Zum Konzert am 22. Mai 1960 in Münster

unbekannte Presse, unbekanntes Datum

Ein erstrangiges Erlebnis

Konzert von Dietrich Fischer-Dieskau

Man wird lange und weit zurückdenken müssen, wollte man nach einem Konzertabend in Münster suchen, der einem Künstler einen derartigen Erfolg eintrug, wie ihn Dietrich Fischer-Dieskau am Sonntagabend mit seinem Liederabend in der Aula des Paulinum errang. Die Beliebtheit, der sich dieser Sänger erfreut, und die Verehrung, die er auch in Münster genießt, zeigte sich bereits früh in der ungemeinen Platznachfrage, und die Ovationen, die ihm das Publikum am Ende des Konzertes bereitete, waren Ausdruck der zustimmenden Begeisterung für eines der bedeutendsten stimmlichen Phänomene unserer Tage.

Dabei dürfte das Programm des Abends noch nicht einmal sehr volkstümlich genannt werden. Fischer-Dieskau sang 20 Lieder aus dem Zyklus von 53 Kompositionen, die Hugo Wolf über Gedichte von Eduard Mörike schrieb. Diese Lieder entstanden in zwei Perioden sämtlich innerhalb eines Jahres, zeigen also Wolf in einer Zeit allergrößter Schaffenseile, sehr konzentrierten Komponierens, sind aber nicht "Erarbeitungen" mit viel Skizzenarbeit, sondern stets fertig im ersten Entwurf. Die erste Ausgabe dieser Werke zeigt sehr deutlich das Anliegen des Komponisten: Gleich nach dem Titel – "Gedichte von Eduard Mörike, komponiert von Hugo Wolf" – findet man das Bild des Dichters, nicht des Komponisten. Wolf will den Dichter bekanntmachen, will den Zuhörer von der Poesie berührt, bewegt und angezogen wissen. Seine Musik ist also nur "hinführendes Medium", ist dadurch äußerst textempfindlich, d.h. sie muß immer in Wahrheit zur Dichtung stehen, sie "interpretieren". Den Gestaltern, dem Sänger und seinem Begleiter, ist dadurch zur Aufgabe gemacht, in allererster Linie zur Dichtung hinzuführen, Phantasieszenen zu erstellen, auf denen die Wolf’sche Lied-Dramatik agiert. Das erfordert einen Künstler, der als Sänger musikalischer und geistiger Mitarbeiter, ein erlebnisfähiger Musiker und Poet in einer Person ist, das bedingt einen Pianisten, der den sowohl virtuosen als auch blühenden Klavierpart beherrscht, der mit Duft und Nuance differenziert nacherlebt, der sozusagen geistiger Bruder des Sängers ist.

In Dietrich Fischer-Dieskau und Günther Weißenborn erlebte man jetzt dieses Ensemble, das sich durch lange Zeit gemeinsamer Arbeit gefestigt, zu dieser einzigartigen musikalischen Leistung verband. Fischer-Dieskaus Bariton zu beschreiben, dazu fehlen im Grunde die Worte. Eine Stimme allererster Klasse, ein Timbre größter Wärme, Ruhe und Geschmeidigkeit, ein Volumen, das immer noch Reserven hat, eine für den Bariton ganz ausgezeichnete und blendend geschaffte Höhe und die beseelte Strahlkraft, die den Hörer sofort fasziniert – das ist eines jener ganz seltenen musikalischen Geschenke, das alles vereinigt zu hören, das ist ganz großes Erleben.

Günther Weißenborn ist sein äußerst versierter und einfühlsamer Begleiter, der auf jede Nuance eingeht, der melodische Bildungen zu differenzieren und abzuheben weiß, der in seinen solistischen Partien kraftvoller und lyrischer Pianist ist.

Das musikalische Erlebnis des Sängers und des Pianisten wird jedoch noch überhöht durch die Gestaltungskraft beider. Verständiges Eindringen in die Dichtung erst ermöglicht die wahre Interpretation des Ausgesagten. Und hier verspürt man, wie Fischer-Dieskau durch seine charakteristische Art der Phrasenbildung, durch geschicktes Überbinden zäsurbildender Atembögen gemäß der textlich-inhaltlichen Struktur entgegen der Formbildung durch die Gedichtzeilen manche neue, kaum geahnte Textinterpretationen sich erarbeitete und sie uns vermittelte. Fischer-Dieskau lebt den Inhalt des Gesungenen, ist in seiner ganzen Erscheinung Ausdruck dessen, was er vorträgt und was er an dramatischem Gehalt empfindet. Und hier wird der Sänger Fischer-Dieskau mehr und mehr zum Darsteller, nimmt er in sein Singen jene dramatisierenden Zusätze der Mimik, Gestik und des Sprechgesanges auf, die der Oper entlehnt sind. Er tut es zuweilen – hier besonders im zweiten Teil des Konzertes – in einem Maße, das man in Frage stellen möchte. Noch im Januar 1958 schrieb Dietrich Fischer-Dieskau zum Problem Lied – Oper in der Österreichischen Musikzeitschrift in einem Artikel, den er "pro diversitate" betitelte, unter anderem den Satz: "Lehrt nicht die Erinnerung an die Feinheit des Liedausdruckes die – ach so notwendige – Vorsicht vor dem "Zuviel" auf der Opernbühne?" - -

Fischer-Dieskau ersang sich auch in Münster die Herzen und den Beifall seiner Zuhörer. Ungestüme Ovationen riefen den Künstler immer wieder aufs Podium. Die so geäußerten Bitten um Zugaben erfüllte der Sänger gern mit weiteren 6 Liedern.

