltrieb der Solisten und führt sie zu klug gegliederten Ensembles zusammen. Ihre Intensität gewinnt die Aufführung durch die überragenden gesanglichen Leistungen.

Eva-Maria Rogner singt mit funkelnden Spitzentönen die bizarre, komisch-tragische Partie der Hilda Mack. Lilian Benningsen gibt der aristokratischen Sekretärin unvergeßliche, ergreifende Züge von mühsam bewahrter Würde. Ingeborg Bremert leiht der Elisabeth alle Wärme und Innigkeit ihres schön timbrierten Soprans. Friedrich Lenz bemüht sich erfolgreich als Toni um die Darstellung aufbrausender Jugendlichkeit. Karl Christian Kohns markanter Baß ergänzt vortrefflich das Ensemble. Hubert Hilten spielt die Sprechrolle des Bergführers mit der Aufmerksamkeit erzwingenden Gebärde des Schicksalsboten.

Heinrich Bender, der Dirigent, sah sich mit der Interpretation dieser Partitur vor eine Aufgabe gestellt, die einstweilen noch seine Fähigkeiten übersteigt. Er löste sie wie eine Fleißarbeit. Nach dem ersten Akt reagierte das Publikum noch zurückhaltend, nach dem zweiten gab es lebhaften Beifall, der sich am Schluß, gemischt mit einigen Pflichtpfiffen, noch anhaltend steigerte.

Klaus Geitel


    

     Goslarsche Zeitung, 25. Mai 1961     

  

Welturaufführung in Schwetzingen

Wahn, überall Wahn!

Hans Werner Henzes "Elegie für junge Liebende"

    

Eine Henze-Premiere ist heute, mag sie bringen, was auch immer, ein musikalisch-gesellschaftliches Ereignis. Man spricht davon – auch in Kreisen, die das musikalische Geschehen sonst nicht verfolgen, geschweige denn der Neuen Musik besonders nahestehen. Henze ist der Gesellschaft zugewandt – alles, was er anpackt, hat die Attitüde des Weltläufigen. Daraus allerdings resultiert auch Gefahr für sein Können.

Seine neueste Oper "Elegie für junge Liebende" – genau ein Jahr nach dem letzten großen Opus, dem "Prinzen von Homburg", uraufgeführt – schrieb er im Auftrage des Süddeutschen Rundfunks für die Schwetzinger Festspiele. Die Bayerische Staatsoper München hat die Realisierung übernommen. Drei kulturelle Institutionen stehen also hinter dem Werk. Doch damit nicht genug: die Oper wurde zugleich in englischer und deutscher Sprache komponiert. Sie gelangt in Kürze gleichsam zur zweiten Uraufführung auf den Festspielen von Glyndebourne: Günther Rennert inszeniert dort die englische Version. Ein berühmtes Autorenpaar, der englische Dichter und Schwiegersohn Thomas Manns, W. H. Auden und der Amerikaner Chester Kallman – sie arbeiteten schon gemeinsam für Strawinskys "The Rake’s Progress" – zeichnet für das Libretto, dessen deutsche Fassung allerdings trockene Ironie gelegentlich in triefende Albernheit verwandelt. Auden, Kallman und Henze widmeten das Werk Hugo von Hofmannsthal. Es ist kaum anzunehmen, dass Opernereignisse zu irgendeiner Zeit sich größerer Repräsentation erfreuten. Henze ist der Komponist der High Society. Das ist eine Feststellung, mit der noch keine Kritik am Werk verbunden ist.

Die Schwetzinger Generalprobe war, dem Vernehmen nach auf Veranlassung eines Sängers, strikt gesperrt. Solche Vorkehrungen wirken sich immer gegen die Sache aus, der sie dienen sollen. Die Charakterisierung des Werkes muß unter dem Ungenügen des einmaligen Höreindrucks leiden. Hauptmotive in Henzes Schaffen sind Müdigkeit und Traum, Scheinhaftigkeit und Dämmerung. Sie kehren immer wieder, seit "Apoll und Hyazinth", einer kammermusikalischen Komposition aus dem Jahre 1949. Sie finden sich in seiner ersten Oper "Boulevard Solitude", in der Funkoper "Das Ende einer Welt" – deren Thema dem der "Elegie" verwandt ist – und auch in den meisten späteren Schöpfungen, verflüchtigen sich, verfestigen sich. Der Träumer Homburg bot sich ihm zur Identifikation an: an der Figur des Kleistschen Prinzen regenerierte er sich, gelangte zum "Sieg" auch über den eigenen Wahn. Die "Elegie", an der Henze seit 1959 arbeitete, kultiviert, was überwunden schien. Gewiß, "Fortschritt" gilt nicht in der Musik. Es muß auch gerechterweise gesagt werden, daß Henze eine Virtuosität der Materialbehandlung erreicht hat, die nun tatsächlich über den "Homburg" hinausweist. Aber er bleibt im geistigen Aufriß weit hinter seiner Kleist-Oper zurück. Um es ganz hart zu sagen: in der "Elegie" ist viel Überflüssiges – im "Homburg" nicht eine einzige Note.

