Zum Liederabend am 20. Juni 1991 in Feldkirch


  Vorarlberger Nachrichten, Feldkirch (?), Sa./So., 22./23. Juni 1991  

Blickt nicht herein, blaue Blümelein...

Schubertiade: "Die schöne Müllerin" in der Interpretation von
 Dietrich Fischer-Dieskau und András Schiff.

    

Von Hans-Udo Kreuels

...ihr macht meinem Schläfer die Träume so schwer..." Wer kennt sie nicht, diese Verse, die am Schluß der "Müllerin" das irdische Liebesleid dem "persönlichen" Schmerz in kosmischer Transparenz entheben. Selten ist - unterhalb einer einfachen, volkstümlichen Sprachgestalt - eine genialere Metapher von einem Dichter gefunden worden als "Des Baches Wiegenlied", als der schützende Todes-Schlaf, der die versöhnliche Brücke zur Gott-Natur darstellt, welche alles läutert und erlöst. Wilhelm Müllers Freitod ist hier bereits vorprogrammiert.

Wenn hier zu Beginn die Rede ist von der bedeutenden, immer etwas verkannten, weil nicht tiefenpsychologisch grundsätzlich ausgewerteten Dichtkunst W. Müllers, dann deswegen, weil die Interpretation des großen Schubert-Sängers Fischer-Dieskau - wie kann es bei ihm anders sein - z.T. mit drastischeren wie auch feinfühlig nuancierteren Textdeutungen aufwartete, als man gewohnt ist. Davon besonders erwähnenswert z. B. das bis zu entschiedener menschlicher Konfrontation gesteigerte Lied "Mit dem grünen Lautenbande" (am Schluß: "Dann hab ich's Grün erst gern."), was folgerichtig die aggressive Welle des Liederzyklus nach der "Pause" in Gang setzt, welche über den "Jäger" bis zu "Eifersucht und Stolz" führt, um daraufhin in "die liebe Farbe" in Depression und Handlungsunfähigkeit zusammenzubrechen. Die anschließende "böse Farbe" (Grün als Abstoßmoment) ist, ähnlich wie in der vier Jahre später entstandenen Schubertschen " Winterreise" das Lied "Mut", das "retardierende" Moment, ein menschlicher Gewaltakt als Versuch zur endgültigen Distanzierung. Er mißlingt. Hier wie dort, wobei der Tenor der gefühlstiefen Regression uns hier noch mehr anrührt ("Trockene Blumen").

Menschliches Schicksalsgut

Diese Ausführung der Folgerichtigkeit eines Abschnitts im Zyklus "Die schöne Müllerin" mag verdeutlichen, mit welcher "inneren" Logik von Müller und Schubert hier grundsätzliches, menschliches "Schicksalsgut" lebendig wird, vorausgesetzt, daß zwei so große Interpreten wie Dietrich Fischer-Dieskau und András Schiff all diese Dinge in ein solcher Art nachspürbares, erlebbares Leben übersetzen.

Fischer-Dieskaus Gesangskunst, gepaart mit "Altersreife", ist bekannt. Ich sträube mich, sie analysieren zu wollen, man muß sie erleben. Sicher ist es speziell "seine" "Müllerin", auch er hat sie früher sehr viel anders gesungen, naiver, ja jugendlich unschuldig (z.B. im "Feierabend"), mehr am "Biedermeier" orientiert. Die mittlere "cantabile" - Ebene im Gesang weitgehend meidend, oder aussparend (?), kommt er zu anderen Ergebnissen, wie z. B. zu einer oft unterschätzten Erkenntnis, daß das ausweglose Liebesleid in der Psyche des Müllerburschen vorgeprägt ist. Es hat in Wahrheit in dieser " Willensliebe" - wenn auch von wahrhaftigem Ethos geleitet, wie es nun damals so oft war - nie wirklich eine "Ent-Täuschung" gegeben, da der Müller von vomherein in der Täuschung verhaftet ist. Das kam besonders zum Vorschein in Dieskaus Anlage des "Tränenregen", wo es auch die einzigen interpretatorischen unstimmigkeiten zwischen ihm und András Schiff gab. Während der Sänger beinahe in "parlando"-Manier das Bagatellische in dieser Episode herausarbeiten wollte, litt der so einfühlungsstarke Pianist an der Raumnot für seine kostbaren Valeurs. Das war auch die einzige Unstimmigkeit.

