Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2006, Nr. 229, S. 38
Goethes toller Rhythmus
Dietrich Fischer-Dieskau stellt in Marbach sein Buch vor
 
1789 - auch in Weimar fand da eine kleine Revolution statt: auf dem Theater. Ein "Erddiameter" sollte die neue Epoche von der vorausgegangenen trennen, so hatte der Theaterdirektor Goethe beschlossen. Er begann also mit dem Umbau des Hauses, holte aus Württemberg Baumeister Thouret, der die Bühne vergrößerte, die nun ebenso groß sein sollte wie der Zuschauerraum, die Verteilung der Sitzplätze wurde "demokratisiert", die Belüftung verbessert, die Beleuchtung mit neuen Arganlampen aus Frankreich kam den Schauspielern entgegen, denen nun nicht mehr der Rauch der Talglichter in die Augen biß. Der renovierte Bau sollte mit Schillers "Wallenstein" eröffnet werden. Auch für diese Inszenierung nahm sich Goethe Neuerungen vor. Für historische Kostüme ließ er Skizzen nach alten Stichen anfertigen, kaufte alte Kleider auf und verlegte die Handlung in eine der Zeit des Stückes angemessene Kulisse.

Schiller und Goethe, der Dramatiker und der Direktor, verfingen sich in ein dramatisches Tauziehen um den Text, der das anspruchsvolle Theater eröffnen sollte - und das ist der Punkt, an dem auch Dietrich Fischer-Dieskau in seinem Element ist. In seinem Buch "Goethe als Intendant. Theaterleidenschaften im klassischen Weimar" (Deutscher Taschenbuch Verlag) schildert er minutiös die Zusammenarbeit der beiden Dichter, wobei Schiller stets den Zögernden gibt und Goethe der ist, der mit Boten und mahnenden Briefen drängt.

Fischer-Dieskau las im Deutschen Literaturarchiv Marbach aus seinem Buch, das so druckfrisch aus der Presse kam, daß der Autor es nicht früher gesehen hatte als sein Publikum. Das Kapitel über den "Wallenstein" wählte Fischer-Dieskau wegen der Umarbeitung des "prosaischen Wallenstein" zum Drama in Blankversen. Der Rhythmus sei es gewesen, der ihn vor langem zu Goethe geführt habe, der poetische Klang dieser Lyrik, die er gesungen habe. Das rhythmisierte Drama, das seit dem "Wallenstein" auf dem Weimarer Theater verpflichtend gewesen sei, habe ihn auch zu seinem Buch angeregt. Fischer-Dieskaus Vortragskunst muß nicht gerühmt werden. Er führte ein kleines Dramolett auf. Nicht einer las da Zeile für Zeile, es waren drei Personen gleichzeitig auf der Bühne: die jeweils dargestellte Figur, die auch schon einmal in Rage geraten konnte; der Autor selbst, der seinen Vortrag dem Fluß seiner Prosa anpaßte; und dieser selbst noch einmal als sein erster Zuhörer, der kritisch dem Nachklang seiner Worte lauschte. Die unendliche Fülle von Material, die Fischer-Dieskau auf fast fünfhundert Seiten versammelt, ordnete eigentlich erst dieser Vortrag durch Tempowechsel, rhythmisierende Pausen und kleine mimische Schauspiele zu konturierten Szenen und Denkbildern. Nun ist nichts lächerlicher als ein grimassierender Vorleser. Fischer-Dieskau aber blieb stets der kontrollierende Autor von Erzählung und Vortrag, der, wenn eine Aufregung im Gesicht aufblitzte, diese sogleich wieder durch Nachdenken einfing.

Fischer-Dieskaus geschriebenes Wort ist eines, das vorgelesen werden muß. Die Details seines Buches beginnen, sobald das schnelle Auge sie als bloße Information aufnehmen will, im Kopf des Lesers zu torkeln. Den Details haucht erst die Stimme des Autors Odem ein. Fischer-Dieskau schreibt als mündlicher Erzähler, als einer, der in Weimar dabei war und sich erinnert. Sein Text ist sprunghaft, der holprige, aber nie einschläfernde Weg führt von Stichwort zu Stichwort, und am Ende hat man so die ganze Landschaft durchforscht.

Fröhlich kommt denn auch der Wanderer nach der Einweihungsvorstellung durch "Wallensteins Lager" 1798 beim Festakt an, wo die kleine Weimarer Revolution ihren kunstpolitischen Höhepunkt erreicht. Auf dem Theaterzettel schon hatte Goethe die Anreden "Herr, Demoisel" vor den Namen der Schauspieler streichen lassen, denn "Herr" sei jeder, Künstler aber seien nur wenige. Bei der Feier selbst wurden die Schauspieler mit den "Herrn" und Fürsten gemeinsam empfangen und durften sich in Goethes eintragen, ein wahrhaft revolutionäres Zugeständnis für Leute, die bis vor kurzem nicht einmal als Bürger angesehen gewesen waren!

HANNELORE SCHLAFFER
 
 
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