Alles atmet in genußvollen Zügen Vergangenheit. Henze wünschte sich für das Rokoko-Theater ein literarisches Sujet, das "zarte, schöne Klänge" bedingt. Auden und Kallman erfanden den egozentrischen Dichter Gregor Mittenhofer, dem vier Menschen in nahezu pathologischer Abhängigkeit – wahnbesessen – verfallen sind: eine vermögende Gräfin, die ihm ihr Geld und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellt, seine junge Geliebte, sein Leibarzt und, mit Einschränkung, eine Witwe, die seit vierzig Jahren an der fixen Idee krankt, ihr am Tage nach der Hochzeit in den Bergen verschollener Ehemann kehre zurück. Sie inspiriert den "Meister" mit ihren Visionen, und um davon zu zehren, besucht Mittenhofer alljährlich das Berggasthaus in den österreichischen Alpen, den Ort der auf das Jahr 1910 fixierten Handlung. Sie ist allerdings auch die erste, die zur Realität erlöst wird. Gregor Mittenhofer scheint durchaus nicht wahnbesessen. In einem Ausbruch von Menschenverachtung, der wohl nicht von ungefähr an das "Credo" des Jago – in Verdis "Othello" – erinnert, zeigt er sich sehr realistisch. Seine Egozentrik indes, auf dem Mythos von der moralischen Ungebundenheit des Künstlers fußend, versteigt sich bis zum Verbrechen, und aus dem unfreiwilligen Opfer seiner Mitmenschen erwächst das "Werk", die Elegie. Mittenhofer ist Österreicher, doch die Autoren verwahren sich vorsorglich gegen das Mißverständnis, daß diese Figur etwa einen Zug der österreichischen Mentalität verkörpere. Faktische Anregungen habe man nur dem Leben eines englisch schreibenden Dichters zu verdanken. Ein hübsches Rätsel, das zum Nachdenken stimulierte: der Name Byron, der sich dabei einstellte, dürfte einiges für sich haben...

Auf Hofmannsthal, im Text ironisch apostrophiert, verweist indes das Klima des Werkes – und damit auch auf Richard Strauss. Die vielfältigen Beziehungen der Personen zueinander, ihre "Abhängigkeiten", stehen in direkter Beziehung zu den Verknüpfungen und Abhängigkeiten innerhalb der Partitur. Das aber ist ein Verfahren, welches – wenn auch mit anderen kompositorischen Mitteln – in genau derselben Weise Richard Strauss vollzog. Modern ist es nicht – im Gegenteil, es ist Rückbesinnung. "Straussisch" mutet ein harfenbegleitetes Quintett an, ein vokales Schwelgen – soll man es für Ironie halten? Gewiß nicht, denn in einer Szene von purer Unmöglichkeit, die das ganze Werk diskriminiert – zwei Liebende sterben den Bergtod, geopfert auf dem Altar des Werkes – ertönt wieder zart-schöner Gesang, von filigranhaftem Schlagwerk und Violinen umspielt. Nein, die ironische Distanz ist nicht glaubhaft; Henze selber dürfte – wir vermuten es nicht erst seit dieser Uraufführung – dem Sog der Scheinwelt verfallen sein.

Unbestreitbar sein Können, sein Einfallsreichtum, sein Theatersinn – den er hier sogar als Regisseur bewies. Allerdings: vor den großen Ensemble-Szenen und der Apotheose unter dem Gipfel des Bergriesen kapitulierte er offenbar. Für bevorstehende Inszenierungen wird man ihm Striche abnötigen müssen. In Schwetzingen geriet das letzte Drittel der dreieinhalbstündigen Aufführung für viele zur Pflicht mühsamen Ausharrens und legte sich merkbar auf den Beifall. Gefeiert wurde Dietrich Fischer-Dieskau als Mittenhofer in Gerhart Hauptmann-Maske; gewiß zu Recht, denn er war hervorragend in der expressiven Geste. Dennoch sollte die zwiespältige Figur von ihrem Darsteller korrigiert werden: derart, daß das Schurkische weniger offenkundig ist. Nächst Fischer-Dieskau boten Eva-Maria Rogner, Lilian Benningsen, Karl Christian Kohn und Ingeborg Bremert gesanglich Gutes. Das Bühnenbild von Helmut Jürgens war überwiegend gelungen. Die Krone gebührt unter den Interpreten dem jungen Dirigenten Heinrich Bender, der – über München hinaus kaum bekannt – mit Nachdruck für sich einnahm: seine Vorarbeit mit dem makellos spielenden Orchester war musterhaft, sein abendliches Wirken im Dienste der rhythmisch kniffligen Partitur souverän. Ein Pfiff leitete die Cour der Achtung und Höflichkeit ein. Auch der ist nicht zu tadeln.

Peter Kleinau


    

     Badische Zeitung, Freiburg, 24. Mai 1961     

    

"Elegie für junge Liebende"

Uraufführung der Henze-Oper bei den Schwetzinger Festspielen

    

Die festliche Versammlung einer auch ausländischen Prominenz von Fachleuten des Theaters, von Musik, Presse, Rundfunk und sogar Film (man sah unter anderen Margit Saad und Horst Buchholz) im Schwetzinger Rokokotheater zeigte, daß die Uraufführung einer Oper von Hans Werner Henze – mit der die Bayerische Staatsoper die theatralischen Darbietungen der diesjährigen Schwetzinger Festspiele eröffnete – bereits so etwas wie ein europäisches Ereignis geworden ist. Der Besuch zahlreicher, teils mit Sonderflugzeug eingetroffener englischer Gäste, hatte allerdings noch besondere Gründe. Einmal bestimmt die in Schwetzingen schon früher gepflegte englische Kunst diesmal wesentlich (so auch mit Sheridans "Lästerschule" und Brittens "Sommernachtstraum"-Oper) das Gesamtprogramm der Festspiele. Vor allem aber ist diese nunmehr uraufgeführte, als Kompositionsauftrag des Süddeutschen Rundfunks entstandene Oper "Elegie für junge Liebende" insofern eine deutsch-angelsächsische Gemeinschaftsarbeit, als der englische Dichter Wystan Hugh Auden mit seinem Mitarbeiter Chester Kallman (auch die Textautoren von Strawinskys Oper "The Rake’s Progress") für Henze den Text schrieb, den dieser zugleich in englischer und deutscher Version komponierte. Gleich nach der Schwetzinger Uraufführung wird das Werk in der englischen Fassung bei den Glyndebourne-Festspielen aufgeführt.

