Zum Liederabend am 26. September 1985 in München    


     Münchner Merkur, 28./29. September 1985     

Kraft und Gebrochenheit

München: Fischer-Dieskau sang Mahler

     

Vierzehn Lieder aus "Des Knaben Wunderhorn" standen auf dem Programm von Dietrich Fischer-Dieskaus drittem Münchner Liederabend im vollbesetzten Herkulessaal. Nach Schubert und Schumann wandte sich der Künstler nun Mahler zu und ließ in seiner stets aufs neue begeisternden Nuancierungskunst alle Schattierungen dieser Gesänge aufscheinen. Die männliche Kraft, die Gebrochenheit, die Trostlosigkeit ebenso wie die leichte Heiterkeit und natürlich die Ironie. Das alles, was Mahler in genialer Weise aus den romantischen Texten herausholt, musikalisch interpretiert, wurde auch in dieser zweiten Umsetzung adäquat getroffen. Und das nicht nur durch Fischer-Dieskau, sondern gleichermaßen durch Hartmut Höll. Ihm gelang es, den gegenüber der Orchesterbegleitung immer etwas farbloseren Klavierpart genau zu differenzieren; durch Rubati und zarteste Pianissimi oder derb stampfende Marschrhythmen und nicht zuletzt die ins Unwirkliche verzerrten Volksliedanklänge erreichte er ein Höchstmaß an Plastizität.

Belcantistischer Glanz ist in den Mahler-Liedern nicht gefragt, stattdessen genaueste Textausdeutung mit rein musikalischen Mitteln. Und genau dieses so diffizile Feld beackert Fischer-Dieskau seit Jahrzehnten mit größtem Erfolg. Wenn er im "Tambourg’sell" zunächst kraftvoll und massiv erscheint und dann beim letzten "Gute Nacht" alle Farbe aus der Stimme tilgt, oder die ruckartigen Kuckucksrufe dem melodiösen Gesang der Nachtigall gegenüberstellt ("Ablösung im Sommer"), das einst forsche "Tralali" ("Revelge") zu einer Wehklage färbt, dann ist der Beweis der Meisterschaft unzweifelhaft erbracht. Mit ironischem Augenzwinkern und mancher keineswegs störenden aber überraschenden Theatergebärde präsentierte Fischer-Dieskau die "Fischpredigt" und wies sich im abschließenden "Selbstgefühl" als Narr – von Format – aus.

Schade nur, daß das so begeisterte Publikum ihn nicht nach der ersten Zugabe entließ, als der Lindenduft noch den Saal erfüllte.....

Gabriele Luster

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     Abendzeitung, München, 28./29. September 1985     

Schauder und Seligkeit

Herkulessaal: Fischer-Dieskau mit Mahler-Liedern

   

In seinem 3. Liederabend sang Dietrich Fischer-Dieskau Lieder aus "Des Knaben Wunderhorn" von Gustav Mahler. Am Klavier: Hartmut Höll.

Gustav Mahler hat dem klavierbegleitenden Lied, das aus der Tradition Schuberts und Schumanns entwachsen ist, neue Bedeutung gegeben. Er hat es aus der romantischen Intimität herausgeführt, es zu einer Ausdrucksform allgemeiner Gefühle und Erlebnisse gemacht. Fischer-Dieskau verstand es, diese Entwicklung kongenial nachzuzeichnen, das Geheimnis der Musik, ihre Entrückung, ihren Schauder und ihre Seligkeit aufzuspüren.

Im Gegensatz zum Schumann-Abend (AZ vom 24.9.) waren große dramatische Ausbrüche zu hören, die immer in schroffem Kontrast zur kindlich-heiteren Melodik standen. Die Komplexität Mahlerscher Musik, ihre naive Schilderung von Liebesglück und Liebestrauer, von Trennungsweh und Sehnsucht, aber auch die gespenstischen Visionen von Todesangst hat uns Fischer-Dieskau in geradezu zwingender Weise vorgeführt.

Ohne den geringsten Anflug von Manierismus stellte er Mahler als einen Romantiker dar, über dessen Musik ein gebrochenes Licht liegt, der mit magischer Gewalt in eine neue Zukunft weist. Vokale Ausdrucksformen standen dem Sänger dabei in unbegrenzter Vielfalt zur Verfügung, mit traumwandlerischer Sicherheit sang er sich durch eine romantische Welt, deren versinkende Schönheit er mit kritischem Bewußtsein betrachtete.

Die Größe der Musik hat hier einen adäquaten Interpreten gefunden. Der überlegene Hartmut Höll mußte sich bei dem kompakten Klaviersatz bisweilen zu sehr des rettenden linken Pedals bedienen. Endlos langer Beifall und viele Zugaben.

Rüdiger Schwarz

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     tz, München,  28./29. September 1985     

Steigerung mit Mahler

    

Dietrich Fischer-Dieskaus dritter Liederabend im Herkulessaal galt den Liedern aus "Des Knaben Wunderhorn" von Gustav Mahler. Niemand konnte es wohl so recht glauben, daß es nach dem Schumann-Abend noch eine weitere Steigerung geben könnte, und doch: die Lieder Mahlers sind mehr als die Schuberts oder Schumanns auf Interpretation angewiesen, die Diskrepanz von volksliedhaften Elementen und einer überhöhenden Kunstsinnigkeit ergibt mehrfache Brechungen, die Fischer-Dieskau und Hartmut Höll gültig gestalteten.

Die Lieder "Scheiden und Meiden", "Der Tambourg’sell" oder "Der Schildwache Nachtlied" bekamen "Wozzeck"-Atmosphäre, und in die feinsten, psychologischen Verästelungen führte das Lied "Revelge".

Daß es Mahler durchaus gelingen konnte, auch mit hintersinnigem Humor aufzuwarten, konnte Fischer-Dieskau in "Wer hat dies Liedlein erdacht?", oder "Um schlimme Kinder artig zu machen" verlebendigen: faszinierendes Musizieren von Dietrich Fischer-Dieskau und seinem exzellenten Klavierpartner Hartmut Höll.

K.-R. Danler

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