Konzerthaus: Verdi-Fest? Fest Verdi!
"Attila" starb am Donnerstag im Wiener Konzerthaus bei einem lauten Verdi-Abend.

Sogar ältere Besucher gestanden: "Also mir war es zu laut!" Rund um die grandiose Odabella Julia Varadys hatte das Konzerthaus ein achtbares Ensemble versammelt. Carlo Colombaras dunkler Baß als Attila, mit Vladimir Chernov hatte man einen Bariton für den Ezio, Tenor Héctor Sandoval ließ in der kleinen Partie des Uldino aufhorchen, und Kollege Alberto Jelmoni (Foresto) machte als Einspringer den Abend wohl erst möglich. Marcello Bufalini leitete sicher das ausgezeichnete Radiosymphonieorchester Wien in Riesenbesetzung, und die Wiener Singakademie hielt sich wacker als Verdi-Chor. Zutaten, die ein Verdi-Fest garantieren hätten müssen, wenn man eine subtilere, differenziertere Gangart gewählt hätte. Doch Attila wütete diesmal brachial. Ein wenig Nachhilfe in Sachen Verdi-Kultur hätte ihm gutgetan. mus

© Die Presse | Wien 23.03.2001


Als Verdi noch für die große Oper übte

"Attila" - Endlich: Hunnen und Verdi-Flammen im Wiener Konzerthaus

C'era una volta: Es war einmal, da spielte man an der Wiener Staatsoper Giuseppe Verdis "Attila". Heute muss selbst der Staatsoperndirektor ins Konzerthaus gehen, um dieses Jugendwerk des Jubilars zu hören. Nun, wir waren auch dabei und können bestätigen: Es würde sich lohnen, diese Oper zu spielen. Ob sie aber in der Schlamperei des täglichen Repertoirebetriebs zu ihrem Recht käme? Zumindest bleibt Wien auf diese Weise 364 Tage im Jahr hunnenfrei.

"Attila" konzertant: Dem genügt im Konzertsaal wie auf der Bühne nur höchste vokale Qualität. Und die war im Wiener Konzerthaus reichlich gegeben. Julia Varady machte aus der Rolle der Odabella das, was Verdi ihr einkomponiert hat: eine kompromisslos dramatische Koloraturheroine mit Tief-(en)-gang, quasi nicht nur chronologisch die unmittelbare Vorläuferin der Lady Macbeth.

Ihr Verehrer Foresto hat's da von vornherein schwer: Der junge Einspringer Alberto Jelmoni sang ihn beherzt, mit schöner Mittellage, doch (noch?) wenig frei in der akuten Zone. Carlo Colombara stattete den Titelhelden mit edel durchzeichnendem Bass aus; und Vladimir Chernov schien andeuten zu wollen, dass der Feldherr Ezio mehr als ein bloßer Schmeichelbelkantist zu sein hat.

Der Schlussakt lässt allerdings aus

Ezio: In seinem berühmten Duett mit Attila, in dem er dem Hunnenkönig zu Beginn der Oper das ganze Universum anbietet, wenn er nur aus Italien abzieht, wird eine Melodie zum Leben erweckt, die als Leitmotiv weniger vordergründig als beim jüngeren Wagner durchs ganze Werk geistert, sondern in vielerlei Abwandlungen, Variationen und Verfremdungen präsent ist. Die Idee scheint in der Luft gelegen zu sein. Warum hat sie Verdi wohl nicht weiterverfolgt?

So schade es ist, wenn der "Attila" wirklich nur konzertant aufgeführt wird und gleichsam von der Hand im leeren Raum lebt, so konzentrationsfördernd ist diese Unzukömmlichkeit für die Ohren. Und musikalisch war die Oper beim Radio Symphonieorchester Wien und dem als Einspringerdirigenten debutierenden Marcello Bufalini bestens aufgehoben. Nicht übermäßig flexibel, aber mit feinem Gespür für Temporückungen und -relationen brachte er Spannung ins phasenweise etwas laute Spiel. Nur die Heldin des Abends blieb von Überdeckung frei.

Von allen kleinen Mängeln abgesehen: Was kein Dirigent aus der Welt schaffen kann, ist die dramaturgische Schwäche des letzten Aktes: Nach dem vereitelten Attentat Forestos ist schon (fast) alles gesagt. Das Finale bleibt ein Nachspiel ohne Kraft und Kohä-renz zum Ganzen. Zur Perfektion fand Verdi erst in seinem späteren Leben.

DEREK WEBER

© Salzburger Nachrichten 24.3.2001


Konzerthaus: "Attila" konzertant
Szenische Dramatik effektvoll suggeriert
Von Manfred A. Schmid

 

Schade, dass sie der Opernbühne bereits ade gesagt hat; wie gut, dass sie auf dem Konzertpodium weiterhin anzutreffen ist - auch im musikdramatischen Fach: Julia Varady war in der konzertanten Aufführung von Giuseppe Verdis "Attila" eine herausragende Erscheinung, dynamisch, schon in den hohen Koloraturen der bravourösen Auftrittsarie ungemein sicher und ausdrucksstark - als Odabella der strahlende Mittelpunkt eines Abends, in dem auch sonst Vieles hell glänzte. Staatsopern-Direktor Holender befand sich unter den Zuschauern - er wird sich wohl Notizen gemacht haben über Nachwuchskräfte, deren weitere Entwicklung man im Auge behalten sollte.
Dazu gehören in erster Linie der noch sehr junge Sänger Alberto Jelmoni als Foresto, ein Tenor wie geschaffen für das italienische Fach, sowie der ebenfalls erst am Anfang seiner Karriere stehende Dirigent Marcello Bufalini, der mit sicherer Hand das sich auch in diesem ungewohnten Metier gut bewährende Radio Symphonieorchester Wien führte und für einen spannungsgeladenen Verlauf sorgte. Da beide noch dazu kurzfristige Einspringer waren, kam ihnen zu Gute, dass sie in dieser Oper des 35-jährigen Verdi bereits Aufführungserfahrungen haben. Und so war es nicht verwunderlich, dass Jelmoni seine Gestaltung auch gestisch ansprechend untermauerte.
Die beiden tiefen Männerpartien waren zwei gestandenen Bühnenpersönlichkeiten anvertraut. Der Bassist Carlo Colombara stattete die Titelrolle mit skrupellosen, machtbesessenen Zügen aus, sein Attila ist dennoch ein mit den Zügen des edlen Wilden ausgestatteter Barbar. Seinem Gegenspieler im Kampf um Einfluss und Herrschaft, dem italienischen Feldherrn Ezio, wurde von Vladmir Chernov sein geschmeidiger Bariton verliehen. Eine ambivalent gezeichnete Heldenfigur, die aber dennoch dem italienischen Risorgimento Möglichkeit zu patriotischen Projektionen bot und die vor allem mit der Arie "Dagli immortali vertici" auch heute noch mitreißend punkten kann.
In Nebenrollen traten Héctor Sandoval (Uldino) und Evert Sooster (Leone) in Erscheinung, besonderes Lob gilt der von Heinz Ferlesch prächtig vorbereiteten Wiener Singakademie. Fazit: Ein weiterer würdiger Beitrag zum Verdi-Jahr.

Erschienen am: 26.03.2001 Wiener Zeitung