Auf Henzes Wunsch, eine chorlose Kammeroper mit einem kleinen differenzierten Orchester zu schreiben, deren Stoff und Atmosphäre "zarte schöne Klänge erforderten", erfanden die Librettisten eine Handlung, in deren Mittelpunkt das Künstlergenie steht, wie es das 19. Jahrhundert sah: Der "Meister", hier der bereits alternde große Dichter Gregor Mittenhofer, umgeben von ein paar Menschen, die er alle benötigt, um seinem Werk zu dienen. Da ist eine alte Witwe, Hilda Mack, die Visionen hat, die ihn inspirieren. Da sind die vermögende Gräfin Carolina von Kirchstetten, seine Patronin und Sekretärin und vor allem Elisabeth Zimmer, des Meisters junge Geliebte und Muse, und schließlich sein Jugendfreund, der Arzt Dr. Reischmann, der für sein körperliches Wohl verantwortlich ist. Nur dessen Sohn Toni entzieht sich diesem blinden Verehrungskult. Er und Elisabeth finden sich in Liebe. Mittenhofer selbst hilft, das junge Paar zusammenzubringen. Denn auch dies fördert nun sein Werk, das Gedicht, an dem er während des ganzen Stückes arbeitet. Um es zu vollenden, scheut er aber dann nicht davor zurück, die jungen Liebenden moralisch zu ermorden, indem er deren Rettung aus Bergnot bewußt verhindert. So kann er zur Feier seines 60. Geburtstages das dem Gedächtnis des verunglückten Liebespaares gewidmete Gedicht vortragen: "Elegie für junge Liebende".

Die Autoren haben ihr Werk dem Gedächtnis Hugo von Hofmannsthals gewidmet. Und es ist den Textdichtern in der Tat gelungen, dieses psychologisierende Gesellschaftsstück um das von ihnen als einen echten europäischen Mythos des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bezeichnete Künstlergenie auf eine musikalische Formung hin zu gestalten. (Die deutsche Textfassung von Ludwig Landgraf unter Mitarbeit des Komponisten und von Werner Schachteli erscheint sprachlich nicht immer sehr geglückt.) Ist uns aber der hier dargestellte, dem Geniekult des vorigen Jahrhunderts zugehörige Künstlertyp, der seine ganze Umgebung rücksichtslos für sein Werk ausbeutet, wirklich noch interessant? Und wenn ja, so kann sein schändliches, unmenschliches Verhalten, daß er buchstäblich über Leichen geht, doch kaum als etwa typisch für ihn gelten – es bleibt ein abseitiger Sonderfall. Wenn es aber in dem Stück um die Idee der Entstehung eines Kunstwerks gehen sollte, so wird diese eben durch den Sonderfall wohl doch zu sehr verdeckt.

Dennoch bietet der Text dem Musiker Henze genug Möglichkeiten, und nicht zuletzt mag ihn auch die Atmosphäre gereizt haben. Er schrieb jedenfalls dazu eine Musik, die nicht nur immer wieder klanglich fasziniert, sondern die vor allem, angefangen vom einleitenden Visions-Monolog der Hilda, fast durchweg das Geschehen intensiviert und vertiefend durchleuchtet. Sein Kammerorchester enthält nur solistisch besetztes Streichquintett, einige solistische Holz- und Blechbläser, dazu aber Harfe, Klavier, Celesta und weiteres reiches Schlagzeug, in dem die glockenartigen Instrumente wie Glockenspiel, Röhrengloßen, Gongs, Vibraphon und Marimbaphon dominieren. Dieses von vielen Vertretern der Webern-Nachfolge bis zum Überdruß bevorzugte exotisierende Instrumentarium – hier ist es werklich inspiriert und mit vielfach ganz neuartiger Wirkung verwendet. Von eigenartigen Passagen des Klaviers (im ersten Duett der Liebenden) oder der Harfe über die Streichquintett-Begleitung des letzten Zwiegesangs des Paares bis zu gamelanartigen Klängen der glockenähnlichen Instrumente und einer packend organisierten Schlagzeug-Orgie als Zwischenmusik zur Bergkatastrophe – immer wieder fesseln neuartige Klangbilder. Dabei wird dem Hörer die Zuordnung bestimmter Instrumentalfarben zu den einzelnen Charakteren weniger bewußt, als die kluge Ökonomie, mit der die Mittel eingesetzt sind. Dem Höreindruck nach scheinen nur gelegentlich, insbesondere bei den Visionen, auch serielle Techniken zugrunde zu liegen.

Diesen musikalisch und darstellerisch enorm schwierigen Aufgaben wurde das Ensemble der Bayerischen Staatsoper München hervorragend gerecht, wozu man sich allerdings durch die Verpflichtung von Dietrich Fischer-Dieskau für die Hauptpartie des Gregor Mittenhofer schon die beste Erfolgschance gesichert hatte. Mit außergewöhnlichem Gespür und sicherer Einfühlung wußte der begabte junge Dirigent Heinrich Bender die neuartigen instrumentalen Klangwelten suggestiv zu erwecken und die schwierigen Bühnen-Ensembles souverän zu führen. Wie Fischer-Dieskau – in einer an Beethoven wie auch Strindberg erinnernden Maske – die ihm auf den Leib komponierte Partie des Künstlergenies verkörperte und dabei mit seiner vielgerühmten Kunst des Meister-Sängers (die die enorme Schwierigkeit des Parts völlig vergessen ließ) die eines großen, in alle psychologischen Tiefen dringenden Strindberg-Schauspielers verband, verdient höchste Bewunderung. Mit dieser seltenen Doppelbegabung eines großen Sänger-Schauspielers aber steht und fällt der Erfolg des Stückes. Aber auch die junge Eva-Maria Rogner bewältigte mit ihrem hellen Koloratursopran nicht nur mit phänomenaler Leichtigkeit alle Intonationsschwierigkeiten, sondern bot mit ihrer Hilda Mack auch eine eindringliche schauspielerische Studie. Lilian Benningsen (Alt) als Carolina und Karl Christian Kohn (Baß) als Dr. Reischmann waren gesanglich und darstellerisch profilierte Persönlichkeiten. Ingeborg Bremert (Sopran) und Friedrich Lenz (Tenor) sangen sympathisch das Liebespaar.