Einheitlichkeit

Es ist an sich unbeschreibbar, mit welcher Einheitlichkeit die beiden Künstler sich in den feinsten Gefühlsmomenten verbanden, z. B. in "Der Neugierige", wo zudem Dieskaus phantastische Atemtechnik sich so positiv auf die spannungsvolle Ruhe des Liedes auswirkt, besonders auch die "lähmende" Ruhe in der "Pause", die unglaublich stark von einer Art souveränen Harfenspiel auf dem Klavier abhängt, das seinesgleichen sucht. András Schiff und Dietrich Fischer-Dieskau mußten nach diesem kurzen, und dennoch so reichen Liederabend so oft auf der Bühne des Feldkircher Montforthauses erscheinen, die tiefe, seelische Verbindung in der Darstellung eines für das Abendland repräsentativen musikalischen Kunstwerks auch untereinander mit rührender Gestik bezeugend, so daß letztendlich ein "normales" Liederabendausmaß sich einstellte.

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  Neue Vorarlberger Tageszeitung, Feldkirch (?),  22. Juni 1991  

    

Fischer-Dieskau und seine hohe Schule des Liedgesangs

Der zweite Tag der heurigen Schubertiade brachte einen erneuten Höhepunkt:

Dietrich Fischer-Dieskau präsentierte seine Interpretation des Liederzyklus’ "Die schöne Müllerin" und sorgte damit für Begeisterung im ausverkauften Montforthaus.

"Ein immer wieder verschobenes Vorhaben", so heißt es im Schubertiade-Journal, war eine Interpretation des Liederzyklus’ "Die schöne Müllerin" durch Dietrich Fischer-Dieskau – am vergangenen Donnerstag wurde es in der ausverkauften Stadthalle in Feldkirch vor einem faszinierten Publikum verwirklicht. Zum erstenmal an Fischer-Dieskaus Seite: der gleichermaßen faszinierende Pianist Andras Schiff.

Man hält den Atem an, wenn der große Liedersänger die tragische Geschichte des Müllerburschen dermaßen plastisch und erfüllt nahebringt. Forsch und leutselig stürzt sich Fischer-Dieskau in das erste Lied, unterstützt von einer kräftig akzentuierenden Klavierbegleitung. Doch dann: Welche Gegensätze tun sich auf! Freudige Hoffnung, innige Liebesempfindung, Schmerz, Resignation, Stolz, Verzweiflung, Trotz – Schubert, Fischer-Dieskau und Andras Schiff führen eine ganze Welt vor Augen. Das bis in die letzte Reihe tragende Piano, mit dem er etwa das "allen eine gute Nacht" zurücknimmt, oder das strömende Legato in "Der Neugierige", die Gestaltungskunst, mit der er einzelne Wörter ganz neu beleuchtet: Das ist die hohe Schule des Liedgesangs, die immer noch, immer wieder maßgebend ist. In Andras Schiff hat Dietrich Fischer-Dieskau einen kongenialen Partner gefunden – die herzliche Geste, mit der ihn der Sänger unmittelbar nach den letzten Tönen umarmt, mag dies zeigen.

Andras Schiff folgt dem Sänger mit jeder Nuance, jeder kleinen Verzögerung, und bleibt doch ein faszinierender eigenständiger Künstler. Da hört man im Klavier die Mühlsteine rollen, das Jagdhorn tönt aus dem Wald, duftige Arpeggien untermalen die sanfte Bewegung des Wassers. So war dieser zweite Schubertiade-Abend wiederum ein großartiges künstlerisches Ereignis, das das Publikum dankbar aufnahm und das noch lange nachwirken wird.

Katharina von Glasenapp

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