Sein Konzert war großartiger Abschluß der gelungenen Reihe der "Meisterkonzerte in Münster" der Konzertagentur Schoneberg. Herzlichen Dank wird man auch diesem Veranstalter sagen.

Ht.


  

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Triumph deutscher Liedkunst

Dietrich Fischer-Dieskau in Münster stürmisch gefeiert
Er sang Hugo Wolfs Mörike-Lieder in höchster Vollendung

   

Die Reihe der Meisterkonzerte im Paulinum, die während der zu Ende gehenden Saison so manche hochkünstlerischen Genüsse beschert haben, fanden im edelsten Sinne des Wortes ihre Krönung durch das Gastspiel des bewundernswerten Baritons Dietrich Fischer-Dieskau. Er bot ausschließlich Lieder von Hugo Wolf (im Jahre seines 100. Geburtstages) nach Gedichten von Eduard Mörike. Im Rahmen des Gesamtschaffens dieses menschlich so unglücklichen Tondichters haben die Mörike-Lieder – 53 an der Zahl – die stärkste Resonanz gefunden. Sie sind in der Tat genialstes Zeugnis einer Liedkunst, die nur in Deutschland zu so hoher musikalischer Blüte und seelischer Reife gedeihen konnte. Fischer-Dieskau sang die schönsten und schwierigsten Schöpfungen dieser Mörike-Liederreihe und verfügt dafür über die umfassendsten Voraussetzungen musikalisch-künstlerischer und geistiger Art.

In den Mörike-Liedern offenbart sich der Stimmungskünstler und Melodiker Wolf auf vollendetste und ansprechendste Weise. Und wie das Geheimnis der Größe Wolfs in der Fähigkeit liegt, sich in die Geistes- und Seelenwelt des Dichters so zu versetzen und zu versenken, daß dessen Werk in Tönen neu ersteht und weitere Wunder offenbart, so erklärt sich das Phänomen der Gestaltung Fischer-Dieskaus durch die Großartigkeit und Innigkeit einer kongenialen gesanglichen Gestaltungskunst, die einfach ihresgleichen sucht. Fischer-Dieskau ist ein ganz und gar musikalisch-geistig geprägter Typ mit geradezu unwahrscheinlichem Reichtum an gestalterischen Mitteln, der die Gesamtstimmung von Dichtung und Musik unerhört sensibel nacherlebt und auch das Grüblerisch-Gedankliche der musikalischen Poesie bis ins letzte aufspürt, ausformt und durchleuchtet. Er ist also eine intellektuelle Sängerpersönlichkeit, wie man sie selten findet, mit allen Vorzügen zugleich eines wundervoll leuchtenden und ausdeutsamen Stimmkolorits. Musik und Poesie, Herz und Seele, Gefühl und Stimmung unter höchst gewissenhafter geistiger Kontrolle, das sind die beherrschenden Merkmale der einzigartigen Kunst von Fischer-Dieskau, die auch in Münster stürmische Beifallskundgebungen entfesselte und zwar sowohl bezüglich der Schöpfungen, die die nervöse Reizbarkeit und hoffnungslose Melancholie des Tondichters offenbaren, wie auch jener, die von lebhaften dramatischen Impulsen und ekstatischen Ausbrüchen oder einer verschleierten und gelösten Heiterkeit künden. In allem zeigt sich dieser begnadete Sänger der reinen Poesie und Musikalität zutiefst verpflichtet.

Für den nicht endenwollenden Beifall dankte Fischer-Dieskau mit einer Reihe von kostbaren Zugaben. Sein erstmaliges Auftreten in Münster setzte den Triumph seiner künstlerischen Erfolge glänzend fort.

Franz Kl. Gieseking


   

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Sechs Zugaben erzwungen

Achtes Meisterkonzert hinterließ einen nachhaltigen Eindruck

   

Münster. Die diesjährige Reihe der "Meisterkonzerte" wurde beschlossen mit einem Liederabend des bekannten Baritons Dietrich Fischer-Dieskau, den er, begleitet von Günther Weißenborn am Flügel, in der ausverkauften Aula des Gymnasiums Paulinum gab. Zur Feier des 100. Geburtstages von Hugo Wolf, der in diesem Jahr begangen wird, hatte der Sänger ein Programm nur mit Liedern von Hugo Wolf gewählt, und zwar eine Auswahl aus den Liedern nach Gedichten von Eduard Mörike. Charakteristisch an der Liedkomposition Hugo Wolfs ist die fast sinfonische Verarbeitung des Textes in Gesang und Klavierstimme, so daß man sogar von Klavierstücken mit begleitender Gesangstimme geschrieben hat. Der Pianist ist hier nicht bloß "Liedbegleiter", sondern gleichberechtigter Partner im musikalischen Ganzen. Das ist eine Aufgabe, die Günther Weißenborn geradezu prächtig liegt. Wir haben ihn hier schon öfters als feinsinnigen Liedpartner kennengelernt, und auch an diesem Abend hatte er einen wohlverdienten Anteil am Erfolg.