Die vom Komponisten selbst besorgte Inszenierung war vor allem in der psychologischen Führung der Personen fein differenziert, dagegen in der szenischen Raumaufteilung mit der hintenliegenden Terrasse nicht immer glücklich. Als Stilbruch aber erschien das als Neu-Bayreuther Liebestod-Szene dargebotene Sterbeduett des jungen Paares. Mit einer großartigen Jugendstil-Pracht in Grün und Lila schuf Helmut Jürgens das dem Werk genau adäquate Bühnenbild.

Es hätte eines einzelnen Pfiffes nicht bedurft, um den spontanen und entschiedenen Erfolg des Abends zu sichern. Der nachhaltige Beifall eines Elite-Publikums galt den bei aller überraschenden Neuartigkeit unmittelbar spürbaren hohen, vor allem musikalischen Qualitäten eines bedeutenden Werkes und seiner glänzenden Darbietung durch Fischer-Dieskau und das Münchner Ensemble.

Dr. H. Bartenstein


    

     Deutsche Woche, München, 31. Mai 1961     

    

Elegische Konversationsoper

Henze-Welturaufführung in Schwetzingen

     

Das Schwetzinger Schloß beherbergt auch heuer wieder die Festspiele im Rokoko-Theater. Kurfürst Carl Theodor ist der gute Geist der traditionellen Festlichkeiten. Von dieser Festlichkeit spürte der Besucher der Welturaufführung von Hans Werner Henzes "Elegie für junge Liebende" allerdings nichts. Es ist ziemlich unergründlich, was den jungen Komponisten, der sich mit "König Hirsch" und seiner "Undine" zweifellos in die erste Reihe zeitgenössischer Tonschöpfer emporarbeiten konnte, dazu veranlaßt haben mag, dem Textbuch der Herren Auden und Kallman auf den Leim zu gehen. Nach dem "Prinz von Homburg" ist das der zweite Fall in Henzes Laufbahn, daß eines seiner Werke am Textbuch scheitert. Dazu kommt, daß Henze selbst Regie führte, und zwar außerordentlich lahm und antiquiert.

Von der Interpretation läßt sich nur das denkbar Beste berichten. Man hatte die Bayerische Staatsoper mit der Einstudierung dieser schwierigen Konversationsoper beauftragt und damit einen hervorragenden Griff getan. Man spürt, hier hat es sich eines der führenden Opernhäuser des Kontinents zur Aufgabe gemacht, der zeitgenössischen Opernliteratur einen echten Dienst zu erweisen, wofür ihm Dank und Anerkennung sicher sind. Heinrich Bender vollbrachte eine bedeutende Dirigentenleistung. Mitglieder des Bayerischen Staatsorchesters spielten mit kammermusikalischer Delikatesse. Träger der unwirschen Dichterrolle ist Dietrich Fischer-Dieskau, der mit gewohnter Ausdruckskraft fungiert. Exzellent auch Lilian Benningsen, Ingeborg Bremert, Eva-Maria Rogner, Karl Christian Kohn und Siegfried Lenz. Helmut Jürgens schuf ein Bühnenbild von geordneter Unordnung (Vorzimmer der Dichterstube) und eines mit dem schauerlichen "Hammerhorn" (Schneeberg) im Hintergrund. Nein, die Aufführung war makellos, die Schwächen sind auch nicht so sehr in der Partitur Henzes zu suchen, in der sich zwar Alban Berg und Igor Strawinsky fortwährend die Hände schütteln, die aber äußerst reizvolle, sensible, nervige Affekte erzielt und von feiner Stimmführung in den Ensembles zeugt. Es ist die literarische Vorlage, die dem Werk die entsprechende Wirkung versagt, darüber täuschen auch die Ovationen nicht hinweg, die ein fachlich reich bestücktes Premierenpublikum in erster Linie den Ausführenden entgegenbrachte.

K. R. Danler


    

     Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe, 23. Mai 1961     

    

Henzes "Elegie für junge Liebende"

Die Uraufführung der für die Schwetzinger Festspiele komponierten Oper

     

Es ist keineswegs sicher, ja eher ist es unwahrscheinlich, daß ein auf privatwirtschaftlicher Grundlage betriebener Rundfunk sich der Förderung allgemeiner kultureller Anliegen in der gleichen Weise annähme, wie es die bestehenden deutschen Rundfunkanstalten seit Jahr und Tag tun, ohne eigens dazu verpflichtet zu sein. Immerhin ist zu bedenken, daß ein Unternehmen wie die Schwetzinger Festspiele längst gescheitert wäre, wenn ihm nicht der Süddeutsche Rundfunk seit 1952 den Rückhalt gäbe. Der Umstand, daß nun in diesem Jahr zu Pfingsten Hans Werner Henzes neue Oper "Elegie für junge Liebende" als Uraufführung und Hauptstück dieser Festspiele in Szene ging, macht besonders deutlich, wie weitläufig der Rundfunk seine Aufgabe als Patron und Mäzen verstanden wissen will: seinem Kompositionsauftrag verdankt Henzes Oper nämlich ihre Entstehung.

Das Ereignis hatte, wie zu erwarten war, von weither Publikum nach Schwetzingen gelockt, zahlreiche Theaterprominenz darunter, viele Intendanten vor allem, dazu der Anhang des für Henze zuständigen Schott-Verlags und nicht zuletzt Kritiker aus allen Himmelsrichtungen. Schwetzingen hatte seinen großen Tag: man spürte es an der eigentümlichen Atmosphäre, die sich bei dieser Gelegenheit der festlich-intimen Stimmung des Rokokotheaters überlagerte. Aber andererseits spürte man auch, wie diese Atmosphäre, wie die gespannte Anteilnahme des Publikums im Laufe von dreieinhalb Stunden abbröckelte, wie sie förmlich erstickte in einem vermeintlichen Tiefsinn, auf den die Textautoren Wystan H. Auden und Chester Kallman vergebens den Segen Ibsens und Hofmannsthals herabgefleht hatten. Dem Andenken an Hofmannsthal widmeten sie gar ihr gemeinsames Werk, doch will es scheinen, es wäre besser gewesen, sie hätten die Erinnerung und den Vergleich mit ihm erst gar nicht beschworen.

