Zum Liederabend am 8. September 1987 in Berlin


    

     Die Welt, 10. September 1987     

Berlin: Fischer-Dieskau singt Lieder von Eisler

Elegien aus dem Exil

     

Fast auf den Tag genau erklangen Hanns-Eisler-Kompositionen an bislang seiner Musik gegenüber eher harthörigen Plätzen: In Bonn seine Nationalhymne beim Besuch Honeckers; im Saal des Senders Freies Berlin im Rahmen der Festwochenreihe "Musik aus dem Exil" in Auswahl sein "Hollywooder Liederbuch", von Dietrich Fischer-Dieskau gesungen, den Aribert Reimann am Klavier exemplarisch begleitete.

Eisler, der Hasser von Liederabenden alter Prägung, hatte nicht ohne Hochmut 1943 deklariert: "In einer Gesellschaft, die ein solches Liederbuch versteht und liebt, wird es sich gut und gefahrlos leben lassen." Daß es sich auf diese Art auch ohne Liebe zu seinen Liedern leben lassen könne, kam ihm wohl nicht in den Sinn.

Immerhin: Fischer-Dieskau ersang dem Zyklus Aufmerksamkeit, Respekt – und einen vollen Saal. Und wie um Eisler auch in diesem Punkte entgegenzukommen und weisungsgemäß "falsche Tonfülle zu vermeiden", meldete er sich mit der Bitte um Nachsicht beim Publikum als indisponiert.

Der locker gebildete Zyklus, in dem Gedichte Brechts dominieren, enthält sich aller schrill propagandistischen Töne. Er gibt sich eher wehmütig und elegisch. Es sind keine Straßenlieder für musizierende Massen. Eisler konzentriert sich durchaus auf Konzertsaalmusik. Aber auch die Esoterik der Dodekaphonie wird zurückgeschnitten. Eisler schreibt eine kraftvolle Musik der erweiterten Tonalität, deren Thema die Einsamkeit ist, das Leiden am Exil, an der Rückbesinnung auf Deutschland.

Der Zyklus macht den Eindruck, als habe sich Eisler von Lied zu Lied wie an einem Ariadne-Faden aus der Lebensverdüsterung durch die Emigration heraustasten wollen, aus der zwangsläufigen Isolation zu den Menschen seiner Herkunft, seines Bildungsstandes, seines Europäertums, seines Deutschseins. Das macht insgesamt den Zyklus ergreifend. Er macht nachdenklich. Genau das war Eislers Ziel, und er hat es fraglos erreicht.

Der Tenor der Stücke wechselt durchaus nicht heftig, obwohl sich mitunter chanson- und songhafte Elemente bemerkbar machen. Doch sie drängen sich niemals vor. Dem Klavierpart ist ohne Unterbrechung die heftigste Seelenarbeit auferlegt, und Aribert Reimann bewältigte sie mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit und Intensität. Freilich konnten er wie selbst Fischer-Dieskau nicht bei allen Stücken begreiflich machen, warum Eisler hervorragende Texte in musikalische Fadheit überführte. Hanns Eisler, der Mensch, trat in diesem Liedzyklus beteiligender hervor als der Komponist. Umgekehrt wäre es ihm sicherlich lieber gewesen.

Klaus Geitel

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