Tagesspiegel 24.06.2001 "Natur-Imitationen in der Musik sind mir suspekt" - Interview
Herr Fischer-Dieskau, lieben Sie die Natur? Mein Verhältnis zur Natur ist etwa so wie das von Marcel Reich-Ranicki, der immer sagt: Mit Natur kann ich nichts anfangen. In meinem Fall betrifft das vor allem Natur-Imitationen in der Musik. Die waren mir immer suspekt. Andererseits, ich liebe die Mark Brandenburg und freue mich, dass ich durch mein Konzert Gramzow kennenlerne. Die Lieder, die Sie besonders häufig gesungen haben, sind voll von Naturschilderungen. Natur wird hier sehr häufig als metaphorische Beigabe verwendet, nicht so sehr als Gegenstand der Gedichte. Einmal wollte Ludwig Berger mit mir einen "Winterreise"-Film drehen. Er sagte: "Ich werde Naturbilder zeigen, und Sie werden dazu singen." Da habe ich sofort abgelehnt - denn genau das ist es, was Schubert vermeiden wollte. Er selber war ja nun auch kein Naturbursche. Es gibt nur ganz wenige belegte Naturfahrten, die er gemacht hat. Ihm ging es immer in erster Linie um das Seelische. Sie haben sich in Ihrer langen Sängerkarriere immer für zeitgenössische Musik eingesetzt. Ich bin halt sehr neugierig! Es ist wunderbar, Dinge auszuprobieren, von denen man noch nicht weiß, ob sie ankommen, ob man selber damit etwas ausrichten kann. Wer hatte die Idee, in Gramzow "...sich verlierend..." zu spielen? Als Andreas Lichtschlag vom Ensemble QuattroPlus mich fragte, war ich sofort einverstanden. Ich hab das Stück schon einmal mit dem Quartett gemacht. Mir gefallen die Texte sehr, die ich zu rezitieren habe, denn sie treffen das Thema genau. Das Problem des Künsters, wenn er das Gefühl hat, sein Werk gleite ihm aus den Händen, wenn sich die Mittel erschöpfen. Darunter hat schon Gustav Mahler gelitten: "Ich weiß nicht wie ich mich ausdrücken soll, ohne auf Altes zurückzugreifen." Der Tagesspiegel 26.06.2001 Brandenburgische Sommerkonzerte Ein musischer Flecken also. Und doch eine ungewöhnliche Premiere: Werke von Peter Ruzicka und ein Auftritt Dietrich Fischer-Dieskaus. Im Mittelpunkt steht Ruzickas "... sich verlierend" für Streichquartett und Sprechstimme. Musikalische Zerfallsprozesse und komponiertes Schweigen werden von literarischen Modellen aus Peter Handkes "Versuch über die Müdigkeit" oder Hugo von Hofmannsthals "Brief des Lord Chandos" kommentiert, der berühmten Dichtungsreflexion. Der spätere Verfasser des "Rosenkavalier" ist an dieser Sinnkrise nicht "gestorben", aber seine Depression als junger Dichter reflektiert ein Motiv der Partitur, welches Fragmentieren, Verstummen heißt. "Völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen", hat der vormals rattenfängerische Bariton zu interpretieren, und in der Tat dominiert seine Persönlichkeit auch in diesem Text: "Es zerfiel mir alles in Teile." Wenn dann das Wort "Leere" mit einem neuen Stimmklang und einer staunenden Magie belegt wird, ist der Winterreisende, der ganze Fischer-Dieskau präsent. Das Quartett des Ensembles QuattroPlus - Dagmar Schwalke, Rainer Fournes, Birgit Mulch-Gahl, Andreas Lichtschlag -, das den Abend mit einer anregenden Schumann-Wiedergabe (F-Dur aus Opus 41) beschließt, steht mit aller Intensität dafür ein, dass die Stille lebt. Gleiches gilt für Ruzickas "Tombeau" für Flöten und Streichquartett mit der Uraufführungssolistin Kornelia Brandkamp. Werner Martins brandenburgische Konzertreihe indes macht mit den heiklen Stücken einen guten Schritt nach vorn, mitten in die zeitgenössische Musik, die nun so freundschaftlich ins Umland getragen wird. |