Das künstlerische Genie, wie es das 19. Jahrhundert sah, sollte das Thema dieser Oper sein – der Schaffende, der sich nach Ansicht der Autoren verpflichtet fühlte, seine Umwelt auszubeuten und sie notfalls auch zu opfern, wenn es das Gedeihen seines Werkes erforderte. Ganz abgesehen davon, daß diese Formel zu einfach ist, als daß sie stimmen könnte, interessiert uns ein Genie, auf das sie zuträfe, höchstens als biographisch belegter Einzelfall, nicht aber in der Verallgemeinerung, in der es hier glaubhaft gemacht werden soll.

Der "Held" des Stückes ist der Dichter Gregor Mittenhofer, und als roter Faden der an äußeren Ereignissen armen, dafür mit seltsamer Psychologie angereicherten Handlung entpuppt sich die "Elegie für junge Liebende", an der er arbeitet, und um derentwillen er sogar moralisch schuldig wird am Tod zweier junger Menschen. Die beiden sterben den Bergtod, begleitet von beinahe kitschig-schöner Musik: eine mißlungene Ironie! Mit der Lesung dieser Elegie vor einem imaginären Publikum endet die Oper. Dabei wird das Gedicht nicht in Worten, sondern, um das Publikum ganz und gar von seiner Qualität zu überzeugen, in abstrakten Vokalisen vorgetragen. Die Stimmen derer, die auf irgendeine Weise zu seiner Entstehung beigetragen haben, klingen hier in einer der musikalisch eindrucksvollsten Episoden des ganzen Stückes noch einmal zusammen. Es ist Frau Hilda Mack mit den Visionen, die ihr aus dem tragischen Ende ihrer jungen Ehe seit Jahrzehnten zufließen, und die der Dichter als Anregung brauchte, es ist die Gräfin Carolina mit ihrem Vermögen und ihrer Fürsorge als Sekretärin Mittenhofers, es ist der Arzt Dr. Reischmann mit seinen Medikamenten und Ratschlägen, es sind endlich der junge Toni Reischmann und Mittenhofers Geliebte, Elisabeth Zimmer, die beiden jungen Liebenden, deren Gefühle füreinander in Illusionen und im Tod enden, immerhin aber dichterisch verwendbar sind.

"Schnittpunkt des Wahnsinns": der Titel einer Szene trifft das Ganze zugleich. Denn alle Personen dieser Oper denken und handeln in einem Wahn, sei es der Erwartung, hinter der eine nicht bewältigte Vergangenheit steht (Frau Mack), sei es der Liebe, die den Wirklichkeiten zu trotzen versucht (Toni und Elisabeth), sei es der blinden, hörigen Ergebenheit gegenüber dem dichtenden "Meister" (Carolina und Dr. Reischmann). Das grundlegende Mißverständnis aber scheint darin zu liegen, daß hier allein aus den Wahnvorstellungen Charaktere und ihre Beziehungen zueinander konstruiert wurden. Diese Konstruktion überzeugt nicht.

Hans Werner Henze schrieb zu diesem Text eine Partitur, deren Raffinement bewundernswert ist. Mit einem kleinen Kammerorchester, in das neben dem klassischen Instrumentarium auch unübliche Instrumente wie u. a. Marimbaphon, Gitarre, Mandoline und exotisches Schlagwerk eingefügt sind, praktiziert er eine Klangfarbenkunst, die oft mit wenigen Takten schon eine besondere Stimmung festlegt. Einiges klingt beinahe nach Orff, es bleibt dann aber zu kraftlos, als daß es verlohnte, dieser Verbindung weiter nachzugehen. Im ganzen wirkt Henzes Musik undoktrinär und eher weitschweifig, als auf deutliche Formulierung konzentriert. Geschlossene Formen, bewegliches Rezitativ, rhythmisierte Sprache und freie Wortdeklamation gehen ineinander über. Doch das Raffinement erscheint als Grenze! Zu offenkundig tritt das Künstliche hervor, den Emotionen fehlt die Eindringtiefe, die fesselnde Aktivität. Es ist, als spiele sich die ganze Oper irgendwo außer uns ab; bewegt sie uns schon nicht vom Stoff her, so vermag es auch die Musik nicht, sie über drei lange Akte in Spannung zu halten. Man wird nun vielleicht bemängeln, daß in dieser Betrachtungsweise zu wenig Verständnis für die Entsprechungen zum Ausdruck komme, die zwischen dem Text und der musikalischen Struktur tatsächlich bestehen. Die Frage ist eben nur, welche Bedeutung ihnen zukommen soll, wenn sie sich nicht durch die Aufführung unmittelbar herausstellt.

Die Erstinszenierung seiner "Elegie" hatte Hans Werner Henze selbst übernommen; sie darf demnach als authentisch gelten. Das auf Jugendstil zugeschnittene Bühnenbild entwarf Helmut Jürgens, wobei er offensichtlich auf die Maße der Schwetzinger Bühne besondere Rücksicht nehmen mußte. Die Bayerische Staatsoper stellte den Festspielen mit Dietrich Fischer-Dieskau im Mittelpunkt, mit Karl Christian Kohn, Friedrich Lenz, Ingeborg Bremert, Lilian Benningsen und Eva-Maria Rogner ein erstrangiges Ensemble samt Orchester zur Verfügung. Seine Leistung kann nicht genug gerühmt werden, am wenigsten die des Dirigenten Heinrich Bender.

