Zum Liederabend am 15. August 1992 in Salzburg


    

     Salzburger Nachrichten, 18. August 1992     

Von der "Farbe" des Singens

Der letzte Abend Dietrich Fischer-Dieskaus im Mozarteum

     

Über Dietrich Fischer-Dieskaus Kunst des Liedgesangs noch etwas zu sagen, die zugleich immer auch Kunst des Lied-Vortrags in höchster Vollendung ist, also gleichsam: die Geburt der Musik aus dem Geist der Dichtung, heißt tatsächlich die sprichwörtlichen Eulen nach Athen zu tragen. Wer Fischer-Dieskaus drei Salzburger Liederabende im Mozarteum gehört hat, wird sie zum Kostbarsten dieser Festspiele zählen dürfen, und innerhalb der Trias mit Schubert, Schumann und Hugo Wolf war gewiß der letzte das Kostbarste an sich. Nur ein Fischer-Dieskau kann es sich auf seine Art erlauben, drei der gewichtigsten Goethe-Gedichte ("Ganymed", "Grenzen der Menschheit" und "Prometheus") derart zum Kristallisationspunkt zu machen und dabei buchstäblich alle Register seiner Sing- und "Darstellungs"Kunst zu ziehen. Allein die ungebärdige, ungebändigte Kraft, mit der er die Ich-Sucht der prometheischen Götter-Anklage förmlich aus sich herausschleuderte, Zorn und Qual in einem, bodenlose Erschütterung und existentieller Auf-Schrei bis hin zum letzten "ich!": Das hatte etwas wahrhaft Un-Erhörtes, weil es sich nicht auf die subjektivistische Kraft allein konzentrierte, sondern, im schönsten Sinn, Farbe bekannte.

Und "Farbe" hat die Stimme Fischer-Dieskaus je länger je mehr. Sie hat natürlich nicht mehr den ungebrochenen Glanz der frühen Jahre, aber gerade dadurch, daß Fischer-Dieskau genau auf den Ausdruck achten und im ökonomischen Sinn "haushalten" muß, entgeht er der bei ihm stets latenten Gefahr zum Manierismus. Hugo Wolfs Tonsprache und Klangwelt kommt ihm dabei natürlich besonders zupaß, weil er hier – und speziell in den Goethe-Vertonungen – nicht in erster Linie auf vokale "Linie" singen (wie beispielsweise bei Schumann), sondern eben Farbe bekennen muß. Und wie Fischer-Dieskau die musikalische Idee und Ausführung dem lyrischen Vortrag dienstbar macht, wie dazu sein wahrlich kongenialer Partner am Klavier, Hartmut Höll, die "zweite Stimme" liefert, nicht begleitend, sondern mit-"singend" – und nach-"denkend": Das wird man so schnell nicht vergessen, aus dem Sinn bekommen.

Umso ärgerlicher – es muß heraus! – fand ich, wie oft gerade in die dramaturgisch so wesentlichen Nachspiele des Pianisten gnadenlos unmusikalisch hineingehustet wurde. Wenn man schon in Salzburg neuerdings wieder gerne über Kleidungsmodalitäten spricht, sollte man wenigstens andeutungsweise auch das störende, ja ungezogene Benehmen mancher "Musikfreunde" zur Sprache bringen dürfen. Und noch etwas: Daß der ORF es verabsäumte (aus welchem Grund auch immer), Fischer-Dieskaus Salzburger Liederabende 1992 zu dokumentieren, sollte nicht erst "Geschichtsschreiber" der späteren Generationen ärgern. Denn Festspiel-Geschichte hat Dietrich Fischer-Dieskau nicht allein seit 1951 geschrieben. Er tat es auch mit seinen drei Abenden in diesem Sommer.

hb

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