Zum Liederabend am 7. August 1992 in Salzburg


     Salzburger Nachrichten, 10. August 1992     

Nach wie vor der Inbegriff romantischer Todessehnsucht

Dietrich Fischer-Dieskau mit Schuberts "Schöne Müllerin" – Hartmut Höll am Klavier

     

Eine Lithographie ist im Programmheft abgedruckt: Dietrich Fischer-Dieskau bei einem Konzert in New York 1958. Das Unvermeidliche also gleich vorneweg: Diese Stimme hat sich sehr, sehr stark verändert. Ihr ehedem unverwechselbares Timbre ist sonorer geworden, Tribute muß der jetzt 67jährige auch hinsichtlich der Intonation, der Flexibilität seines Organs insgesamt hinnehmen. Dessen ungeachtet machte der erste der drei Festspiel-Liederabende von Dietrich Fischer-Dieskau wieder einmal klar, wie schmal die Spitze wirklich herausragender Lied-Interpreten ist. Daß Fischer-Dieskau dazu nach wie vor rechnet, wer wollte es ernsthaft in Frage stellen?

Es ist vieles in der Interpretation deutlicher geworden, weil auf das "Instrument" selbst nicht mehr so viel Verlaß ist. Der Geselle ist selbstbewußt, sucht dezent wie bestimmt die Nähe der Müllerstochter. Das Glück stellt sich erst gar nicht ein, denn nach dem "Tränenregen", nach dem traulichsten Beisammensitzen (da war wieder ein Hauch von der einstigen Einzigartigkeit im Timbre!) wendet sich die Müllerin nicht neckisch, sondern mit unverstellter Eindeutigkeit ab ("Es kommt ein Regen. Ade! Ich geh nach Haus"). Das schafft eine entschiedene Korrektur zur nachfolgenden Jubelstimmung ("Mein"), wo Fischer-Dieskau ohnedies die ausufernde Begeisterung kappt.

Aufs deutlichste ausgeführt der folgende Kampf um Sein und Schein, etwa in der schier unerträglichen Spannung zwischen präzise vorgebrachten Anweisungen an den Bach ("Eifersucht und Stolz") und der Seelenblöße unmittelbar darauf ("Die liebe Farbe"). Wie am Beginn dieser "Winterreise" kein Ungestüm steht, so am Ende keine Larmoyanz: "Ach, unten, da unten, die kühle Ruh" – das war und ist und bleibt in Dietrich Fischer-Dieskaus musikalischer Diktion der Inbegriff romantischer Todessehnsucht.

Hartmut Höll am Klavier geht ungemein reaktionsschnell ein auf des Sängers oft überraschende Anspielungen. Eine dreifache Steigerung auf die Worte "Der Mai ist kommen, der Winter ist aus", die aber doch in resignatives Zurückfallen mündet – das ist nur mögllich, wenn der Partner am Klavier ganz präzis mitzeichnet! Hartmut Höll trug diese "Schöne Müllerin" melodisch mit, wo Fischer-Dieskaus Kantilene erschöpft wirkte; und Höll korrigierte behutsam, wo der Sänger sich, dem Unvermeidlichen Tribut zahlend, in rezitativartigen Sprechgesang flüchtete.

Reinhard Kriechbaum

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