Eb.


    

     Erlanger Tagblatt, 23. Mai 1961     

     

Musikalische Uraufführung zur Eröffnung der Schwetzinger Festspiele

"Elegie für junge Liebende"

Hans Werner Henzes neues Werk: Musik von heute – Probleme von gestern

    

Hans Werner Henze, der Champion der jungen deutschen Komponistengeneration, überrascht in seiner jüngsten Oper vor allem dadurch, daß er ein Libretto-Sujet, dessen Antiquiertheit nach Parodie und Ironie lechzt, völlig ernst nimmt: er schrieb eine klangsensible atonale Partitur von heute zu Problemen von gestern.

Denn neunzehntes Jahrhundert, typisches fin de siècle, ist zweifellos dieses spätromantische Künstlergenie, das im Mittelpunkt der "Elegie für junge Liebende" steht, und die ganze Fragestellung. Es geht um einen eitlen, alternden Dichter von hemmungsloser Egozentrik. Menschen sind für ihn nur Werkzeuge, die seinem Ruhm zu dienen haben. In seinem Hofstaat befindet sich ein Leibarzt, eine Gräfin, die sich zur tyrannisierten Sekretärin des "Meisters" degradiert, und eine junge Geliebte. Diese will sich aus seinem Bann lösen und ein eigenes Leben an der Seite ihres jungen Freundes beginnen. Gregor Mittenhofer, so heißt das hemmungslose "Genie", gibt sie scheinbar frei, sein beleidigtes Selbstgefühl erträgt das nicht. Als die beiden jungen Leute im Hochgebirge in einen Schneesturm geraten, vereitelt der Dichter ihre Rettung. Ohne die geringsten Gewissensbisse schlägt der poetische Mörder poetisches Kapital aus dem Tod: endlich hat er Stoff und Form für seine "Elegie für junge Liebende" gefunden, die beiden haben vollkommen ihren Zweck erfüllt.

Der englische Lyriker Wystan H. Auden und Chester Kallman (von ihnen stammt auch Strawinskys "The Rake’s Progress") schrieben das von Ludwig Landgraf übersetzte Libretto. Seine sprachliche Kultiviertheit wird von dicken Staubschichten und unerträglichen Längen – die Oper dauert dreieinhalb Stunden – überkompensiert, von operngerechter Dramaturgie ist nichts zu merken. Man könnte sich vorstellen, daß der Vorwurf für eine satirische komische Oper taugte. Aber davon enthält Henzes Musik keine Spur. Ihr lyrisch-expressiver Grundzug erinnert etwa an Alban Berg.

Das Kammerorchester, mit reichlichem Schlagzeug, Xylophon, Marimbaphon, Vibraphon usw., zeichnet sich durch einen meisterlich ausgesparten Satz und phantastische Klangbilder aus; freilich nützen sich so gehäufte Effekte auch ab. Für die Gesangspartien – Arien, Ensembles, monologische Szene und gesprochenes Wort wechseln ab – verfügt Henze über äußerst vielfältige Ausdrucksmittel, von den für die Reihentechnik (die ganz unorthodox benützt wird) bezeichnenden Zackenlinien bis zu schlichtem lyrischem Melos. Eine talentierte Riesenpartitur ist an ein unmögliches Sujet verschwendet. Beherzte Striche, besonders im zweiten und dritten Akt, werden unvermeidlich sein und der Wirkung nur zugute kommen.

Die Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen, im reizenden Rokoko-Schloßtheater, hatte die Münchner Staatsoper besorgt. Heinrich Bender dirigierte hingebungsvoll und sicher, der Komponist führte unauffällig Regie, Helmut Jürgens entwarf das Jugendstil-Dekor. Durch Dietrich Fischer-Dieskaus schlechthin vollendete Verkörperung des weißhaarigen Dichterfürsten bekam die Oper einen Reiz, den sie anderswo wird entbehren müssen. Auch das Münchner Ensemble wurde seiner schwierigen Aufgabe hervorragend gerecht: Eva-Maria Rogner, Lilian Benningsen, Ingeborg Bremert, Karl Christian Kohn und Friedrich Lenz.

Einige wenige Pfiffe am Schluß heizten nur den Beifall des Prominentenparketts an. Er konzentrierte sich vornehmlich auf Fischer-Dieskau, aber auch die anwesenden Autoren konnten ihn entgegennehmen.

C. G.


    

     Neue Presse, Coburg, 26. Mai 1961     

    

"Elegie für junge Liebende"

Henze-Oper in Schwetzingen

     

Mit allen Anzeichen eines bedeutenden künstlerischen Ereignisses wurde zu Beginn der Schwetzinger Festspiele im Rokoko-Theater des Schlosses Hans Werner Henzes jüngste Oper "Elegie für junge Liebende" uraufgeführt. Es gab demonstrativen Beifall, den einige wenige Pfiffe nur noch steigerten. Zweifellos galt der Beifall mehr der hervorragenden Aufführung als dem umständlichen und überlangen Libretto der namhaften englischen Lyriker Wystan H. Auden und Chester Kallman, die bereits bei Strawinskys "The Rake’s Progress" zusammengewirkt hatten. Die deutsche Übertragung besorgte Ludwig Landgraf unter Mitwirkung von Werner Schachteli und dem Komponisten.

Die Oper spielt in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in einem österreichischen Alpenhotel. Dort hat sich der Dichter Gregor Mittenhofer niedergelassen, ein eitler, egozentrischer Künstler, der von einer hörigen Sekretärin, einem Leibarzt und einer jungen Geliebten umgeben ist. Außerdem geistert eine alte, von Visionen heimgesuchte Dame umher, an denen sich der alternde Dichter inspiriert. Als Mittenhofers junge Freundin sich in sein Patenkind verliebt, gibt sie der Dichter in scheinbarer Großmut frei. In Wirklichkeit wütet er über die erlittene Demütigung. Er schickt die beiden jungen Leute auf eine Bergtour. Ein Schneesturm bricht herein, der Dichter vereitelt die Rettung und wird zum Mörder. Das hindert ihn nicht daran, beider Tod in einer "Elegie für junge Liebende" poetisch auszumünzen und – dies der Schluß der Oper – in einer Dichterlesung zum besten zu geben.

