Zum Konzert am 19. Februar 1986 in München


Süddeutsche Zeitung, 21. Februar 1986

Vom Anspruch des Lapidaren

Zürcher Tonhalle-Orchester unter Christoph Eschenbach

Es wurde leider kein großer glanzvoller Abend, sondern ein Konzert, das nachdenklich und betroffen machte wegen des herben Kontrastes zwischen dem unaustilgbaren Anspruch großer Werke und ihrer nur partiell hinreichenden Wiedergabe.

Vielleicht war schon das Programm zu anspruchsvoll für ein Orchester (das respektgebietend traditionsreiche, mit guten Solo-Bläsern besetzte Tonhalle-Orchester Zürich), welches wohl eben doch nicht zu den führenden Klangkörpern obersten Ranges zählt, und für den Dirigenten Christoph Eschenbach, dessen sensible, empfindsame Musikalität anscheinend nicht ganz ausreicht für die Forderungen zweier gewaltig elementarer Werke: nämlich der aus glühender Finsternis in ekstatischen Freiheitsjubel führenden Egmont-Ouvertüre Beethovens und der von Tristanischer Nacht zu überirdisch choralhaftem Licht ihren logischen Weg sich bahnenden 1. Symphonie in c-Moll von Brahms. Wie gern hätten wir den Zürchern auch bei etwas verbindlicherer Musik zugehört, wären wir Werken großer Schweizer Komponisten, wie Frank Martin oder Arthur Honegger begegnet. Statt dessen nur Äußerstes, ein Furtwängler-Programm, aber auf mittlere Weise...

[...]

Vor der Pause sang Dietrich Fischer-Dieskau Mahlers "Kindertotenlieder". Ich will nicht verschweigen, daß ich diesen bewunderungswürdigen Künstler schon überzeugender, besser bei Stimme gehört habe, selbstverständlicher und tiefgründiger dem Wortton-Verlauf folgend. Zumal während der ersten Lieder fehlte jene gestaltende Souveränität, an die der Meister uns gewöhnt hat. Nun gibt es zahlreiche Liedplatten, die demonstrieren, wie behutsam Christoph Eschenbach den Sänger am Flügel zu begleiten weiß. Deshalb berührte um so seltsamer, daß der Dirigent die Orchestersolisten anfangs offenbar nicht in gefühlsmäßigen Einklang mit Fischer-Dieskaus Artikulation zu bringen wußte. Oft war man ziemlich auseinander - so als ob die Bläser den Sänger nicht hörten und der Dirigent ihnen dessen Intentionen nicht recht vermitteln könnte. Und weil Fischer-Dieskau es mit den tiefen Piano-Tönen manchmal schwer hatte, blieben die ersten drei Kindertotenlieder schmerzlich unbefriedigend. Sie hätten auch ein paar Proben mehr vertragen. Glücklicherweise gelang dann das zärtlich böhmische 4. Lied und der - auch vom Orchester her wunderschön vorgetragene - ruhelos schmerzvolle Schlußgesang überzeugend. Herzlichen Dank dem 1. Horn.

Joachim Kaiser

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