Zum Liederabend am 22. August 1984 in Salzburg


Salzburger Nachrichten, 24. August 1984

Im Dienste Robert Schumanns

Der Achte Liederabend der Festspiele mit Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll

Einen Tag, nachdem sich Werner Hollweg mit einem ausschließlich Beethoven gewidmeten Programm dem Salzburger Festspielpublikum als Liedsänger vorgestellt hatte, war Dietrich Fischer-Dieskau im Kleinen Festspielhaus zu Gast. Auf den durchaus "hitzköpfigen", um originelle Lösungen bemühten und auch nie verlegenen Hollweg folgte also ein Altmeister des Liedgesanges. Solch ein Vergleich kann aufschlußreich sein, denn es zeigt sich, daß ungeachtet so verschiedener Deutungsansätze die Ergebnisse in ähnliche Bahnen weisen. Wenn Fischer-Dieskau grundsätzlich von der musikalischen Linie ausgeht, diese aber in beispielhaft feiner Manier lockert und einzelnen Wörtern so unterschiedliches Gewicht gibt, Werner Hollweg hingegen den Text an erste Stelle setzt und die kantable Entwicklung sozusagen "beiordnet", so treffen sich die Deutungen eben in diesem entscheidenden Punkt: Sie überzeugen dank der subtilen Wortdeutung. Fischer-Dieskau ist natürlich der kontrolliertere, reifere Künstler, dessen ernorme Erfahrung etwaige Unausgegorenheiten zwischen dichterischem Vorwurf und kompositorischer Idee im Ansatz aufspürt und spielerisch überwindet.

Fischer-Dieskau und sein Klavierpartner Hartmut Höll haben sich diesmal allein Schumann gewidmet, obendrein zwei Zyklen, die im selben Jahr (1840) entstanden sind: dem Eichendorff-Liederkreis op. 39, und den Zwölf Liedern nach Gedichten von Justinus Kerner, op. 35. Beide Zyklen sind geradezu ein Kompendium hochromantischer Liedkunst, die von den Nachgestaltern ein Höchstmaß von Einfühlungsvermögen in die oft eng beieinanderliegenden Stimmungsunterschiede verlangen, sie aber auch vor die Aufgabe stellen, Verbindendes mit gebotenem Nachdruck deutlich zu machen.

An Gegensatzpaaren wie (im Kerner-Zyklus) dem in schlichtem Volkston gehaltenen Lied "Sehnsucht nach der Waldgegend" und der balladenartigen, ernsten Vertonung "Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes", auf die wiederum ein weltzugewandter Teil, "Wanderung", folgt, entzündet sich vor allem Fischer-Dieskaus nachschöpferische Phantasie, d a vor allem weiß er wie kein anderer Schlichtheit und offensichtliches Pathos, Volkstümlichkeit und dichterische Stilisierung gegeneinander abzuwägen. Die letzten drei Lieder dieses Zyklus seien als besonders geglücktes Beispiel einer klugen Verbindung von im Grund wesensfremden Einzelteilen genannt: Auf die mit großem Bogen, mit spürbarer Atem-Verbindung zwischen den Strophen (auch vom Pianisten sehr dicht, orchestral nachempfundenen) "Stillen Tränen" folgte "Wer machte dich so krank", mit berückend fein ziselierten Klangfarben in der Singstimme, bis schließlich mit der "Alten Laute" die größte denkbare Verinnerlichung erreicht war.

Fischer-Dieskau hat an diesem Abend freilich eine recht lange Einsingphase benötigt, in den ersten drei Nummern des Eichendorff-Liederkreises schien er seiner Stimme (die bereits sehr schwer, weniger beweglich wirkt, aber nichts von ihrer Charakteristik eingebüßt hat) zu mißtrauen: "Intermezzo" kam weniger schwebend, als man es gewöhnt ist, mit recht kräftigen inneren Kontrasten, im "Waldesgespräch" investierte er auffallend viel Kraft, was eine gewisse Derbheit bedingte.

Hartmut Höll versuchte offensichtlich, trotz vieler gut gezeichneter Feinheiten die Gesamtlinie nicht aus den Augen zu verlieren, er strebte wohl einen schwärmerischen, bisweilen auch etwas dicken Gesamtklang an.

Reinhard Kriechbaum


   

     Zeitung unbekannt, 24. August 1984     

Lebendige Meisterschaft

Schumann-Liederabend Dietrich Fischer-Dieskau im Kleinen Haus

   

Auch wenn der alljährliche Liederabend Dieskaus im Kleinen Festspielhaus zu einem vertrauten Fixpunkt des Sommers geworden ist, gelingt es dem großen Meister des Liedes, sich so sehr den schöpferischen Augenblicken seiner Kunst auszusetzen, daß seine Meisterschaft immer wieder zum lebendigen Abenteuer wird. Reife und Einfachheit vereinigen sich mit seelischer Komplexität und kreativer Unruhe. Robert Schumanns Liederkreis op. 39 nach Eichendorff-Gedichten, in sich schon eine wunderbare Verbindung von Dichtung und Musik, erlebte hier seine optimale Verwirklichung. Die Lieder wanderten durch die Ernsthaftigkeit des Künstlers und leuchteten auf in ihren Bildern und Stimmungen. Es entstanden kleine Szenen, wie selbstverständlich in ihrer Dramatik gestreift und doch vollkommen ausgeleuchtet in ihrer tiefsten Dimension. Der differenzierte Dialog Ritter-Loreley im Lied "Waldesgespräch" stand als Beispiel für die Kraft Dieskaus, poetische Wirklichkeit zu erzeugen.

Vielleicht ist es das Außergewöhnliche der Kunst Dieskaus, die geheimnisvollen Zusammenhänge der Bilder eines Liedes knüpfen zu können. Der Interpret verwandelte die "Mondnacht" in ein behutsam entworfenes Gemälde von zärtlicher Trauer. Im zweiten Teil des Abends schlug Dieskau bei Gedichten von Justinus Kerner einen wesentlich volkstümlicheren Ton an. Aber auch hier blieb er der atemberaubende Zauberer und Erzähler. Hartmut Höll war dem Sänger ein würdiger Begleiter am Klavier.

Kreuth-Boever

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