Die von der Münchner Staatsoper besorgte Einstudierung hatte hohes Niveau. Heinrich Bender (früher Landestheater Coburg), leitete sie als Dirigent sehr sicher. Henze hatte selber die konventionell realistische Inszenierung übernommen. Helmut Jürgens steuerte das Jugendstil-Bühnenbild bei. Überragend war Dietrich Fischer-Dieskau in der Rolle des weißhaarigen Dichter-Egoisten. Die Ausdrucksnuancen seines Gesangs, die musikalische Intelligenz, das darstellerische Profil wirkten zu einer kaum zu übertreffenden Gesamtleistung zusammen. Um ihn gruppierte sich ein durchweg vorzügliches Ensemble: Eva-Maria Rogner als Virtuosin von Zwölfton-Koloraturen, Lilian Benningsen und Ingeborg Bremert, der stimmgewaltige Bariton Karl Christian Kohn und der junge Tenor Friedrich Lenz.

Die Oper wird ins Münchner Cuvilliés-Theater übernommen und vorher noch bei den Glyndebourner Festspielen auf Englisch gegeben werden.

Autor unbekannt


    

     Mülheimer Zeitung, Essen, 23. Mai 1961     

    

Konvention und neuer Klang

Henzes "Elegie für junge Liebende" im Schwetzinger Rokokotheater uraufgeführt

    

Schwetzingen, junge Festspielstadt aus dem Geiste heiterer Vergangenheit, öffnet sein Rokokotheater fast regelmäßig auch dem neuen Werk, in dem auf irgendeine Weise Konvention zu ihrem Recht kommt. Am zweiten Abend der 10. Festspiele wurde Hans Werner Henzes "Elegie für junge Liebende" – geschrieben für den Süddeutschen Rundfunk – hier uraufgeführt. Obschon Klangphantasie und Technik den Komponisten neue Wege führen, beugt auch er sich in der Form, der durchweg sangbaren Linie wie in der Motivierung des Gesanges dem Herkömmlichen.

Die Engländer W. H. Auden und C. Kallman, die schon das Textbuch zu Strawinskys "The Rake’s Progress" verfaßt hatten, schrieben das Libretto. Im Mittelpunkt der Handlung steht Gregor Mittenhofer, ein Dichter, der alljährlich den Berggasthof "Schwarzer Adler" aufsucht, um sich von den Visionen der Witwe Hilda Mack inspirieren zu lassen. Seit vierzig Jahren wartet sie auf ihren Bräutigam, der von einer Bergbesteigung nicht zurückkehrte. Um den Dichter leben die Gräfin von Kirchstetten, Sekretärin und Mäzenin zugleich, und der Leibarzt Dr. Reischmann. Im Geniekult genießen sie subalterne Selbstbestätigung.

Die junge Geliebte des Dichters – seine "Muse" – verliebt sich just in dem Augenblick in den Sohn des Arztes, in dem der Bräutigam Hilda Macks vom Gletscher freigegeben, die Witwe von Wahn und Hoffnung befreit wird. Anscheinend großmütig verzichtet Mittenhofer auf seine Geliebte. Als aber bei einer Bergtour der jungen Liebenden ein Schneesturm aufkommt, verhindert er die mögliche Rettung. Der Tod des Paares, in Visionen Hildas vorausgesehen, verhilft des Dichters neuer Elegie zum Leben.

Die Librettisten sparten nicht mit opernhaften Konstellationen: erwachende Liebe, visionäre Entrücktheit, verklärter Tod. Ihre Ambitionen reichten indessen weiter. Sie dachten an eine anspruchsvolle Kombination von Oper und Ibsen, wollten das unschuldig-schuldige Genie des 19. Jahrhunderts zeigen, dem sein Werk mehr bedeutet habe als der Mensch.

Möglicherweise haben hier Librettisten und Komponist gegeneinander gearbeitet. Henze, der die Oper auch inszenierte, lieferte die Parodie eines schmarotzenden, egozentrischen, eitlen Dichterlings, dessen zornige Verzweiflung noch Pose ist, wie sein scheinbarer Edelmut Spiel mit Schemen auf der eingebildeten Lebensbühne. Niemand vermag ihm das "Werk" zu glauben, niemandem leuchtet eine so überspitzte, wahnhafte Mythologisierung des Genies ein.

Henze behandelt in dieser Kammeroper mit ungewöhnlicher Klangphantasie ein Instrumentarium von Schlag- und Zupfinstrumenten mit wenigen Streichern. Er ordnet dezent bestimmte Klangkombinationen und Zwölftonreihen, rhythmische Figuren und Singweisen den Personen zu, läßt Walzer, Ländler, Jazzelemente als vorsichtige Realismen anklingen. Er schafft in Abschiedsszene, Vision und Sturmintermezzo eine äußerst dichte Atmosphäre, schreibt ein Todesduett im Stil bester Opernkonvention und wirkt dennoch bizarrer, herber, den neuesten Experimenten näher, als etwa im "Undine"-Ballett. Wollte man angesichts der konventionellen Arien und Ensembles althergebrachte Maßstäbe anlegen, so müßte man vor allem im zweiten Akt eine Verdünnung der kompositorischen Substanz feststellen.