Dietrich Fischer-Dieskau hatte seine Auswahl sehr geschickt getroffen, besonders im ersten bis dritten Teil, der ernste und heitere Lieder miteinander abwechseln ließ, wogegen der vierte mit den rein humoristischen Stücken ein wenig zu sehr auf äußerliche Wirkung abgestellt war. Seine herrliche Stimme ist von fast unglaublicher Modulationsfähigkeit und in allen dynamischen Schattierungen immer klangvoll. Dazu kommt eine eminente gestalterische Begabung, die jedes Stück seinem spezifischen Charakter entsprechend anlegt und zu einer unverwechselbaren Einheit führt. Diese vom Intellekt her bestimmte Gestaltung in klingende musikalische Form umzusetzen, ist der ganz unverwechselbare Stil dieses Sängers.

So wurden Lieder wie "Der Genesene an die Hoffnung" oder "In der Frühe" zu wirklichen Erlebnissen. Die dramatische Begabung des Opernsängers bricht durch in Liedern wie dem großartigen "Feuerreiter", wo die Schönheit der musikalischen Linie zurücktritt vor der dramatischen Charakterisierung des schauerlichen Textes und die Feuerglocke wirklich schaurig gellt. Daneben stehen Lieder in frischer, munterer Art, die ganz musikantisch dahergesungen werden, wie etwa die bekannte "Fußreise". Die eminent komische Begabung des Sängers zeigte sich in den humoristischen Liedern, die fast agiert wurden und dadurch beim Publikum besonders gut ankamen, wenn auch die Wirkung hier manchmal etwas oberflächlich erreicht wurde. Der Beifall wollte kein Ende nehmen, und erst mit sechs Zugaben wurde der Sänger vom Publikum entlassen, das mit hier ganz ungewohnten Bravorufen ihn immer wieder aufs Podium holte.

-kh-


   

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Publikum verlangte sechs Zugaben

Konzert des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau brachte Lieder von Hugo Wolf

    

Zu einem großen Erfolg wurde das Auftreten des bekannten Baritons Dietrich Fischer-Dieskau am letzten Abend der diesjährigen "Meisterkonzerte" in der Aula des Gymnasiums Paulinum. Am Flügel begleitet von Günther Weißenborn, sang er 20 der 53 Lieder, nach Gedichten von Eduard Mörike, die Hugo Wolf 1888/89 geschrieben hatte, aus Anlaß des in diesem Jahr zu begehenden 100. Geburtstages des Komponisten, der in der Geschichte des deutschen Liedes seinen festen Platz einnimmt.

Hugo Wolf übersetzt nicht, wie etwa Franz Schubert, die Textzeilen in eigene musikalische Zeilen, sondern schafft aus der Gesamtstimmung des Textes jeweils ein fast sinfonisches Ineinandergewobensein von Singstimme und Klavierstimme. So verlangen die Lieder Wolfs zwei aufeinander eingestimmte Partner, und Starsänger sind hier völlig fehl am Platze.

Dietrich Fischer-Dieskau und Günther Weißenborn sind zwei solche Künstler, die in abgestimmtem Zusammenspiel die Lieder zu schönster Gestaltung bringen. Es war ein Vergnügen, ihnen zuzuhören. Über die Modulationsfähigkeit der Stimme Fischer-Dieskaus und ihren Reichtum an Zwischentönen kann man immer wieder nur staunen; er besitzt ein fast geflüstertes und immer noch klangvolles Pianissimo wie ein strahlend-durchdringendes Forte, und seine Crescendi öffnen sich wie Tore zu einem Saal.

Das Spezifische jedes einzelnen Liedes wird sehr durchdacht herausgearbeitet, so daß eine absolut musikalische Einheit von Textgedanken und Musik entsteht. So sind Lieder wie "An den Schlaf", "Um Mitternacht" oder die Peregrina-Lieder wirklich gültige Gestaltungen geworden. Seine große dramatische Begabung kam besonders in dem herrlichen "Feuerreiter" zum Ausdruck, der das Unheimlich-Schaurige des Textes auf erregende Weise traf. Andererseits ist diese dramatisch-mimische Begabung aber auch eine Gefahr, ein wenig zu sehr auf äußerliche Wirkung auszugehen, wie es in der "Storchenbotschaft" geschah, die die Grenze des guten Geschmacks erreichte! Daß auch unbeschwert-fröhliche Lieder ihm liegen, zeigte "Am frischgeschnittenen Wanderstab" oder die muntere "Begegnung".

Günther Weißenborn war dem Sänger ein kongenialer Partner und begleitete mit der Virtuosität und Delikatesse, die wir an ihm schätzen. Der Beifall war unerhört stark, und erst nach sechs Zugaben durfte der Sänger das Podium verlassen.

-ro-

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