Zum Liederabend am 23. Juli 1987 in München


    

     Süddeutsche Zeitung, 25./26. Juli 1987     

Beim Wort genommen

Dietrich Fischer-Dieskaus Schumann-Abend in München

     

Wie nähert man sich einer Figur, die einfach alles ist? Meister, Legende, Paradigma, eine Institution, ein Star. Oder einfach nur ein Sänger? Kritisch, mit gelassener Kennerschaft oder eher tastend die Fühler ausstrecken, weil man weiß, daß die Worte dann doch nicht heranreichen?

Der erste Gedanke nach Dietrich Fischer-Dieskaus Liederabend im Nationaltheater, noch mitten im Getöse und Getrampel der Ovationen: Wie kann Singen zur selbstverständlichsten Sache werden? Singend fühlen und denken, singend seine Rednergabe nutzen, mit sich selbst reden, pointiert und anschaulich, monoton mit verhaltenem Atem, dann wieder schlagkräftig, geschliffen, mit concettistischer Bravour. Dieskau jedenfalls macht es nicht die geringsten Schwierigkeiten, Heinrich Heines jähe Antithesen von Traum und Wirklichkeit in Robert Schumanns Dichterliebe op. 48 und in dessen Liederkreis op. 24 zu formulieren: diesen mokanten, aggressiven, manchmal schnoddrigen Sarkasmus eines jung Leidenden, der den Todeswunden seinen Anspruch auf Glück schwärmerisch entgegensetzt.

Was Robert Schumann und andere Komponisten wie Schubert zu Heines "Buch der Lieder", vor allem zum Lyrischen Intermezzo, der Heimkehr und zu den Jungen Leiden hinzog, war nicht nur das Generalthema aller romantischen Liedkompositionen – Fremdsein, Isolierung in einer gestörten Gemeinschaft. Es war dieser "neue Dichtergeist", wie Schumann schrieb, der sich in den Erfahrungen des modernen, des zerrissenen und ironisch distanzierten Individuums zu Wort meldete.

Dieskau nun und Barenboim am Klavier ziehen mit intellektueller Schärfe und einer Genauigkeit des Gefühls, bis in die technisch ausgefeilten Winkel der Diktion, Schumanns Heine-Vertonungen durch dieses Wechselbad von ironisierter Liebesklage und desillusionierter Liebe – schon im ersten Lied "Mein Wagen rollet langsam". Launig, spöttisch, dazwischen mit einigen Funken sentimentalen Schmerzes, so überrascht Dieskau sein Publikum.

Hinter dieser Beiläufigkeit steckt Methode. Die drei Eröffnungslieder (dazu noch "Es leuchtet meine Liebe" und "Abends am Strand") bestimmen das Thema: Schumanns musikalische Reflexionen eines lyrischen Ich, das Heines ironische Larmoyanz und Zerrissenheit des Gefühls im Medium der Töne gestaltet. Und dies mit der Beschränkung auf sparsamste Gesten, die Dieskau und Barenboim am Klavier bis an die Grenze des resignierenden Verstummens führt, etwa nach der schockhaften Pause im vierten Lied des Liederkreises zum Wort "Totensarg" oder im gespenstischen, ironischen Schluß der beiden Traumlieder der Dichterliebe (Nr. 14 und 15), noch deutlicher in der lapidaren Kürze von "Anfangs wollt’ ich fast verzagen" (Liederkreis op. 24).

Wie kein anderer versteht es Dieskau, Schumanns typische dynamische und dramatische Abwärtskurve in der Dichterliebe mit unerbittlicher, zunehmender Trostlosigkeit darzustellen, bis zum absoluten Tiefpunkt – "Ich hab’ im Traum geweinet" -, bis in die Durchlöcherung des Gesangs mit schattenhaft huschenden Akkorden, in die absolute Finsternis. Er präpariert den Schmerz unglücklicher Liebe heraus, nimmt die feinsten klanglichen Valeurs unter die Lupe seiner berühmten Kunst der Vokalfärbung. Und er kennt die Verschlungenheit der Schumann-Melodien in den Klaviersatz, läßt im finsteren es-Moll des 13. Liedes einen Dur-Akkord im Klavier wie eine hoffnungslose Illusion aufleuchten oder verschwindet ganz in der leisen fiebrigen Erregung von Barenboims Begleitung zu "Ich will meine Seele tauchen".

Erst seit Dieskau ist es im Liedgesang überhaupt möglich geworden, die geheimsten seelischen Regungen von Musik und Sprache mit geradezu anatomischer Exaktheit in die Technik des Singens umzusetzen. Für jede Nuance des Schmerzes, des schwärmerischen Glücksgefühls, des Spottes und der Trauer gibt es winzigste Artikulationsformen, unmerkliche Umfärbungen, Verzögerungen vor einer bestimmten Silbe – ein ganzes Arsenal, mit welchem man das Lied "beim Wort" nehmen kann. Jede Formulierung hat intentionalen Charakter, jede Passage von Schumanns Heine-Liedern reizt Dieskaus musikalisches Denken. Sein Liedgesang ist rednerischer Natur – und er liefert immer noch Nachtigall-Melodien: Schumanns Eichendorff-"Mondnacht" als letzte Zugabe.

Barbara Zuber

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     Abendzeitung, München, 25./26. Juli 1987     

Bericht vom übergroßen Weh

Schumann-Lieder mit Fischer-Dieskau und Daniel Barenboim

     

Noch immer setzt Dietrich Fischer-Dieskau mit seinen Liederabenden Glanzpunkte im Festspielprogramm. Im Rahmen der Opernfestspiele sang er Heine-Lieder von Robert Schumann. Am Flügel Daniel Barenboim (Nationaltheater).

Schubert-Lieder mit Hartmut Höll am Flügel waren angesagt. Zwischendurch wurde von Brahms’ "Schöne Magelone" gemunkelt, und gesungen hat Fischer-Dieskau schließlich die beiden Heine-Zyklen Opus 24 und 48 von Schumann. Der mit orkanartigem Vorschußbeifall bedachte Sänger braucht um seine Popularität vorerst nicht zu bangen – und das zu Recht.

Gewiß hat sich seine Stimme in den letzten Jahren hörbar verändert. Der samtene Schmelz früherer Zeiten, die hochdifferenzierte Pianokultur sind einer direkteren und härteren Singweise gewichen. Aber wer wollte auch schon von einem Sänger, der die 60 überschritten hat, ein jugendliches Timbre verlangen! So hörten wir keine von romantischer Sehnsucht und Liebesleid durchdrungene "Dichterliebe", auch keine artifizielle Sprachbehandlung der Heine-Texte. Fischer-Dieskau führte uns vielmehr die Bitternis des Verzichts vor Augen, die aschgraue Fahlheit innerer Leere.

Er baute überwältigende dramatische Zusammenhänge auf, um unvermittelt wieder in volksliedhafte Schlichtheit zu verfallen. Nicht der zart leuchtende Sommermorgen, nicht die flüsternden Blumen oder das alte Träumen gaben den Ton dieses Liederabends an. Vielmehr wurde in kaum zu überbietender Intensität vom übergroßen Weh, vom zerrissenen Herzen und der strömenden Tränenflut berichtet.

Fischer-Dieskau hat sich ein Leben lang mit diesen Zyklen auseinandergesetzt. Er vermittelte uns nun schaurige, verzweifelte, fröstelnde und auch tröstende Einblicke in eine veränderte romantische Welt. Darin lag der Rang dieses Liederabends. Daniel Barenboim, der das alles so nahtlos mitvollzog, war als Partner ein Glücksfall.

Rüdiger Schwarz

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