Die Wiedergabe durch das Ensemble der Bayerischen Staatsoper unter der Leitung von Heinrich Bender war vorbildlich. Von den Mitwirkenden seien besonders die eine reizvolle Stimme überlegen beherrschende Koloratursängerin Eva-Maria Rogner und der noch in bizarren Linien Wohllaut entwickelnde Bariton Dietrich Fischer-Dieskau genannt. Ingeborg Bremert, Lilian Benningsen, Karl Christian Kohn und Friedrich Lenz waren die kaum weniger musikalischen, erstaunlich präzisen Solisten der schließlich mit herzlichem Beifall – und einem einsamen Pfiff – aufgenommenen Oper.

Klaus Kirchberg


     

     Braunschweiger Zeitung, 23. Mai 1961     

    

Eine moderne Oper im Rokoko-Rahmen

"Elegie für junge Liebende" von Hans Werner Henze

   

Fast genau ein Jahr nach der Hamburger Uraufführung seiner Oper "Der Prinz von Homburg" stellte Hans Werner Henze sein jüngstes Bühnenwerk, die Oper "Elegie für junge Liebende", der Öffentlichkeit vor. Diesmal bildete aber nicht ein modernes, großes Haus den äußeren Rahmen, sondern der intime Rokokoraum des Schwetzinger Schloßtheaters.

Die Engländer Wystan H. Auden und Chester Kallman, in Deutschland vor allem durch das Textbuch zu Strawinskys "Wüstling" bekannt geworden, haben dem Komponisten ein handfestes Libretto (deutsch von Ludwig Landgraf unter Mitwirkung von Werner Schachteli und Henze selber) geschrieben, das nur insofern etwas undurchsichtig bleibt, als man eigentlich nicht recht weiß, ob der darin angeschlagene, bis zur Sentimentalität gefühlige Ton ernst oder parodistisch gemeint ist. Auch Henzes Musik läßt darüber zunächst im Zweifel. Die betont parodistischen und ironisierenden Elemente darin scheinen – wenigstens bis zur Mitte des zweiten der drei Akte – dem Sentiment und der stellenweise fast trivialen Diktion die Waage zu halten. Aber schließlich kommt man – einigermaßen verdutzt – darauf, daß es doch sehr ernst gemeint war: das junge Liebespaar stirbt am Schluß in zärtlicher Umarmung, der alternde Dichter lebt seinem Werk und Ruhm weiter, obwohl er immerhin den Tod der Liebenden auf dem Gewissen hat, und das Leben geht – wieder einmal – weiter. (Im Textbuch heißt es allerdings "drängt weiter", was nicht ganz so abgegriffen klingt.) Das könnte nach Kolportage klingen, ist es aber nicht, weil immer eine gewisse Doppelbödigkeit zwischen Wahn und Wirklichkeit im Spiel ist.

Henze hat zu diesem Stoff eine Musik von außerordentlicher Dichte der Expression geschrieben (sieht man von einigen Längen ab). Zwar bedient er sich nur eines Kammermusikensembles und ist sein Instrumentalsatz unerhört differenziert und über weite Strecken filigranhaft durchbrochen. Aber die Ausdrucks- und Aussagekraft der Vokallinien ist von starker Intensität erfüllt. Die im "König Hirsch" erstmals zutage- getretene und im "Prinzen von Homburg" noch deutlicher gewordene Tendenz, der menschlichen Stimme den Primat in der Oper zuzuerkennen, wird in der "Elegie" mit aller Konsequenz weiterverfolgt, in den Soli wie in den Ensemblesätzen, in denen sich manchmal Klangwirkungen von zauberischem Reiz ergeben. Das vor nicht allzu langer Zeit unverhohlen ausgesprochene Bekenntnis zur traditionellen Oper italienischer Provenienz, vor allem zu Bellini sowie zum frühen und mittleren Verdi, wird in diesem Werk wiederholt. Nicht in dem Sinne etwa, daß Henze reumütig zu einer biederen, wenn auch vielleicht etwas geschärften Dreiklangsharmonik und zur Hm-ta-ta-Begleitung zurückgekehrt wäre – das beileibe nicht. Die äußerst kantable Führung der Singstimmen jedoch, ihr Verhältnis zum Instrumentalpart, die Charakterisierung der Personen durch das verschiedenartige Melos – typisch z.B. die extremen Intervallsprünge für die Gestalt der wahnbefangenen Hilda Mack -, die Ausleuchtung innerer und äußerer Situationen durch wechselnde Klänge und Klanggruppen – das alles und manches andere mehr läßt die südlichen Vorbilder leicht erkennen. Der Vorherrschaft des Gesanges scheint sich selbst die Harmonik unterzuordnen, die sich nirgends als Selbstzweck hervordrängt. Unserer Kenntnis nach hat Henze noch in keinem anderen Werk harmonisch so eingängig musiziert wie in dieser seiner jüngsten Oper.

Weniger glücklich schien er als Regisseur verfahren zu haben. Die von ihm betreute Inszenierung war wohl präzise im Ablauf und nicht arm an Ideen, aber auch, zumindest in der Führung der Gruppen, recht konventionell – wobei allerdings die Frage offenbleiben könnte, ob nicht auch hier das Konventionelle Absicht war.

Im übrigen zeichnete für die Aufführung die Bayerische Staatsoper München verantwortlich, die mit Dietrich Fischer-Dieskau (in einer – beabsichtigten? – Gerhart-Hauptmann-Maske), Karl-Christian Kohn, Friedrich Lenz, Ingeborg Bremert, Lilian Benningsen, Eva-Maria Rogner und Hubert Hilten ausgezeichnete Kräfte einzusetzen hatte und damit zum unbestreitbaren Erfolg des Werkes wesentlich beitrug. Das gilt auch für das Bühnenbild von Helmut Jürgens, das zwischen Realismus und Phantastik genau ausgependelt war, für die Instrumentalisten, deren jeder durchweg solistische Aufgaben zu erfüllen hatte, und für den Dirigenten Heinrich Bender, der sich mit großer Sicherheit in der komplizierten Partitur auskannte und alle Kräfte diesseits und jenseits der Rampe ebenso exakt und energisch wie geschmeidig führte.

Dr. Willi Wöhler

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